Rede:
ID0901708000

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 9
    1. Das: 1
    2. Wort: 1
    3. hat: 1
    4. der: 1
    5. Herr: 1
    6. Abgeordnete: 1
    7. Dr.: 1
    8. von: 1
    9. Weizsäcker.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 9/17 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 17. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 28. Januar 1981 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 607 A Eidesleistung des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft Engholm, Bundesminister BMBW 607 B Fortsetzung der Aussprache über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1981 (Haushaltsgesetz 1981) — Drucksache 9/50 — in Verbindung mit Beratung des Finanzplans des Bundes 1980 bis 1984 — Drucksache 9/51 — in Verbindung mit Fortsetzung der ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Mineralöl- und Branntweinsteuer-Änderungsgesetzes 1981 — Drucksache 9/91 — in Verbindung mit Fortsetzung der ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Abbau von Subventionen und sonstigen Vergünstigungen, zur Erhöhung der Postablieferung sowie zur Klarstellung von Wohngeldregelungen (Subventionsabbaugesetz) — Drucksache 9/92 — Dr. h. c. Strauß, Ministerpräsident des Freistaates Bayern 608A Dr. Posser, Minister des Landes NordrheinWestfalen 622 C Hoppe FDP 633 B Dr. von Weizsäcker CDU/CSU 637 D Brandt SPD 645A Genscher, Bundesminister AA 652 B Würzbach CDU/CSU 661 D Dr. Apel, Bundesminister BMVg 666 C, 680B, 681 B Jung (Kandel) FDP 673 C Biehle CDU/CSU 675 D Würtz SPD 678 D II Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Januar 1981 Dr. Wörner CDU/CSU 680 D Dr. Mertes (Gerolstein) CDU/CSU . . . 682 B Dr. Ehmke SPD 686 B Schäfer (Mainz) FDP 691 C Dr. Hupka CDU/CSU 693 D Pieroth CDU/CSU 696 B Schluckebier SPD 698 D Frau Schuchardt FDP 701 B Offergeld, Bundesminister BMZ 704 D Dr. Köhler (Wolfsburg) CDU/CSU 707 C Dr. Hupka CDU/CSU (Erklärung nach § 32 GO) 709 C Nächste Sitzung 709 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 710*A Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Januar 1981 607 17. Sitzung Bonn, den 28. Januar 1981 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. van Aerssen 30. 1. Dr. Ahrens * 30. 1. Dr. Althammer 30. 1. Dr. Bardens * 30. 1. Böhm (Melsungen) * 30. 1. Büchner (Speyer) * 30. 1. Dr. Dollinger 30. 1. Dr. Enders * 30. 1. Francke (Hamburg) 30. 1. Dr. Geßner * 30. 1. Dr. Hennig 30. 1. Hoffie 28. 1. Dr. Hubrig 30. 1. Jäger (Wangen) * 30. 1. Junghans 28. 1. Kittelmann * 30. 1. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Klein (Dieburg) 30. 1. Korber 30. 1. Lemmrich * 30. 1. Lenzer * 30. 1. Männing * 30. 1. Dr. Müller * 30. 1. Müller (Wadern) * 30. 1. Frau Pack * 30. 1. Peter (Kassel) 30. 1. Petersen ** 30. 1. Reddemann * 30. 1. Rösch * 30. 1. Sander 30. 1. Dr. Schäuble * 30. 1. Schmidt (München) * 30. 1. Schmidt (Würgendorf) * 30. 1. Dr. Schroeder (Freiburg) 30. 1. Schulte (Unna) * 30. 1. Frau Simonis 30. 1. Frau Dr. Skarpelis-Sperk 30. 1. Dr. Freiherr Spies von Büllesheim * 30. 1. Dr. Sprung * 30. 1. Dr. Unland * 30. 1. Dr. Vohrer * 30. 1. Dr. Wittmann (München) * 30. 1. Dr. Wieczorek 30. 1.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Hans-Günter Hoppe


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der bayerische Ministerpräsident wollte sich, wie er gesagt hat, hier nur mit jenen Problemen beschäftigen, von denen er meinte, sie hätten Elefantengröße. Zunächst schien es auch so, als wolle er diese Rolle nicht als bayerischer Kriegselefant spielen, sondern gezügelt, nicht zündelnd.
    Bei der Behandlung eines Interviews des Bundeskanzlers wurde Herr Strauß dann wieder rückfällig. Meine Damen und Herren, es ist deutlich geworden, daß der Bundeskanzler und Bundesregierung nach dieser wirtschaftspolitischen Aussage die Unternehmen nur mit solchen Nebenkosten belasten wollten, die eben unvermeidbar waren. Der Wirtschaft sollte aber keine Last mutwillig auferlegt werden.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

    Soweit damit der Bundesregierung und der Koalition das Etikett der die freie Wirtschaft jagenden Sozialisten angeheftet werden sollte, ist es hier hörbar abgefallen. So ging dann ja wohl auch das nachgelieferte Duell „Kanzler — Kandidat" mit einem klaren Punktsieg des Kanzlers zu Ende. Im übrigen ist die öffentliche Bewertung der Stärkeverhältnisse hier nur noch einmal eindrucksvoll bestätigt worden.
    Der Vorwurf des Kollegen Strauß — hier wollte er an einer im Augenblick ganz brisanten und wichtigen Frage, die die Öffentlichkeit bewegt, Punkte sammeln —, der Bundeskanzler und die Bundesregierung hätten das Thema Kernenergie als regionales Problem von sich weggeschoben, wurde in einer seltsamen Weise bewältigt und zu Ende geführt. Auf die Zwischenfrage des Kollegen Wehner nach der bayerischen Hilfe und dem bayerischen Entsorgungsangebot hat nämlich der bayerische Ministerpräsident hier einen Slalom hingewedelt, der sich im blau-weißen Ländle verlief.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    So gab es eine groteske Bestätigung eines Regionalprinzips, das von Herrn Strauß zunächst so vollmundig attackiert wurde. Man sieht, wie schwer es ist, aus seiner eigenen Umgebung herauszukommen und das zu fordern, was hier nötig ist, nämlich eine Politik, die wir gemeinsam tragen und zu verantworten haben.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Der Beschluß des Landesverbands SchleswigHolstein meiner Partei, den der bayerische Ministerpräsident hier angeführt hat, ist eine Entscheidung für den maßvollen Ausbau der Kernenergie, ist ein Ja zu Brokdorf. Die Ergänzung dieses Beschlusses hebt das Votum keineswegs auf, sondern bindet es ausdrücklich an die Entsorgungsgrundsätze, die die Bundesregierung und die Bundesländer dazu miteinander vereinbart haben. Die Debatte im FDP-Landesverband Schleswig-Holstein wurde offen, hart, aber fair geführt. Der Kollege Ronneburger als Landesvorsitzender hat mit großem persönlichem Einsatz den Landesverband zu dieser positiven Entscheidung geführt. Ihm gebührt dafür unser Dank.

    (Beifall bei der FDP)

    Die Durchführung dieses Beschlusses, auch wenn er hart und umstritten mit unterschiedlichen Auffassungen so zustande kam, wird — dessen können Sie gewiß sein — geschlossen erfolgen. Wir lassen uns dabei weder von Freund noch von Feind in unsere eigenen Angelegenheiten hineinreden.
    Eines kann ich Ihnen versprechen: Ein gewisses Handlungsmodell gibt es bei den Freien Demokraten ganz gewiß nicht, nämlich die langjährige Qual



    Hoppe
    von CDU und CSU. Aus dem zweiten Glied wird bei uns nicht auf den Dirigenten geschossen.

    (Beifall bei der FDP und der SPD — Lachen bei der CDU/CSU — Kiep [CDU/CSU]: Das besorgt bei Ihnen das erste Glied?)

    Der Bundesfinanzminister hat das Zahlenwerk des Haushalts 1981 ganz nüchtern kommentiert. Der enger gewordene Handlungsspielraum mag die Hinwendung zu einer realitätsbezogenen Fiskalpolitik erzwungen haben; es war dennoch beeindruckend, mit welcher Rigorosität Minister Matthöfer dem Verlangen nach neuen Konjunkturprogrammen eine Absage erteilt hat. Auch mit einer so klaren Zielansprache hat es der Finanzminister der Opposition wieder nicht recht gemacht. Sie weicht j eden-falls der Diskussion über das Heute und Morgen aus und verharrt in der Rolle des Anklägers.
    Dabei wissen wir alle ganz genau, daß die Staatsschuldenlast nicht aus Jux und Tollerei angehäuft wurde. Die aus weltpolitischen Krisensituationen entstandenen konjunkturellen Einbrüche haben viele Gründe für die expansive Haushaltspolitik geliefert. Wir alle — besonders die Opposition — weisen immer wieder darauf hin, wie sehr wir in unsere international übergreifenden Bündnisse und wie sehr wir gerade als Exportnation in den internationalen Wirtschaftsablauf eingebunden sind. Wir alle sollten doch jetzt das nicht leugnen und aus unserem Gedächtnis verdrängen wollen, was wir aus internationaler Solidarität hier übernommen haben, was wir bis heute schwer zu tragen hatten und woraus ein Teil unserer Probleme resultiert. Ich sage noch einmal: Weltwirtschaftsgipfel und erinnere an das, was wir gerade gegenüber den Vereinigten Staaten, aber auch bis hin zu Japan, an internationalen Leistungen zu Lasten unseres Haushalts und unserer inländischen Finanzpolitik auf uns haben laden müssen.
    Bundesbank und Sachverständige haben stets ihren wohlfeilen Rat für eine solche defizitäre Haushaltspolitik dazugegeben. Der Haushalt wurde im Glauben an die segensreichen Wirkungen staatlicher Finanzierungsdefizite immer wieder zur Gegensteuerung eingesetzt und expansiv gefahren. Die Ergebnisse waren j a auch nicht schlecht. Es kommt doch nicht von ungefähr, daß wir im internationalen Vergleich relativ gut dastehen.
    Aber wir haben dafür — wer wollte es leugnen — einen hohen Preis gezahlt, einen Preis, der sich wegen des steigenden Zins- und Tilgungsdrucks nicht beliebig steigern läßt. Von den Vorstellungen der Väter des Stabilitätsgesetzes in bezug auf die angestrebten Ziele sind wir in der Tat ein gutes Stück entfernt.
    Das gilt im übrigen auch fürs Ausland. Dazu hat der frühere Parlamentarische Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, der jetzige Präsident der Hamburger Landeszentralbank, Hans Hermsdorf, wie ich meine, zutreffend festgestellt, daß es somit wenig Sinn hat, dauernd Vergleiche mit den Partnerländern anzustellen. „Wir laufen sonst Gefahr, daß es uns relativ immer besser, aber tatsächlich immer schlechter geht."

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — Kolb [CDU/CSU]: Wir lügen uns in die eigene Tasche!)

    Meine Damen und Herren, im übrigen befinden wir uns, wie der Bundesbankpräsident deutlich gemacht hat, nicht in einer Lage, die mit den klassischen Instrumenten der Globalsteuerung gemeistert werden kann. Vielmehr verlangt der notwendige Umstrukturierungs- und Anpassungsprozeß andere Rezepte. Besonders der Umstand, daß sich die außenwirtschaftliche Lage der Bundesrepublik Deutschland grundlegend geändert hat, zwingt uns, bei der Wirtschafts-, Finanz- und Lohnpolitik andersgeartete Konsequenzen zu ziehen, als wir in der Vergangenheit glaubten ziehen zu müssen.
    Aber auch ohne den Weg in die Zukunft mit neuen Investitionsprogrammen zu pflastern, gibt der Bundeshaushalt — wie die öffentlichen Haushalte überhaupt — im Jahre 1981 noch einiges zur konjunkturellen Belebung her. Insgesamt steckt in ihnen ein expansiver Impuls von rund 40 Milliarden DM. Der Sachverständigenrat glaubt allerdings, daß hiervon mögliche belebende Wirkungen deshalb nicht ausgehen werden, weil der Staat den privaten Investoren nicht die Gewißheit zu verschaffen vermag, daß das Staatsdefizit mittelfristig auf ein vernünftiges Maß zurückgeführt wird.

    (Kolb [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

    Es hat aber in dieser Situation wenig Sinn, sich krampfhaft mit der Vergangenheit zu beschäftigen. Das wollen wir denn auch der Opposition überlassen. Meine Damen und Herren, natürlich kann man darüber streiten, ob wir in der Vergangenheit nicht zuviel des Guten getan haben. Häufig sind wir ja nicht nur in die konjunkturelle Bresche gesprungen, sondern haben gleichzeitig wachsende Ansprüche auf Staatsleistungen genährt und sie gern bedient. Der Umgang mit dem Geld des Steuerzahlers zählt zweifellos zu den herausragenden, aber zugleich zu den verlockendsten Aufgaben des Staates. Die Lust an der Bewilligung neuer Ausgaben ist so ausgeprägt, daß es bislang schier unmöglich schien, davon abzukommen, besonders weil immer neue Bedürfnisse beim Bürger geweckt wurden, um sie dann freudig und lustvoll auch zu erfüllen.
    Der Bundesfinanzminister hat jetzt Abkehr von dieser Praxis verkündet. Wir müssen auch konsequent bei dieser Absicht bleiben, auch um den Preis der Unpopularität und des Aufschreis der Interessenverbände und der Interessenten.
    Eine große wirtschafts- und finanzpolitische Aufgabe liegt jetzt darin, zu einem außenwirtschaftlichen Gleichgewicht zurückzukehren. Ohne einen ausreichend hohen Außenhandelsüberschuß werden wir auf Dauer kaum in der Lage sein, unseren eingegangenen internationalen Verpflichtungen nachzukommen. Meine Damen und Herren, schließlich können wir keine Entwicklungshilfe aus Mitteln leisten, die wir uns selbst woanders pumpen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Tun wir doch!)




    Hoppe
    Uns allen bleibt nur die Möglichkeit, von der Rolle des Wohltäters in die des -Zuchtmeisters umzusteigen. In den öffentlichen Haushalten müssen andere Prioritäten gesetzt werden. Im Endeffekt bedeutet dies eine Abkehr von liebgewordenen, aber riskanten Gewohnheiten. Soziale Gerechtigkeit läßt sich auf Dauer nur mit einer an Stabilität orientierten Politik von Staat und Bundesbank sichern.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Hier ziehen Gott sei Dank Bundesbank und Bundesregierung entgegen einer in der FAZ noch am 22. Januar geäußerten Sorge an einem Strang.
    Bundesregierung und Bundesbank verfolgen die gleiche Linie. Beide leisten zwar ihren Beitrag zur Geld- und Finanzpolitik in eigener Verantwortung, gehen aber von den gleichen wirtschafts- und finanzpolitischen Analysen aus und benutzen ein abgestimmtes therapeutisches Instrumentarium.
    Es ist auch leichtfertig, dem Bundesfinanzminister vorzuwerfen, er habe den Zwang zur Sparsamkeit auf der Ausgabenseite des Haushalts 1981 noch nicht energisch genug wirksam werden lassen. Der mit dem Haushalt 1981 auf den Weg gebrachte Beginn der Umkehr und das angekündigte Konzept für eine allmähliche Gesundung der Staatsfinanzen fällt zugegebenermaßen in eine konjunkturell ungünstige Zeit. Dennoch wurde Kurs gehalten, mit Vernunft und Augenmaß, und dies muß auch in Zukunft Bestand haben.
    Nicht von ungefähr hat der frühere niedersächsische Finanzminister, unser Kollege Walther Leisler Kiep, am 29. Oktober 1980 anläßlich eines Abschiedsgesprächs mit Journalisten in Hannover genau auf die kritische Lage hingewiesen, die sich aus dem Zwang zum Sparen bei den veränderten wirtschaftspolitischen Daten ergibt. Denn — wie könnte es anders sein — Kollege Leisler Kiep hält zwar die Tendenz zur Umkehr und zur Sparsamkeit für richtig, er hat jedoch auch darauf hingewiesen, daß das Programm jetzt genau zu einer Zeit komme, wo die Sparpolitik beginne, antizyklisch zu werden.
    Damit wird für uns alle doch erkennbar — hier gibt es j a wohl auch keine Meinungsverschiedenheiten —, daß nicht viel Handlungsspielraum für finanzpolitische Operationen für uns vorhanden ist.

    (von der Heydt Freiherr von Massenbach [CDU/CSU]: Weil das Geld verwirtschaftet worden ist von 1974 bis 1978!)

    Wir sollten uns deshalb eigentlich über die vor uns liegenden Aufgaben bei der kürzer gewordenen finanziellen Decke schnell einig werden können. Die bestehende Wohlstandsausstattung kann nämlich nicht gesteigert, vielleicht nicht einmal ungeschmälert fortgeschrieben werden. So etwa hat es Herr Kollege Leisler Kiep jedenfalls formuliert, als er seine letzte Haushaltsrede vor dem Niedersächsischen Landtag am 8. Oktober 1980 gehalten hat.
    Zuzustimmen ist ihm auch, wenn er die Zukunftschancen so sieht: Die Umstellung unserer gesamten Energieversorgung muß beschleunigt werden.

    (Zuruf von der CDU/CSU: So wie in Schleswig-Holstein!)

    Die dritte industrielle Revolution muß sowohl in der Wirtschaft als auch auf dem Arbeitsmarkt bewältigt werden. Strukturveränderungen in einigen Schlüsselindustrien unserer Wirtschaft sind unabweisbar. Ich möchte Herrn Kollegen Leisler Kiep jedoch auch ausdrücklich zustimmen, wenn er feststellt: Auch bei dem angespannten Zustand der öffentlichen Finanzen besteht für Panik und Hysterie kein Anlaß, wenn wir den Mut zum Handeln haben.

    (Beifall bei der FDP — Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Wenn!)

    Mit dem vorgelegten Haushaltsplan und den begleitenden Beschlüssen ist gehandelt worden. Der Sachverständigenrat hat dies ausdrücklich anerkannt. Mit dem Haushalt 1981 und den Sparbeschlüssen sei der erste Schritt getan, dies um so mehr, als das strukturelle Defizit um etliche Milliarden DM abgebaut werden konnte. Die Konsolidierung müsse aber in den nächsten Jahren ein Stück vorangebracht werden, und zwar im wesentlichen durch eine Reduzierung der Staatsausgaben.
    Ich hoffe sehr, daß wir in der zweiten und dritten Lesung, nach Abschluß der Beratungen im Haushaltsausschuß, nachweisen können, daß wir willens sind, ein den ganzen Zeitraum der Legislaturperiode umfassendes Konsolidierungsprogramm hinzuzufügen.

    (Beifall bei der FDP)

    Meine Damen und Herren, die gesamtwirtschaftlichen Bedingungen, unter denen das zu geschehen hat, werden sich, wie seit der Beratung des Wirtschaftskabinetts erwiesen, nicht verbessern. Wenn aus der konjunkturellen Delle eine Beule wird, muß einerseits mit Steuermindereinnahmen gerechnet werden, und andererseits werden wir höhere Ausgaben — unvermeidlich — bei der Bundesanstalt für Arbeit haben. Dies könnte zu einem noch höheren Defizit führen.
    Aber wir dürfen die Flinte nicht ins Korn werfen. Die Bundesregierung hat die Vorgaben des Finanzplanungsrates eingehalten. Das Parlament wird diese Zielvorgabe ebenfalls nicht aus den Augen verlieren.

    (Sehr richtig! bei der FDP)

    Die vorgesehene Neuverschuldung von 27,4 Milliarden DM ist zwar hoch, aber allein auf das Jahr 1981 projiziert wäre sie durchaus vertretbar, insbesondere dann, wenn man die konjunkturelle Situation und vor allem das von allen Parteien gewollte und beschlossene Steuerentlastungsgesetz, das jetzt wirksam wird, mit in Rechung stellt.
    Da es aber keine isolierte Betrachtung eines Jahres-Ausschnittes der Haushaltspolitik geben kann, müssen wir verhindern, daß der Haushalt aus den Fugen gerät, damit davon keine negativen Wirkungen auf die Geldwertstabilität und die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft ausgehen. Hier liegt



    Hoppe
    der Schlüssel zum Abbau des Leistungsbilanzdefizits.
    Ich möchte ein Zitat aus der mahnenden Rede des Bundesbankpräsidenten anläßlich des Neujahrsempfangs der Stadt Frankfurt einfügen:

    (Zurufe von der CDU/CSU) Die Inkaufnahme

    — so sagt Herr Pöhl —
    noch größerer Defizite könnte durchaus zur Folge haben, daß die Zinsen nicht, wie wir alle hoffen, sinken, sondern steigen und daß per Saldo Wachstum und Beschäftigung nicht gefördert, sondern eher gebremst werden. Darüber hinaus bewirkt jede Erhöhung der öffentlichen Ausgaben tendenziell eine Vergrößerung des Leistungsbilanzdefizits.

    (Beifall bei der FDP) Er fährt dann fort:

    Besser als eine noch expansivere Finanzpolitik — die jetzige ist ja keineswegs restriktiv — wäre die Beseitigung der Hemmnisse, durch die viele Milliarden fertig geplanter Investitionen blockiert werden.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Ich
    — so sagt Pöhl —
    empfinde es als besonders peinlich, daß häufig die gleichen Leute, die höhere Staatsausgaben fordern, gleichzeitig dringend erforderliche Investitionen verhindern. Brokdorf ist ein Stichwort.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU — Sehr gut! bei der CDU/ CSU)

    Es ist erfreulich zu sehen, wie schnell die Bundesregierung versucht, dieser Probleme Herr zu werden. Der Jahreswirtschaftsbericht wird das deutlich machen. Die Bundesregierung will gemeinsam mit den Ländern angesichts der vielfältigen internationalen Herausforderungen alles daransetzen, daß bestehende Hemmnisse für Innovationen und Investitiunen so weit wie möglich abgebaut werden.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Es gilt dabei doch wohl zunächst einmal auf jenen Bedarf zu schauen, der uns täglich in der Bundesrepublik — und in Berlin übrigens auch — so viel Kummer macht, nämlich den, der aus den nicht gebauten Wohnungen herrührt. Es gilt diesen Wohnungsbedarf zu decken. Damit können bessere Beschäftigungsmöglichkeiten in der Bauwirtschaft geschaffen werden. Dazu muß die Investitionsbereitschaft privater Anleger im frei finanzierten Wohnungsbau gestärkt werden.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Deshalb müssen mehr marktwirtschaftliche Elemente in den sozialen Wohnungsbau eingeführt werden.

    (Erneuter Beifall bei der FDP und der CDU/ CSU)

    Notwendig ist auch der begrenzte Ausbau der Kernenergie. Wir sichern damit langfristig die Energieversorgung, vermindern zugleich das Leistungsbilanzdefizit und erhalten Arbeitsplätze.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Der hier notwendige und mögliche Investitionsschub gilt übrigens für den Kraftwerkbau ganz allgemein. Außerdem ist darüber zu entscheiden, in welcher Form das Ende 1982 auslaufende Energiesparprogramm mit stärkerer Konzentration auf die Anwendung neuer Technologien fortgesetzt werden kann.

    (Beifall bei der FDP)

    Was die Kernenergie angeht, so ist es an der Zeit, endlich weniger ideologieverklemmt darüber zu diskutieren. Die bedingungslosen Wachstums- und Atomkraftbefürworter mußten ebenso wie die Prediger einer industriefernen Kultur einsehen, daß ihre Positionen nicht realistisch, nicht durchsetzbar sind. Keine Partei wäre gut beraten, wenn sie in einer so wichtigen Frage auf die Bedenken der unmittelbar oder mittelbar betroffenen Bürger nicht mit aller Sorgfalt einginge. Nicht Überrumpelung, sondern eine nachvollziehbare Güterabwägung muß jeweils den Ausschlag beim Bau der Kernkraftwerke geben. Bürgerfreiheit, Bürgermitverantwortung und Bürgermitbeteiligung stehen in einem uriauflösbaren Zusammenhang. Wer das eine wegnimmt, gefährdet das andere. Nicht über die Köpfe der Bürger hinweg, sondern nur mit ihnen gemeinsam läßt sich dieser Weg gehen. Wer sich dagegen wendet, verspielt seine Glaubwürdigkeit in der Politik, speziell in der Umweltpolitik.
    Mit Tricks lassen sich keine Zukunftsaufgaben lösen,

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

    übrigens auch nicht mit staatlicher Bevormundung und Repression. Derartige Anregungen waren aber, wenn auch vereinzelt und nur leise zu hören, als in den letzten Wochen in einigen Städten — Göttingen, Freiburg, Berlin — gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen jungen Menschen und Polizisten stattfanden. An diesen Ereignissen läßt sich gewiß nichts beschönigen, und zwar nach keiner Richtung hin. Wir würden uns aber etwas in die Taschen lügen, wenn wir uns auf das einließen, was uns eben aus Kreisen der Opposition wieder einmal angedient wurde, nämlich einfach das Demonstrationsrecht zu verschärfen. Damit würde kein Problem gelöst, nicht einmal an der Oberfläche kuriert. Wir müssen schon tiefer bohren und uns eingehender mit den Fragen, den Ängsten und den Wünschen der Menschen und besonders der Jugendlichen auseinandersetzen, um ein Ausbreiten dieser Unruhen zu verhindern. Nicht Disziplinierung darf unsere Antwort sein, sondern ehrliche, offene und nachdenkliche Auseinanderset-



    Hoppe
    zung mit den Positionen und Perspektiven der jungen Menschen.
    Dr. Hans-Jochen Vogel hat erst vor wenigen Tagen, und zwar noch hier als unser Kollege und Bundesjustizminister — er hat es aber als Regierender Bürgermeister von Berlin wiederholt —, darauf hingewiesen, daß gerade in der Schweiz weitgehend jene Strafrechtsnormen gelten, nach denen die Opposition so verlangt. Und doch ist gerade die größte Stadt der Schweiz seit Monaten ein Austragungsort heftiger Konfrontationen zwischen Jugendlichen und Polizeibeamten.
    Es lohnt sich also, jene Thesen zu studieren, die von der eidgenössischen Kommission für Jugendfragen formuliert wurden. Danach ist Gewalttätigkeit und Radikalität auch eine Folge der Isolation, unter der viele Menschen und gerade die Jugendlichen leiden. Selbst wenn sich die Mehrheit der Jugend ruhig verhalte, dürfe dies nicht zu dem Schluß verleiten, sie sei innerlich ruhig und zufrieden. Die Angriffe der jungen Leute — so heißt es da — richten sich im Grunde nicht primär gegen Verfassung und Gesetz, sondern gegen konkrete Lebensumstände, weil das vitale Bedürfnis nach Bewegungsfreiheit und Kreativität einerseits und nach Geborgenheit andererseits viel zu kurz komme. Nicht andere Gesetze seien das Ziel ihrer Forderung, sondern eine andere Atmosphäre.
    In der Auseinandersetzung mit den Rebellierenden hilft uns weder Selbstbezichtigung noch ein Jetzt-erst-recht-Standpunkt. Damit werden wir nicht sehr weit kommen. Was not tut, ist der Dialog. Ein mühsames Unterfangen, wenn die Fronten erst einmal so verhärtet sind! Das hat übrigens vor kurzem der Bundesinnenminister erfahren müssen, als er sich an der Bochumer Universität dem Gespräch stellte, es aber nicht zu Ende führen konnte.
    Doch im Dialog mit Jugendlichen, die anders denken und vielleicht auch nur laut sagen, was der eine und andere von uns nur leise zu denken wagt, können wir möglicherweise an einer besseren Zukunft arbeiten, so heißt es in dem Schweizer Thesenpapier.
    Meine Damen und Herren, das geht aber nicht ohne eine entschieden liberale Einstellung. Für uns Freie Demokraten bleibt es deshalb die dominierende Aufgabe, die Freiheit des Bürgers zu gewährleisten; die Freiheit, nach seinen eigenen Maßstäben zu einem sinnerfüllten Leben zu gelangen. Hier steht ein elementarer Bestandteil unseres demokratischen Systems zu Disposition. Unsere demokratisch verfaßte, pluralistische Gesellschaft hat j a gerade jenen Zustand überwunden, der den Obrigkeitsstaat oder auch — in Fortführung dieses Gedankens — den totalitären Staat kennzeichnet. Nur im unfreien System wird von oben verordnet, wird Weltanschauung zum wesentlichen Element staatlicher Politik gemacht.
    Für uns Freie Demokraten kann es nur einen sinnhaften Mittelpunkt der Staatstätigkeit geben, und das ist der Grundwert der Freiheit. Dieses Prinzip geht vom Vertrauen des Staates und seiner Organe in die Bürger aus. An diesem Prinzip wollen und werden die Liberalen nicht rütteln lassen. Gerade an diesem Punkt ist die Glaubwürdigkeit entscheidend. Nur so werden wir verhindern, daß sich die Jugend aus unserem demokratischen Staat abmeldet.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Meine Damen und Herren, so wie wir Freien Demokraten für den inneren Frieden streiten wollen, so werden wir uns in der Außenpolitik weiterhin um die Sicherung des äußeren Friedens bemühen. Wir wissen um unsere Verpflichtungen im Bündnis gegenüber unseren Partnern und wir werden sie erfüllen. Wir werden an den für unsere Verteidigung übernommenen Verpflichtungen und den daraus resultierenden Lasten sowie an dem NATO-Doppelbeschluß mit seiner Verpflichtung zur Nachrüstung nicht rütteln lassen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Nur Konsequenz führt hier zur Friedenserhaltung, und nur auf diesem Wege werden wir das erreichen, was unserer Zielvorstellung entspricht und was wir auch wegen unserer finanziellen Anspannung brauchen, nämlich Abrüstung.

    (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Herr Hoppe, schauen Sie da hinüber! Sie schauen immer auf uns, Sie müssen aber da hinüber schauen!)

    Nur mit Geradlinigkeit werden wir dieses Ziel, das für die Menschen in unserem Lande wichtig ist, erreichen können.

    (Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Rede von Georg Leber
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. von Weizsäcker.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Richard von Weizsäcker


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dieser allgemeinen Aussprache werden noch Themen vertieft werden, über die der Herr Kollege Hoppe hier ganz am Schluß gesprochen hat. Ich nehme an, daß sich auch der Herr Bundesaußenminister ebenso wie der Herr Bundeskanzler noch zur Außenpolitik äußern wird. Ich möchte, ehe ich auf das mir am meisten am Herzen liegende Thema zu sprechen komme, ein paar Bemerkungen zur jüngsten außenpolitischen Entwicklung voranstellen.
    Ich knüpfe an eine Äußerung an, die aus der Sowjetunion zu deutschen Vorgängen gemacht worden ist. Es gab da eine Erklärung der sowjetischen Botschaft aus Ost-Berlin an die Berliner Schutzmächte und eine entsprechende Erläuterung in einer sowjetischen Zeitung. In beiden wurden die Wahl des Regierenden Bürgermeisters in Berlin, der Import von Bundespolitikern nach Berlin und auch die möglichen Aussichten bei einer Neuwahl in Berlin kritisch kommentiert und Verstöße gegen das Viermächteabkommen reklamiert. Ich möchte dazu von mir aus nur feststellen: Gewählt wird in Berlin im Abgeordnetenhaus; gewählt wird der Senat nicht im Bonner Baracken-Tempel der SPD oder im Adenau-



    Dr. von Weizsäcker
    erhaus. Dort, im Berliner Abgeordnetenhaus, hat jeder Deutsche die Möglichkeit, gewählt zu werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir werden uns als Berliner Union zwar die Freiheit nehmen, die Weisheit der Wahl des neuen Regierenden Bürgermeisters im Berliner Abgeordnetenhaus durch das Volk testen zu lassen; aber bis dahin werden wir die politische und rechtliche Gültigkeit der Wahl des Regierenden Bürgermeisters gegen unaufgeklärte Angriffe gemeinsam zu schützen wissen.

    (Beifall bei allen Fraktionen)

    Ich möchte in diesem Zusammenhang noch eine politische Bemerkung hinzufügen. Ich glaube, die Sowjetunion weiß zweierlei ganz genau.
    Erstens. Berlin ist der Platz, wo die Vereinigten Staaten nicht nur bei Freunden, als Bündnispartner anwesend und hilfreich, sondern unmittelbar und in eigener Souveränität engagiert sind. In Berlin ist Amerika selbst und direkt europäische Macht.
    Zweitens. Das Ziel der Sowjetunion ist es ja nach wie vor — ich habe das nicht zu kritisieren, aber wir haben von uns aus die richtige Analyse vorzunehmen und die richtigen Konsequenzen daraus zu ziehen —, das Verhältnis zwischen den Amerikanern und ihren europäischen Allianzpartnern innerhalb des Bündnisses aufzuweichen, Ansätze auszunutzen, wie sie sich der Sowjetunion da und dort anbieten. Da gibt es alle möglichen sozialdemokratischen Parteien in Norwegen, Dänemark, Holland und Belgien

    (Dr. Corterier [SPD]: Und christdemokratische!)

    — ja, einen Moment —, da gibt es eine immer organisiertere, Herr Corterier, und schärfere Form von Aufweichungstendenzen in Ihrer Fraktion hier im Deutschen Bundestag. Selbstverständlich sage ich nicht, daß dies in irgendeiner Form von Einvernehmen geschieht. Was ich aber sage, ist, daß die Sowjetunion diese Neutralisierungstendenzen beobachtet und auszunützen gedenkt.
    Meine Damen und Herren, diesem Ziel — das möchte ich bei meiner zweiten Bemerkung anfügen — würde ja die Sowjetunion durch jede von ihr zu verantwortende Berlin-Krise von außen, nur zuwiderhandeln. Sie weiß ganz genau, daß sie damit schleunigst nur wieder eine Einigung herbeiführen würde, auf deren Aufweichung sie gerade setzt. Das, was die Sowjetunion in bezug auf Berlin als Ziel verfolgt, ist nicht die Erzeugung und Ausnutzung von Krisen von außen, sondern sie setzt auf eine innere Auszehrung, auf eine innere Krise, auf innere Schwächen im freien Berlin. Was auch immer Wahlen in Berlin bringen mögen, unsere gemeinsame Aufgabe ist es, zu zeigen: An der Kraft der Berliner zur Selbsthilfe und an der Zusammengehörigkeit und Solidarität aller Deutschen mit ihren Berlinern mögen sich alle in der Welt ihre Zähne ausbeißen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

    Wenn es den Berlinern wirklich einmal schlechtgeht, dann werden sie stark. Im Inneren stark zu
    sein, das ist zugleich auch der wichtigste Beitrag zu einer Sicherung der Lage nach außen.
    Ich möchte eine weitere Bemerkung zu den innerdeutschen Beziehungen machen. Nicht freiwillig, nicht den eigenen wirtschaftlichen Interessen folgend, sondern durch eine andere, eine absolut vorrangige Sorge sah sich die SED genötigt, gegen Geist und Buchstaben gegebener Zusagen zu verstoßen und auf diesem Wege insbesondere Kontakte der Menschen — überdies auch in dringenden Familienangelegenheiten — auf ebenso inhumane wie unsoziale Weise nachhaltig zu behindern.
    Der Vorrang, dem sich die SED zu verschreiben genötigt sieht, ist die Stabilisierung ihres Parteiherrschaftssystems, sich zu schützen gegen einen Bazillus der Freiheit, wie er in und um die DDR spürbar wird; der polnische Sommer ist nicht das einzige, aber das wichtigste Stichwort in diesem Zusammenhang. Nur um quasi einen Vorhang davorzuziehen, hören wir in den letzten Wochen und Monaten neue Vorwürfe und auch neue Vorschläge aus Ost-Berlin, in diesem Zusammenhang auch die Anmerkungen aus Ost-Berlin zum Stichwort der Staatsangehörigkeit.
    Meine Damen und Herren, es wird sich doch im Ernst in diesem Hause und bei denen, die ernsthaft den Beratungen dieses Hauses folgen, niemand darüber täuschen: Selbstverständlich erkennen wir die Reisedokumente an, mit denen unsere Landsleute ausgestattet sind. Aber niemand wird uns je dazu zwingen, unsere deutschen Landsleute aus der DDR als Ausländer zu behandeln.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

    Wir bleiben bei unserer Verfassung und ihrem Auftrag, bei der Rechtsprechung unseres Verfassungsgerichts. Dies entspricht unserer eigenen tiefen inneren politischen Überzeugung.
    Wir werden auf ein so nicht ausgesprochenes, aber gemeintes Drängen auf einen Verzicht unserer Staatsangehörigkeitsregelung und auf eine Einführung einer Staatsangehörigkeit der Bundesrepublik Deutschland nicht eingehen, schon deshalb nicht, weil wir die Berliner nicht in der Luft hängen lassen werden.

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: So ist es!)

    Die Berliner sind und bleiben selbstverständlich Deutsche.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Das alles ist, wie gesagt, nicht neu und nicht überraschend. Ich füge es nur deshalb hinzu, weil sich mancher hier bei uns offenbar dem Irrtum hingibt, als wären die Äußerungen über die Staatsangehörigkeit, die wir aus Ost-Berlin gehört haben, irgend so etwas wie ein ernst gemeinter politischer Vorschlag. Sie sind Tarnung für das, was die DDR, was die SED zur Zeit nicht tun kann, nämlich in den innerdeutschen Beziehungen — wie es ihren wirtschaftlichen Interessen entspräche — durchaus fortzufahren.
    Freilich gibt es dabei, wenn die SED eine solche Tarnungsparole ausgibt, natürlich auch noch eine



    Dr. von Weizsäcker
    kleine Nebenabsicht. Es könnte ja sein, daß bei uns jemand diesen gar nicht ernst gemeinten Ball aufgreift und anfängt, damit ernsthafte Ballspiele zu machen.

    (Dr. Barzel [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

    Auf diesen Leim sollte niemand gehen, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Aber das, worum es mir in dieser Debatte vor allem geht, bezieht sich auf die Frage, wie es um die innere Kraft unseres ganzen Gemeinwesens steht, und darum, welches Konzept denn der Bundeskanzler, seine Partei, darüber hinaus aber wir alle als politische Parteien haben, um uns der Aufgabe zu stellen, die innere Kraft des ganzen Gemeinwesens zu erhalten und dort, wo sie verloren zu gehen droht, wiederherzustellen.
    Zur Analyse der Lage ist nicht mehr viel zu sagen. Wir haben im Grunde bei aller unterschiedlichen Darstellung der verschiedenen Parteipositionen über den Haushalt und über das, was dahinter steht, gestern und auch heute vormittag wahrhaft genug offene Worte gehört. Es ist ein Haushalt, angespannt wie nie. Statt des angekündigten Abbaus wird es —auf welchem Wege und mit welchen Mitteln auch immer — ein weiteres Anwachsen von Schulden geben. Die Äußerungen der wirtschaftswissenschaftlichen Institute sind heute durchweg von der Sorge gekennzeichnet, daß eine für den Sommer erwartete Belebung der Konjunktur wahrscheinlich nicht kommen wird. Die Zahl der Arbeitslosen geht einem neuen Höchststand entgegen. Die Leistungsbilanz, sicheres Zeichen dessen, daß über die Verhältnisse gelebt wird, ist ohne nachhaltige strukturelle Besserung.
    Hinter allen diesen feststellbaren Daten steht meiner Meinung nach eine viel ernster zu nehmende, eine viel bedrohlichere Entwicklung. Hans Heigert hat vor wenigen Tagen darüber in der .,Süddeutschen Zeitung" einen Leitartikel geschrieben, in dem er das, was ich meine, so ausgedrückt hat:
    Überall werden Menschen daran gewöhnt, über ihre Verhältnisse zu leben und ihr Risiko anderen aufzubürden. Wenn irgend etwas schiefgeht, wird irgendwer schon dafür bezahlen. Das ist der gemeinsame Nenner einer ganz großen Bürgerkoalition.
    Dazu kommt das, was er die „vernetzte Gesellschaft" nennt: Aus einer Notlage, einer wirklich bestehenden, werden zunächst berechtigte Ansprüche abgeleitet. Daraus entstehen Besitzstände. Diese werden rechtlich abgesichert; dann sind sie unveränderlich, ohne Rücksicht darauf, ob die Notlage fortdauert oder nicht.
    Eine vielfältige Verflechtung von Ämtern liegt vor, so daß zuweilen dieselben Leute auf beiden Seiten eines Verhandlungstisches sitzen. Kontrolleure und Kontrollierte sind nicht selten dieselben. Man denke nur an jenen Bürgschaftsausschuß, der den Antrag einer Bank auf Gewährung einer Landesbürgschaft prüfen soll, einer Bank aber, in deren Aufsichtsrat die Mitglieder dieses Bürgschaftsausschusses selber sitzen.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der CDU/CSU: Selbstbedienungsladen! — Filz ist das!)

    Meine Damen und Herren, Hans Heigert hat seinen Artikel mit den Worten überschrieben: „Filz der Republik". Ich glaube, damit geht er zu weit; denn das klingt j a so, als ob überhaupt alle Bürger von diesem herrlichen System profitierten. Dabei gibt es, wie wir alle wissen, eine wachsende Zahl von Mitbürgern, die nicht lautstark vertreten sind, die nicht in machtvollen Organisationen zusammengefaßt sind, die nicht nur nicht auf beiden Stühlen, sondern auf gar keinem Stuhl sitzen können.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Das ist, wie Norbert Blüm das mit Recht nennt, die Auseinandersetzung der Arbeitslosen gegen die Arbeitsbesitzer. Das ist die Situation vieler älterer Arbeitnehmer, vieler Rentner, vieler Ausländer, aber auch vieler junger Menschen die durch eine Gefährdung, durch eine mangelnde Förderung in der eigenen persönlichen, häuslichen Atmosphäre in wachsender Zahl seelisch krank geworden sind, verhaltensgestört geworden sind oder gar von der größten Jugendgeißel unserer Zeit gepackt sind, von den Suchtkrankheiten.
    Ich will das nur andeuten, um dem Eindruck entgegenzuwirken, als ob hier alle miteinander erfolgreich in der Gegenwart auf Kosten der Zukunft über ihre Verhältnisse lebten.
    Aber richtig an dem Stichwort von Heigert ist doch meiner Meinung nach eines, nämlich die notwendige Erkenntnis, daß sich ein allgemeines Bewußtsein gebildet hat, daß eine Gewöhnung von allzuvielen Menschen an einen Zustand eingetreten ist, der so nicht weiterbestehen kann.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Die Hauptverantwortung dafür tragen zunächst wir alle miteinander, die politischen Parteien als diejenigen Kräfte in unserem Staat, die weitgehend die Macht im Staat ausüben. Unsere Demokratie ist eine Parteiendemokratie weit über das Maß hinaus geworden, das die Verfassung uns den Parteien, dafür zugesprochen hat. Ich will das nicht im einzelnen begründen. Das hieße ja in bezug auf unseren Erkenntnisstand in diesem Haus wahrlich Eulen nach Athen tragen.
    Aber zwischen der Macht, die die Parteien in diesem Staat tatsächlich haben, und der Kraft zur Lösung der Probleme ist halt eine immer größere Kluft entstanden.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Die Problemlösungen erfordern sehr oft ganz andere Fristen, als wir mit unseren Legislaturperioden vorgesehen haben. Aber wie steht es mit unserem Zutrauen — ich spreche von uns allen, mich selber selbstverständlich eingeschlossen —, das von uns als notwendig Erkannte auch innerhalb einer Legislaturperiode für mehrheitsfähig zu halten und dem-



    Dr. von Weizsäcker
    gemäß auch mit der nötigen Härte uns selbst gegenüber zu vertreten?
    Meine Damen und Herren, das Mißverhältnis von Gegenwart und Zukunft hat damit Eingang gefunden in das, was allzu oft von Parteien ausgeht: Zusagen werden gemacht, rechtlich verbindlich werden sie gemacht, aber wer die Kosten dafür später erwirtschaften soll, bleibt einer Zukunft jenseits der Legislaturperiode überlassen. Steigende Flut der Gegenwartswünsche durch Wechsel auf die Zukunft. Ludwig Raiser hat das einmal so gekennzeichnet: Mit gleichsam halbgeschlossenen Augen verkürzen Parteien die Perspektive, um wenigstens kurzfristig Erfolge aufweisen zu können.
    Ich spreche hier gewiß nicht als einer, der der Meinung wäre, die Parteien könnten oder sollten durch irgend etwas anderes ersetzt werden. Ganz im Gegenteil. Unsere Demokratie ist unentbehrlicherweise auf das führende Instrument „politische Partei" angewiesen; es geht gar nicht anders. Sie sind nun einmal die Hauptrollenträger in der Vermittlung zwischen dem Bürgerwillen und der Staatsführung. Aber eben deshalb gilt es, rechtzeitig auf die Mängel in einem solchen System hinzuweisen,

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    damit die Parteien auch in der Lage bleiben — oder wieder in die Lage kommen —, ihre Aufgabe zu erfüllen.
    Wir haben eine doppelte Aufgabe in dieser Vermittlung, nämlich erstens auf das Denken und Handeln der Bevölkerung gemäß der Einsichten, die wir als politisch Verantwortliche haben, einzuwirken, und zweitens nicht zuzulassen, daß eine Rückbindung an die Wähler überhaupt verlorengeht und auf diese Weise bei den Wählern der Eindruck entsteht, der Staat sei nun endgültig in das Eigentum der Parteien übergegangen. Wie sollen denn die Wähler, wenn das so weitergeht, den Eindruck bei sich bekämpfen können, als würden die Parteien den Wähler als einen im Artikel 20 des Bonner Grundgesetzes begrabenen Souverän erachten, der nur alle vier Jahre einmal herauswinken darf?
    Meine Damen und Herren, ich beurteile die spontane, elementare Kraft, die sich bei jenem Volksbegehren in Berlin gezeigt hat, ganz gewiß nüchtern. Da zeigt sich doch nicht einfach die Erwartung auf eine himmlische CDU nach einer höllischen SPD,

    (Heiterkeit)

    aber das Gefühl der Unerträglichkeit für den Wähler, was die Parteien aus ihrem Auftrag machen, wenn sie einmal an der Regierung sind, und vor allem, wenn sie allzu lange an dieser Regierung sind.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Herr Kollege Brandt, ich höre, daß Sie noch das Wort nehmen werden, und dann werden Sie gewiß auch Gelegenheit nehmen, das Wort, was ich jetzt zitiere, richtigzustellen. Wie soll man junge Menschen für einen Wahlgang gewinnen, wenn man erklärt: Der Wahltag werde ein innenpolitisches Schlachtfest. Konfrontation bis zum äußersten mit dem Ziel, im Kampf um die Macht am Wahltag den anderen zu schlachten, um nicht selbst geschlachtet zu werden?