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    Plenarprotokoll 9/17 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 17. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 28. Januar 1981 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 607 A Eidesleistung des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft Engholm, Bundesminister BMBW 607 B Fortsetzung der Aussprache über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1981 (Haushaltsgesetz 1981) — Drucksache 9/50 — in Verbindung mit Beratung des Finanzplans des Bundes 1980 bis 1984 — Drucksache 9/51 — in Verbindung mit Fortsetzung der ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Mineralöl- und Branntweinsteuer-Änderungsgesetzes 1981 — Drucksache 9/91 — in Verbindung mit Fortsetzung der ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Abbau von Subventionen und sonstigen Vergünstigungen, zur Erhöhung der Postablieferung sowie zur Klarstellung von Wohngeldregelungen (Subventionsabbaugesetz) — Drucksache 9/92 — Dr. h. c. Strauß, Ministerpräsident des Freistaates Bayern 608A Dr. Posser, Minister des Landes NordrheinWestfalen 622 C Hoppe FDP 633 B Dr. von Weizsäcker CDU/CSU 637 D Brandt SPD 645A Genscher, Bundesminister AA 652 B Würzbach CDU/CSU 661 D Dr. Apel, Bundesminister BMVg 666 C, 680B, 681 B Jung (Kandel) FDP 673 C Biehle CDU/CSU 675 D Würtz SPD 678 D II Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Januar 1981 Dr. Wörner CDU/CSU 680 D Dr. Mertes (Gerolstein) CDU/CSU . . . 682 B Dr. Ehmke SPD 686 B Schäfer (Mainz) FDP 691 C Dr. Hupka CDU/CSU 693 D Pieroth CDU/CSU 696 B Schluckebier SPD 698 D Frau Schuchardt FDP 701 B Offergeld, Bundesminister BMZ 704 D Dr. Köhler (Wolfsburg) CDU/CSU 707 C Dr. Hupka CDU/CSU (Erklärung nach § 32 GO) 709 C Nächste Sitzung 709 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 710*A Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Januar 1981 607 17. Sitzung Bonn, den 28. Januar 1981 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. van Aerssen 30. 1. Dr. Ahrens * 30. 1. Dr. Althammer 30. 1. Dr. Bardens * 30. 1. Böhm (Melsungen) * 30. 1. Büchner (Speyer) * 30. 1. Dr. Dollinger 30. 1. Dr. Enders * 30. 1. Francke (Hamburg) 30. 1. Dr. Geßner * 30. 1. Dr. Hennig 30. 1. Hoffie 28. 1. Dr. Hubrig 30. 1. Jäger (Wangen) * 30. 1. Junghans 28. 1. Kittelmann * 30. 1. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Klein (Dieburg) 30. 1. Korber 30. 1. Lemmrich * 30. 1. Lenzer * 30. 1. Männing * 30. 1. Dr. Müller * 30. 1. Müller (Wadern) * 30. 1. Frau Pack * 30. 1. Peter (Kassel) 30. 1. Petersen ** 30. 1. Reddemann * 30. 1. Rösch * 30. 1. Sander 30. 1. Dr. Schäuble * 30. 1. Schmidt (München) * 30. 1. Schmidt (Würgendorf) * 30. 1. Dr. Schroeder (Freiburg) 30. 1. Schulte (Unna) * 30. 1. Frau Simonis 30. 1. Frau Dr. Skarpelis-Sperk 30. 1. Dr. Freiherr Spies von Büllesheim * 30. 1. Dr. Sprung * 30. 1. Dr. Unland * 30. 1. Dr. Vohrer * 30. 1. Dr. Wittmann (München) * 30. 1. Dr. Wieczorek 30. 1.
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    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Haushaltsrede des Bundesfinanzministers enthält eine Reihe von bemerkenswerten, wenn auch natürlicherweise unvollständigen Wahrheiten und Einsichten,

    (Zuruf von der SPD)

    nicht zuletzt den schmerzlichen Abschied von der Vollbeschäftigungsgarantie Willy Brandts und Helmut Schmidts. Vollbeschäftigung ist eine gute Sache. Aber zur falschen Zeit wird mit solchen Garantien viel Unfug angerichtet.
    Aber diese Rede enthält die Einsichten,
    daß Konjunkturprogramme, die doch nur Strohfeuer entfachen, kostspielig und wirkungslos sind,
    daß privaten Investitionen Vorrang vor vermehrten Staatsausgaben gebührt,
    daß für private Investitionen eine bessere Ertragslage der Unternehmer notwendig ist,
    daß der Wohnungsbau auch durch das von dieser Koalition und ihren Regierungen zu verantwortende Mietrecht behindert wird.
    Ich freue mich, daß der Herr Bundesfinanzminister meine Reden der letzten zehn Jahre offensichtlich nicht nur gelesen, sondern sich jetzt teilweise, wenn auch in Raten, zu eigen gemacht zu haben scheint.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Seine Rede ist aber offensichtlich in erster Linie denen gewidmet, die bis jetzt immer noch das Gegenteil dieser Erleuchtung vertreten und sich dabei bisher auch auf den Bundesminister der Finanzen glaubten verlassen zu können.
    „Spät kommt ihr, doch ihr kommt", möchte ich sagen. Aber was nützen Erkenntnisse. Sie müssen - jetzt in die Wirklichkeit umgesetzt werden. Doch damit würde ich schon beinahe in die innerparteilichen Auseinandersetzungen der SPD eingreifen.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    Trotzdem ist das noch immer nicht die volle Wahrheit. Was nutzt es, wenn Sie immer wieder beruhigend feststellen, daß es uns noch besser als den meisten anderen Industriestaaten oder gar den Entwicklungsländern geht? Auch das ist nur zum Teil richtig; es ist eine Momentaufnahme; denn wir sind am Anfang des Abstieges. Solche Parolen mögen sich zur Wählertäuschung im Wahlkampf eignen, aber sie sind gefährlich, weil sie einen trügerischen
    Gesundheitszustand vortäuschen, die Entstehung des so bitter notwendigen Problembewußtseins verhindern — denn keine dieser Fragen läßt sich ohne das Problembewußtsein der breiten Öffentlichkeit anpacken — und damit jede Heilung im Ansatz zu ersticken drohen.
    Uns geht es noch irgendwie zum Teil besser — das ist richtig — als den meisten anderen Industrie- und selbstverständlich Entwicklungsländern. Dafür ist aber auch die Talfahrt rasanter. Einer der bedeutendsten Wirtschaftsjournalisten des letzten und dieses Jahrzehnts, Walter Slotosch, der in dieser Eigenschaft bei den Anhängern aller noch unter dem Begriff „Vernunft" zu subsumierenden politischen Auffassungen sicherlich einen großen Namen hat, hat vor nicht allzu langer Zeit über den gegenwärtigen Zustand die Überschrift geschrieben: Es geht rapide abwärts. — Darum nützen uns Momentaufnahmen, daß es uns noch besser gehe als den meisten Industrie- und selbstverständlich Entwicklungsländern, relativ wenig.
    Dazu kommt eine weitere Erkenntnis, nämlich daß im Energiebereich, auf dem Feld neuer Technologien, wozu doch auch die Nachrichtentechnologie gehört, die bisher am Einspruch gegen den Abbau des Monopols der öffentlich-rechtlichen Anstalten gescheitert ist, sowie im Wohnungsbau den unternehmerischen Investitionen und dem Wettbewerb der Vorrang einzuräumen ist. Das ist ohne jeden Zweifel eine richtige Aussage, die ich nicht deshalb verneine, weil ich etwa zu allem nein sagen würde, was die Regierung sagt. Ich sage selbstverständlich j a, wenn sie etwas Vernünftiges sagt, und das liegt hier offensichtlich vor.
    Aber ich darf die bescheidene Frage damit verbinden: Warum hat uns die SPD, als wir diese Ansichten von Anfang an, d. h. rechtzeitig äußerten, in heftigster Weise angegriffen, als unsozial, als Interessenvertreter der Unternehmer gegen die anderen Klassen regelrecht diffamiert? Hätten Sie damals nachgedacht und sich rechtzeitig zu den gleichen Ansichten durchgerungen, statt von der Substanz zu leben und fröhlich darauf loszuwirtschaften, wäre die Zeche nicht so groß, die heute von allen bezahlt werden muß.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Die deutsche Volkswirtschaft befindet sich zu Beginn der 80er Jahre in einer einmaligen Lage, leider aber im ungünstigen Sinne des Wortes. Im letzten Jahr — im Jahre 1980 — wurden erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik gleichzeitig alle Ziele des volkswirtschaftlichen Vierecks, nämlich Preisstabilität, hoher Beschäftigungsstand, außenwirtschaftliches Gleichgewicht, stetiges und angemessenes Wachstum, verfehlt. Für das Jahr 1981 steht uns eine weitere Verschlechterung ins Haus. Mit einer Teuerungsrate von fast 6 % im Januar sind wir von Preisstabilität weit entfernt. Hohe und steigende Arbeitslosenzahlen bei gleichzeitiger Nachfrage nach Arbeitskräften sind alles andere als ein hoher Beschäftigungsstand. Das gesamtwirtschaftliche Wachstum war im gesamten Jahr 1980 mit 1,8% weder angemessen noch stetig, schon deshalb nicht, weil das Wachstum im ersten Halbjahr 1980 einge-



    Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß (Bayern)

    treten ist und sich im zweiten Halbjahr praktisch auf Null reduziert hatte, d. h. es gab im zweiten Halbjahr praktisch kein Wachstum mehr.
    Der neue Jahreswirtschaftsbericht, gestern vom Wirtschaftskabinett verabschiedet, ist der erste Jahreswirtschaftsbericht mit einem sogenannten — ein schreckliches Wort — Minuswachstum, d. h. einem vorhergesagten Abschwung. Es ist keineswegs ausgeschlossen, daß sich das jetzt projizierte Minus von 0,5 % bis 1 % — wie sich die Prozentzahlen seit dem 5. Oktober doch laufend verändert haben! —

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    als viel zu optimistisch herausstellt. Im Rezessionsjahr 1975, als wir einen Abschwung von minus 1,8% erlebten, sagte der Jahreswirtschaftsbericht noch ein Wachstum von plus 2 % voraus. Der Verschätzungsspielraum enthält erfahrungsgemäß immer eine Irrtumsquote von 4 %. Das zeigt, wie tief ein solcher Abschwung trotz aller Prognosen reichen kann. Es scheint, daß Wissenschaftler und Politiker einen fatalen Hang haben, sich nicht nur optimistisch zu verschätzen — so nach dem Motto: So schlimm ist es ja gar nicht —, sondern auch schlechte Prognosen beinahe wie unter einem Komplex mit dem Zusatz zu verbinden, daß es doch im zweiten oder dritten Quartal des jeweils nächsten Jahres wieder aufwärts gehen werde. Ich warne vor diesem Aberglauben, auch wenn er — um der scheinbaren Präzision willen — noch mit einer Stelle oder auch mit zwei Stellen hinter dem Komma ausgedrückt wird, so nach dem Motto: Lieber exakt falsch als weniger exakt, aber ungenau richtig.
    Das Rechengebäude dieses Berichtes geht von reichlich optimistischen und aller Wahrscheinlichkeit nach nicht einhaltbaren Voraussetzungen aus, nämlich davon, daß die Ölpreise relativ stabil bleiben, also nicht stärker als die Industriepreise in der westlichen Welt steigen. Wer das Interview des Generalsekretärs der OPEC-Länder in der letzten Sonntagspresse gelesen hat — das ist ein ernstzunehmender Mann, kein Ölscheich —, wird sicherlich mit mir der Meinung sein, daß die Annahme relativ stabiler Ölpreise eher in ein Märchenbuch als in einen Jahreswirtschaftsbericht gehört.

    (Westphal [SPD]: Wie wollen Sie denn schätzen, was da herauskommt, Herr Kollege Strauß?)

    — Jedenfalls, Herr Kollege Westphal: Angesichts der bisherigen Entwicklung sind alle Prognosen, daß die Ölpreise nunmehr relativ stabil blieben — das haben wir ja schon fünfmal gehört —, falsch gewesen.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Westphal [SPD]: Wie wollen Sie das denn rechnen, Herr Strauß?)

    Es gibt nur einen einzigen Weg, diese unheilvolle Entwicklung zu unterbinden: durch ein zügiges, energisch vorangetriebenes Bauprogramm für Ersatzenergien, vornehmlich Kernkraft, unsere Abhängigkeit von den ölerzeugenden Ländern so zu mindern, daß sie uns die Preise und die Menge nicht
    mehr diktieren, sondern wegen gegenseitiger Abhängigkeit mit uns als Partner verkehren müssen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ferner: Der Umstand, daß die Tariflohnerhöhungen brutto die aus heutiger Sicht erwarteten Preissteigerungen eher unter- als überschreiten, was angesichts der. Steuerprogression, die Mehrbelastungen durch höhere Kranken- und Sozialversicherungsbeiträge weitgehend eine reale Einkommensminderung bedeutet, ist ein schmerzliches Problem für die Tarifpartner und besonders schmerzlich für die Verhandlungspartner auf der Gewerkschaftsseite, die natürlich alle Steuererhöhungen, die auch ein Teil Preiserhöhung sind, in ihre Forderungen einbeziehen werden. Das dürfte auch der Grund sein, warum wir eine Erhöhung der Mineralölsteuer ablehnen.
    Eine andere unsichere Prognose ist, daß es früh im zweiten Halbjahr zu einem Wiederaufschwung kommt. Was spricht denn eigentlich dafür? Im Vergleich zur Vergangenheit ist die gegenwärtige Wirtschaftslage durch zwei bedrohliche Tatsachen besonders gekennzeichnet.
    Erstens ist der Staat als Folge der in guten Zeiten aufgebauten Schuldenlast finanziell praktisch nahezu handlungsunfähig geworden.
    Als Folge des zu geringen Mutes zu rechtzeitigen Einsparungen oder — besser gesagt — zur rechtzeitigen Vermeidung höherer Ausgaben bei den konsumtiven Ausgaben des Staates müssen jetzt vor allem — leider — arbeitsplatzschaffende und arbeitsplatzerhaltende Investitionen gekürzt werden. Jetzt rächt sich die Tatsache, daß die Regierungen der 70er Jahre wie verschwenderische Monarchen gehaust, d. h. keine Reserven für schlechtere Zeiten angelegt haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Zweitens trifft die gegenwärtige Rezession mit einem chronisch gewordenen Defizit in der Leistungsbilanz zusammen. Die hieraus drohenden Gefahren sind vielen Mitbürgern überhaupt noch nicht bewußt geworden. Wir haben es wohl alle erlebt, daß bei Darstellung der Verschuldung und bei Darstellung der Folgen einer negativen Leistungsbilanz der Bürger, da er sie unmittelbar noch nicht spürt, noch nicht das hohe Maß an Sensibilität hat wie gegenüber unmittelbar spürbaren Einkommenskürzungen. Aber das heißt nicht, daß uns deshalb die Folgen erspart bleiben.
    Die Hinweise von Regierungsmitgliedern auf die Möglichkeit einer Einschränkung des freien Reiseverkehrs und auf andere Zwangsmaßnahmen deuten diese Gefahren nur an, auch wenn der Finanzminister diese Ankündigungen genauso wie der Wirtschaftsminister dementiert.
    Defizite in der Leistungsbilanz hatten wir nach der Gründung der Bundesrepublik vor 1979 nur in drei Jahren, wie ich festgestellt habe: 1950, 1962 und 1965. Aber in diesen drei Jahren hatten wir stets ein hohes Wachstum, während wir jetzt gleichzeitig eine negative Leistungsbilanz und dazu einen wirtschaftlichen Abschwung sogar mit der hohen Wahrschein-



    Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß (Bayern)

    lichkeit eines Rückgangs des realen Bruttosozialprodukts haben. Diese Rezession beruht nicht auf einer zu geringen Nachfrage, sondern wir leben, wie das Defizit der Leistungsbilanz zeigt, seit geraumer Zeit über unsere Verhältnisse.
    Das Instrumentarium des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes kann aus diesem Grunde auch nicht greifen; es ist für andere Voraussetzungen gedacht. Die Väter dieses Gesetzes hatten nie geglaubt, daß einmal Voraussetzungen eintreten würden, unter denen man dieses Gesetz nicht mehr anwenden kann.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    Jetzt muß auch der Finanzminister einsehen, daß Konjunkturprogramme alten Stils nicht mehr dazu beitragen können, die Wirtschaft aus der Talfahrt herauszuführen. Nur braucht uns der Herr Bundesfinanzminister darüber nicht zu belehren. Das Verhältnis ist umgekehrt. Hier muß er sich mit einem großen Teil seiner eigenen Partei, mit einem großen Teil des Deutschen Gewerkschaftsbundes und mit den berühmten „Linksprofessoren" auseinandersetzen, die glauben, daß das Heil der Vollbeschäftigung, des hohen Beschäftigungsstandes in Lohnerhöhungen und in massiven staatlichen Ausgabeprogrammen zu erreichen sei. Aber Aberglaube ist ja bekanntlich auch eine Realität und nicht nur eine Fiktion.
    Diese Konjunkturprogramme wären reine Konsumspritzen, aber keine Initialzünder für mehr Investitionen. Ich möchte hier dem Herrn Bundesbankpräsidenten ausdrücklich für die Rede, die er zu Beginn des neuen Jahres gehalten hat, unsere Zustimmung und unsere Anerkennung aussprechen, denn er hat den Finger auf die Wunde gelegt.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Außerdem könnten zusätzliche Konjunkturprogramme — wenn mich jemand fragte, warum reden Sie denn darüber, wo doch der Finanzminister sich schon sehr eindeutig dagegen festgelegt hat, würde ich antworten: da haben wir schon mancherlei an Saulus-Paulus und Paulus-Saulus der DamaskusStunden in den letzten zehn Jahren erlebt — des Bundes oder auch der Länder nur noch durch höhere Verschuldung finanziert werden. Das heißt, wir müßten den Teufel mit dem Beelzebub austreiben.
    Der Ölpreis ist sicherlich eine Ursache, es ist aber ein Zeichen von Blindheit oder Verblendung, alles auf diesen einen Umstand monokausal abwälzen zu wollen und so zu tun, als ob das höhere Gewalt sei, gegen die man eben nichts machen könne; denn hinzu kommen starke Defizite durch den Reiseverkehr, hohe Devisenabflüsse durch Gastarbeiter, durch Beiträge zu internationalen Organisationen wie der EG und der UNO. Aber all dies wäre noch — wenn auch schwer — zu verkraften. Aber die Bundesrepublik Deutschland hat seit Mitte der 70er Jahre — das ist ein zusätzlicher und der gravierendste Punkt — ihren internationalen Stand immer mehr verschlechert. Steigende Qualität und wesentlich niedrigere Preise ausländischer Konkurrenzgüter, nicht nur aus Ostasien, aber vornehmlich aus Ostasien, haben zu einer drastischen, ja lebensgefährlichen Tendenz der Verminderung des Ausfuhrüberschusses geführt.
    Andererseits hat die Bundesbank auch jeden Spielraum für Zinssenkungen durch die Wirtschafts- und Finanzpolitik der letzten Jahre verloren. So willkommen sie konjunkturpolitisch wären, so hätten sie doch große Gefahren, und zwar zum einen für die Zahlungsbilanz — Abwanderung aus der D-Mark in andere Währungen mit hohem Zinsniveau und jetzt doch relativ hoher Stabilität; siehe Pfund, siehe Dollar —, zum anderen hätten sie Gefahren für den Wechselkurs der D-Mark und Gefahren für die innere Stabilität des Geldwertes.
    Die verantwortlichen Amtsträger und parlamentarischen Mandatsträger müssen ihr Augenmerk darauf konzentrieren, mit welchen Maßnahmen die Investitionen bei uns wieder vermehrt werden können und der Export wieder gesteigert werden kann.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Was heißt das? Ich sage etwas, was leicht wieder Gegenstand törichter und böswilliger Invektiven sein kann: Das heißt, daß der Staat, Verbraucher, Gewerkschaften, wir alle begreifen müssen, daß Konsumverzicht und geringere Einkommenszuwächse — wenn überhaupt — unvermeidlich sind, daß aber Einkommenszuwächse bei den Unternehmen wieder zwingendes Gebot sind, wenn das Ziel erreicht werden soll.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Die Tarifpartner entscheiden weitgehend, ob die Bundesrepublik die wirtschaftliche Herausforderung bestehen und den strukturellen Anpassungsprozeß ohne bleibenden Schaden durchmachen kann.
    Es gibt nur eine Methode, internationales Vertrauen in die D-Mark zurückzugewinnen, nämlich Zeichen zu setzen und Fakten zu schaffen, die die Welt davon überzeugen, daß die Bundesrepublik Deutschland in ihrer Krisenbewältigungsfähigkeit eine größere Kapazität als andere vergleichbare Industriestaaten hat. Nur so ist das internationale Vertrauen zu unserer Währung mit ihrer auch politischgeographisch gefährdeten Randlage, die ja auch manchen Kapitaltransfer nach dem Westen — und nicht in geringem Umfang — herbeigeführt hat, wiederherzustellen.
    Das bedeutet — ich gebrauche jetzt ein Lieblingswort des Regierungschefs — Crisis Management. Dieser Begriff wird mit einer beinahe rhetorischen Wollust ausgesprochen: Crisis Management.

    (Dr. Kohl [CDU/CSU]: Fast mythisch! — Wehner [SPD]: Von Ihnen mit Wollust!)

    — Der Begriff „Crisis Management" stammt genau-sowenig von Ihnen wie von mir, Herr Wehner, wenn auch die Gründe dafür zwischen uns verschieden sind.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    Aber Sie haben sicherlich schon — ich hoffe: bewundernd — Ihren Regierungschef angehört, wenn er
    mit einem kleinen und etwas verächtlichen Seiten-



    Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß (Bayern)

    blick auf die Amerikaner, Schulter an Schulter mit seinem französischen Freund, dem Staatspräsidenten, das Jahrhundert in die Schranken fordert und eben davon spricht, daß man „Crisis Management an den Tag legen" müsse.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

    Jetzt ist Ihre Stunde als Zaubermeister des Crisis Management gekommen, Herr Bundeskanzler!

    (Erneute Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

    Der Zustand der Regierungsparteien, vor allem der SPD, und die Problematik der Koalition bieten dazu die denkbar günstigsten Voraussetzungen.

    (Fortgesetzte Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

    In der Energiepolitik hat die Bundesregierung zwar Programme fortgeschrieben, Sparappelle verkündet, ein Sparprogramm verabschiedet, das aber in beträchtlichem Umfang nur sogenannte Mitnahmeeffekte hatte; aber den entscheidenden Durchbruch zu einer Politik „Weg vom 01", der angesichts der gegebenen technischen Umstände, die für uns leider zwingend sind, nur in einem angemessenen Ausbau der Kernernergie liegen kann, hat die Bundesregierung in den letzten vier Jahren verschlafen bzw. sie hat sich versteckt. Seit fast vier Jahren ist in der Bundesrepublik kein neues Kernkraftwerk genehmigt worden.
    Dagegen haben die Franzosen beispielsweise den Ausbau der Kernenergie inzwischen mit aller Kraft vorangetrieben. Sie wollen auf dem Gebiet der Energieversorgung bis 1990 ihre Ölabhängigkeit auf den geringen Satz von 28 % drücken. Eine große Zahl von Kernkraftwerken ist in zügiger Planung und im raschen Aufbau.
    Der Bundeskanzler ist immer schnell bereit, die Leistungen anderer zu kritisieren oder, wenn es ins Konzept paßt, zu loben. Dazu hat er im französichen Fernsehen erklärt: „Ich finde, das ist eine große Leistung. Und wenn wir davon ein Stück in unserem Land hätten, dann wäre mir in bezug auf unsere zukünftige Elektrizitätsversorgung etwas sicherer zumute."

    (Beifall bei der CDU/CSU — Kolb [CDU/ CSU]: Klose macht es möglich!)

    Ich sage Ihnen, ich würde Ihnen das gleiche im deutschen Fernsehen sagen, wenn ich das über Sie sagen könnte.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

    Das klingt freilich, als wäre er ein hilfloser Oppositionspolitiker, ein harmloser Zeitgenosse oder, wie man in einer Münchner Abendzeitung lesen kann, „Blasius, der Spaziergänger",

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    der zeitkritische Bemerkungen macht. Aber Sie sind doch der Bundeskanzler, der die Richtlinienkompetenz hat.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Angeblich!)

    — In der Verfassung steht es genauso drin. Das Problem ist nur, ob und in welchem Umfang der Verfassungstext mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Das ist aber die Sorge des Herrn Bundeskanzlers und seiner Regierung.
    Hier zu Hause sitzt er gemeinsam mit dem Bundeswirtschaftsminister resignierend im Schmollwinkel und sieht dem energiepolitischen Stillstand stillschweigend zu. Auf dem FDP-Sonderparteitag in Holm bei Kiel über das umstrittene Kernkraftwerk Brokdorf konnte man den Herrn Bundeswirtschaftsminister, der mit seinen wortgewaltigen, die Zeitgeschichte bewegenden Ausdrücken doch sonst so schnell bei der Hand ist, nicht sehen. Entweder war er nicht da, oder er hat sich versteckt.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    Zunächst hat sich dieser Parteitag der FDP mit 100 : 99 Stimmen für den Weiterbau von Brokdorf ausgesprochen. Später ergab sich unter der Bedingung, daß dies erst geschehen könne, wenn die Frage der Entsorgung endgültig gesichert sei, ein Stimmenverhältnis von 97 : 95. Das heißt doch praktisch: In der ersten Abstimmung eine Stimme Mehrheit für ein Ja bei 199 Stimmen und hernach bei 193 abgegebenen Stimmen eine Mehrheit von zwei Stimmen für ein Nein. Das soll die politische Willensgrundlage von Regierungsentscheidungen sein.
    Bei der SPD haben wir erlebt, wie ihre Parolen waren: 1973 — Optimaler Ausbau der Kernenergie; 1974 — Maßvoller, aber verstetigter Ausbau der Kernenergie; 1977 — Begrenzter Ausbau der Kernenergie; 1979 — Die Option für oder gegen die Kernenergie muß für eine gewisse Zeit offen bleiben; 1980 — Option, in die Kernenergie einzusteigen, oder Option, aus der Kernenergie auszusteigen.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    Wir haben, Herr Bundeskanzler, in den letzten Tagen etwas ganz Neues gehört, daß nämlich der Bau von Kernkraftwerken eine rein regionale Angelegenheit sei und auf regionaler Basis geregelt werden solle. Was heißt jetzt regional?

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Soweit es Hamburg betrifft — das ist j a auch mit Brokdorf verbunden —, ist der Bürgermeister dagegen, die Partei mit knappster Mehrheit dafür. In Schleswig-Holstein ist die ganze SPD dagegen.
    Bei dem berühmten Geheimtreffen, das vor einigen Tagen stattgefunden hat, hat es sich gezeigt, daß der Bundeskanzler aus seiner Verantwortung völlig ausgestiegen ist.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Er ist ein Aussteiger!)

    Es gab und gibt doch noch ein gemeinsames Energieprogramm des Bundes und der Länder. Wir nehmen dieses Programm in den Ländern, ganz gleich ob der Regierungschef von der SPD oder der Union gestellt wird, sehr ernst; siehe zum Beispiel auch Hessen. Wir haben in Bayern gegen mannigfache Widerstände unser ganzes Energieprogramm und den Kernenergieanteil daran mit großer Pünktlichkeit fertiggestellt und bemühen uns, auch das in Zu-



    Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß (Bayern)

    kunft zu machen. Wir müssen hier noch einige Kernkraftprojekte in diesem Jahrzehnt in Angriff nehmen und abschließen; das wird geschehen. Das ist unsere Sache.
    Wofür ich aber kein Verständnis habe, ist, daß bei jedem Standort, den jeweils eine Landes- oder Staatsregierung heraussucht, SPD und zum Teil auch FDP — die FDP wesentlich weniger, vor allen Dingen die SPD — alles tun, um die örtliche Bevölkerung gegen die Durchführung dieser gemeinsamen Planungen des Bundes und der Länder zu mobilisieren oder — man kann ruhig sagen — aufzuhetzen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Hier wäre Crisis Management erforderlich. Denken Sie an die energiepolitischen Versäumnisse in den letzten sieben Jahren, die fast identisch sind mit dem Beginn Ihrer Kanzlerschaft.
    Brokdorf sei eine Sache der regional zuständigen Instanzen. Das heißt, so schreibt „Die Welt": Stoltenberg braucht auf den überregional zuständigen Bundeskanzler gar nicht mehr zu warten, mit ihm nicht mehr zu rechnen und auf ihn nicht mehr zu hoffen. Ja, ist denn das noch Regierungsveranwortung? Das ist doch eher mit einem Mainzer Karnevalszug zu vergleichen, als mit Regierungsverantwortung. Hier muß man sich eben ohne Rücksicht auf innerparteiliche Probleme, die es gibt — auch bei uns —, nach den staatlichen Notwendigkeiten, die für die Lebenssicherung unseres Volkes und die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft, den Wohlstand des einzelnen wie für die soziale Sicherheit aller erforderlich sind, orientieren, und nicht nach innerparteilichen Problemen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Die „Hannoversche Allgemeine Zeitung" ist angesichts ihrer Eigentumsverhältnisse nicht gerade für Regierungsfeindlichkeit bekannt. Aber sie schreibt in den letzten Tagen: „Schmidt hat sich samt seiner Regierung aus der Energiepolitik der Bundesrepublik verabschiedet. Nichts anderes bedeutet die vom Kanzler mitgetragene Erklärung der SPD, die Entscheidungen über Kohle- oder Kernkraftwerke müßten in den jeweiligen Regionen gefaßt werden. Im Klartext heißt das: Macht euren Mist alleine."

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    — Die Zeitung schreibt das. — Damit zeigt sich tiefe Resignation des Kanzlers.
    Im „Kölner Stadt-Anzeiger", einem Blatt, das man wohl der linksliberalen Grundhaltung zuzurechnen hat, heißt es: „Die Brokdorf-Erklärung der SPD provoziert mindestens zwei Fragen: Kann Bundeskanzler Schmidt Verantwortung für ein zentrales Energieprogramm tragen, sich in dieser Eigenschaft in einem Brief für den Bau des umstrittenen Kraftwerkes einsetzen und zugleich als stellvertretender SPD-Vorsitzender die Behauptung mittragen, die Entscheidung sei ausschließlich eine regionale?"

    (Dr. Wörner [CDU/CSU]: Das ist unglaublich!)

    Der Konflikt über die Kernenergie ist auf dem Berliner Parteitag im Dezember 1979 nur notdürftig gekittet worden, und er droht jetzt über Brokdorf und weiteren Projekten erneut auszubrechen. Wie recht hatten wir doch damals — ich rede nicht gern davon, recht zu haben, das hängt mir allmählich schon zum Halse raus —, als wir nach dem Berliner Parteitag der SPD — ich hier von dieser Stelle — gesagt haben: Die Formulierung taugt nichts. Das ist ein fauler Kompromiß. Der trägt nicht. Und siehe da: Er hat auch nicht getragen.
    Wenn es dann noch heißt, man solle eine Einigung auf möglichst breiter Basis herbeiführen, dann weiß ich nicht, ist das eine Beschwörungsformel der Verzweiflung oder ist das ein Appell der Ironie oder ist das nackter Hohn, auf möglichst breiter Basis eine Einigung darüber, aber selbstverständlich nur regional herbeizuführen!
    Sie sind Bundeskanzler, Herr Schmidt, und damit für die ganze Bundesrepublik zuständig. Sie haben Ihren Amtseid geschworen, und nach diesem Amtseid sind Sie verpflichtet, für ganz Deutschland in seinem freien Teil Sorge und Verantwortung zu tragen.

    (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU)



Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wehner?

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    Bei Herrn Kollegen Wehner ist es mir immer ein großes Vergnügen.