Rede von
Prof. Dr.
Hans Hugo
Klein
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe großes Verständnis dafür, daß die Koalitionsfraktionen diesen Gesetzentwurf, mit dem sie in der letzten Legislaturperiode, genauer: mit dem die Bundesregierung in der letzten Legislaturperiode gescheitert ist, erneut einbringen. Nicht ganz so verständlich ist es mir, warum wir angesichts dieser ersten Lesung zum nunmehr dritten Male die annähernd gleichen Argumente zu diesem Gesetzentwurf auszutauschen gehalten sind, zumal uns ja die zweite und dritte Lesung dieses Gesetzentwurfes in nicht allzu ferner Zukunft erneut bevorstehen. Die Wiederholung von Argumenten verändert sie ja nicht in der Qualität. Das gilt für die Argumente aller Seiten.
Es erscheint mir deshalb müßig, an dieser Stelle erneut in aller Breite das Für und Wider des Gesetzentwurfes zu erörtern. Er ist unverändert. Deshalb gilt, da wir, wie wiederholt auch an dieser Stelle festgestellt worden ist, vor der Wahl das gleiche zu sagen pflegen wie nach der Wahl, nach wie vor das, was wir am 12. Juni hier anläßlich der zweiten Lesung des früheren Regierungsentwurfs vorgetragen haben.
Die haushaltspolitischen Gesichtspunkte, die damals schon vom Haushaltsausschuß des Bundestages und vom Bundesrat gegen eine wirkliche Staatsunrechtshaftung geltend gemacht worden sind — und eine wirkliche Staatsunrechtshaftung wäre ja das eigentliche Ziel einer Reform des Staatshaftungsrechts --, gelten heute mehr denn je und gründen sich auf eine Einsicht, die sicherlich in diesem Hause in den vergangenen Monaten eine breitere Grundlage gewonnen hat.
Diese Bedenken werden übrigens von allen Ländern geteilt und erst recht, nebenbei gesagt, von den Kommunen. Das fällt besonders ins Gewicht, weil die Kosten dieses Gesetzes in erster Linie von den Ländern und von den Kommunen zu tragen sein werden. Ich fürchte, daß diese finanziellen Bedenken nicht überwindbar sind. Ich fühle mich in dieser Auffassung bestärkt, wenn Informationen zutreffen sollten, nach denen man bei der letzten Konferenz der Ministerpräsidenten mit dem Bundeskanzler Einvernehmen darüber erzielt hat, bei kostenwirksamen Gesetzen besondere Zurückhaltung an den Tag zu legen — um dieses Einvernehmen meinerseits hier zurückhaltend zu interpretieren. In diesem Zusammenhang ist übrigens ausdrücklich auch das Staatshaftungsgesetz erwähnt worden.
Ich meine überdies — das ist keine Bemerkung, die ich an Ihre Adresse richte, Frau Kollegin Däubler-Gmelin, sondern die ich auf eine Reihe von Pres-
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1980 313
Dr. Klein
senotizen der letzten Tage beziehe —, man sollte nicht den Eindruck erwecken, als werde dem Bürger mit diesem Gesetzentwurf überhaupt erstmals die Chance geboten, den Staat für ihm angetanes Unrecht haftbar zu machen. Staatshaftung hat es bisher gegeben und wird es auch in Zukunft geben, auch dann, wenn dieser Entwurf so nicht Gesetz werden sollte.
Ich sagte schon, das Grundanliegen einer wirklichen Staatshaftungsreform, nämlich die Ersetzung der bisherigen Verschuldenshaftung durch eine Unrechtshaftung, ist gegenwärtig — man mag das bedauern, und ich gehöre zu denen, die es bedauern — nicht erfüllbar. Was bleibt, sind Reparaturen in Randbereichen, für die ich nach wie vor wie schon in der vergangenen Legislaturperiode ein minder aufwendiges Verfahren empfehle. Das empfehle ich um so mehr — um auch diese Ungereimtheit hier nicht unter den Tisch fallen zu lassen —, als es etwa bei der Finanzverwaltung auch nach diesem Gesetzentwurf dabei bleiben soll, daß selbst bei grob fahrlässig begangenem Unrecht kein Schadensersatz, nicht einmal Entschädigung, geleistet werden muß, wie es dieses Haus noch vor wenigen Monaten in einer anderen Gesetzesvorlage ausdrücklich beschlossen hat. Auch die Haftung der Post ist und soll nach diesem Gesetz auf die Fälle beschränkt bleiben, in denen eine Straftat begangen oder der Schaden vorsätzlich herbeigeführt worden ist.
All das mag vor dem haushaltspolitischen Hintergrund unumgänglich sein, vor dem sich Politik dieser Tage zu entfalten in der Lage ist; aber man kann das, was übrig bleibt, nicht mehr als Staatshaftungsreform im eigentlichen Sinne des Wortes ausgeben. Die Frage ist also auch heute, ob das, was unter den gegebenen Umständen, den von allen Seiten anerkannten finanziellen Bedingungen noch möglich ist, ausreicht, es zu rechtfertigen, das Staatshaftungsrecht auf eine völlig neue gesetzliche Grundlage zu stellen. Das ist eine Frage der politischen Abwägung, bei der ich gerne einräume, daß man darüber verschiedener Auffassung sein kann. Ich und meine Fraktion sehen jedenfalls keinen Anlaß, darüber heute anders zu urteilen als erst vor sechs Mon aten.
Mir wiegen die Vorzüge dieses Gesetzentwurfs im Verhältnis zu den Nachteilen zu gering. Die Verbesserungen des subjektiven Rechtsschutzes, die er im Vergleich zum geltenden Recht bringt, halten sich in engen Grenzen und werden durch das, was er versagt, obwohl der Bürger es erwarten darf, und außerdem durch die Unklarheiten, die er mit sich bringt, mehr als aufgewogen. Die Aufrechterhaltung des Verschuldensprinzips im Grundsatz — daß es bei Grundrechtseingriffen keine Geltung haben soll, bedeutet im Grunde auch nicht viel mehr als eine Beibehaltung des geltenden Rechts, das eine Haftung im Rahmen des aufopferungsgleichen und des entschädigungsgleichen Eingriffs ohne Verschulden schon bisher kennt — bedeutet den Verzicht auf das wichtigste Anliegen einer Reform. Die Abgrenzung der ohne Verschulden zu entschädigenden Eingriffe von denjenigen, bei denen die Rechtsverletzung schuldhaft sein muß, ist überdies, wie uns die Sachverständigen gesagt haben, verfassungsrechtlich zweifelhaft, kaum praktikabel; denn gesetzlose oder gesetzwidrige Eingriffe sind immer auch Grundrechtseingriffe, fallen also zugleich unter den Abs. 1 wie unter den Abs. 2 des § 2 dieses Gesetzes.
Es bleibt also Unklarheit, Unsicherheit und Unübersichtlichkeit des Staatshaftungsrechts bestehen. Deshalb behält auch Gültigkeit, was ich — wenn ich mir erlauben darf, das hier noch einmal in Ihre Erinnerung zu rufen — am 12. Juni abschließend zum damaligen Gesetzentwurf, der mit dem heutigen inhaltlich identisch ist, gesagt habe:
Die verbleibenden Vorteile des Entwurfs wiegen nicht schwer genug, um das geltende Recht durch eine neue Konzeption, durch eine Vielzahl neuer Vorschriften zu ersetzen. Der Entwurf in seiner vorliegenden Form beseitigt die für den durch staatliches Unrecht geschädigten Bürger gravierendsten Mängel des geltenden Staatshaftungsrechts nicht.
Deshalb sage ich, daran anknüpfend, wie vor mir schon ein anderer Kollege in anderem Zusammenhang: so nicht. — Vielen Dank.