Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn der Staat schon nicht vermeiden kann, daß seine Bediensteten Bürgern Schäden zufügen, dann muß der Bürger das Recht auf Ersatz dieser Schäden haben und dieses Recht auch durchsetzen können.
Um diesen Grundsatz, dessen Richtigkeit wohl von niemandem bestritten wird, dreht sich das Gesetzesvorhaben, das die Fraktionen der Sozialdemokraten und der Freien Demokraten heute wieder einbringen. Es gab zwar schon bisher Regeln zu diesem Punkt — das ist j a bekannt —; nur hat sich deren Wirksamkeit — das wissen wir eben auch — viel zu häufig und in sehr großen Bereichen gerade dieses schwierigen Rechtsgebiets im Gestrüpp der Kompetenzen verloren, im Gestrüpp der gewohnheitsrechtlichen und richterrechtlichen Normen, die schwer durchschaubar waren. Sie sind vor allem häufig gescheitert an der Barriere der Beweislast, die dem Bürger auferlegt wurde, und das gilt auch heute noch.
Hinzu kommt — bei dem geltenden Rechtszustand — auch darüber haben wir schon mehrfach geredet —, daß einige, täglich wieder auftauchende, ganz praktische Probleme einfach nicht ausreichend geregelt waren. Da ist der bekannte Fall der integriert geschalteten technischen Anlage, die versagt und Schaden verursacht. Die Verantwortlichkeit der staatlichen Stellen wird zwar nicht bestritten, aber eine gesetzliche Regelung über die Wiedergutmachung von Schäden gibt es bisher nicht.
Abgrenzungsprobleme zum Privatrecht und Fragen der Verkehrssicherungspflicht traten und treten ebenso auf wie Fragen der Haftung für Schäden bei gleichförmigen, massenhaft auftretenden Handlungen, Bescheiden, Verwaltungsakten in ganz bestimmten Sonderbereichen der öffentlichen Staatstätigkeit.
Alle diese Punkte, meine Damen und Herren, sind schon vor längerer Zeit aufgegriffen worden. Es gab sehr lange Vorarbeiten. Es gab eine hochrangige Kommission beim Bundesjustizministerium. Schließlich gab es vor einigen Jahren Gesetzentwürfe, die hier im Bundestag eingebracht wurden. Dabei handelte es sich um zwei Gesetzentwürfe. Der eine Gesetzentwurf sah eine Grundgesetzänderung für diesen Bereich vor. Der andere Gesetzentwurf wollte die Regelungen, von denen ich sprach, ablösen oder verbessern.
All das war begleitet von der Ermutigung und der Unterstützung aller wissenschaftlichen Lager und auch aller politischen Bereiche. Auch das ist bekannt.
Wir haben hier darüber debattiert, und der Rechtsausschuß hat sehr lange beraten. Er hat Anhörungsverfahren veranstaltet, um noch strittige Fragen zu klären. Es ist zu einem Gesetzesbeschluß gekommen, der längst nicht all das, was wir uns aus praktischer oder wissenschaftlicher Sicht gewünscht hätten, tatsächlich berücksichtigen konnte, der aber von der Kostenseite her, von der Klarheit der Richtlinien, von der Qualität der Sprache und auch von der Kürze des Gesetzes her die Anforderungen durchaus erfüllte, die man heute, wenn man etwas für den Bürger tun will, realistischerweise von ihm erwarten kann.
Der Bundesrat — und jetzt beginnt es eigentlich aktuell zu werden — hat diesen Gesetzentwurf abgelehnt. Deswegen sind wir heute wieder hier und bringen ihn erneut ein, denn wir meinen, daß er in der Tat für den Bürger in den von mir geschilderten Bereichen gute und nützliche zusätzliche Regelungen bringt. Wir wollen mit der sofortigen Einbringung unterstreichen, daß wir dieses Gesetzgebungsvorhaben für wichtig halten, daß wir es für realisierbar halten und vor allen Dingen alles dazu tun wollen, daß dieses Gesetz so bald wie möglich in Kraft treten kann.
Meine Damen und Herren, wir bringen den Gesetzentwurf unverändert wieder ein. Wir tun das ganz bewußt. Ich betone das deshalb, weil wir selbstverständlich an unserem ursprünglichen Plan der Einbeziehung von Tumultschäden gerne festgehalten hätten. Weil wir aber sehen, daß dafür Mehrheiten im Bundestag und im Bundesrat nicht erreichbar sind, haben wir beschlossen, dies jetzt nicht weiter zu verfolgen.
Ich betone auch, daß wir selbstverständlich auf einen anderen Punkt ganz besonders großen Wert gelegt hätten und auch weiterhin legen, nämlich auf die Entscheidung der Frage: Wie erreichen wir es, daß die Streitigkeiten um solche Schadenersatzansprüche insgesamt in einem, für den Bürger möglichst einfachen, durchschaubaren Rechtsweg entschieden werden können?
Ich spreche das Problem der Rechtswegekonzentration an; aber auch dazu brauchen wir eine Grundgesetzänderung, und diese ist wohl im Augenblick, wenn sich hier Standpunkte nicht noch schnell ändern, nicht zu erreichen.
Meine Damen und Herren, wir bringen den Gesetzentwurf unverändert ein, obwohl wir selbstverständlich auch die Bedenken des Bundesrates zur Kenntnis genommen haben. Diese Bedenken des Bundesrates sind hauptsächlich an zwei Punkten festzumachen. Einmal wurde gesagt, das Gesetz, das wir hier beschlossen haben, sei zustimmungsbedürftig. Das ist nun eine Frage, in der es zwischen Bundestag und Bundesrat häufig Streit gibt. Ich will darauf nicht näher eingehen. Der Bundesrat war sich dabei seiner Sache auch nicht so sicher; jedenfalls
312 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1980
Frau Dr. Däubler-Gmelin
hat die Mehrheit des Bundesrats auch gesagt, man wolle vorsorglich Einspruch einlegen, auch wenn man primär ablehne.
Zum zweiten hat der Bundesrat mit seiner Mehrheit erklärt, für dieses Gesetzesvorhaben fehle die Bundeskompetenz. Herr Hillermeier, Justizminister in Bayern, hat ausgeführt, für einen Staatshaftungsgesetzentwurf, der die Staatshaftung von ihrer — ich zitiere — zivilrechtlichen Ausgestaltung befreien und in eine unmittelbar öffentlich-rechtliche Haftung des Hoheitsträgers für eigene Pflichtverletzung bei der Ausübung öffentlicher Gewalt umgestalten wolle, reiche die Kompetenz nach Art. 74 Nr. 1 des Grundgesetzes nicht aus.
Ich halte diese Rechtsmeinung für falsch. Diese Auffassung wird von einer ganzen Reihe von ernst zu nehmenden Stimmen gestützt. Das fängt bei der Verfassungsrechtsliteratur an und setzt sich in den Diskussionen fort, die wir in diesem Hause gehabt haben. Ich meine mich daran zu erinnern, daß auch die Opposition, zumindest der Herr Kollege Klein, irgendwelche Rügen im Hinblick auf einen Mangel an Bundeskompetenz höchstens für einen Teilbereich ausgesprochen hatte, nämlich für einen ganz engen Ausschnitt der — wenn ich es richtig verstanden habe — Regelungen des Folgenbeseitigungsanspruchs, soweit er sich aus dem Vollzug von Landesrecht ergibt.
Vor allem aber, meine Damen und Herren, halte ich die zitierte Auffassung deshalb für falsch, weil ja unbestritten ist, daß der Begriff des bürgerlichen Rechts im Sinne von Art. 74 Nr. 1 des Grundgesetzes keineswegs mit dem Begriff des Zivilrechts oder gar mit dem Inhalt des Bürgerlichen Gesetzbuchs identisch ist. Er ist, so sagt es auch das Bundesverfassungsgericht, als Zusammenfassung all der Normen zu verstehen, die herkömmlicherweise dem Zivilrecht zugeordnet werden. Die Wandlungen in der rechtlichen Auffassung und Qualifizierung eines Vorgangs vermögen an der Kompetenzverteilung nichts zu ändern.
Das führt uns dazu, daß wir dann, wenn wir uns in eine Gesamtwürdigung des Staatshaftungskomplexes, wie er heute besteht, hineinbegeben, meines Erachtens unstreitig davon ausgehen können, daß Art. 74 Nr. 1 selbstverständlich als Kompetenzgrundlage ausreicht.
Meine Damen und Herren, ich möchte an dieser Stelle, bevor ich zum Schluß komme, die erste Lesung dieses Gesetzentwurfes dazu benutzen, die Kollegen von der Opposition aufzufordern, noch einmal darüber nachzudenken, ob wir in der uns verbleibenden Zeit im Ausschuß nicht noch die eine oder andere sinnvolle ergänzende oder verbessernde Bestimmung einfügen können. Ich kann Ihnen sagen, wir sind durchaus dazu bereit, gemeinsam mit Ihnen darüber nachzudenken. Lassen Sie uns aber eines mit großer Klarheit sagen: Wir legen Wert auf dieses Gesetz, wir legen Wert darauf, daß diese Verbesserung des Rechtsschutzes des Bürgers in absehbarer Zeit durchberaten und verabschiedet werden kann. Ich glaube, die Probleme, auch Probleme einer Veränderung, sind klar ausdiskutiert
worden; sie sind entscheidungsreif. — Herzlichen Dank.