Rede von
Alfred
Sauter
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und der FDP läßt weiterhin einige Regelungen vermissen, die der CDU/CSU-Fraktion die Zustimmung erleichtern würden. Wir werden allerdings in den parlamentarischen Beratungen versuchen, die Ver-
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besserungen durchzusetzen. die ich nachfolgend erläutern werde.
Erstens. Wir sind weiterhin der Ansicht, daß der Strafrahmen für den Grundtatbestand von drei auf fünf Jahre angehoben werden sollte und bei fahrlässiger Begehung entsprechend auf drei Jahre erweitert werden muß. Gerade eine höhere Strafandrohung wird dazu führen, daß die Täter einer wirklich gerechten Strafe zugeführt werden können.
Erfreulicherweise findet sich auch im vorliegenden Entwurf wieder, daß das Strafmaß für besonders schwere Fälle auf 15 Jahre ausgedehnt werden soll. Der Gedanke, der soeben vom Kollegen Gnädinger aufgeworfen worden ist, daß man in besonders verwerflichen Fällen auch die lebenslange Freiheitsstrafe in Betracht ziehen sollte, wird von uns durchaus mitgetragen.
— Wir kommen heute noch darauf zu sprechen, daß das vielleicht nicht mehr als 15 Jahre werden.
Darüber unterhalten wir uns noch.
Das Strafrecht hat in diesem Bereich durchaus eine abschreckende Wirkung. Die Verfolgungsbehörden haben immer wieder beobachtet, daß Händler zumindest den Schwerpunkt ihrer Tätigkeit in andere Staaten verlagern, wenn sie in einem Land besonders entschlossen verfolgt werden und entsprechend hohe Strafen drohen.
Wir sind zum zweiten der Ansicht, daß die öffentliche Verherrlichung des Mißbrauchs von Betäubungsmitteln weiterhin unter Strafe zu stellen ist. Es ist nicht einzusehen, warum beispielsweise — und zu recht — gegen NS-Propaganda mit scharfen Mitteln vorgegangen wird und im Bereich der Drogenverherrlichung so getan wird, als ob hiervon keinerlei Schäden oder Gefahren für die Allgemeinheit oder für den einzelnen ausgehen würden.
Zum dritten, meine sehr verehrten Damen und Herren, liegen besondere Probleme
— Herr Kollege, Sie wissen, daß ich nur zehn Minuten Zeit habe; deshalb machen wir es vielleicht dann, wenn ich früher fertig werde — in der vorgesehenen Sonderregelung für betäubungsmittelabhängige Straftäter, bei der Zurückstellung der Strafvollstrekkung, der Anrechnung und Strafaussetzung zur Bewährung und dem Absehen von der Verfolgung. Es besteht durchaus Einigkeit darüber, daß durch eine Sonderregelung - oder besser gesagt: durch eine strafrechtliche Sonderbegünstigung — die Bereitschaft zur Therapie erhöht und die Möglichkeit zu ihrer Aufnahme und Durchführung erweitert werden sollen.
Dies führt jedoch nicht daran vorbei, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß in diesem Hause offensichtlich grundsätzliche Meinungsverschiedenheiten und andersartige Vorstellungen über das Verhältnis von Therapie und Strafe bestehen. Die verkürzte Formel „Therapie statt Strafe" bringt uns nicht weiter.
— Ich komme noch dazu. Wenn Sie die Zeit haben, mir zuzuhören, dann werden Sie erleben, daß ich dazu noch komme.
— Gefragt jetzt im Umgang mit der Jugend: Geduld.
Sie mag als Schlagwort durchaus einen entsprechenden Verkaufswert auf dem Markte der politischen Meinungsbildung haben. Sie trägt jedoch den tatsächlichen Gegebenheiten nur mangelhaft Rechnung. Sie verwirrt, ohne daß sie aufklärt. Und sie verschleiert, ohne daß sie wirklich regelt.
Die richtige Fragestellung muß vielmehr lauten: Wo und inwieweit steht Strafrechtspflege den Zielen der Therapie hinderlich im Wege?
In diesem Umfang ist durchaus zu erwägen, ob gegebenenfalls die Strafrechtspflege mit ihren berechtigten Zwecken zugunsten des Therapieanliegens zurücktreten kann oder soll. Das Problem kann aber nicht mit einer Gedankenkette gelöst werden, die ich, mit Verlaub, in etwa so beschreiben darf: Mehr als daß der Mann oder die Frau in Therapie gehen, wollen wir doch gar nicht. Die Strafe bewirkt doch bei ihnen ohnehin nichts oder kaum etwas. Therapie ist besser als Strafe. Also kann die Strafe wegfallen.
Durch eine solche Auffassung verabsolutiert man den Behandlungsgedanken und verkennt, daß die Strafrechtspflege auch dem Schutz der Allgemeinheit und hier insbesondere dem Schutz der gefährdeten jungen Menschen zu dienen hat. An dieser Weichenstellung werden Grundpositionen vom Sinn und von der Notwendigkeit des Strafens berührt.
Wir müssen doch von folgendem ausgehen: Es geht um für ihre Tat verantwortliche oder zumindest beschränkt verantwortliche Täter. Bei ausgeschlossener Schuldfähigkeit wird der Täter gemäß § 20 des Strafgesetzbuches nicht bestraft. Der verantwortliche oder eingeschränkt verantwortliche Täter aber hat, entsprechend dem Gewicht seiner Tat und seiner Schuld, Freiheitsstrafe zu erwarten. Wir können nicht, ohne die Grundlagen des Strafrechts zu verlassen, bei einem verantwortlichen Täter der mittleren bis schweren Kriminalität, der immerhin bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe verwirkt hat, von der Verfolgung einzig aus dem Grund absehen, weil er sich in eine Therapie begeben hat. Wo wäre denn der Grund für ein derartiges Privileg, und welche Folgen hätte denn ein derartiges Privileg? Es müßte doch mittel- oder langfristig dazu führen, daß auch in weiteren Bereichen, beispielsweise bei Alkoholabhängigen, ein Vorrang der Therapie vor der Strafe bean-
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sprucht wird. Bei der vielfach behaupteten Zunahme psychischer Anfälligkeiten müßte sich hieraus ergeben, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß der Gedanke einer öffentlichen Strafe für zu verantwortendes Unrecht überhaupt in Frage gestellt wird.
— In diesem Zusammenhang Herr Kollege, tauchen zumindest die Frage und die Vermutung auf, ob nicht manche, die gegenwärtig für Betäubungsmittelabhängige einen Vorrang der Therapie fordern, aus grundsätzlicher Ablehnung eines auf die Feststellbarkeit menschlicher Schuld gegründeten Strafrechts handeln.
Ein Abgehen von der an sich erforderlichen und begründeten Strafverfolgung kann berechtigterweise nur erwogen werden, wenn die Abwägung ergibt, daß sie um anderer, noch wichtigerer Ziele willen — hier gegebenenfalls gegenüber der Therapie — zurücktreten muß, weil sie diesen höherrangigen Zielen im Wege steht.
Es trifft nun aber gerade nicht zu, daß die Durchführung eines Strafverfahrens stets oder auch nur in der Regel die Therapie wesentlich erschweren oder gar zunichte machen würde. Wir haben uns um diese Frage in zahlreichen Kontakten mit Praktikern aus dem therapeutischen Bereich sowie aus dem Bereich der Strafrechtspflege intensiv gekümmert. Die Durchführung und die Chancen einer Therapie werden durch ein Strafverfahren regelmäßig nicht ernstlich gefährdet.
Gewisse Belastungen, die durch Vernehmungen oder durch die Hauptverhandlung entstehen können, lassen sich in Grenzen halten. Sie können durch Vorteile für die Motivation des Täters aufgewogen werden, dem die Verantwortung vor Augen geführt wird und der gegebenenfalls unter den Druck einer verhängten, aber nicht vollzogenen Freiheitsstrafe kommt.
Erst nach dem Schuld- und Strafausspruch ist der gesetzgeberische Hebel anzusetzen
und zu prüfen, ob der Vollzug einer Freiheitsstrafe der Durchführung einer Therapie etwa. im Wege steht.
Nicht immer ist dies der Fall. Ein teilweiser Vollzug kann auch eine Motivation wecken oder verstärken. Ergibt jedoch die Einzelfallprüfung, daß der Abhängige ernsthaft bereit ist, sich einer Therapie zu unterziehen, so soll ihm diese Möglichkeit gegeben werden. Deshalb bejahen wir im Grundsatz die Regelungen in den §§ 33 und 34, die für solche Fälle die Möglichkeit der Zurückstellung der Strafverfolgung
bei Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren zum Zwecke der Durchführung einer Therapie mit anschließender Anrechnung und Strafaussetzung zur Bewährung schaffen.
Dabei sei allerdings darauf verwiesen, daß die jetzt in § 34 teilweise doch vorgesehene Anrechnung auch bei Abbruch der Therapie so nicht unsere Zustimmung finden kann. § 35, der die Möglichkeit zum Absehen von der Strafverfolgung bei schon begonnener therapeutischer Behandlung schafft, ist aus den oben geschilderten Gründen nach unserer Auffassung ersatzlos zu streichen.