Rede von
Fritz-Joachim
Gnädinger
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Gesetzgebungsverfahren für die dringend erforderliche Neufassung des Betäubungsmittelrechts konnte in der vergangenen Wahlperiode des Deutschen Bundestages nicht abgeschlossen werden. Es scheiterte am Widerstand der Mehrheit im Bundesrat. Und, Herr Kroll-Schlüter: Es ist natürlich eine Sache, hier zu sagen, wir seien uns einig, und Beschleunigung sei notwendig. Es ist eine andere Sache, wenn der Bundesrat diese Gesetzgebungsvorhaben dann torpediert und verzögert. Man muß wohl sagen, daß es die gleiche CDU/ CSU ist, die hier in der Opposition ist und im Bundesrat die Mehrheit hat.
Das Problem, meine Damen und Herren, ist zwischenzeitlich aber nicht kleiner geworden. Der Rückgang der Todesfälle nach Drogengebrauch ist leider nur durch eine gekonntere Verabreichungspraxis zu erklären. Die Zahl der Konsumenten von Drogen ist — wie in der Vergangenheit, so auch in diesem Jahre wieder — gestiegen. Es ist daher zu begrüßen, daß sich der neugewählte Deutsche Bundestag in seiner ersten Sitzung, in der Gesetze beraten werden, mit dem Betäubungsmittelrecht befaßt.
Eine Gesellschaft, als Solidargemeinschaft verstanden, ist auf die Mitwirkung jedes ihrer Mitglieder angewiesen. Der Drogenabhängige aber fällt aus, er leistet keinen Beitrag. Dies stellt nur die eine Seite dar. Die andere Seite sind die menschliche Tragik der Betroffenen selbst und die leidvollen Erfahrungen der um sie oft hilflos bangenden Familienmitglieder. Die Droge ruiniert den Menschen nicht nur körperlich. Der unter Entzugserscheinungen Leidende und nur noch von dem Gedanken nach neuen Drogen Beherrschte verliert die positive Einstellung zu Mitmenschen, zur Arbeit und zur Gemeinschaft.
Die bisherigen Maßnahmen, meine Damen und Herren, hatten nur mäßigen Erfolg. Wir sind jedoch nicht bereit, Drogenkonsum als notwendigen Preis einer Wohlstandsgesellschaft hinzunehmen. Deshalb ist es erforderlich, alle denkbaren Maßnahmen
306 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1980
Gnädinger
zu ergreifen, um Ursachen zu beseitigen und Folgen zu heilen. Wir stehen vor einem Problem, das in seiner Dimension jenem des Terrorismus nicht nachsteht.
Anstelle von Betäubungsmitteln kann man auch von Suchtmitteln sprechen. Sucht aber schränkt die Willensfreiheit ein, und die Frage der Verantwortlichkeit für das Tun tritt ebenso auf wie die Frage, was Strafrecht hier überhaupt bewirken kann. Es ist eine Illusion, zu meinen, daß neue Strafbestimmungen allein in der Lage seien, das Drogenproblem in den Griff zu bekommen. Aber ich meine auch: Neben einer Vielzahl anderer Maßnahmen kann das Strafrecht hier in der Tat einen Beitrag leisten. Deshalb, meine Damen und Herren, ist dies die Rede vom vernünftigen Einsatz der Strafe. Zum vernünftigen Einsatz des Strafrechts und der Strafdrohung gehört die Unterscheidung zwischen Süchtigen und jenen Händlern, die von einer anderen Sucht, nämlich der Gewinnsucht, befallen sind.
Fast nirgendwo läßt sich heute leichter Geld verdienen als hier: mit dem Raubbau an der Gesundheit vieler junger Menschen, mit der weiteren Folge von etwa 500 Drogentoten im vergangenen Jahr.
So ist es denn auch eines der wesentlichen Ziele des Entwurfs, bei Dealern und Banden zu einer Strafverschärfung zu kommen, während — im Gegensatz dazu — bei Süchtigen Behandlung und Heilung in den Vordergrund gestellt werden müssen. Gerade für Rauschgifthändler stellt die Erhöhung des Strafrahmens von zehn auf 15 Jahre Freiheitsstrafe eine wirksame Maßnahme dar, die geeignet ist, diesen Täterkreis zu beeindrucken. In diesem Zusammenhang sollte nochmals geprüft werden, ob insbesondere bei verwerflichen Fällen nicht lebenslange Freiheitsstrafe angezeigt ist.
Aber auch bei den Drogenabhängigen kann der vernünftige Einsatz der Strafe viel bewirken. Ich habe in meiner Praxis als Staatsanwalt in den vergangenen vier Jahren keinen Drogenabhängigen gefunden, der von der Droge aus eigener Kraft losgekommen wäre. Nur eine Langzeittheraphie bietet die Chance der Heilung.
Die Motivation zu einer solchen Therapie ist jedoch oft schwach entwickelt. Der Abhängige muß deshalb vor die Wahl gestellt werden: Strafvollzug oder Therapie. Das geltende Recht ist hier wenig flexibel und auf Umwege und Hilfskonstruktionen angewiesen. Deshalb brauchen wir eine neue Regelung im Bereich von Strafvollzug und Therapie. Fast jeder Konsument ist ein kleiner Händler, der zur Finanzierung seiner Sucht tätig wird. Auch er darf jedoch nicht von den Bemühungen um Heilung ausgeschlossen sein.
Um seine ausreichende Motivation für einen Behandlungsbeginn zu erzeugen, reicht der bestehende Strafrahmen des Grundtatbestandes aus. Auch diese Feststellung gehört zu dem Thema „vernünftiger Einsatz der Strafe". Zum vernünftigen
Einsatz der Strafe gehört aber auch die Aufgabe, Gefährdete vom Griff nach der Droge abzuhalten. Zur Erreichung dieses Zieles ist eine Erhöhung der heutigen Strafdrohung bis zu. drei Jahren Freiheitsstrafe nicht erforderlich.
Im einzelnen ist vorgesehen, der Verfolgungsbehörde die Möglichkeit zu geben, die Strafvollstrekkung bei Freiheitsstrafen unter zwei Jahren zurückzustellen, wenn der Betroffene sich in eine Langzeittherapie begibt. Im Gegensatz zur Bundsratsmehrheit und zur Opposition in diesem Hause halten wir es allerdings für erforderlich, daß die in der Entziehungsanstalt verbrachte Zeit auf die Strafe anzurechnen ist. Es macht nämlich keinen Sinn, den Betroffenen im unklaren über die Anrechnung zu lassen. Seine Motivation, es mit einer Therapie zu versuchen, würde nur geschwächt.
Wir schlagen vor, von der Erhebung einer Anklage dann abzusehen, wenn der Betroffene sich zur Therapie entschließt und diese absolviert. Auch heute wird teilweise schon so verfahren, z. B. bei der Aussetzung des Haftbefehls.
Zu oft aber wird eine Therapie abgebrochen. Dann muß sichergestellt sein, daß die weitere Strafverfolgung und der weitere Strafvollzug die unmittelbare Folge sind. Der Entwurf sieht jedoch auch vor, danach ein zweites und ein drittes und, wenn es notwendig ist, ein viertes Mal den Versuch der Therapie zu wagen. Im Hinblick auf den Therapieunwilligen ist es ein schwacher Trost, daß er durch den Vollzug der Strafe für einige Zeit aus der Szene genommen wird. Wir können ihn nicht sehenden Auges untergehen lassen. Es bleibt die Hoffnung, daß die Möglichkeit, mehrmals einen Anlauf zu einer Therapie zu machen, doch helfen kann. Über Erfolge und Mißerfolg läßt sich heute nichts Abschließendes sagen. Wir Sozialdemokraten sind jedoch davon überzeugt, daß wir auf dem richtigen Wege sind.
Was jetzt notwenig ist, sind zwei Dinge: Erstens müssen wir mehr Therapieplätze schaffen, und zweitens brauchen wir eine baldige Verabschiedung dieses Gesetzes. Deshalb lassen Sie uns diese Vorlage zügig beraten. Im Ziel, in den Grundsätzen und in vielen Einzelheiten sind wir uns einig. Wir Sozialdemokraten hoffen, daß es schon in den Ausschüssen unter Beteiligung der Vertreter der Bundesländer gelingen kann, Übereinstimmung in offenen Fragen zu erzielen. Eine nochmalige Anrufung des Vermittlungsausschusses durch den Bundesrat würde unserem gemeinsamen Anliegen nicht dienen.