Rede von
Egon
Lutz
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer Sinn für Symbolik hat, der wird mit Interesse vermerken, daß der erste Gesetzentwurf der 9. Legislaturperiode den sozialen Problemen der selbständigen Künstler und Publizisten in unserem Lande gewidmet ist. Wir Sozialdemokraten hätten gerne darauf verzichtet. Wenn es nach uns und unseren Koalitionspartnern gegangen wäre, stünde das Künstlersozialversicherungsgesetz, mit der Unterschrift des Herrn Bundespräsidenten versehen, längst im Bundesgesetzblatt und wäre geltendes Recht.
Aber Sie von der Opposition und die von Ihnen beherrschte Mehrheit im Bundesrat haben das anders gewollt. Sie haben mit Ihrer Verweigerungspolitik diesen neuerlichen parlamentarischen Anlauf erzwungen. Sie haben eine längst überfällige gesetzliche Regelung — und mit diesen Vorwürfen müssen Sie leben — um Monate, mindestens um Monate verzögert. Das ist in den Kreisen der Künstler und Publizisten mit Bitterkeit registriert worden. Das ist eine Bitterkeit, die wir verstehen und die wir teilen.
Mit um so größerer Genugtuung erfüllt uns die Gewißheit, daß Sie das Künstlersozialversicherungsgesetz ein weiteres Mal nicht werden torpedieren können. Sie können allenfalls noch einmal die parlamentarische Beratung hinzuschleppen versuchen, verhindern können Sie nichts mehr.
Deshalb meine ich, daß es nun, da der Wahlkampf vorüber ist, eigentlich vernünftiger wäre, Sie würden mit uns gemeinsam diese längst und intensiv beratene Gesetzesvorlage verabschieden. Sie vergeben sich dabei gar nichts, Sie würden aber an Glaubwürdigkeit bei den selbständigen Künstlern und Publizisten in unserem Lande gewinnen, und das, so meine ich, wäre sicher auch für Sie nicht ganz zu verachten.
Ehe ich zu den Einzelheiten des Geseztentwurfs komme, möchte ich an einen Kollegen erinnern, der zwei Legislaturperioden hindurch um ein solches Gesetz gekämpft hat, an unseren früheren Kollegen Dieter Lattmann.
Er ist zwar aus der parlamentarischen Arbeit ausgeschieden, aber nicht aus der politischen und schon gar nicht aus der gesellschaftspolitischen Arbeit für die Kolleginnen und Kollegen seines Berufsstandes. Dieter Lattmann sagte am 22. Mai 1980 bei der zweiten Lesung des Künstlersozialversicherungsgesetzes im 8. Deutschen Bundestag — der Herr Präsident wird gestatten, daß ich ihn zitiere —:
Die Künstler erhalten heute, was den Arbeitern ... vor 100 Jahren gegeben wurde. Die Bundesrepublik, der reiche Wirtschaftsstaat, das kulturelle Entwicklungsland, holt gegenüber einer selten gepriesenen, meist vernachlässigten, oft diffamierten Berufsgruppe auf.
Lattmann sagte weiter:
Und denken wir auch daran: Nichts war in den Katastrophen des Jahrhunderts. nach Weltkriegen und Inflationen sicherer als die gesetzliche Sozialversicherung. Sie ist das Sicherste, das dieser Staat in einer unsicheren Welt zu leisten in der Lage ist. Das
— so Lattmann —
soll den Künstlern nicht länger vorenthalten bleiben, denn ihre Arbeit bleibt auf alle Zeiten unsicher genug.
Ich glaube, präziser läßt sich kaum ausdrücken, welche Absichten mit diesem Gesetz verwirklicht werden sollen und verwirklicht werden. Diese Gewißheit haben wir heute.
Die Technik des Ihnen vorliegenden Gesetzentwurfs ist schnell erklärt. Alle selbständigen Künstler und Publizisten werden mit diesem Gesetz kranken- und rentenversicherungspflichtig. Sie zahlen wie Arbeitnehmer den an ihren Honoraren bemessenen halben Beitragssatz zur Krankenversicherung und zur Rentenversicherung. Weil selbständige Künstler und Publizisten im Regelfall ein schwankendes Einkommen haben, sind Sonderregelungen im Gesetz vorgesehen, die zu einer Verstetigung des Beitragsaufkommens und damit auch zu einer Verstetigung der späteren Leistungen führen werden.
Die andere Hälfte des Beitragssatzes, also nicht die, die der Künstler zu erbringen hat, wird zu einem Drittel vom Bund, zu zwei Dritteln von den Verwertern von Kunst und Publizistik in einem Umlageverfahren erhoben. Nach unserem derzeitigen Erkenntnisstand wird diese Umlage — sie heißt Künstlersozialabgabe — 5 % von allen Honoraren nicht über-
296 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1980
Lutz
) steigen. Die Künstlersozialabgabe wird immer zwei Drittel des Beitragsaufkommens des durch dieses Gesetz erfaßten Personenkreises betragen.
Diese Abgabe wird durch die neu zu gründende Künstlersozialkasse erhoben. Die Clearingstelle führt die Beiträge der Versicherten, die Künstlersozialabgabe und den Bundeszuschuß zusammen und leitet diese an die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, in Rentenfragen, und an den zuständigen Krankenversicherungsträger weiter.
Die Vermarkter, Verwerter oder wie Sie es auch immer nennen wollen, können Ausgleichsvereinigungen bilden und die Aufbringung der Mittel für die Künstlersozialabgabe anders regeln, als dies im Gesetzentwurf vorgesehen ist. Der Bundesminister für Arbeit kann durch die Festsetzung eines differenzierten Erhebtingssatzes unterschiedlichen Verhältnissen in einzelnen Sparten Rechnung tragen. Das Gesetz enthält ferner präzise Bestimmungen für jene Künstler und Publizisten, die sich von der Kranken- und von der Rentenversicherungspflicht befreien lassen wollen, und es trägt mit sehr klaren Übergangs- und Schlußvorschriften der Tatsache Rechnung, daß wir uns mit diesem Gesetz auf gesetzgeberisches Neuland begeben.
Es hat zudem — auch das sei angemerkt — schon jetzt, lange ehe es in Kraft ist, Wirkung gezeitigt. So haben die Galeristen bereits im Vorgriff auf § 32 des Künstlersozialversicherungsgesetzes eine Ausgleichsvereinigung gegründet.
Wir registrieren, Herr Cronenberg, mit Dankbarkeit diesen Schritt — wir haben ja auch lange gerungen, um eine solche Ausgleichsvereinigung möglich zu machen —, der ganz gewiß schwierig war, zugleich aber auch gezeigt hat, daß das KSVG — so würden die Beamten es künftig nennen: das Künstlersozialversicherungsgesetz — elastisch genug ist, den verschiedenen Situationen in den einzelnen Sparten der Vermarktung gerecht zu werden. Man kann nur hoffen, daß das Signal, das der Kunsthandel gesetzt hat, Nachahmer in anderen Branchen und Bereichen findet.
Meine Fraktion wird im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung erneut empfehlen, daß die Bundesregierung nach einer angemessenen Zeit über die Erfahrungen mit dem Künstlersozialversicherungsgesetz Bericht erstattet. Dies erscheint uns schon deshalb selbstverständlich, weil sich nur in der Praxis erweisen kann, welche Veränderungen zu einem umfassenden Schutz der selbständigen Künstler und Publizisten im Krankheitsfall und im Alter eventuell noch nötig sein könnten.
Im übrigen gehen wir davon aus, daß dieser Gesetzentwurf, der haargenau den Erkenntnisstand der 8. Legislaturperiode widerspiegelt, im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung zügig gelesen, in den mitberatenden Ausschüssen zügig behandelt und im Plenum dieses 9. Deutschen Bundestages in einer sehr nahen Zukunft in zweiter und dritter Lesung verabschiedet wird — wie ich hoffe, einvernehmlich, denn auch Sie können ja zulernen — und dann bald Gesetzeswirklichkeit wird.
Wir gehen nämlich davon aus, daß die Opposition ihre ideologischen Bedenken und Verkrampftheiten überwindet und sich vorurteilsfrei und sachgerecht am Gesetzgebungsverfahren beteiligt.
— Sie sehen, meine Kollegen hoffen mit mir. — Wenn Sie dazu bereit und fähig sind, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, dann werden Sie in Zukunft sicher auch von ein paar Schlagworten Abstand nehmen, die in der Vergangenheit Ihre Schau der Dinge verfinstert haben. Sie werden dann nicht mehr behaupten, daß die Sozialversicherungspflicht dem Wesen der Kunst und der Person des Künstlers zuwiderlaufe. Als ob die Kunst nur in Armut und Not gedeihen würde! Der Geheimrat von Goethe — ein Beamter, wenn Sie so wollen — ist der sprechendste Gegenbeweis dafür: Gesichert sein ganzes Leben hindurch und im wackeren Wohlstand hausend, hat er gleichwohl Unvergleichliches und Hinreißendes geschaffen. •
Nein, ein Volk, das sich seiner Dichter und Denker rühmt, hat sich auch um sie zu kümmern
und dafür Sorge zu tragen, daß sie sich unter zumutbaren Bedingungen einen Freiraum für ihr künstlerisches Wirken schaffen können.
Etwas von diesem Freiraum schafft dieses Gesetz. Das müßte eigentlich auch Ihnen zu vermitteln sein. Ich bitte darum.