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ID0900702000

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    Plenarprotokoll. 9/7 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 7. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 27. November 1980 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 167 C Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Kiep CDU/CSU 129A Roth SPD 136 B Dr. Haussmann FDP 142 D Dr. Graf Lambsdorff, Bundesminister BMWi 145 C Dr. Stoltenberg, Ministerpräsident des Lan- des Schleswig-Holstein 150 C, 174 B Westphal SPD 159 B Frau Matthäus-Maier FDP 164 D Matthöfer, Bundesminister BMF . . . 168A Dr. Blüm CDU/CSU 175 C Rohde SPD 183A Cronenberg FDP 189A Dr. Ehrenberg, Bundesminister BMA . . 193 D Frau Dr. Wex CDU/CSU 197 D Kuhlwein SPD 202 D Frau Dr. Adam-Schwaetzer FDP . . . 207 B Frau Huber, Bundesminister BMJFG . 210A Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP KIM Dae-Jung — Drucksache 9/28 — 167 D Nächste Sitzung 213 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 215*A Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 7. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1980 129 7. Sitzung Bonn, den 27. November 1980 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. van Aerssen 28. 11. Dr. Ahrens * 28. 11. Dr. Barzel 28.11. Büchner (Speyer) * 27. 11. Handlos 28. 11. Höffkes 28. 11. Frau Hürland 28. 11. Kunz (Berlin) 28. 11. Landré 28. 11. Mahne 28. 11. Dr. Mertens (Bottrop) 28. 11. Pawelczyk 28.11. Picard 28.11. Rappe (Hildesheim) 28. 11. Rayer 28. 11. Reddemann * 27. 11. Schmidt (Wattenscheid) 28. 11. Spilker 28. 11. Dr. Steger 28. 11. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
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    Rede von Dr. Graf Otto Lambsdorff


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Es recht zu machen jedermann, ist eine Kunst, die niemand kann, sagt ein deutsches Sprichwort. Gestern habe ich aus der Feder des Vorsitzenden der Jungsozialisten in der Zeitung gelesen: Die die Wirtschaftspolitik betreffenden Teile der Regierungserklärung sehen so aus, als seien sie von Lambsdorff diktiert worden. Heute höre ich von dem Kollegen Kiep: Wir hätten uns etwas mehr von Ihrer Handschrift gewünscht.
    Verständigen wir uns doch bitte darauf: Dies ist nicht die Regierungserklärung des einen oder des anderen Ministers. Dies ist die Regierungserklärung der Koalitionsregierung Schmidt/Genscher. Dabei bleibt es. Und die trägt gemeinsam die Verantwortung.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Nun ist jedermann aus der Diskussion der letzten Wochen im Land doch wohl klar geworden, daß mit überspannten Erwartungen über große Zukunftsgemälde, insbesondere erfreuliche und Erleichterungen verheißende Zukunftsgemälde, nicht gerechnet werden konnte. Was kann man erwarten von einer Regierungserklärung in einer Situation, in der es nicht mehr sehr viel zu verteilen gibt? Wir stimmen doch überein, daß die Wachstumsspielräume in den nächsten Jahren begrenzt sind. Wir wissen doch, daß die deutsche Wirtschaft unter einem starken strukturellen Anpassungszwang steht. Dennoch habe ich — lassen Sie mich das persönlich sagen — den Eindruck, daß die Erwartungshorizonte bei uns im Land und auch hier im Haus teilweise immer noch zu hoch sind.

    (von der Heydt Freiherr von Massenbach [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

    Auch der Kollege Kohl hat gestern von sehr wünschenswerten — ich möchte das dreimal dick unterstreichen — Dingen wie Erziehungsgeld, Partnerschaftsrente und Mutterschaftsgeld für die nicht berufstätige Frau gesprochen. Wir diskutieren über die 70prozentige Rentengarantie. Ich unterstreiche noch einmal: Alles sehr wünschenswert. Aber erlauben Sie meinen persönlichen Zweifel, daß dies alles, und dann noch in kurzer Frist, möglich sein wird. Ich glaube dies nicht.
    Wenn ich dann noch hinzurechne, Herr Kiep, daß Sie mit vollem Recht auf die internationalen Anforderungen hingewiesen haben, die unseren Spielraum weiter beengen, dann sage ich: Wir müssen immer noch ein Stück von unseren Erwartungen runterkommen.
    Die Regierungserklärung hat versucht, die Erwartungshorizonte herunterzuziehen. Sie hat klargemacht, daß im Vergleich zu 1978 im Jahr 1981 wegen der Ölrechnung 30. Milliarden DM weniger Kauf-



    Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff
    kraft in diesem Land zur Verfügung stehen, die binnenwirtschaftlich durch nichts ersetzt werden können.
    Diese Aufklärung muß fortgesetzt werden. Diese Überzeugungsarbeit müssen wir alle leisten. Ich glaube, auch die Opposition sollte sich — ich begrüße, was Herr Kiep dazu gesagt hat — dem nicht verschließen.

    (Beifall bei der FDP)

    Im übrigen frage ich mich, wie wohl das Presseecho gewesen wäre, wenn der Bundeskanzler der Welt eine Regierungserklärung ohne dieses Maß von Skepsis geliefert hätte. Von „Traumtänzer" bis zu „Leichtfertigkeit" hätten die Überschriften dann gelautet.

    (Beifall bei der FDP und der SPD — von der Heydt Freiherr von Massenbach [CDU/ CSU]: Wenn er es nur auch vor der Wahl gemacht hätte!)

    Und nun sage ich an die Adresse der Kollegen Kohl und Gansel: Es stimmt nicht, daß wir dies vor der Wahl alles verschwiegen hätten.

    (Beifall bei der FDP und der SPD — von der Heydt Freiherr von Massenbach [CDU/ CSU]: Na, na, na!)

    Ich habe persönlich in der ersten großen Fernsehdiskussion in einer Schlußbemerkung gesagt: Wir werden es als eine große Leistung feiern können, wenn die Bundesrepublik Deutschland in ihrer wirtschaftlichen und sozialen Situation am Ende der jetzt beginnenden Legislaturperiode, für die wir Wahlkampf führen, so dastehen wird, wie im Jahr 1980. Mehr ist nicht drin.

    (Beifall bei der FDP — von der Heydt Freiherr von Massenbach [CDU/CSU]: Aber der Herr Matthöfer!)

    Und ich sage auch hier, auch wenn das unpopulär ist: Die Zeiten, in denen man immer weniger arbeiten und gleichzeitig immer mehr verdienen konnte, sind für eine Weile vorbei. Es geht nicht mehr. Ich habe es auf jedem Marktplatz gesagt, auf dem ich gesprochen habe.

    (Beifall bei der FDP)

    Deswegen lasse ich mir nicht nachsagen, wir hätten diese Wahrheiten verschwiegen.
    Wir brauchen dafür Beharrlichkeit und Leistungswillen; keineswegs Resignation. Wir alle müssen unsere Leistungsfähigkeit unter Beweis stellen. Gerade deswegen ist es notwendig, von Mut zur Zukunft zu sprechen — nicht im Sinne von „Blut, Schweiß und Tränen", aber wohl im Sinne von etwas mehr Bescheidenheit, von etwas mehr Anstrengung aller. Ist es denn so schlimm, wenn man den Gürtel ein Loch enger schnallen muß? Ich weiß nicht, ob die mir zuteil gewordene medizinische Auskunft richtig ist, daß die weitestverbreitete Gesundheitsstörung in der Bundesrepublik Übergewicht ist.

    (Heiterkeit — Zurufe der Abg. Roth [SPD] und Dr. Waigel [CDU/CSU])

    — Ich schließe mich ein, Herr Waigel.
    Meine Damen und Herren, die Schwierigkeiten, vor denen die Wirtschaft heute steht, sind erheblich; das wissen wir. Vor 35 Jahren war unsere Aufgabe. Aufbau aus dem Nichts. Heute geht es „nur" darum, den Hochleistungsproduktionsapparat in Teilbereichen auf die Anforderungen der 80er Jahre umzurüsten. Das ist Strukturwandel. Der ist schwierig genug. Er stellt die Herausforderungen, die Herr Kollege Haussmann genannt hat. Wir müssen seine Notwendigkeit den Menschen im Lande erklären.
    Aber wir brauchen — das sage ich an die Opposition, indem ich den Sachverständigenrat zitiere — nicht die Hypothek einer gescheiterten Wirtschaftspolitik abzufragen. So wörtlich der Sachverständigenrat in seinem Gutachten dieses Jahres.

    (Beifall bei der FDP)

    Wir haben damals auf die Marktkräfte gesetzt. Das war die entscheidende ordnungspolitische Grundorientierung. Diese Marktkräfte haben sich als außerordentlich wirksam erwiesen. Ich plädiere dafür, daß wir uns den Herausforderungen der 80er Jahre mit denselben Prinzipien stellen, wie wir es vor 35 Jahren getan haben.
    Hier, Herr Kiep, sind wir selbstverständlich gern bereit, die ordnungspolitische Debatte mit Ihnen genauso weiterzuführen, wie wir sie mit Ihren Vorgängern, vor allem — Herr Roth hat es schon erwähnt — mit Herrn Biedenkopf, geführt haben. Sie werden sich auch sehr bald in der Situation befinden, wie wir es bei Herrn Biedenkopf häufig erlebt haben: daß die Diagnose einfach ist und die Therapie und ihre Anwendung hinterher Kompromisse notwendig machten.
    Aber ich bin sehr einverstanden, wenn hier zum erstenmal seit langer Zeit aus den Reihen der Opposition wieder Wilhelm Röpke mit „Jenseits von Angebot und Nachfrage" zitiert wird, der für mich der Schlüssel zum politischen Verständnis sozial verpflichteter Marktwirtschaft gewesen ist. Wenn ich nun allerdings sehe, meine Damen und Herren — ich sage das nicht vorwurfsvoll; das ist aus der Ferne, wenn der Kontrahent nicht dabei ist, nicht in Ordnung —, wie z. B. Ihre Fraktion und Ihre Partei mit den wohnungspolitischen Anregungen von Herrn Biedenkopf vor zwei Jahren umgesprungen ist, dann muß ich sagen: Nichts ist übriggeblieben! Oder welche Positionen in Sachen Kohle und Stahl er heute im Landtag von Nordrhein-Westfalen einnimmt! Ich werfe ihm die Kompromisse nicht vor. Aber die reine Ordnungspolitik allein macht die Politik eben nicht aus. Ich wäre der letzte, Herr Kiep, der meinem verehrten Vorgänger Karl Schiller etwa vorwerfen wollte, er habe kein ordnungspolitisches Rückgrat gehabt. Nur nehme ich zur Kenntnis, daß bei Ihnen immer die Wirtschaftsminister in Ordnung sind, die zurückgetreten sind. Ich werde Ihnen aber den Beweis hierfür nicht so schnell liefern; keine Sorge!

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Ich schließe mich der Aufforderung des Kollegen Haussmann an, Herr Kiep: Bleiben Sie ein bißchen länger hier als Ihre Vorgänger! Ihr Vergleich mit dem Hafenviertel, Herr Kiep, und der Sittenstrenge



    Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff
    macht mich natürlich sehr bedenklich: daß Sie Ihre einschlägigen Kenntnisse für Hamburg schon jetzt an diesem Podium zitieren wollen.

    (Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der SPD)

    Meine Damen und Herren, Innovation und Wettbewerb, so hat es der Bundeskanzler in der Regierungserklärung gesagt, sind auch in diesem Jahrzehnt unsere große Chance. Das ist gemeinsamer Grundkonsens der sozialliberalen Koalition. Wir brauchen nicht in Resignation und Pessimismus zu verfallen. Wir können mit Zuversicht nach vorn blikken. Wir müssen nur das dynamische Potential in unserer nach wie vor leistungsfähigen deutschen Wirtschaft - bei Arbeitnehmern und Unternehmern — nutzen und nicht behindern.
    Ja, es geht um die Bewältigung der Leistungsbi- lanzprobleme. Zuerst ist doch das Leistungsbilanzdefizit durch die hohe Ölrechnung entstanden, d. h. die Antwort muß auch in der Energiepolitik in erster Linie das „weg vom Öl" sein.
    Ich sage auch hier meine klare Position, die ich immer ausgesprochen habe: daß es ohne die friedliche Nutzung der Kernenergie nicht zu schaffen sein wird.

    (Beifall bei der FDP — Zuruf von der CDU/CSU)

    Wir werden in absehbarer Zeit wieder eine energiepolitische Diskussion führen. Ich bin mit Herrn Roth und im übrigen auch mit dem Bundesinnenminister völlig einig — hier, Herr Kiep, gibt es keine Meinungsverschiedenheiten —, daß die Sicherheitsfragen vor Wirtschaftlichkeit gehen, daß es aber notwendig ist, wie wir es in der Regierungserklärung gesagt haben, die Genehmigungsverfahren daraufhin zu untersuchen, ob sie ohne jede Einbuße an notwendiger Sicherheit beschleunigt werden können.
    Zweitens, meine Damen und Herren: Es ist natürlich notwendig, daß wir in der internationalen Wettbewerbsfähigkeit über die Handelsbilanz, über Erfolge im Export zum Abbau des Leistungsbilanzdefizits beitragen. Es ist richtig, daß es um die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit geht. Es geht aber ganz besonders um den Erhalt eines hohen Beschäftigungsstandes. Hier sollten wir daran erinnern — Herr Kollege Roth, ich füge das dem hinzu, was Sie gesagt haben —: Es geht nicht nur um die Erhaltung der vorhandenen Arbeitsplätze, sondern auch — stärkere Jahrgänge drängen auf den Arbeitsmarkt — um die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Deshalb ist in meinen Augen die Devise nicht die Umverteilung vorhandener Arbeit — .das ist ein defensives Rezept —, sondern die Schaffung neuer Arbeitsplätze durch Strukturwandel, durch Innovation.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und bei Abgeordneten der SPD)

    Wir müssen offensiv und nicht defensiv antworten. Damit lösen wir die Probleme der 80er Jahre nicht.
    Die Bewältigung dieser Anpassung ist aber in erster Linie eine Aufgabe der Wirtschaft selbst. Ihre
    Innovation, ihr Erfindergeist ist gefragt, nicht der Ruf nach dem Staat.

    (Kolb [CDU/CSU]: Nur darf man sie vorher nicht strangulieren!)

    Investitionsbereitschaft und Erneuerung, meine Damen und Herren, ist die Devise. Ich behaupte: Wenn wir unsere Probleme meistern wollen, dann müssen die 80er Jahre ein Jahrzehnt der Investitionen und nicht in erster Linie ein Jahrzehnt des Konsums sein.

    (von der Heydt Freiherr von Massenbach [CDU/CSU] und Dr. Sprung [CDU/CSU]: Richtig!)

    Gerade den kleinen und mittleren Unternehmen — ich stimme dem voll zu, was der Kollege Haussmann dazu gesagt hat — bieten sich hier Chancen.
    Die Aufgabe der Wirtschaftspolitik: Sie hat die Aufgabe, die Wirtschaft in ihrem Bemühen zur Bewältigung dieses Wandels zu unterstützen. Das bedeutet in der Marktwirtschaft: nicht ständiges Hineinreden in Unternehmensentscheidungen, sondern die Setzung günstiger wachstumspolitischer Rahmenbedingungen — dies haben wir in den vergangenen Jahren zunehmend getan —, d. h. konkret: Erhaltung eines funktionsfähigen Wettbewerbes. Es ist richtig, Herr Kiep, daß Marktwirtschaft und liberale Wirtschaftspolitik, insbesondere bei der Aufrechterhaltung des Wettbewerbs, einen starken Staat benötigen und nicht den Nachtwächterstaat, den uns manche nachsagen wollen.
    Das bedeutet die Absage an den Protektionismus und die Öffnung der Märkte. Wir werden die Unterstützung auch der Opposition brauchen. Nach einer Diskussion, die ich vor zwei Tagen im Ministerrat der Europäischen Gemeinschaft über das Problem Japan—EG geführt habe, sage ich: Wir werden die Unterstützung aller in diesem Hause brauchen, wenn wir in der Welt gegen Protektionismus und für offene Märkte — auch im Interesse der Dritten und Vierten Welt — erfolgreich streiten wollen. Hier deckt sich doch das Interesse der Dritten und Vierten Welt mit unserem: Unser Exportanteil am Bruttosozialprodukt beträgt 26 %. Kein Industrieland der Welt ist so abhängig vom Export, so abhängig von offenen Märkten, muß sosehr darum bemüht sein, daß protektionistische Maßnahmen unsererseits nicht zur Vergeltung von anderer Seite führen. Es ist das gemeinsame Interesse aller in diesem Lande Lebenden, für offene Märkte zu sorgen.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und bei Abgeordneten der SPD)

    Und schließlich: Wir werden unsere Probleme bewältigen. Aber wir müssen, um unsere Probleme zu bewältigen, Investitionshemmnisse abbauen. Es ist der reine Zufall, meine Damen und Herren — es ist . keine geheime Verschwörung —, daß der Sachverständigenrat für den Abbau von Investitionshemmnissen exakt dieselben Problemfelder aufzeigt, wie sie in der Regierungserklärung enthalten sind und wie ich sie in den letzten Wochen immer wieder vorgetragen habe.



    Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff
    Dazu gehört z. B. — ich will das kurzmachen — die Kommunikationstechnik. Es ist völlig klar, daß im Zusammenhang mit der Kommunikationstechnik und der Verwendung der auf diese Weise entstehenden Möglichkeiten die bildungspolitische, pädagogische, medienpolitische Debatte geführt werden muß. Die Bundesregierung stellt sich dieser Diskussion. Das, worum es uns jetzt geht, sind die Investitionsmöglichkeiten und danach die Möglichkeiten der industriellen Nutzung neuer Netze. Und, meine Damen und Herren: Hier geht es um eine Technologie, die neue, hochqualifizierte Arbeitsplätze schafft. Es geht um Produktivität und Wettbewerb. Es handelt sich exakt um das, was der Kollege Willy Brandt gestern gefordert hat, nämlich um eine umweltfreundliche Produktion.

    (Vorsitz: Vizepräsident-Frau Renger)

    Es geht auch um den Wohnungsbau. Nach wie vor sind die Hemmnisse erheblich. Aber ich denke, die Beschlüsse, die jetzt gefaßt worden sind, sind — nach 60 Jahren administrierter Wohnungswirtschaft
    — wichtige Schritte in die richtige Richtung.

    (Dr. Jahn [Münster] [CDU/CSU]: Daran glauben Sie ja selbst nicht!)

    — Doch, ich glaube sehr wohl daran, Herr Jahn. Ich glaube sehr wohl daran, daß das die ersten richtigen Schritte sind. — Wohin müssen diese Schritte zielen? Wenn wir mehr Geschoßwohnungsbau, also Mietwohnungsbau, in der Bundesrepublik wollen — niemand bestreitet, daß das notwendig ist —, dann brauchen wir dafür Geld. Die öffentliche Hand hat dieses Geld nicht. Also müssen wir privates Geld zum Investieren bringen.

    (Dr. Jahn [Münster] [CDU/CSU]: Das brauchen Sie uns nicht zu sagen!)

    — Das muß ich Ihnen sehr wohl nach der Diskussion sagen, die Sie vor zwei Jahren in Ihrer Partei geführt haben und in der Sie die Anregungen — ich habe es schon erwähnt — von Herrn Biedenkopf abgewürgt haben.
    Ich bin dem Koalitionspartner — ich sage das offen — dankbar, daß er in einigen dieser Fragen über seinen Schatten gesprungen. ist und einsieht, daß nur ein vermehrtes Wohnungsangebot auf Dauer dazu führen kann, daß kein Wohnungsmangel eintritt und daß man hoffentlich auch einmal wieder zu besseren Konditionen Wohnungen in der Bundesrepublik Deutschland findet. Man muß die öffentlichen Mittel auf den Bereich konzentrieren, der es wirklich aus sozialen und einkommensmäßigen Gründen nötig hat. Heute sitzen, wie wir alle wissen, die falschen Leute in Wohnungen, in die sie nicht hineingehören.

    (Beifall bei der FDP)

    Der dritte Punkt bei den Investitionshemmnissen ist mit dem Stichwort Kraftwerksbau nicht genügend umschrieben. Es geht nicht etwa - um diesem Mißverständnis vorzubeugen — ausschließlich um Kernkraftwerke, aber es geht auch nicht nur um Kraftwerke. Es geht vielmehr um industrielle Anlagen in der Bundesrepublik Deutschland. Wenn wir unseren Beschäftigungsstand halten wollen, wenn
    wir akzeptieren — und ich denke, dies haben wir zu akzeptieren, es sei denn, wir wollten völlig andere Lebensverhältnisse bei uns einführen —, daß dies ein auf industrieller Produktion und industriellem Ertrag beruhendes Land mit seiner Volkswirtschaft und seinem Sozialsystem ist, dann muß es natürlich auch möglich sein, dafür Standorte zu finden.
    Meine Damen und Herren, ich muß Ihnen ganz offen sagen, daß es den Wirtschaftsminister besorgt stimmt, wenn er z. B. hört, daß eine große Mineralölgesellschaft, die die Absicht hatte, eine Milliarde DM in eine Kohleveredelungsanlage in Norddeutschland zu investieren — ohne öffentliche Zuschüsse —, wegen Schwierigkeiten im Genehmigungsverfahren diese Investition nach Rotterdam verlegt. Ich habe an dieser Stelle mehrfach gesagt, daß der Streit über Kohleveredelungsanlagen und darüber, wer die erste wird bauen dürfen und wer die ersten öffentlichen Unterstützungen erhält, danach beantwortet werden wird, wer den ersten dafür geeigneten Standort anbietet. Ich sehe, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratischen Partei, mit Interesse — ich habe es nicht anders erwartet; ich kritisiere es noch nicht einmal — die lebhafte Diskussion innerhalb Ihrer Partei in Nordrhein-Westfalen über die Frage, wo denn diese Anlagen eigentlich hinkommen können. Ich verstehe das sehr wohl. Eine Kohleveredelungsanlage entspricht vier Kohlekraftwerken, was die Umweltbelastung anlangt. Aber wir müssen diese Fragen lösen. Wir müssen sie in vernünftigen, ausgewogenen Kompromissen lösen, die für alle Seiten tragbar sind.
    Wir müssen auch wissen, meine Damen und Herren, daß Beschäftigung durch Investitionen gesichert werden muß und daß für Investitionen Energiekosten eine entscheidende Rolle spielen. Ich sehe mit Interesse, daß unser Nachbarland Frankreich in Südwestdeutschland mit dem Argument um die Ansiedlung deutscher Unternehmen in Frankreich, auf der anderen Seite des Rheins, wirbt, daß langfristig die Energiekosten in Frankreich günstiger sein könnten als bei uns.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

    Ich sehe mit ebensolchem Interesse, welche Vorschläge der Dortmunder Oberbürgermeister zur Behebung der Probleme in seinem Raum in den letzten Tagen gemacht hat. Fazit: Wir haben mit großer Aufmerksamkeit die Anregungen zur Kenntnis genommen, so etwas wie ein Zukunftsinvestitionsprogramm II — übrigens ist diese Forderung ein Kompliment für das Zukunftsinvestitionsprogramm I; ich teile das —

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    auf die Beine zu stellen. Aber ich sage Ihnen: in den drei Bereichen, die ich hier genannt habe, steckt im Vergleich zu jedem aus öffentlichen Haushalten finanzierbaren Investitionsprogramm ein Vielfaches an Investitionspotential. Ich schätze es auf viele Milliarden DM.
    Gewiß gehört zu den Rahmenbedingungen auch das Verhalten der Tarifpartner. Mitverantwortung — nichts von Privatisierung, Herr Roth; die kann es nicht geben; da sind wir völlig klar; Privatisierung



    Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff
    des Beschäftigungsrisikos ist nicht möglich — für Wirtschaftsentwicklung und Beschäftigung liegt bei allen. Darüber bestehen keine Meinungsverschiedenheiten. Sie bestehen — bei sorgfältigem Lesen — auch nicht zwischen den Mitgliedern des Sachverständigenrates, wie man es auf Grund des Minderheitenvotums von Professor Glastetter annehmen könnte. Auch er weist in seinem Minderheitenvotum darauf hin, daß der Verteilungsspielraum eingeengt ist und daß den Tarifparteien im Wirtschaftsgeschehen Mitverantwortung zukommt. Ich begrüße es, daß der Deutsche Gewerkschaftsbund dieses Sondervotum ausdrücklich gutgeheißen hat. Das ist eine Plattform, auf der man sich einander annähern kann.
    Es bestehen keine Gegensätze zwischen Sachverständigenrat, Bundesregierung und Gewerkschaften in dem einen entscheidenden Punkt. Alle müssen die Lasten der Ölrechnung und des Anpassungsdrucks gemeinsam und gerecht, füge ich hinzu, miteinander tragen. Anders geht es nicht. Das gilt auch
    — das sage ich an uns und auch hier an dieses Haus
    — für die Lohnnebenkosten. Jede weitere Belastung ist zur Zeit von Übel und muß aufs sorgfältigste bedacht werden, insbesondere wenn wir den internationalen Vergleich zwischen Lohnnebenkosten in unserem Lande und Lohnnebenkosten in anderen Ländern sehen.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Herr Kiep, hier brauche ich nicht zu wiederholen, was der Kollege Haussmann zur arbeitsrechtlichen Lösung der Lohnfortzahlung gesagt hat. Ich brauche nur noch hinzuzufügen, daß Sie diesem Gesetz in diesem Hause zugestimmt haben.

    (Beifall bei der FDP)

    Unabdingbar ist in den Augen der Bundesregierung eine stabilitätsorientierte Wirtschaftspolitik. Inflation löst überhaupt keines unserer Probleme. Im Gegenteil, sie schafft neue, und sie verschärft die alten. Deswegen werden sich Finanzpolitik und Geldpolitik auch in Zukunft um eine Stabilitätsorientierung so erfolgreich bemühen, wie das bisher der Fall gewesen ist. Die Finanzpolitik wird die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte — ich will dem Finanzminister und der späteren Debatte nichts vorwegnehmen — einleiten und als einen wichtigen Beitrag zur Stärkung des Vertrauens in den Staat anstreben. Andererseits gilt es natürlich, dabei zu vermeiden, daß rezessive Wirkungen durch kurzfristig überzogene Ausgabebeschränkungen entstehen. Es ist wichtig, daß wir im Jahr 1981, jetzt also, den Abbau des strukturellen Haushaltsdefizits in Angriff nehmen. Auch der Sachverständigenrat erkennt die vorgesehenen Maßnahmen der Bundesregierung als ersten Schritt in diese Richtung an.
    Ich glaube nicht, daß zur Überwindung der derzeitigen Schwierigkeiten die konjunkturelle Feinsteuerung im Sinne von Nachfragesteuerung geeignet sein könnte. Es handelt sich in allererster Linie um strukturelle Probleme. Statt dessen kommt es auf eine konsequente Fortsetzung der Politik zur Verbesserung der Wachstumsbedingungen an, um die
    unternehmerische Investitionsbereitschaft zu stärken, und dabei kommt der Förderung der mittelständischen Wirtschaft besondere Bedeutung zu. Auch eine solche Politik hat im übrigen derzeit durchaus erwünschte Nachfrageeffekte. Denken Sie an das Steuerpaket, das jetzt in Kraft tritt, das bereits ab 1980 sowohl konjunkturstützend als auch leistungssteigernd wirken wird. Nur darf ich um eines bitten, was auch gestern in der Debatte hier — ich glaube von Herrn Kohl — wieder vorgetragen wurde. In keinem auf Progression aufgebauten Steuersystem — das wollen wir wohl alle, das werden wir nie ändern — wird es bei der Lohn- und Einkommensteuer anders sein, als daß Einmal-Zahlungen bei jährlicher Einkommensberechnung einem besonders hohen Zugriff unterliegen. Es ist Irreführung der Öffentlichkeit, so zu tun, als ob der Steuersatz bei der Weihnachtszahlung oder beim Urlaubsgeld, der einmal im Jahr von oben her draufgerechnet werden muß, als ob diese Progressionswirkung in Wahrheit die Durchschnittsbelastung der Bürger in unserem Lande wäre.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD — Pieroth [CDU/CSU]: Nur da merkt man es!)

    Für Expansionsprogramme der Finanzpolitik, die über das hinausgehen, was ich hier gesagt habe, besteht in meinen Augen kein Raum. Die nachfrageorientierte Globalsteuerung ist zur Zeit nicht angezeigt. Zusätzliche Maßnahmen würden die Staatsverschuldung drastisch erhöhen und sich lähmend auf die Investitionsneigung auswirken. Ich möchte versuchen, dies noch einmal deutlich zu machen. Eine Rieseninvestitionsankündigung der öffentlichen Hand auf einem bestimmten Gebiet, insbesondere wenn es über den Straßenbau und die öffentliche Infrastruktur hinausgeht, muß doch beim privaten Investor zu der Schlußfolgerung führen, daß er sich einem solchen Wettbewerb mit nahezu unbegrenzten Finanzmitteln nicht stellen kann; sie muß doch dazu führen, daß er dann seine Investitonsbereitschaft zurückstellt. Deswegen haben Ankündigungen öffentlicher Investitionen, wenn sie nicht ganz sorgfältig überlegt sind, kontraproduzente Wirkung. Kennzeichnend für die Wirtschaftsprobleme heute sind strukturelle Verzerrungen, und staatliche Ausgabenprogramme können dem gar nicht Rechnung tragen; sie würden die Inflation in meinen Augen befördern.
    Meine Damen und Herren, wenn ich gesagt habe, Finanz- und Geldpolitik müssen dem Rechnung tragen, dann ist es natürlich so, daß die Geldpolitik am Ziel der Geldwertstabilität ausgerichtet bleiben muß. Sie müssen gleichzeitzig — und das ist doch ihre Schwierigkeit — heute den Wachstumskräften der Wirtschaft hinreichenden monetären Spielraum einräumen.
    Heute tagt der Zentralbankrat der Deutschen Bundesbank und wird das Geldmengenziel für 1981 festsetzen. Wir begrüßen, daß er diese Absicht hat. Wir kennen das Ergebnis noch nicht. Aber im Sinne einer Verstetigung der Politik, einer Verläßlichkeit der Daten ist es notwendig und sinnvoll, auch für das nächste Jahr ein Geldmengenziel zu bekommen,



    Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff
    ohne daß wir deswegen, Herr Kollege Roth, nun in den vollen Monetarismus verfallen würden.
    Lassen Sie mich bei der Gelegenheit — ich weiß nicht, ob Herr Gansel im Hause ist — ein Wort sagen: Ich las heute in der Zeitung ein Interview des Herrn Gansel. Er sagte dort, die „Chicago-Boys aus dem Hause Lambsdorff" dürften nicht die Oberhand gewinnen. Ich weiß, was damit gemeint ist, meine Damen und Herren, aber vielleicht empfiehlt sich ein etwas pfleglicherer Umgang mit den Mitarbeitern des Bundeswirtschaftsministeriums in öffentlichen Äußerungen. Attackieren Sie bitte mich, aber nicht die Beamten des Hauses!

    (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, die Verfolgung eines solchen potentialorientierten Kurses erfordert angesichts der derzeitigen außenwirtschaftlich stark begrenzten Handlungsräume eine schwierige Gratwanderung der Deutschen Bundesbank zwischen binnen- und außenwirtschaftlichen Erfordernissen.
    Herr Kohl hat gestern hier formuliert: „Die Hochzinspolitik, mit der wir uns gegenwärtig ausländisches Geld besorgen". Meine Damen und Herren, binnenwirtschaftlich ist das eine Hochzinspolitik; außenwirtschatftlich haben wir immer noch niedrige Zinssätze. Die Prime-Rate in New York ist gestern auf 17 % heraufgegangen.

    (Pieroth [CDU/CSU]: Aber doch nicht real!)

    Und eben deswegen ist ja die Bundesbank gezwungen, ihre Zinsen hochzuhalten, um noch stärkere Kapitalabflüsse und damit eine weitere Belastung der Leistungsbilanz zu verhindern. — Wenn Sie, Herr Pieroth, dazwischenrufen: „Nicht real", dann ist das zwar richtig. Der Realzins bei uns ist hoch.

    (Pieroth [CDU/CSU]: Darauf kommt es aber an!)

    — Nein, das hilft eben überhaupt nichts in einer Zeit, in der die Aufwertungserwartung für andere Währungen zu dem hohen Zinssatz gegenüber der D-Mark noch hinzukommt. Wir stecken in der Tat in einer mißlichen Situation. Wir können nur hoffen — ich bin im Grunde davon auch überzeugt, aber in diesen Fragen sollte man sich nur sehr vorsichtig äußern —, daß die Fundamentalfaktoren der deutschen Währung, nämlich unsere stabilitätspolitischen Vorzüge gegenüber anderen Währungen, sich auch in der Bewertung der Wechselkurse in absehbarer Zeit wieder bemerkbar und fühlbar machen werden.
    Meine Damen und Herren, ich möchte dem, was der Kollege Haussmann zum sozialen Grundkonsens gesagt hat, nicht viel hinzufügen. Die Bundesregierung ist fest davon überzeugt, daß sozialer Grundkonsens notwendig ist und eine der Grundlagen für unseren wirtschaftlichen Erfolg in der Vergangenheit, eine der Voraussetzungen für die Lösung der wirtschaftlichen Probleme der Zukunft ist. Das hindert mich nicht — Sie wissen das, und ich weiß, daß das nicht jedem im Hause gefällt —, gelegentlich auch ein offenes Wort an die gesellschaftlichen Gruppen zu richten — wie mancher meint, ein zu offenes Wort. Sie können sich darauf verlassen: nicht nur in einer Richtung, in beiden Richtungen. In einem pluralistischen Staat muß die Entscheidung letztendlich bei den gewählten Vertretern und bei der gewählten Regierung bleiben. Das zweifelt niemand an. Es darf aber auch kein anderer Eindruck entstehen. Für diese Politik stehen wir.
    Ich sage noch einmal: Es besteht kein Anlaß zu Pessimismus. Es besteht kein Anlaß zur Resignation. Wenn ein Land in der Lage sein sollte, auch unter den schwierigen Gegebenheiten der 80er Jahre seine Probleme zu lösen, zur Lösung weltwirtschaftlicher Probleme beizutragen, welche Volkswirtschaft um alles in der Welt sollte es denn schaffen können, wenn die unsere es nicht kann! Ich bin zuversichtlich. Die Bundesregierung ist zuversichtlich. Wir bitten dafür um die Unterstützung dieses Hauses in den nächsten vier Jahren. — Vielen Dank.

    (Lebhafter Beifall bei der FDP und der SPD)



Rede von Dr. Annemarie Renger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Ministerpräsident Dr. Stoltenberg.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von: Unbekanntinfo_outline


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: ()
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: ()

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In einer konfliktreichen Zeit — unter dem Vorzeichen vieler aktueller Enttäuschungen und Erschütterungen — ist die Verantwortung des Gesamtstaates besonders gefordert. So hat auch- der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung die Bundesländer und die Verfassungsorgane wie den Bundesrat mehrfach angesprochen. Die zentralen Themen der Innenpolitik berühren Bund und Länder sowie auch die kommunale Selbstverwaltung gemeinsam. Deshalb ist es von großer Bedeutung, wie sich die Beziehungen dieser drei Ebenen politischen und staatlichen Handelns in Zukunft entwickeln. Reibungspunkte und Spannungen sind auch hier ohne Zweifel in letzter Zeit größer geworden. Zugleich gilt aber nach meiner Überzeugung — auch im Rückblick auf die letzte Wahlperiode —: unsere bundesstaatliche Verfassung hat trotz mancher Konflikte und Verspannungen ihre Funktionsfähigkeit voll bewiesen.
    Auch die Bilanz der Tätigkeit des Bundesrates in den vergangenen Jahren beweist das. Seine Debatten und seine Entscheidungen waren durch Augenmaß, durch den Willen zur Zusammenarbeit, durch die Bereitschaft zum Kompromiß in der Gesetzgebung bestimmt. Dabei ist — ich sage das im Hinblick auf eine besonders kritische Passage des Bundeskanzlers an die unionsgeführten Länder hier noch einmal, was im Grunde eine bare Selbstverständlichkeit ist — vollkommen klar, daß neben der Vertretung der besonderen Interessen der Einzelländer auch politische Überzeugungen zum Tragen kommen, wenn wir an der Bundesgesetzgebung mitwirken. Auch wir, die Regierungen der Länder, haben unser Mandat auf Grund von demokratischen Wahlen. Wir liefern unsere politischen Grundwerte und Überzeugungen nicht an der Garderobe ab, wenn



    Ministerpräsident Dr. Stoltenberg (Schleswig-Holstein) wir in dieses Hohe Haus gehen, um dort im anderen Flügel abzustimmen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Das gilt für die sozialdemokratisch geführten Bundesländer — auch in der öffentlichen Begründung ihres Handelns — genauso wie für die unionsgeführten Länder.
    Aber ich will hier noch einmal unterstreichen, weil es eine Rolle spielte: das Handeln war auch in den schweren Konflikten der jüngsten Zeit durch Augenmaß bestimmt. Dazu nur für die letzte Wahlperiode zwei, drei Zahlen. Von insgesamt 485 Gesetzentwürfen, die in den verflossenen vier Jahren den Bundesrat beschäftigt haben — im wesentlichen natürlich Entwürfe der Bundesregierung und der Koalition —, sind ganze 14 an seiner Ablehnung gescheitert. 14 von 485! Meine sehr verehrten Damen und Herren von den Koalitionsparteien, die Zahl der Gesetzentwürfe, die in den Ausschüssen dieses Hohen Hauses liegengeblieben sind, ist wesentlich größer als die der Gesetzentwürfe, die im Bundesrat abgelehnt wurden.

    (Beifall bei der CDU/CSU) Das gilt auch für die Regierungsvorlagen.

    Nun ist unverkennbar, daß wir gegen Schluß der letzten Wahlperiode erhebliche Konflikte hatten, vor allem durch die Ablehnung sieben kostspieliger und sehr komplizierter Gesetzesbeschlüsse des Bundestages, die Milliarden Mehrausgaben vor allem für Länder und Gemeinden, aber auch für den Bund gebracht hätten. Ich nenne hier noch einmal die Stichworte für die drei wichtigsten Beispiele: Verkehrslärmschutz, Jugendhilfe und eine weitere Stufe des Strafvollzuges. Dies hat uns auch vor der Wahl manche Kritik der SPD und der FDP eingetragen. Aber ich will im Rückblick unterstreichen — angesichts der schlimmen finanziellen Eröffnungsbilanz der neuen Wahlperiode, die nun dieses Hohe Haus und die Öffentlichkeit so bewegt —: diese Entscheidung der Mehrheit des Bundesrates ist für mich im Rückblick der einzige konkrete zukunftweisende Beitrag vor der Wahl für einen Kurs der finanzpolitischen Verantwortung und der Vernunft gewesen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Das sage ich gerade auf dem Hintergrund vieler Diskussionen dieser Tage.
    Meine Damen und Herren, Wir brauchen die Auseinandersetzungen des Wahlkampfes und auch das, was wir da von dem Bundeskanzler vor dem 5. Oktober hörten, hier nicht im einzelnen aufzunehmen. Das eine oder andere muß sicher noch weggeräumt werden, nicht unbedingt in dieser Debatte. Ich will sagen, daß die Regierungserklärung dabei vielleicht einen Anfang gemacht, aber noch nicht das Ergebnis erzielt hat. Das will ich auch mit einigen Punkten belegen.
    Die Eröffnungsbilanz nach dem 5. Oktober, der Verlauf und das Resultat der Koalitionsverhandlungen geben den Kritikern der bisherigen Haushaltsund Finanzpolitik der Bundesregierung im Kern
    recht; darüber kann überhaupt kein Zweifel bestehen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Es gehört nach meiner Einschätzung zu den Versäumnissen der Regierungserklärung, daß wir für die Zukunft keine deutliche Aussage über die Haushalts- und insbesondere Verschuldungspolitik gehört haben. Der verehrte Graf Lambsdorff hat das soeben mit einem Satz nachgetragen, den ich voll unterstreichen kann. Nur, sehr verehrter Herr Wirtschaftsminister, dies findet sich nicht in der Regierungserklärung. Das ist genau Ihr Problem, auch Ihr persönliches Problem, auf das ich nachher noch einmal zurückkomme.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Dieses Fehlen jeder Aussage der Bundesregierung in ihrem gemeinsamen Dokument der Regierungserklärung zum Thema Konsolidierung der Haushalte, zum Thema Eingrenzung der Neuverschuldung über das Jahr 1981 hinaus wird um so deutlicher, wenn man die vergleichbare Rede des Herrn Bundeskanzlers zu Beginn der vergangenen Wahlperiode vom 16. Dezember 1976 noch einmal nachliest. Damals — vor vier Jahren —, Herr Bundeskanzler, haben Sie hier vorgetragen — ich zitiere:
    Nunmehr muß die bereits eingeleitete Konsolidierung aller öffentlichen Haushalte fortgesetzt werden.

    (Zuruf von der CDU/CSU): Viel Glück!)

    Das gilt für den Bund für die Länder und Gemeinden. Noch mehr als die notwendige Hinnahme hoher Defizite bedarf nunmehr auch deren spürbarer Abbau einer gemeinsamen Kraftanstrengung ..