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ID0900701600

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    Plenarprotokoll. 9/7 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 7. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 27. November 1980 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 167 C Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Kiep CDU/CSU 129A Roth SPD 136 B Dr. Haussmann FDP 142 D Dr. Graf Lambsdorff, Bundesminister BMWi 145 C Dr. Stoltenberg, Ministerpräsident des Lan- des Schleswig-Holstein 150 C, 174 B Westphal SPD 159 B Frau Matthäus-Maier FDP 164 D Matthöfer, Bundesminister BMF . . . 168A Dr. Blüm CDU/CSU 175 C Rohde SPD 183A Cronenberg FDP 189A Dr. Ehrenberg, Bundesminister BMA . . 193 D Frau Dr. Wex CDU/CSU 197 D Kuhlwein SPD 202 D Frau Dr. Adam-Schwaetzer FDP . . . 207 B Frau Huber, Bundesminister BMJFG . 210A Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP KIM Dae-Jung — Drucksache 9/28 — 167 D Nächste Sitzung 213 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 215*A Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 7. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1980 129 7. Sitzung Bonn, den 27. November 1980 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. van Aerssen 28. 11. Dr. Ahrens * 28. 11. Dr. Barzel 28.11. Büchner (Speyer) * 27. 11. Handlos 28. 11. Höffkes 28. 11. Frau Hürland 28. 11. Kunz (Berlin) 28. 11. Landré 28. 11. Mahne 28. 11. Dr. Mertens (Bottrop) 28. 11. Pawelczyk 28.11. Picard 28.11. Rappe (Hildesheim) 28. 11. Rayer 28. 11. Reddemann * 27. 11. Schmidt (Wattenscheid) 28. 11. Spilker 28. 11. Dr. Steger 28. 11. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Wolfgang Roth


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Diese Frage kann ich Ihnen sehr genau beantworten. Die deutschen Gewerkschaften, die deutschen Einheitsgewerkschaften haben nach dem Zweiten Weltkrieg ein anderes, ein gesamtgesellschaftlich orientiertes Verhältnis zum Staat gewonnen, z. B. durch die Mitbestimmung und die Betriebsverfassungsgesetze und die Bereitschaft des Staates, für Vollbeschäftigung zu kämpfen, so stark es irgendwie geht. Dadurch ist das Vertrauen anders ausgestaltet als in einer Gesellschaft, wo die Klassenstrukturen — sagen wir das einmal altmodisch, aber richtig — noch sehr viel stärker durchschlagen als bei uns. Das wollen wir bewahren.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Genau in diese Richtung, genau in diese Gefahr und Tendenz geht doch das monetaristische Gift von Herrn Friedman, das in England Frau Thatcher erfaßt hat und das jetzt den Bayerischen Rundfunk erfaßt hat — Herr Blüm, hören Sie zu —: zehn Sendungen lang, jeweils eine Stunde, wird der Bayerische Rundfunk das Gift von Herrn Friedman gegen die



    Roth
    Arbeitnehmer, gegen die Vollbeschäftigung, gegen die Sozialpolitik aussenden. Schauen Sie auf das, und überlegen Sie, was das — bezogen auf die Arbeitnehmerschaft in Ihrem Bereich, im katholischen Raum insbesondere — bedeutet.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Ich sage Ihnen: es bedeutet die Zerstörung jedes Kooperationsverhältnisses zwischen Staat und Wirtschaft. Wirtschaft sind bei mir Unternehmer und Gewerkschaften und nicht nur die Unternehmer. Das ist in Großbritannien an der Tagesordnung. Dagegen werden wir Sozialdemokraten auch ideologisch antreten.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich sage das j a nicht aus Versehen, weil ich in liberalen Zeitschriften diese Friedman-Ideen auch entdecke. Ich kann nur sagen: es ist auch ein Beitrag zur sozialen Friedfertigkeit in diesem Lande gewesen, daß wir in Deutschland einen modernen Liberalismus haben, einen Liberalismus, aufbauend auf Naumann, wie Herr Brandt gestern gesagt hat, einen Liberalismus, aufbauend auf Karl-Hermann Flach, der bei uns Sozialdemokraten als einer der geistigen .Baumeister des politischen Bündnisses seit 1969 unvergessen ist, und des Freiburger Programms, das wir Sozialdemokraten auch heute noch sehr hoch einschätzen und immer wieder lesen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Diesen sozialen Konsens zu erhalten, das steht vor uns.
    Lassen Sie mich abschließend zehn Aufgaben in der praktischen Politik formulieren. Erstens: Beschäftigungspolitik. Wir lassen uns nicht auf die Debatte ein „Programme ja, Programme nein". Was notwendig ist, um Beschäftigung zu sichern, wird im nächsten Jahr im Verlauf der Haushaltsberatungen getan. Wir können im Januar/Februar besser als heute abschätzen, was getan werden muß.
    Zweiter Punkt: Forschung und Technologie. Was nicht geht, Herr Kiep, ist, daß Sie hier beklagen, daß zu viel Geld in die Großforschung geht, in wenige Reaktorlinien, beispielsweise HTR und Schneller Brüter, sehr viel Geld, und andererseits jammern, wenn der Forschungsminister zu Recht sagt, die Energieversorgungsunternehmen sollten sich am Risiko und an der Finanzierung beteiligen. Wir unterstützen das.

    (Beifall bei der SPD)

    Drittens: Energiepolitik. Ich nehme an, mein Kollege Jens wird Gelegenheit haben, dazu Stellung zu nehmen. Deshalb werde ich mich sehr kurz fassen. Herr Kiep, wir sind— mit Ihnen jedenfalls; so habe ich Ihre Ausführungen verstanden — sehr viel näher zusammen als mit anderen. Das heißt dann, daß man die Entwicklung im Bereich der Energiealternativen und der Energiesparfinanzierung in der nächsten Phase beschleunigen muß. Wir sollten hier eng zusammenarbeiten, insbesondere zwischen Bund und Ländern. Lassen Sie mich da hinzufügen, es ist doch beschämend, wenn man über Energieknappheit klagt und dann feststellen muß, daß ein
    Ministerpräsident ein großes Programm zur Fernwärme einfach stur aus unerträglich egoistischen Gründen blockiert.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Lesen Sie den Kommentar in der „Frankfurter Rundschau" von heute nach.
    Viertens: Verkehr und Umweltpolitik. Ich höre immer, da gebe es nicht mehr genügend zu finanzieren und zu organisieren. Ich kann nur sagen, das RheinBodensee-Programm, das gerade in meiner Region — ich komme aus Süddeutschland, aus Baden-Württemberg — umgesetzt wurde, hat zur Umweltverbesserung und gleichzeitig zu einem überproportionalen Anstieg der Beschäftigung beigetragen.
    Meine Meinung ist, laßt uns mal vorsichtig sein mit den großen Sprüchen, es gebe keine Programme mehr. Es gibt Zukunftsaufgaben, die Geld kosten. Deshalb muß man im Subventionieren — Herr Hoppe, da sind wir uns einig — mehr abbauen, als hier jetzt vielleicht schon in der Regierungserklärung vorgelegt wurde. Dafür haben wir dann ja Fraktionen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Da werden wir dann die Helden von der Union sehen; die haben j a schon 14 Tage lang bewiesen, was sie bei Vorschlägen zum Subventionsabbau zeigen können.

    (Zurufe von der SPD)

    Aber vielleicht kommt der Herr Ministerpräsident Stoltenberg noch mit Vorschlägen.
    Fünfter Punkt: Wohnungspolitik. Wir werden als Fraktion der Sozialdemokratischen Partei die Bundesregierung ermuntern, stützen und auch bewegen, daß im Wohnungsbereich Zusätzliches geschieht. Wir akzeptieren keine Wohnungsnot in den Städten, in den Ballungszentren.

    (Kolb [CDU/CSU]: Wie machen Sie das? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Sechster Punkt: Agrarpolitik. Wir haben mit Ihnen, meine Damen und Herren, eine erbärmliche Debatte zur Agrarpolitik in den letzten 14 Tagen gehabt. Die SPD, oft als antimarktwirtschaftlich gescholten, hat einen Entwurf vorgelegt, durch den im Agrarbereich mehr Marktwirtschaft vorgeschlagen wird, und Sie kommen und sagen, das ist die Zerstörung der deutschen Landwirtschaft,

    (Beifall bei der SPD)

    ein grotesker Widerspruch zwischen Ideologie und Praxis.

    (Beifall bei der SPD)

    Lassen Sie mich hinzufügen, wir Sozialdemokraten werden kein Agrarprogramm auf EG-Ebene oder auf deutscher Ebene zulassen, bei dem kleine Landwirte kaputtgehen;

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das haben Sie schon geschafft!)

    da muß sozial gegenstabilisiert werden.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)




    Roth
    Aber es muß Schluß sein mit der staatlichen Finanzierung der Agrarfabriken, die um sich gegriffen und zu gewaltigen Überschüssen geführt hat.

    (Erneuter Beifall bei der SPD und der FDP — Zurufe von der CDU/CSU)

    Siebtens: Kleine und mittlere Unternehmen. Die Kollegen von der CDU/CSU wissen, daß ich dann immer die Zahlen vortrage. Sie wissen j a, die Zahlen sind positiv: mehr Selbständige in den letzten drei Jahren. Ich will gar nicht in die Details gehen. Und dann kommen Sie und machen das madig. Sie sagen, das ist gar nicht im industriellen Bereich, das ist im Dienstleistungsbereich.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Ich wundere mich gar nicht, daß der Bundesverband freier Berufe im Verlaufe des Wahlkampfs durch seinen Geschäftsführer, Ihren früheren Kollegen Rollmann, erklären läßt: Eigentlich wollen wir die CDU/CSU nicht in der Führung in Bonn, denn die FDP und die SPD machen die Politik für Selbständige und mittlere Unternehmen besser. — Vielen Dank!

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Zurufe von der CDU/CSU)

    Achtens: Wir werden durch keine Ideologisiererei unsere Eingriffe und Unterstützungsmaßnahmen für bedrohte Sektoren und Bereiche unserer Wirtschaft unterlassen. Ich will das auch sehr konkret sagen. Ich höre an der einen oder anderen Stelle weitreichende Vorschläge für eine totale Wettbewerbsorientierung — kurzfristig und mittelfristig — im Stahlbereich. Wir Sozialdemokraten lassen die Stahlstandorte Bremen und Dortmund nicht verkommen. Das müssen die Kolleginnen und Kollegen in Dortmund von der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion morgen wissen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Vergleichbares gilt für andere Sektoren wie beispielsweise für den Schiffsbau und auch für kleinere Bereiche wie beispielsweise für die Uhrenindustrie in der Bundesrepublik Deutschland.
    Neunter und vorletzter Punkt: Handelsfragen. Wir alle beklagen den Rückgang des Welthandels. Hier müssen wir stabilisieren. Vor allem müssen wir protektionistischen Tendenzen eine Absage erteilen. Das Welttextilabkommen beispielsweise ist für uns nicht Protektionismus, sondern mittelfristige Anpassung; wir brauchen sicherlich im Jahre 1982 eine Verlängerung. Aber dies ist nur ein Element einer langfristigen Strategie mit strukturellen Alternativen. Auch in diesem Bereich gibt es nur Anpassungsprozesse und nicht auf Dauer Schutzzäune.
    Zehnter und letzter Punkt: Die Krise, die wir beklagen, ist keine nationale Wirtschaftskrise. Im Gegenteil, sie ist eine internationale Wirtschaftskrise. Wir haben Ungleichgewichte. Die Ölländer haben hohe Überschüsse, die sie gar nicht wirtschaftlich verwerten können. Sie legen dieses Geld kurzfristig an. Wenn Sie hören wollen, was für die nächsten Monate meine tiefste Furcht ist: Es sind die nicht organisierten Ölmilliarden, die nur kurzfristig angelegt sind und von denen keiner weiß, ob sie nicht einmal
    gleichgerichtet eine Spekulationswelle auslösen, die uns alle vernichten kann.
    Meines Erachtens liegt die Lösung dieses Problems bei internationalen Verhandlungen zwischen Industriestaaten, Entwicklungsländern und Ölstaaten. Es müßte doch möglich sein, hier ein Dreiecksgeschäft zu entwickeln; wir müßten es schaffen, daß die Ölländer ihre Kapitalanlagen längerfristig garantiert bekommen,

    (von der Heydt Freiherr von Massenbach [CDU/CSU]: Das sind Beduinen!)

    daß wir bei den Ölpreisen eine Verstetigung bekommen und daß wir gemeinsam den Entwicklungsländern helfen, damit sie überhaupt überleben können. — Herr Kiep, ich habe mich darüber gefreut, daß wir an dieser Stelle offenbar in eine gemeinsame Richtung denken. Wir Deutschen müssen — bei allen Zahlungsbilanzproblemen — erkennen, daß unser Beitrag zur eigenen Stabilität mit ein Beitrag zur Stabilität in der Welt ist. Lassen Sie uns in diesem Hause dabei zusammenarbeiten!

    (Zustimmung bei der SPD und der FDP)

    Wir sollten der Bundesregierung auf diesem Wege jede Unterstützung gewähren. Wir danken der Bundesregierung für die Erklärung. Wir bitten die Bundesregierung, im weiteren Verlauf unserer Arbeit zusätzliche Elemente auf Grund der Anregungen aus den Fraktionen in die praktische Regierungspolitik einzubauen. — Vielen Dank fürs Zuhören!

    (Lebhafter Beifall bei der SPD — Beifall bei der FDP)



Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Haussmann.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Prof. Dr. Helmut Haussmann


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir begrüßen jede Verstärkung im Deutschen Bundestag, und deshalb freue ich mich darüber, daß Herr Kiep nun für die wirtschaftspolitische Debatte in Bonn zur Verfügung steht. Nun geben wir zwar zu, daß sich ein Weltmann und potentieller Hamburger Spitzenkandidat natürlich in der Hafenmoral sehr gut auskennt; aber es ist ihm in seiner Rede nicht gelungen, dem liberalen Wirtschaftsminister konkret einen ordnungspolitischen Sündenfall nachzuweisen.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

    Herr Kiep, was Ihre Äußerungen zu den ErhardNachfolgern angeht, so ist es gut, das „Handelsblatt" zu lesen. Da war kürzlich zu lesen:
    Als neulich Hans-Dietrich Genscher seinen Lambsdorff zum Ludwig Erhard der 80er Jahre ausrief, war die Union tief beleidigt.

    (von der Heydt Freiherr von Massenbach [CDU/CSU]: Das kann man wohl sagen!)

    Den wahren Grund für ihre Empörung hat die CDU/CSU in falscher Bescheidenheit aber bisher nicht publik gemacht: In der Union wimmelt es nur so von Erhard-Nachfahren.



    Dr. Haussmann
    Wir waren es ja von Herrn Barzel und von Herrn Biedenkopf gewohnt, hier immer große Generalistenreden über Ordnungspolitik zu hören. Auch heute haben wir so eine allgemeine Rede gehört. Diese Reden entbehren leider des Charmes des Konkreten.

    (Dr. Blüm [CDU/CSU]: Das kommt jetzt bei Ihnen!)

    — Herr Blüm, wir warten nach wie vor auf einen ganz konkret argumentierenden Wirtschaftspolitiker der Union, mit dem wir uns Punkt für Punkt konkret auseinandersetzen können.

    (Beifall bei der FDP — Kiep [CDU/CSU]: Das haben wir bei der Regierungserklärung auch nicht gehabt!)

    Wir Freien Demokraten sind bereit, hier mit allen Seiten des Hauses um ein besseres liberales Wirtschaftskonzept zu ringen. Uns Freien Demokraten ist dabei nicht bange. Wie die Wahl ausweist, hat sich ja die liberale Mitte in Norddeutschland sehr eindeutig für die richtige liberale Partei entschieden. Ich möchte nicht wiederholen, was in vielen Zeitungen stand — nicht, daß sich Herr Kiep auf der Flucht nach Bonn befinde —: daß in Niedersachsen einige ungelöste liberale Fragen zurückblieben.

    (Beifall bei der FDP)

    Wir können nur hoffen und wünschen — wir meinen dies wirklich ehrlich, Herr Kohl und Herr Kiep —, daß die Union für die nächsten vier Jahre dieser Legislaturperiode ein- und denselben Wirtschaftssprecher hat. Ich glaube, Graf Lambsdorff hätte es wirklich verdient, mal vier Jahre lang einen Partner zu haben. Nur: Die Union verhielt sich auf diesem Gebiet in der Vergangenheit natürlich wenig stabilitätskonform, ja, ausgesprochen inflationär.

    (Beifall bei der FDP)

    Es läuft j a hier nach dem Motto ab: Wer zählt die Namen? Ich bin erst vier Jahre hier, aber in dieser kurzen Zeit begann es zunächst mit Herrn Barzel, ihm folgte Herr Biedenkopf, dann gab Herr Pieroth ein ganz kurzes Zwischenspiel. Anscheinend konnte sich ein richtiger Unternehmer in der Rolle als wirtschaftspolitischer Sprecher der Union nicht sehr lange halten.

    (Dr. Blüm [CDU/CSU]: Wieso, ist Entwicklungspolitik nichts?)

    Nun ist es Herr Kiep, aber nicht allein. Daneben ist Herr Dollinger Ausschußvorsitzender; Herr Waigel ist Arbeitsgruppenleiter,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wir sind eine große Partei!)

    und es gibt zusätzlich noch einen zu benennenden Obmann im Wirtschaftsausschuß.

    (Dr. Waigel [CDU/CSU]: Das ist doch nicht Ihr Problem! — von der Heydt Freiherr von Massenbach [CDU/CSU]: Bei Ihnen gibt es auch noch Frau Schuchardt und Frau Matthäus-Maier! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Alles klar? Wohl kaum. Ich würde der Union sehr empfehlen, für die Presse und für die Verbände ein kleines Brevier zu erstellen, das den Titel trägt: „Who is Who in der Wirtschaftspolitik der Union?"

    (Beifall bei der FDP — Dr. Waigel [CDU/ CSU]: Ihre Sorge ist rührend! — Dr. Hennig [CDU/CSU]: Da gibt es bei Ihnen nur eine Seite! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Zur Sache!)

    Meine Damen und Herren, die Haltung der FDP ist auch hier klarer. Es gibt d e n liberalen Wirtschaftsminister,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Nutzen Sie die Zeit zur Sache!)

    und es gibt einen Sprecher der Fraktion. — Punkt.

    (Dr. Waigel [CDU/CSU]: Das ist aber kein Liberaler!)

    Ich will gerne meinen Eindruck der Reden von Herrn Kiep und Herrn Roth zusammenfassen.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    — Sie sollten nicht so aufgeregt sein; ich hoffe, das legt sich im Laufe der Debatte. — Beide Redner haben appelliert — das ist für mich entscheidend —, die deutschen Arbeitnehmer, die deutsche Politik und die deutschen Unternehmer davon zu überzeugen, daß der gewaltige Strukturwandel, der auf die deutsche Wirtschaft zukommt, von uns aktiv und nicht passiv und resignativ bewältigt werden kann. Dazu bietet die FDP ihre Mitarbeit an.
    Wir wissen — Herr Hoppe hat dies ja bereits ausgeführt —, daß es nach so vielen generellen Reden und nach soviel Pathos Aufgabe der parlamentarischen Arbeit sein wird, diese großen Reden in die Praxis umzusetzen. Eine Politik des Sich-selbst-Bescheidens — das wissen wir — schafft keine Begeisterung und keine neuen Freunde.
    Der Zwang, sich zu beschränken, um internationalen Aufgaben gerecht zu werden, bedarf der Begründung. Wenn der Bundeskanzler sagt — ich fand, das war die beachtlichste, wichtigste Passage in seiner Rede —:

    (Zuruf von der CDU/CSU: Lange gesucht!)

    „Draußen geht es um Leben und Tod, bei uns geht es um Einkommen und Auskommen", so heißt das doch, daß auf die deutsche Innen- und damit auch auf die Wirtschaftspolitik in den 80er Jahren ganz gewaltige Herausforderungen zukommen werden.
    Die Bundesrepublik wird dies nicht — wie in der Vergangenheit — zusätzlich zu immer mehr steigenden innenpolitischen Wünschen aus einem üppigen Wachstum bestreiten können. Ein Liberaler wie Ralf Dahrendorf hat recht, wenn er sagt, die große Konsensusmaschinerie nach dem Motto: Mächtige Interessen werden stets und sofort befriedigt, sei vorbei. Das hat ja auch Herr Kohl gestern in seiner Rede sehr stark betont.
    Wenn man der neuen Lage gerecht werden will, erfordert dies zunächst ein Sich-Beschränken im Innern. Nun ist Selbstbeschränkung durchaus ein liberales Ziel. Es kann uns von Unnötigem, von Über-



    Dr. Haussmann
    flüssigem entlasten und uns für das Wesentliche freimachen. Carl-Friedrich von Weizsäcker hat im Zusammenhang mit seiner Forderung nach einer asketischen Kultur davon gesprochen, daß es in den 80er Jahren nicht um eine spartanische Selbstkasteiung im Innern gehen muß, sondern daß es darum geht, die bewußte Konzentration auf das Überlebensnotwendige unserer internationalen Gesellschaft herbeizuführen.
    Was erfordert dies konkret von der Wirtschaftspoliktik? Wir Freien Demokraten glauben, daß dieser strukturelle Wandel zu einer Renaissance des beweglichen, des veränderungsbereiten Mittelstands führen wird. Der Staat kann und wird nicht mehr aus eigener Kraft alles vorfinanzieren, alle Risiken abdecken können, die Großindustrie weiter stützen können. Wir brauchen also die Tatkraft, die Erfindungsgabe, aber auch den Wagemut von unternehmerischen Menschen. Meine Damen und Herren, deshalb hat Hans-Dietrich Genscher der Mittelstandspolitik in seiner Rede diese zentrale Stellung eingeräumt.
    Es geht uns hier nicht um irgendeine Abteilung „Struktur- oder Interessenpolitik", sondern es geht den Liberalen hierbei um eine zentrale Frage unserer künftigen Gesellschaftspolitik. Es geht konkret darum, ob wir mit einer Antikonzentrationspolitik, ob wir mit einer Förderung der kleinen Einheit des Überschaubaren neue gesellschaftspolitische Strukturen in der Bundesrepublik anreizen können.

    (Zustimmung bei der FDP)

    Deshalb sind viele Menschen aus dem Mittelstand bei dieser Wahl zu den Freien Demokraten zurückgekommen, weil sie das in der Politik der letzten vier Jahre gespürt haben. Genauso sind wieder Arbeiter zu den Sozialdemokraten zurückgekommen. Das hat schließlich zu diesem Erfolg der Koalition geführt.
    Wir können nur sagen: Diese neuen Menschen aus dem bürgerlichen Mittelstand werden sich auf die Freien Demokraten, auf ihren Wirtschaftsminister und auf die FDP-Fraktion in den nächsten vier Jahren verlassen können.

    (Beifall bei der FDP)

    Es ist sehr bedauerlich, daß ich mich nicht mit einer einzigen konkreten Forderung von Herrn Kiep zur Mittelstandspolitik hier auseinandersetzen kann.

    (Kiep [CDU/CSU]: Das lag an der Regierungserklärung!)

    Nachdem dies die einzige wirtschaftspolitische Debatte zur Regierungserklärung ist, scheint es mir so zu sein, daß im Moment die Mittelstandspolitik bei der Union zwar in der Abteilung „Allgemeines" vorhanden ist, daß man sich aber noch nicht konkret einigen konnte.
    Deshalb sage ich für die Freien Demokraten: Wir werden weiterarbeiten, daß die Möglichkeiten des Mittelstands, sich anzupassen, zu forschen, zu innovieren, verbessert werden, daß die Bürokratie — wo immer möglich — abgebaut wird. Aber hier warten
    wir auf Vorschläge der Verbände, die in sich abgestimmt sind.

    (von der Heydt Freiherr von Massenbach [CDU/CSU]: Da werden Sie lange warten müssen!)

    Es geht nicht, wie das bei der Bereinigung des Statistikgesetzes geschah, daß man nachher auf Grund des Einspruchs der Verbände einzelne Maßnahmen zum Abbau der Bürokratie zurücknehmen muß.

    (von der Heydt Freiherr von Massenbach [CDU/CSU]: Das ist die Verschiebung bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag!)

    Ich kann auch nur staunen, wenn Herr Kiep davon redet, daß die Forschungsförderung im Mittelstand überbürokratisiert sei.

    (Kiep [CDU/CSU]: Insgesamt!)

    Ich kenne eine Menge Programme der baden-württembergischen Landesregierung, die einen hohen Grad an Bürokratie aufweisen. Ich kann Ihnen nur empfehlen, sich mit dem zentralen Programm der Bundesregierung zur Förderung der Forschungspersonalkosten vertraut zu machen. Dies ist ein antibürokratisches Programm. Ich kann Ihnen Dutzende von Briefen mittelständischer Unternehmer geben, in denen bestätigt wird, daß dies eine adäquate und wenig bürokratische Form ist.
    Im übrigen habe ich mich, Herr Kiep, auch über die Bewertung gewundert, daß wir Deutschen fast auf allen Gebieten der Forschung und Entwicklung zwar nicht den Anschluß verloren hätten, aber doch nicht mehr an der Spitze seien. Wenn ich meine baden-württembergischen Betriebe besuche und sehe, was sie auf den Weltmärkten leisten, so teile ich Ihre Meinung nicht. Es wäre gut, wenn wir hier eine Einigung herstellen könnten.
    Aber für die mittelständischen Unternehmer wird es wichtig sein, daß sie nicht nur dieser allgemeinen wirtschaftspolitischen Debatte zuhören, sondern daß sie sich auch sehr eingehend mit dem beschäftigen, was die Sozialpolitiker der verschiedenen Fraktionen nachher im Deutschen Bundestag vortragen werden. Für den Mittelstand wird es wichtig sein zu wissen, wie die Union — Herr Blüm ist im Moment nicht da, aber ich sehe Herrn Geißler — die zentrale Frage der sozialen Nebenkosten in Zukunft in Angriff nehmen wird, welche Rentenvorschläge von ihr kommen werden, wie Sie ihre familienpolitischen Versprechungen des Wahlkampfes — möglichst kostenneutral — umsetzen wollen. Herr Kiep, einer Ihrer zentralen Punkte bestand ja in der Forderung, man sollte aufhören, die Betriebe im Zusammenhang mit den sozialen Nebenkosten direkt zu belasten.

    (Kolb [CDU/CSU]: Wir machen nur gute Vorschläge!)

    Ich kann Ihnen nur raten, sich einmal die zentrale Frage der Lohnfortzahlung in ihrer Wirkung auf den Mittelstand vor Augen zu führen, sozusagen geschichtlich zu untersuchen. Dann werden Sie sehen, welche Große Koalition diese Politik zustande ge-



    Dr. Haussmann
    bracht hat — gegen den Widerstand der Freien Demokraten.

    (Beifall bei der FDP)

    Strukturwandel in einer entwickelten Industriegesellschaft heißt, Raum freizumachen für die Möglichkeiten weniger entwickelter Länder. Wir müssen die Signale richtig stellen. Wir benötigen vorausdenkende Unternehmer, die nicht nur kurzfristig an Gewinnchancen orientiert arbeiten, sondern bereit sind, langfristig zur Lösung internationaler Probleme beizutragen. Wir brauchen Unternehmer à la Schumpeter, die neugierig, weitsichtig, hellhörig sind, die nicht nur reagieren oder klagen, die drohenden Kostendruck durch Innovationen auffangen und bei stärkerem internationalen Wettbewerb nicht nur mit Begehren nach mehr Subventionen oder Protektionismus reagieren, sondern aktiv mit Exportoffensiven, mit mehr Ausbildung und mehr Forschung antworten.
    Aber nicht nur die Unternehmer sind bei diesem Strukturwandel gefordert. Auch und gerade die Tarifparteien müssen sich auf eine produktiv orientierte Lohnpolitik verständigen. Dadurch werden reale Einkommensverbesserungen möglich sein; das ist in beiderseitigem Interesse.
    Strukturwandel und Innovation um ihrer selbst willen können keine gesellschaftlichen Ziele sein. Es muß begründet werden, warum wir den Bürgern in unserem Lande diese rasanten Veränderungen, die Bereitschaft zu lebenslangem Lernen und zum Teil die Änderung ihres Lebensstiles zumuten müssen. Die Bürger müssen hierzu gewonnen werden. Das ist nicht allein eine Bringschuld, sondern wir Wirtschaftspolitiker müssen nachweisen, warum das notwendig ist. Wir müssen — davon hat der Bundeskanzler gesprochen — auch die Chancen nennen, die mit diesem Strukturwandel einhergehen. Tausende von Ingenieuren, von Facharbeitern, von Unternehmern werden gefordert.
    Lassen Sie mich zum Schluß für uns Freie Demokraten noch eine zentrale Bemerkung machen. Auch die Gewerkschaften müssen die Chance haben, mit den Politikern, mit den Wissenschaftlern und den Kapitalgebern offen und ehrlich darüber zu diskutieren, wohin z. B. Automation führt, unter welchen Voraussetzungen Arbeitsplätze wegfallen und warum dadurch auf anderem Gebiete Arbeitsplätze sicherer werden. Unternehmer müssen erklären können, warum sie nur bei profitablen Erwartungen langfristig investieren und Risiken auf sich nehmen. All das ist nur in einem wirtschaftspolitischen Dialog möglich. Daher ist es so entscheidend, daß die deutschen Gewerkschaften und die Vertreter der Kapitalgeber an den runden Tisch der Vernunft des Wirtschaftsministers zurückkehren;

    (Beifall bei der FDP) denn das Thema heißt Strukturfragen.

    Meine Damen und Herren, dieser Dialog muß stattfinden. Dabei steht viel auf dem Spiel. Es geht um den sozialen Konsens. Ohne diesen sozialen Konsens wird es nicht möglich sein, die großen
    Strukturfragen der 80er Jahre zu lösen. Vielen Dank.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)