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ID0900701200

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    Plenarprotokoll. 9/7 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 7. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 27. November 1980 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 167 C Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Kiep CDU/CSU 129A Roth SPD 136 B Dr. Haussmann FDP 142 D Dr. Graf Lambsdorff, Bundesminister BMWi 145 C Dr. Stoltenberg, Ministerpräsident des Lan- des Schleswig-Holstein 150 C, 174 B Westphal SPD 159 B Frau Matthäus-Maier FDP 164 D Matthöfer, Bundesminister BMF . . . 168A Dr. Blüm CDU/CSU 175 C Rohde SPD 183A Cronenberg FDP 189A Dr. Ehrenberg, Bundesminister BMA . . 193 D Frau Dr. Wex CDU/CSU 197 D Kuhlwein SPD 202 D Frau Dr. Adam-Schwaetzer FDP . . . 207 B Frau Huber, Bundesminister BMJFG . 210A Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP KIM Dae-Jung — Drucksache 9/28 — 167 D Nächste Sitzung 213 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 215*A Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 7. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1980 129 7. Sitzung Bonn, den 27. November 1980 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. van Aerssen 28. 11. Dr. Ahrens * 28. 11. Dr. Barzel 28.11. Büchner (Speyer) * 27. 11. Handlos 28. 11. Höffkes 28. 11. Frau Hürland 28. 11. Kunz (Berlin) 28. 11. Landré 28. 11. Mahne 28. 11. Dr. Mertens (Bottrop) 28. 11. Pawelczyk 28.11. Picard 28.11. Rappe (Hildesheim) 28. 11. Rayer 28. 11. Reddemann * 27. 11. Schmidt (Wattenscheid) 28. 11. Spilker 28. 11. Dr. Steger 28. 11. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Wolfgang Roth


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kiep, man sah Ihnen in den Jahren, in
    denen Sie in Hannover wirkten, ständig an, daß Sie es als Verbannung in die Provinz empfanden.

    (Widerspruch bei der CDU/CSU)

    Sie sind jetzt nach Bonn zurückgekehrt. Wie wir alle wissen, wollten Sie in die Weltpolitik. Das ist in Ihrer Fraktion nicht gelungen.
    Was wir heute erlebt haben, war eine weltmännische Flucht vor der wirtschaftlichen Wirklichkeit dieses Landes.

    (Lachen bei der CDU/CSU — Beifall bei der SPD und der FDP)

    In Erinnerung — der Herr Bundeswirtschaftsminister wird mir zustimmen — an die, wie ich finde, interessanten und auch politisch weiterführenden Debatten über die Wirtschaftspolitik im Deutschen Bundestag der vorigen Wahlperiode, wo Herr Biedenkopf Ihre Fraktion vertrat, muß ich sagen: Leider wird es wahrscheinlich langweiliger werden, was die wirtschaftspolitische Diskussion in dieser Wahlperiode betrifft.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Flucht vor der Wirklichkeit: Wir stehen vor gewaltigen Herausforderungen, und zwar aus der internationalen Sphäre. Energie und Rohstoffe verknappen sich. Der technologische Wettbewerb unter den Industrieländern verschärft sich. Ein Land wie die Bundesrepublik, das jede dritte Mark im Industriebereich im Export verdient, ist naturgemäß von diesen Herausforderungen besonders betroffen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Von den Leistungsverlusten!)

    Und nun lassen Sie mich in sieben Punkten das zusammenfassen, was an Herausforderungen besteht und was Herr Kiep vergessen hat.
    Erstens. Es war nicht die Rede davon, welche drastischen Auswirkungen die Explosion der Ölpreise seit Anfang des Jahres 1979 hat.
    Zweitens. Wir sind als Bundesrepublik Deutschland wegen der Politik der Bundesregierung, wegen der Politik der Deutschen Bundesbank nicht in die Inflationsspirale hineingekommen wie alle unsere Nachbarländer. Im OECD-Bereich steigen die Preise im Jahre 1980 um durchschnittlich 13 Prozent, bei uns um durchschnittlich 5 Prozent; aber davon wird in der wirtschaftspolitischen Rede der Opposition nicht, nicht einmal anerkennend gesprochen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Zurufe von der CDU/CSU)

    Aber diese Differenz zwischen Weltinflation und nationaler Stabilität schafft Probleme; davon soll die Rede sein.
    Drittens. Wir wissen z. B., daß das Inflationsproblem dazu führt, daß die nominalen Zinsen weltweit steigen, während bei uns die realen Zinsen sehr hoch sind. Wir haben einen Zinssatz von real 31½ Prozent, während es in der Welt real negative Zinsen gibt, obgleich 15 bis 20 Prozent Zinsen verlangt werden. Das hat Auswirkungen auf unsere Volkswirtschaft.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Warum denn?)




    Roth
    — Ich komme noch einmal darauf zurück.
    Viertens. Wir haben Einkommensverluste in den ölimportierenden Staaten, die unsere Wirtschafts-und Handelspartner sind. Dort steigt die Arbeitslosigkeit und sinkt das Wirtschaftswachstum. Aber gehört haben wir kein Wort davon.
    Fünftens. Der internationale Wettbewerb zwischen den Industrieländern verschärft sich, weil die Märkte enger werden. Der Welthandel, der in den 60er Jahren im Schnitt um 15 Prozent gestiegen ist, steigt im Jahr 1980 nach der besten Prognose um zwei Prozent und nimmt nach der schlechtesten Prognose um 1 Prozent ab. Aber kein Wort über die Entwicklung des Welthandels war zu hören. So als ob es eine Entschuldigung sei, wurde das Problem behandelt.

    (Kolb [CDU/CSU]: Das ist eine Frage der Wettbewerbsfähigkeit!)

    Sechstens nenne ich die Zahlungsbilanzungleichgewichte. Sie wissen, daß insbesondere die nichterdölexportierenden Entwicklungsländer an der Grenze der Zahlungsfähigkeit sind. Sie fallen praktisch aus dem Welthandel heraus. Gerade bezogen auf diese Märkte hatte aber die deutsche Industrie in den vergangenen Jahren investiert. Von daher bekommt sie Engpässe im Absatz.
    Siebtens. Die Zahlungsbilanzungleichgewichte, die gerade in einem Zwischenruf angesprochen wurden, sind natürlich Ergebnisse der Überschüsse an anderer Stelle. International gleichen sich die Bilanzen aus. Wenn in der ölexportierenden Welt große Überschüsse entstehen, müssen anderswo Defizite vorhanden sein. Wenn es nicht so wäre, wären wir in einem beschleunigten deflatorischen Prozeß der Weltwirtschaft. Das kann niemand wollen. Übrigens ist der Sachverständigenrat hier viel nüchterner als Sie, Herr Kiep. Er hat nämlich darauf hingewiesen, daß die Zahlungsbilanzungleichgewichte, insbesondere auch das der Bundesrepublik Deutschland, nicht in einem Jahr abgebaut werden können, sondern daß es sich dabei um einen längeren Prozeß handelt.
    Meine Damen und Herren, diese von mir erwähnten sieben externen Faktoren sind keine Anlässe für Entschuldigungen, bezogen auf die nationale Wirtschaftspolitik. Nein, das sind Herausforderungen, die man kennen und analysieren muß. Wir stellen uns diesen Herausforderungen in den nächsten vier Jahren. Die Bundesregierung tut es. Das hat die Regierungserklärung deutlich gemacht.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Lassen Sie mich an dieser Stelle nach dem Gutachten des Sachverständigenrats ein paar Aspekte der kurzfristigen Entwicklung behandeln. Ich will das an Hand der Gliederung unseres Stabilitätsgesetzes tun, das j a gültig ist und damals von allen Parteien im Deutschen Bundestag unterstützt und verabschiedet wurde. Ich habe, wenn ich die monetaristischen Einflüsse in der CDU/CSU höre, manchmal Zweifel, ob Sie eigentlich noch zum Stabilitätsgesetz
    von 1967 stehen oder ob Sie es mit Friedman in Richtung auf Frau Thatcher verlassen haben.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Erster Punkt: Preisentwicklung. Ich habe schon darauf hingewiesen, die Preise in der Bundesrepublik steigen 5 %, die im OECD-Raum 13 %. Wir können also glücklich sein. Wir haben eine Inflationsdifferenz, die erstaunlich ist, bedenkt man die Ölpreise. Aber diese hohe Stabilität ist nicht ohne Nachteil. Herr Kiep, da müssen wir dann konkret miteinander reden. Sie haben von Zahlungsbilanzschwäche geredet. Es geht Geld aus der Bundesrepublik Deutschland weg, z. B. aus den Rücklagen der großen Unternehmen. Es ist ein Irrtum, immer dann, wenn man von der Spekulation redet, Scheichs, Leute aus dem arabischen Raum zu betrachten. In Wirklichkeit ist es doch vielmehr so, daß das kurzfristig nicht angelegte Geld, das in der Bundesrepublik Deutschland in der großen Industrie erwirtschaftet wird, an Eurogeldmärkte geht, weil die Nominalzinsen dort astronomische Höhen haben und weil man innerhalb des EWS natürlich kein Wechselkursrisiko hat. Das heißt: Sie haben kurzfristig eine Spekulation gegen die D-Mark, die von den wirklichen wirtschaftlichen Verhältnissen, von den Preisproblemen überhaupt nicht gedeckt ist, weil hier international kurzfristig spekuliert werden kann. Es sind nach meiner Überzeugung nicht die Scheichs, die zur Zeit zur D-Mark-Schwäche beitragen, sondern es sind diese kurzfristigen Verschiebungen der Gelder. Das heißt: Wir zahlen einen ganz bitteren Preis für unsere Stabilitätspolitik. Ich sage nicht, daß wir diese Stabilitätspolitik nicht machen sollten, sondern ich sage nur: Sie ist auch nicht zum Null-Tarif, international gesehen. Wir können nur hoffen, daß sich die grundlegenden wirtschaftlichen Verhältnisse auch in diesem Bereich schneller durchsetzen.
    Zweiter Punkt: Vollbeschäftigung, Beschäftigungspolitik. Der Sachverständigenrat war relativ optimistisch, was die Beschäftigungslage betrifft. Ich will nicht verhehlen, daß meine Fraktion dieser Prognose mit vorsichtiger Skepsis gegenübertritt. Es gibt Hinweise — aus dem Geschäftsleben, aus dem Bankenbereich, aus dem Unternehmenslager genauso wie aus Berichten der Gewerkschaften und der Arbeitnehmerschaft —, daß noch mehr Probleme auftreten können. Jedenfalls muß am Beginn dieser kritischen Phase der deutschen Beschäftigungssituation am Ende eines relativ starken, aber auch relativ kurzen Booms klar sein, daß es durch keinen Politiker in der Bundesrepublik Deutschland eine Privatisierung des Beschäftigungsrisikos in der nächsten Phase gibt.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir werden Beschäftigungspolitik in der nächsten Phase unter beiden Aspekten betreiben müssen: auf der einen Seite Arbeitsmarktpolitik, auf der anderen Seite Konjunkturpolitik.
    Ich finde es auch erstaunlich, daß von seiten der CDU/CSU alle Aspekte einer offensiven Beschäftigungspolitik abgelehnt werden, sowohl Programme im öffentlichen Bereich und Programme zur Stärkung der Investitionstätigkeit als auch Arbeitszeit-



    Roth
    verkürzung. Ich frage mich, wie Sie in dieser Phase vor den deutschen Arbeitnehmer treten können, es sei denn, Sie sagen in der Tat: Die Arbeitslosigkeit der Menschen ist ein privates Schicksal, es muß eben von den einzelnen Gruppen akzeptiert werden.
    Schauen wir das doch noch etwas genauer an: Wer wird denn arbeitslos? Es werden die Frauen verstärkt arbeitslos, es werden die älteren Arbeitnehmer verstärkt arbeitslos, es werden die Behinderten verstärkt arbeitslos, es werden alle die verstärkt und schneller arbeitslos, die in dieser Wettbewerbsgesellschaft eben nicht voll mitmachen können. Meine Damen und Herren, hier ist die Solidarität als Grundwertbegriff bei allen drei Parteien des Deutschen Bundestages angesprochen. Wir akzeptieren keine Privatisierung des Beschäftigungsrisikos für benachteiligte Gruppen, wie es bei Ihnen offenbar der Fall ist.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Blüm [CDU/CSU]: Wo denn? — Kittelmann [CDU/CSU]: Mal konkret werden!)

    Dritter Punkt: Wachstum. Wir sind im wachstumspolitischen Bereich, meine Damen und Herren, zum ersten Mal, so empfinde ich das, in einer Grundsatzdebatte oder Regierungserklärungs-Debatte auf Fragen eingegangen, insbesondere der Parteivorsitzende unserer Partei,. Willy Brandt, die -heranrühren an die Fragestellungen der jüngeren Generation bezüglich des Problems: Paßt das Wirtschaftswachstum, das wir unter den derzeitigen Industriestrukturen produzieren, noch zu unseren zukünftigen Lebensbedürfnissen? Das heißt, arbeitsmarktpolitisch, von der Frage der internationalen Wettbewerbsfähigkeit her gibt es doch keinen Zweifel, daß das Bestmögliche, das — wenn Sie so wollen — höchste Wirtschaftswachstum, das erreichbar ist, auch erreicht werden soll.

    (Kiep [CDU/CSU]: Das ist ein wesentlicher Satz!)

    Aber wir erleben — wenn Sie es übertrieben formulieren wollen — eine Akzeptanzkrise in der jungen Generation.

    (Kiep [CDU/CSU]: Habe ich gesagt!)

    — Ja, Herr Kiep, Sie haben das dankenswerterweise gesagt.
    Ich habe Herrn Brandt erwähnt und gesagt: Dadurch ist ein Einstieg in diese Debatte gegeben, und ich möchte sie aufnehmen. Ich will vor allem eines: Ich möchte davor warnen, dieses Verhalten der jüngeren Generation gegen Formen des Wirtschaftswachstums, die auch Lebensverhältnisse beeinträchtigen, nur unter dem Aspekt zu debattieren, das seien investitionshemmende Verhaltensweisen. Das sind genau solche Bedürfnisse wie die materiellen Bedürfnisse, und wir müssen in unsere Wachstums-und Wirtschaftspolitik diese Bedürfnisse auf Sicherung und Erhaltung der Umwelt, auf Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen einbauen — selbst dann, wenn es da und dort auch einmal einen Abstrich im Hinblick auf das maximale Wachstumsziel, das wir uns wirtschaftspolitisch gesetzt haben, bedeutet.

    (Beifall bei der SPD — Kolb [CDU/CSU]: Bei der Energiepolitik! Hervorragend!)

    — Sie haben den Einwand „Energiepolitik" erhoben. Sie können doch nicht ohne langwierige Diskussion mit der jungen Generation die Lebensläufe und Lebenslinien, wie es Herr Kiep genannt hat, dieser Generation vorbestimmen, wenn tragfähige Minderheiten der jungen Generation, manche sagen sogar: Mehrheiten, skeptisch und negativ zur Kernenergie eingestellt sind.

    (Kolb [CDU/CSU]: Weshalb denn?)

    Dann geht es um Diskussions- und Überzeugungsprozesse und nicht um Durchziehen. Das ist unsere Überzeugung.

    (Beifall bei der SPD — Kittelmann [CDU/ CSU]: Aber Sie machen doch Antiüberzeugungsprozesse!)

    Ich freue mich — an der Stelle darf ich das vorziehen — über die Aussagen von Herrn Kiep. Ich freue mich, daß die Differenz da ist zwischen Herrn Albrecht, Herrn Kiep und Herrn Pestel auf der einen Seite und denjenigen in Bayern und anderswo, die sagen: Durchziehen, dann aber nicht einmal ein Zwischenlager hinkriegen. Ich freue mich, daß in Ihrer Partei endlich diese Diskussion beginnt. Wir sollten diese Diskussion gemeinsam mit der jungen Generation führen. Das bringt natürlich Probleme im Hinblick auf die Wachstumspolitik. Ich glaube, man sollte das auch offen sagen. Man sollte der jüngeren Generation,' die Jobs und Berufe sucht, sagen: Es gibt eben kritische Konflikte zwischen dem Wachstumsziel, wenn man es in dem Umfang, mit ökologischer Wirkung anstrebt, und dem Ziel der Schaffung von zusätzlichen Arbeitsplätzen. Ich glaube, diese offene Diskussion ist vernünftiger als das Herumreden.
    Lassen Sie mich hinzufügen: Das ist nicht das einzige Wachstumsproblem. Wir haben über die hohen Zinsen in der Tat eine Beeinträchtigung der Investitionstätigkeit, und wir haben dadurch weniger Wirtschaftswachstum, als wir es haben könnten. Sie kennen alle die Argumente der Bundesbank, die sagt, international herrsche ein Zinsklima, bei dem niedrigere Zinsen Kapitalflucht bedeuten würden. Ich will ganz bewußt an einem Tage, an dem der Zentralbankrat zusammentritt, keine Kritik üben oder eine Auseinandersetzung mit der Deutschen Bundesbank beginnen. Ich will nur sagen: Wir müssen alle dafür kämpfen, daß die Inflationsunterschiede endlich auch bei den Zinsen wirksam werden und bei den Wechselkursen die grundlegenden wirtschaftlichen Verhältnisse stärker zum Tragen kommen. Das ist entscheidend, und das wird Arbeitsplätze und Investitionen in der Zukunft bringen.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Damit bin ich beim letzten Punkt: Außenwirtschaftliches Gleichgewicht. Meine Damen und Herren, wir können das Ungleichgewicht, das existiert, nicht kurzfristig abbauen. Der Sachverständigenrat sagt das, und ich begrüße es ausdrücklich, daß er



    Roth
    diese Stetigkeit der Politik verlangt. Aber an die CDU gerichtet möchte ich eines sagen. Wir alle wissen, Herr Kiep, daß ein Abbau des Zahlungsbilanzdefizits und des Leistungsbilanzdefizits von einer Beschleunigung der Substitutionsprozesse beim Ö1 abhängt. Wir müssen soweit wie möglich und so schnell wie möglich raus aus dem Öl, wo es geht. Darin sind wir einig.

    (von der Heydt Freiherr von Massenbach [CDU/CSU]: Kernkraftwerke bauen, Herr Roth!)

    Wenn Sie sich und Ihre Fraktion nach der Diskussion über die Erhöhung der Mineralölsteuer um 7 Pfennige und bei der Diskussion über die Kfz-Steuerverlagerung auf die Mineralölsteuer selbstkritisch betrachten und wenn sie das an der Forderung messen, so schnell überall dort vom 01 wegzukommen, wo es überhaupt möglich ist, dann sind Sie in einem wirtschaftspolitischen Widerspruch, der Sie unglaubwürdig macht, was die Zahlungsbilanzdefizite anbetrifft.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Sie müßten uns dann auch auf der Preisseite unterstützen. Sie wissen, daß ich nicht ganz so leidenschaftlich und nicht mit ganz so erhobener Stimme wie vielleicht Graf Lambsdorff die Marktwirtschaft preise; aber ich preise sie auch, denn die Marktwirtschaft hat über Preiseffekte immer einen Umstrukturierungseffekt zustande gebracht,

    (Zuruf des Abg. Kiep [CDU/CSU])

    und das sollte gerade bei den Preisen von Mineralöl mit berücksichtigt werden. Das war keine fiskalische Maßnahme von Herrn Matthöfer, das war ein Beitrag zum Ausgleich der Zahlungsbilanz und zur Umstrukturierung unserer Volkswirtschaft. Insofern nehmen wir diese bittere Pille für viele unserer Arbeitnehmer, die wir im Deutschen Bundestag mit zu vertreten haben.

    (Broll [CDU/CSU]: Ihre Freunde verhindern doch Alternativen!)

    Lassen Sie mich auch etwas anderes sagen. Die Patentantworten, die zur Zeit zum Zahlungsbilanzausgleich gegeben werden, halte ich nicht für realistisch. Manche schlagen z. B. vor, man solle den Reiseverkehr beschränken. Welche neuen Ungleichgewichte würden dadurch in der Mittelmeerregion aufgerissen, wenn die Deutschen ihre Reisen ins Ausland, ihre Urlaubsfinanzierung im Ausland, in der Mittelmeerregion nicht mehr machen würden! Man kann doch nicht internationale Konflikte und Ungleichgewichte dadurch ausgleichen, daß man sie anderswo herbeiführt. Vergleichbares gilt für die Direktinvestitionen. Es gibt Leute, die sagen: Wir investieren zuviel direkt im Ausland. Auch da würde ich sagen: Diese Direktinvestitionen sind zu einem großen Teil auch Vorbereitung von Exporten.
    Sicherlich werden die grundlegenden Widersprüche zwischen Ihnen und uns nicht auf dieser Linie, sondern auf einer, wie Sie es genannt haben, Linie der ordnungspolitischen Orientierung liegen. Lassen Sie mich zu diesem Abschnitt Ihrer Rede, Herr Kiep, einige Antworten formulieren. Was hat eigentlich die Bundesrepublik Deutschland in den letzten Jahren gegenüber den meisten anderen Industriestaaten ausgezeichnet?

    (Dr. Blüm [CDU/CSU]: Eine gute Opposition! — von der Heydt Freiherr von Massenbach [CDU/CSU]: Ein Haufen Schulden!)

    Diese Bundesrepublik war geprägt durch ein ungewöhnliches Ausmaß an sozialem Konsens.

    (Kiep [CDU/CSU]: Gott sei Dank!)

    — Herr Kiep, ich kenne Sie auch von gemeinsamen Reisen, und ich habe selbst schon gehört, wie Sie diesen sozialen Konsens in der Bundesrepublik Deutschland in Großbritannien gepriesen haben. Sie werden es nicht bestreiten.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Er ist ja auch preisenswert!)

    Dieser soziale Konsens hat Bedingungen, und — das füge ich hinzu — dieser soziale Konsens ist nicht zum Nulltarif zu bekommen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Zuruf von der CDU/CSU: Das merken wir!)

    Das heißt z. B., Herr Kiep, daß man die Chancen und Risiken des Strukturwandels im Dialog und nicht dadurch bewältigen muß, daß man das auf die kleinen Leute, auf die Arbeiter und Angestellten verlagert. Ein paar Passagen Ihrer Rede haben so geklungen.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD — Kiep [CDU/CSU]: Welche denn?)

    — Ich gebe Ihnen jetzt einmal ein Zitat; denn Ihre Rede vorhin habe ich nur in Stichworten mitschreiben können. Zum Beispiel wird durch das, was Sie am 17. Oktober 1980 in der „Wirtschaftswoche" geschrieben haben, das verletzt, was ich sozialen Konsens nenne:
    Die in der Sozialen Marktwirtschaft selbstverständliche Chance, aus dem Arbeitsverhältnis auszuscheiden und eine selbständige Existenz aufzubauen, ist mehr als nur ein wirtschaftlicher Vorgang.
    Bis dahin stimme ich Ihnen zu. Aber dann kommt der Satz:
    Er ist zugleich die Chance, Abhängigkeiten des Alltags abzustreifen und in Freiheit die menschlichen Beziehungen neuzuordnen.
    Dieser Satz impliziert Unfreiheit bei den abhängig Beschäftigten, und gerade die muß man abbauen.

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/ CSU — Dr. von Wartenberg [CDU/CSU]: Was heißt „abhängig Beschäftigten"?)

    Ich sehe es als eine ganz wichtige Aufgabe der Bundesregierung, der verschiedenen Ministerien, die da betroffen sind, inbesondere Wirtschaftsministerium und Ministerium für Forschung und Technologie, an, den bevorstehenden Anpassungsprozeß auf neue internationale Marktverhältnisse dialogisch zu organisieren.
    Ich freue mich übrigens, daß in der Wirtschaft, im Unternehmerlager, im Big Business, wie man auch



    Roth
    sagen könnte, bei den Bossen, dieser Wille immer stärker zum Tragen kommt.
    Herr Ratjen von der Metall-Gesellschaft in Frankfurt sagte vor kurzem:
    Wer die Menschen nicht für sich gewinnt, kann ein Unternehmen in den 80er und 90er Jahren nicht mehr führen.
    Das ist ein wesentlicher Fortschritt auf seiten von Unternehmern, den man akzeptieren und umsetzen sollte.

    (Pieroth [CDU/CSU]: Das ist vor 50 Jahren genauso gewesen!)

    Dies gilt natürlich erst recht für die Gesellschaft. Deshalb sollten Sie die Diskussion mit den Gewerkschaften nicht als lästiges Verbandsproblem behandeln, wie das einige Zeit bei Ihnen Mode war, aber heute zum Glück nicht mehr so durchgeklungen ist, sondern Sie sollten hier einen ständigen Dialog führen.

    (von der Heydt Freiherr von Massenbach [CDU/CSU]: Herr Roth, die Gewerkschaftsbosse müssen die Menschen auch für sich gewinnen!)

    Meine Damen und Herren, ich füge eines hinzu: Mit der Parole von der Entstaatlichung werden Sie die Probleme der nächsten Jahre nicht lösen.

    (Beifallbei der SPD — Kolb [CDU/CSU]: Doch! Zuviel öffentlicher Dienst!)

    Der Anpassungsprozeß braucht soziale Abfederung.
    Sie haben von der steigenden Staatsquote geredet. Schauen wir uns das doch einmal genauer an! Die Steuerquote in der Bundesrepublik Deutschland ist seit Anfang der 50er Jahre konstant.

    (von der Heydt Freiherr von Massenbach [CDU/CSU]: Die Abgabenquote müssen Sie angucken!)

    — Wir haben bei der Sozialabgabenquote in der Tat zwischen 1970 und 1980 eine Steigerung von 15 auf 25 %. Das wollen wir gar nicht leugnen.

    (Westphal [SPD]: Aber was wurde damit auch alles gemacht!)

    Diese Steigerung der sozialen Sicherung ist mit ein
    Fundament des sozialen Konsenses, und wer das
    madig macht, geht an den sozialen Konsens heran.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich will Ihnen ein konkretes Beispiel geben, das Ihnen näherliegt als mir, das aber derzeit eine ganze Gesellschaft erleidet. Frau Thatcher hat ihren Wahlkampf 1978/79 unter dem Thema geführt: Entstaatlichung! Zurück mit der Staatsquote! Wir wollen weniger Staat, wir wollen weniger Bürokratie! — Sie wissen, daß sie auf Grund der Schwäche und des Verhaltens Gewerkschaften in Großbritannien — unstreitig — einen Wahlsieg, einen großen Wahlsieg errungen hat. Frau Thatcher hat unmittelbar anschließend begonnen zu konsolidieren und hat ihr Programm zur Entstaatlichung angepackt. Wie sehen die Ergebnisse 16 Monate später aus?

    (von der Heydt Freiherr von Massenbach [CDU/CSU]: Ein bißchen langsamer! — Zurufe von der CDU/CSU: Wie sah es denn früher aus? — Weitere lebhafte Zurufe von der CDU/CSU)

    Die Staatsverschuldung in Großbritannien steigt verschärft an. Die Staatsverschuldungsquote, gemessen am Sozialprodukt, in Großbritannien ist nun auf über 5 % angeschwollen, nachdem sie in Labour-Zeiten anderthalb Prozent niedriger lag. In Großbritannien lag zu der Zeit, als Herr Callaghan sein Amt verließ, die Arbeitslosigkeit bei 5 %. Die Arbeitslosigkeit in Großbritannien liegt nun bei 9 %.

    (Zuruf von der SPD: Pfui!)

    Als Herr Callaghan, nachdem er abgewählt wurde, aus dem Amt schied, lag die Inflationsrate in Großbritannien bei 10 %. Heute liegt sie bei 15 %.
    Lassen Sie sich das in Ruhe durch den Kopf gehen. Eine Volkswirtschaft und eine Gesellschaft ist keine Organisation von Saldenmechanik, sondern von Konsens und Kooperation, von Gespräch mit dem Bürger. Wer durchzieht, der hat die Ergebnisse dann auch an der Wirtschaftsfront.

    (Beifall bei der SPD — von der Heydt Freiherr von Massenbach [CDU/CSU]: Dann müßte das bei Frau Thatcher auch so sein!)



Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten von Wartenberg?

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Wolfgang Roth


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Bitte, gern.