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ID0900700600

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    Plenarprotokoll. 9/7 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 7. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 27. November 1980 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 167 C Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Kiep CDU/CSU 129A Roth SPD 136 B Dr. Haussmann FDP 142 D Dr. Graf Lambsdorff, Bundesminister BMWi 145 C Dr. Stoltenberg, Ministerpräsident des Lan- des Schleswig-Holstein 150 C, 174 B Westphal SPD 159 B Frau Matthäus-Maier FDP 164 D Matthöfer, Bundesminister BMF . . . 168A Dr. Blüm CDU/CSU 175 C Rohde SPD 183A Cronenberg FDP 189A Dr. Ehrenberg, Bundesminister BMA . . 193 D Frau Dr. Wex CDU/CSU 197 D Kuhlwein SPD 202 D Frau Dr. Adam-Schwaetzer FDP . . . 207 B Frau Huber, Bundesminister BMJFG . 210A Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP KIM Dae-Jung — Drucksache 9/28 — 167 D Nächste Sitzung 213 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 215*A Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 7. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1980 129 7. Sitzung Bonn, den 27. November 1980 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. van Aerssen 28. 11. Dr. Ahrens * 28. 11. Dr. Barzel 28.11. Büchner (Speyer) * 27. 11. Handlos 28. 11. Höffkes 28. 11. Frau Hürland 28. 11. Kunz (Berlin) 28. 11. Landré 28. 11. Mahne 28. 11. Dr. Mertens (Bottrop) 28. 11. Pawelczyk 28.11. Picard 28.11. Rappe (Hildesheim) 28. 11. Rayer 28. 11. Reddemann * 27. 11. Schmidt (Wattenscheid) 28. 11. Spilker 28. 11. Dr. Steger 28. 11. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Walther Leisler Kiep


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Es ist mit großem Bedauern festzustellen, daß im Verlauf der letzten 10 und 20 Jahre
    in bestimmten Bereichen die Soziale Marktwirtschaft und ihre Kräfte nicht mehr zum Tragen kommen.

    (Lachen bei der SPD — Zuruf von der SPD: Ich sage nur „Kohle"!)

    Ich möchte hinzufügen, daß dies Bereiche sind, die sich heute weitgehend dadurch auszeichnen, daß sie sich nicht mehr selber tragen, sondern inzwischen auf Kosten der Allgemeinheit mit Steuergeldern geschützt werden müssen.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Bitte eine klare Aussage zur Kohle!)

    Zu dem „Godesberg", meine sehr verehrten Damen und Herren von der Sozialdemokratischen Partei! Wenn ich einen Vergleich zwischen den prognostischen Fähigkeiten der Sozialdemokratischen Partei und des Bundeskanzlers persönlich ziehen darf, zwischen seiner Fähigkeit, Entwicklungen im wirtschaftlichen und politischen Bereich vorauszusehen, und der immer wieder überbordenden Bereitschaft der SPD, langfristige Planungen vorzunehmen, dann kann ich nur sagen: wir können von Glück reden, daß bisher diese Planungslust nicht voll zum Tragen gekommmen ist, weil wir sonst wegen der ständigen Fehlprognosen uns bereits heute in einem totalen Chaos befinden würden.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wie weit diese Entwicklung gediehen ist, sehen wir daran, daß heute der Bundeskanzler — darin ist er voll zu unterstützen — sehr beredt die Bürokratisierung beklagt, die inzwischen eingetreten ist.
    Die Freien Demokraten haben — das muß hier in der gleichen Deutlichkeit und Klarheit gesagt werden - diese Entwicklung aktiv mitgetragen. Sie haben, wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf, dabei eigentlich im Saldo weniger ordnungspolitisches, marktwirtschaftliches Rückgrat gezeigt als seinerzeit Karl Schiller. Denn Karl Schiller hat nach verschiedenen Mahnungen — ich zitiere: „Genossen, laßt die Tassen im Schrank" — dann schließlich seinen Rücktritt erklärt. Ich muß ganz ehrlich sagen: Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister, sollten sich deshalb nicht wundern, daß Sie, wie Sie es neulich in einem Interview beklagt haben, nun in der Union keine wirtschaftspolitischen Partner und Gesprächspartner gefunden haben.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Der Erhard der 80er Jahre!)

    Ein paar ordnungspolitische Farbtupfer auf diese Art von Politik, wie sie hier gemacht worden ist, aufzutragen, macht nämlich noch keinen Erhard der 80er Jahre.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich muß allerdings auch hier ehrlicherweise einschränkend sagen: daß Graf Lambsdorff diesem Irrtum immer wieder unterliegt, ist verständlich, denn ordnungspolitische Standfestigkeit ist in dieser Ko-



    Kiep
    alition ebenso einfach zu demonstrieren wie Sittenstrenge in einem Hafenviertel.

    (Große Heiterkeit und lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

    Sehr ernsthaft gesprochen: eine solche ordnungspolitische Orientierung entscheidet jedoch darüber, ob uns die Lösung der großen wirtschaftspolitischen Probleme der 80er Jahre gelingen wird. Dabei geht es nicht — ich möchte das unterstreichen — um einen bedingungslosen Wachstumsfetischismus. Helmut Kohl hat dies gestern schon deutlich gemacht. Es geht vielmehr um die Erwirtschaftung der Ressourcen, die wir für die Aufgaben im eigenen Land, aber auch für den Kampf gegen die Armut in der Dritten Welt benötigen. Es kommt darauf an — auch das klang gestern erfreulicherweise in vielen Beiträgen an —, einen gesellschaftlichen Dissens beizulegen. Denn gerade die junge Generation, die die Soziale Marktwirtschaft nicht als leistungsfähige und freiheitliche Alternative zur bürokratisierten Mangelverwaltung erleben konnte, sondern Gott sei Dank in diese Ordnung hineingeboren wurde, braucht eine klare Antwort. Sie fragt sich ja immer wieder und subjektiv manchmal zu Recht, ob nicht z. B. die anhaltend schlechte Arbeitsmarktlage oder die Situation am Wohnungsmarkt oder die Probleme an unseren Hochschulen eigentlich doch systembedingte Mängel seien. Sogar die Vermutung, daß unser Wirtschaftssystem in erheblichem Umfang für den Verlust zwischenmenschlicher Beziehungen und die Leere in vielen Bereichen unserer industriellen Wohlstandsgesellschaft verantwortlich sei, wird zuweilen geäußert. Die Forderung nach einer alternativen Wirtschaftsordnung, von der niemand weiß, wie sie aussehen soll, von der aber dennoch viele Wunder erwarten, ist dann schnell erhoben.
    Doch so einfach darf man sich die Auseinandersetzung zu diesem Thema nicht machen. Ich meine, daß insbesondere Politik, Schule und Medien hier aufgefordert sind, noch viel zusätzliche Aufklärungsarbeit zu leisten.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Materieller Wohlstand, der im privaten wie im öffentlichen Bereich teilweise weit über das Maß der reinen Existenzsicherung hinausreicht, verstärkt, besonders bei sensibleren Bürgern, die Frage, ob der persönliche Einsatz, den sie leisten und erbringen, eigentlich noch in einem subjektiv vernünftigen Verhältnis zum persönlichen Nutzen steht. Wer seinen persönlichen Standort kritisch analysiert, stellt häufig fest, daß eine starke Kommerzialisierung unserer Gesellschaft Bereiche wie Kultur, Moral und Recht durchaus nachteilig beeinflussen kann. Eine menschliche Gesellschaft kann eben, wie es Wilhelm Röpke zutreffend formuliert hat, nicht auf das Gesetz von Angebot und Nachfrage reduziert werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Das bedeutet, meine Damen und Herren, daß Wirtschaftsordnung und Wirtschaftspolitik keine Haftung für individuelles Lebensglück übernehmen können; aber — und das ist das Entscheidende — sie bestimmen über gesicherte und angemessene materielle Lebensumstände als eine notwendige, wenn
    auch nicht hinreichende Bedingung und Voraussetzung für ein menschenwürdiges Dasein.
    Die Diskussion über Sinn und Zweck des Staates, über Sinn und Zweck unserer Wirtschaftsordnung ist die große Diskussion, die wir mit unseren Bürgern zu führen haben, insbesondere mit der Jugend, die diesem System so oft kritisch gegenübersteht.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Es wird darauf ankommen, daß wir deutlich machen, daß sozialverpflichtete Marktwirtschaft ebenso wie unser ganzes politisches System keineswegs Selbstzweck, sondern nur Mittel zum Zweck ist. Es wird darauf ankommen, daß wir deutlich machen, daß diese Bundesrepublik Deutschland eben kein gepanzerter Konsumverein ist, der seine Erfolgserlebnisse ausschließlich an den Wachstumsraten des Bruttosozialprodukts oder an den Steigerungsraten der persönlichen Einkommen abliest.

    (Zurufe von der SPD)

    Wir müssen deutlich machen, daß hier ein Mittel zum Zweck vorliegt und daß der Zweck die Verwirklichung der Ideale unserer Verfassung ist, daß es darauf ankommt, auf der Grundlage von Wohlstand den Verfassungsauftrag zu erfüllen: Freiheit von Not als eine der wesentlichen Voraussetzungen für Menschenwürde.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

    Die Verwirklichung von Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit ist die Aufgabe, der auch die sozialverpflichtete Marktwirtschaft zu dienen hat, und es ist wichtig, daß wir eine rationale und ideologiefreie Wirtschaftspolitik betreiben;

    (Zurufe von der SPD)

    denn nur durch eine Wirtschaftspolitik, durch eine Finanzpolitik, die ideologiefrei ist, kann ein Klima geschaffen werden, in dem die demokratischen Grundwerte verwirklicht werden können. Dies ist in einer Gesellschaft, die den Mangel verwaltet, ebensowenig möglich wie in einer Gesellschaft, die in einer umweltzerstörenden Weise exzessiv den Charakter einer Überflußgesellschaft annimmt. Beides ist kein Weg für unsere Zukunft, und deshalb, meine Damen und Herren, möchte ich daran erinnern, daß Wirtschaftspolitik und sozialverpflichtete Marktwirtschaft nicht Selbstzweck, sondern Mittel zu dem Zweck der Verwirklichung der Aufträge unserer Verfassung sind.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Mut zur Zukunft heißt also letzten Endes auch Mut zur ordnungspolitischen Klarheit und Kontinuität. Hieran hat es in den letzten Jahren entscheidend gefehlt. Wir wissen, daß die Staatsquote, die sozusagen dieses Datum des Verfehlens ordnungspolitischer Grundlinien deutlich macht, auf fast 50 % gestiegen ist. Wer heute Bürokratisierung beklagt, darf sich nicht darauf beschränken, dies verbal ständig zu wiederholen, sondern muß an die Ursachen gehen. Er muß feststellen, daß das Vordringen des Staates in eine Fülle von Bereichen zu dieser Staatsquote geführt hat und daß weniger Bürokratie nur



    Kiep
    dann möglich ist, wenn man sich ernsthaft die Frage vorlegt: Wo kann der Staatseinfluß auf ein vernünftiges Maß reduziert werden?

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, wir wollen dabei einen starken Staat, einen starken Staat dort, wo er unersetzlich notwendig ist. Und wir wollen ihn dort, wo wir ihn brauchen, stark machen, indem wir ihn dort entlasten, wo wir ihn nicht notwendigerweise brauchen.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Spöri [SPD]: Werden Sie doch bitte einmal konkret!)

    — Ich nehme den Zwischenruf gerne auf. Wissen Sie, es ist außerordentlich schwierig, zu einer Regierungserklärung Stellung zu nehmen, die bar jeder konkreten Aussage über zu treffende Maßnahmen ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Deshalb bitte ich Sie um Geduld. Sobald Sie Ihre Vorlagen gemacht haben, werden wir uns hier im Detail und mit vielen Einzelheiten der Diskussion stellen.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Und weshalb nicht heute?)

    Daß Sie selber über den Mangel an konkreten Angaben Ihres Bundeskanzlers nicht so glücklich waren, haben wir an Ihren Gesichtern während der Debatte deutlich gesehen. •

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Heute drischt er Phrasen!)

    Meine Damen und Herren, ordnungspolitischer Natur ist z. B. auch die folgende Frage. Wer die Kosten sozialpolitisch durchaus vernünftiger Maßnahmen den einzelnen Betrieben aufbürdet oder wer durch Lohnnivellierung dafür sorgt, daß qualifizierte und weniger qualifizierte Arbeit für die Unternehmen nahezu gleich teuer wird, der darf sich nicht wundern, wenn die ursprünglich Begünstigten letztlich zu den Leidtragenden werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Rohde [SPD]: Das kennen wir schon aus dem Reichstag! Die Hilfsarbeiter sind wieder einmal an allem schuld!)

    — Ach, Herr Rohde! Wissen Sie, der Wahlkampf ist vorbei. Ich hatte gehofft, daß wir jetzt ein bißchen vernünftig miteinander reden können.

    (Weitere Zurufe von der SPD)

    Meine Damen und Herren, einen Punkt möchte ich in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt lassen. Es ist der ernsteste, der entscheidende Punkt. Es geht um die Frage der Belohnung von Leistung. Wenn wir erreichen wollen, daß die Menschen in unserem Lande einem Appell folgen und zusätzliche Leistungsbereitschaft freisetzen, muß sichergestellt sein, daß diese zusätzliche Leistung auch belohnt wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Dies ist sowohl eine Frage der Steuerpolitik wie
    selbstverständlich auch eine Frage der allgemeinen
    Rahmenbedingungen, unter denen unsere Wirtschaftspolitik abläuft.

    (Roth [SPD]: Der ausgebildete deutsche Zahnarzt!)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, in diesem Zusammenhang möchte ich daran erinnern, daß gerade die Nivellierung und der Verzicht auf Ordnungspolitik in einem Bereich unserer Wirtschaft zu Schwierigkeiten geführt haben, auf den wir in Zukunft nicht verzichten können. Ich spreche vom Bereich des Mittelstandes, von den mittelständischen Unternehmen, die in unserer Wirtschaft in zunehmendem Umfange der Sektor sind, von dem Kreativität, Innovationskraft und Fähigkeit zur Anpassung an künftige wirtschaftliche Entwicklungen zu erwarten sind.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Sehr wahr! bei der SPD)

    Wenn wir uns hier die durch und durch administrierte Forschungsförderung ansehen und die wachsenden Schwierigkeiten mittelständischer Unternehmen vor Augen führen, an diese Mittel heranzukommen, wird deutlich, daß sich eine Wirtschaftspolitik, die den Anspruch erhebt, auch ordnungspolitische Linien zu setzen, dieser Situation in besonderem Umfang annehmen muß. Wir hätten in der Regierungserklärung ein Wort — auch ein Wort der Ermutigung — zu diesem Bereich mit großem Interesse zu Kenntnis genommen.
    Wir hörten, meine sehr verehrten Damen und Herren, eine Regierungserklärung, die keinen Rückschluß darauf zuläßt, wie sich die Bundesregierung zu den ordnungspolitischen Grundlagen der sozialverpflichteten Marktwirtschaft stellt. Von der SPD hier sehr viel zu erwarten, wäre sicherlich verfehlt gewesen; aber wir hätten eigentlich, Herr Bundeswirtschaftsminister, nach dem Wahlergebnis, das Sie erzielt haben, in der Regierungserklärung zu diesem Punkt etwas mehr von Ihrer Handschrift erwartet, als wir dort vorgefunden haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Konkreter Bemessungsmaßstab für die Wirtschaftspolitik der früheren und der neuen Bundesregierung ist unverändert die Frage, inwieweit sie die vier Ziele des Stabilitätsgesetzes erreicht hat. Hier ist folgendes festzustellen.
    Erstens. Die Bundesregierung hat kein angemessenes Wirtschaftswachstum sichern können und kann es unter den gegebenen Voraussetzungen für die überschaubare Zukunft auch nicht erwarten.
    Zweitens. Die Bundesregierung hat mit ihrer Finanz- und Wirtschaftspolitik nicht ausreichend zu einer größeren Preisstabilität beigetragen und hat der Bundesbank die Hauptlast der Stabilitätspolitik übertragen. Ich finde, es ist an diesem Punkt angemessen, der Bundesbank dafür Dank zu sagen, daß sie unabhängig von der Gesamtsituation diesen ungeheuer schwierigen und sie belastenden Auftrag in der Weise wahrgenommen hat, wie dies geschehen ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU)




    Kiep
    Wir dürfen aber auch nicht verkennen, daß bei Verfolg dieses Auftrages durch unsere Bundesbank die hohen Zinsen für weite Teile unserer Wirtschaft gerade in einer Zeit wirtschaftlicher Schwierigkeiten eine zunehmende Belastung werden.
    Drittens. Die Bundesregierung hat das außenwirtschaftliche Gleichgewicht nicht sichern können. Für die nächsten Jahre müssen wir von Leistungsbilanzdefiziten in Höhe von zweistelligen Milliardenbeträgen ausgehen.
    Sie hat natürlich unter diesen Voraussetzungen — das ist der vierte Punkt — auch eine ausreichende Beschäftigung nicht sichern können. Im Gegenteil, wir müssen für die nächsten Jahre — verstärkt durch demographische Entwicklungen — mit einer Verschlechterung der Arbeitsmarktbedingungen rechnen.
    Meine Damen und Herren, der ständige Vergleich mit dem Ausland, der in schöner Regelmäßigkeit immer angestellt wird, führt hin zu der Äußerung eines Bonner Journalisten, der nach der Regierungserklärung des Bundeskanzlers sagte: Wir brauchen jetzt nur noch das Ausland abzuschaffen; dann ist eigentlich alles in bester Ordnung.

    (Heiterkeit_und Beifall bei der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, Vergleiche mit dem Ausland sind selbstverständlich zulässig, notwendig und angebracht; es kommt nur darauf an, daß man immer treffende Vergleiche zieht und die Ausgangspositionen, von denen aus die Entwicklung stattgefunden hat, mit einbezieht.
    Den sichtbarsten Ausdruck aber finden diese ungenügenden Rahmenbedingungen in dem Leistungsbilanzdefizit, das wir haben. Hierzu hat der Bundeskanzler, wie ich fand, außer der Feststellung, es gebe ein Defizit und man werde es irgendwie ausgleichen, außerordentlich wenig Konkretes gesagt. Dieses Defizit, meine Damen und Herren, hat eine Rekordhöhe von 30 Milliarden DM erreicht und stellt uns vor allergrößte Probleme. Es hat keinen Zweck, der Offentlichkeit zu suggerieren, wir hätten so gewaltige Gold- und Devisenvorräte, daß wir das auf lange Zeit aushalten können. Es ist Tatsache, daß bereits jetzt etwa ein Viertel unserer Reserven zur Deckung dieses Defizits verwandt werden mußten. Der Wahlkampf wäre eine gute Gelegenheit für den Bundeswirtschaftsminister gewesen, einmal auf diese gefährliche Entwicklung hinzuweisen, die ja vom Bundeskanzler in allen seinen Äußerungen mit dem Hinweis auf diesen unerschöpflichen Nibelungenschatz übergangen wurde.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Der Sachverständigenrat sagt zu diesem Phänomen folgendes — ich darf das zitieren —:
    Das Ausland scheint die Fähigkeit der Bundesrepublik, wirtschaftliche Probleme lösen zu können, nicht mehr so hoch zu bewerten wie früher, jedenfalls wenn man den Wechselkurs der D-Mark als Indikator für die Einschätzung dieser Fähigkeit nimmt. Von selbst strömt das Geld nicht herbei, das zur Finanzierung des Leistungsbilanzdefizits notwendig ist.
    Die derzeitigen Leistungsbilanzprobleme sind kein kurzfristig behebbarer Betriebsunfall, sondern sie bedürfen langfristiger Überlegungen, wie wir sie beheben können. Auch das schnelle Pumpen von Geld in den ölproduzierenden Ländern, Herr Bundesfinanzminister, bringt keine Lösung; im Gegenteil. Der Sachverständigenrat schreibt dazu:
    Es hat die internationalen Kapitalmärkte möglicherweise zusätzlich irritiert, wie ein Land, das in den vergangenen Jahren mehr und mehr zum Reservewährungsland geworden ist, in diesem Jahr nach dem Gelde ging.
    Dem internationalen Kapitalmarkt, insbesondere aber auch den Ölstaaten, muß wieder glaubhaft gemacht werden, daß eine Anlage in Deutschland unter stabilen wirtschafts- und finanzpolitischen Rahmenbedingungen stattfinden kann. Langfristig aber können wir das Leistungsbilanzdefizit nur dann beseitigen, wenn wir die internationale Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft im Interesse höherer Exporterlöse stärken und durch eine zielstrebige Energiepolitik unsere Abhängigkeit vom Ö1 spürbar senken.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Im energiepolitischen Bereich liegen die entscheidende Ursache für das Leistungsbilanzdefizit und ein Hauptgrund für die Reserve ausländischer Anleger gegenüber der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung unseres Landes. Gemessen daran ist der energiepolitische Teil der Regierungserklärung mehr als dürftig. Wo ist die Handschrift des Bundeswirtschaftsministers im energiepolitischen Teil dieser Regierungserklärung? Wo ist die Wiederholung der Aussagen, die vor der Wahl gemacht wurden? Oder müssen wir davon ausgehen, Graf Lambsdorff, daß hier inzwischen doch ein gewisser Kontrast zwischen Ihnen und Ihrem Kollegen Baum entstanden ist, daß hier also weniger Koalitionsspannungen zwischen SPD und FDP als vielmehr Spannungen innerhalb der FDP selber die Ursache sind?

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    Noch auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Venedig erklärte der Bundeskanzler klar und bündig:
    Der Einsatz der Kernkraft muß gesteigert werden, wenn der Weltenergiebedarf gedeckt Weden soll. Wir werden daher unsere Kernkraftkapazitäten ausbauen müssen.
    In der Regierungserklärung liest sich das dann so: begrenzter Ausbau der Kernenergie; es darf dem Bürger nicht übergestülpt werden; der Ausbau der Kernenergie erfordert breiten demokratischen Konsens.

    (Zurufe von der SPD)

    Ich bin ein besonderer Freund und Förderer von demokratischem Konsens, meine sehr verehrten Damen und Herren, ein Freund und Förderer! Aber ich habe j a selber am eigenen Leibe erlebt, welche Schwierigkeiten wir in Niedersachsen hatten, einen demokratischen Konsens in diesen Fragen herbeizuführen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)




    Kiep
    Ich sehe in diesen Aussagen auch zur Kernenergie immer wieder eine besondere Eigenschaft und Fähigkeit diese Bundesregierung, die ich mit dem Wort „Verniedlichungssemantik" umschreiben möchte. Da wird vom „Restbedarf" gesprochen, den man eventuell noch durch Kernenergie decken müßte; dabei geht es um fundamentale Fragen unserer Zukunftssicherung.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir brauchen nur über die Grenzen unseres Landes zu sehen, um festzustellen, was etwa in Großbritannien oder in Frankreich in der Frage des Ausbaus der Energiesicherung geschehen ist.
    Zu mangelndem Vertrauen in die weitere wirtschaftliche Entwicklung gibt leider auch die Haushalts- und Finanzpolitik der Bundesregierung Anlaß. Der angeblich große Vorrat an Gemeinsamkeiten in dieser Koalition hat sich auf die Preisfrage reduziert, auf die Frage, wo man in diesem Land vielleicht noch eine Mark lockermachen kann. Diese Finanzpolitik ist weder geeignet, .den Bürger zu einer gewissen Bereitschaft zur Einschränkung seiner Ansprüche gegenüber dem Staat zu veranlassen, noch ist sie geeignet, der Wirtschaft das Vertrauen zu geben, daß hier nach einer klaren Kompaßzahl angesichts der Schwierigkeiten, vor denen wir stehen, vorgegangen wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Mein Kollege Gerhard Stoltenberg wird insbesondere auch zu diesem wichtigen Thema der Finanz-und Steuerpolitik und dem Verhältnis Bund-Länder in diesem Zusammenhang noch Ausführungen machen.
    Mir ist es wichtig, heute darauf hinzuweisen, daß unsere große Sorge, vor der Wahl geäußert, heute Wirklichkeit geworden ist, nämlich daß die Handlungsfähigkeit unseres Staates den Aufgaben, die jetzt vor uns auf dem Tisch liegen, nicht gewachsen ist. Vor dieser Schwierigkeit stehen wir, und darauf erwarten wir von Ihnen eine klare Antwort.


Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kühbacher?

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    Rede von Dr. Walther Leisler Kiep


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Bitte schön.