Rede:
ID0900700000

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    Plenarprotokoll. 9/7 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 7. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 27. November 1980 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 167 C Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Kiep CDU/CSU 129A Roth SPD 136 B Dr. Haussmann FDP 142 D Dr. Graf Lambsdorff, Bundesminister BMWi 145 C Dr. Stoltenberg, Ministerpräsident des Lan- des Schleswig-Holstein 150 C, 174 B Westphal SPD 159 B Frau Matthäus-Maier FDP 164 D Matthöfer, Bundesminister BMF . . . 168A Dr. Blüm CDU/CSU 175 C Rohde SPD 183A Cronenberg FDP 189A Dr. Ehrenberg, Bundesminister BMA . . 193 D Frau Dr. Wex CDU/CSU 197 D Kuhlwein SPD 202 D Frau Dr. Adam-Schwaetzer FDP . . . 207 B Frau Huber, Bundesminister BMJFG . 210A Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP KIM Dae-Jung — Drucksache 9/28 — 167 D Nächste Sitzung 213 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 215*A Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 7. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1980 129 7. Sitzung Bonn, den 27. November 1980 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. van Aerssen 28. 11. Dr. Ahrens * 28. 11. Dr. Barzel 28.11. Büchner (Speyer) * 27. 11. Handlos 28. 11. Höffkes 28. 11. Frau Hürland 28. 11. Kunz (Berlin) 28. 11. Landré 28. 11. Mahne 28. 11. Dr. Mertens (Bottrop) 28. 11. Pawelczyk 28.11. Picard 28.11. Rappe (Hildesheim) 28. 11. Rayer 28. 11. Reddemann * 27. 11. Schmidt (Wattenscheid) 28. 11. Spilker 28. 11. Dr. Steger 28. 11. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Die Sitzung ist eröffnet. Wir fahren mit der
Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung
fort.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Kiep.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Walther Leisler Kiep


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn die Bundesregierung am Beginn einer vierjährigen Legislaturperiode ihre Regierungserklärung abgibt, erwartet eigentlich jedermann, daß sie die Grundzüge ihrer Politik darlegt, politische Fragen aufgezeigt werden, Perspektiven erkennbar werden und vor allen Dingen auch Lösungen angeboten werden.

    (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

    In dieser Hinsicht, meine sehr verehrten Damen und Herren, hat uns und weite Teile der Öffentlichkeit die Regierungserklärung, die hier vorgetragen wurde, enttäuscht.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Während weiter Passagen dieser Regierungserklärung mußte man sich immer wieder mit großer Konzentration in Erinnerung rufen, daß derjenige, der diese Erklärung vorgetragen hat, auch tatsächlich der bisherige Bundeskanzler war, der jetzt in seine dritte Legislaturperiode eintritt.

    (Zuruf des Abg. Wehner [SPD])

    Die dritte Regierungszeit, die jetzt begonnen hat, ist weitgehend von den Ergebnissen der Politik abhängig, die in den letzten zwei Legislaturperioden hier betrieben wurde. Deshalb, meine ich, sind auch Rückschlüsse auf die Qualität dieser Politik zulässig, wenn wir heute in die dritte Periode dieser Regierung eintreten.
    Mit „Mut zur Zukunft" allein wird es sicherlich in diesen vier Jahren nicht getan sein. Es wird vielmehr darauf ankommen, ob die Bürger dieses Landes Vertrauen zu dieser Politik gewinnen, ob sie das Vertrauen gewinnen, das notwendig ist, damit sie ihrerseits ihren entscheidenden Beitrag dazu leisten, um die vor uns liegenden Schwierigkeiten zu überwinden.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Die Bundesregierung sollte es — das wäre meine Empfehlung — dabei mit Friedrich Hayek halten, der gesagt hat:
    Es ist notwendig, daß wir uns von jener schlimmsten Form des heutigen Obskurantismus befreien, die uns einreden will,

    (Zurufe von der SPD: Was ist denn das?)

    — dies ist eine gegen jede Aufklärung gerichtete Denkart von Dunkelmännern, meine Damen und Herren —

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

    daß alles, was wir in den letzten Jahren getan haben, entweder weise oder unvermeidlich war. Wir werden nicht weiser werden, wenn wir nicht zuvor lernen, daß vieles, was wir getan haben, sehr töricht war.

    (Beifall von der CDU/CSU — Zuruf von der CDU/CSU: So ist es! — Wehner [SPD]: Ein magerer Einstand von Ihnen!)

    Das Vertrauen der Bürger in die Politik ist abhängig von der Übereinstimmung dieser Politik mit einem mutigen und richtungweisenden Konzept. Dieses Konzept muß heute mehr denn je darauf angelegt sein, eine ausreichende Beschäftigung, soziale Sicherheit, sozialen Frieden und einen angemessenen Beitrag der Bundesrepublik Deutschland zur Lösung der internationalen Probleme dauerhaft zu gewährleisten.

    (Zuruf von der SPD: Alles richtig!)

    Diese Forderungen, meine Damen und Herren, sind Ausdruck der elementarsten Wünsche unserer Bürger. Eine Politik, die sich diesen Zielen nicht unmißverständlich verschreibt, und nicht Wege aufzeigt, wie sie erreicht werden können, handelt am Bürger vorbei und läßt politische Verantwortung vermissen. Wer heute Mut zur Zukunft anmeldet bzw. von den Bürgern verlangt, muß sich deshalb der Prüfung unterziehen lassen, ob er eigentlich die Ausgangslage für diese Politik richtig einschätzt, ob er die Ursachen der Probleme tatsächlich richtig erkennt und



    Kiep
    ob bzw. wie er deren Beseitigung anstrebt. Die Ausgangslage, in der sich die Bundesrepublik Deutschland zu Beginn der 80er Jahre befindet, ist sowohl national als auch international durch eine krisenhafte Zuspitzung gekennzeichnet.
    Unser Land ist jedoch politisch, strategisch und vor allem wirtschaftlich auf eine funktionierende Infrastruktur des Friedens angewiesen. Unsere Politik, materiell wie konzeptionell, muß deshalb dazu beitragen, daß diese Infrastruktur gewährleistet und gestärkt und nicht bedenklichen Risiken ausgesetzt wird. Wir wissen dabei, daß der Frieden in Europa und in Deutschland — dies ist gestern von verschiedenen Rednern hier zum Ausdruck gebracht worden — nicht nur von Osten her bedroht ist. Die Bedrohung ist geblieben, aber es ist eine zweite hinzugekommen, nämlich die Konflikte in der Dritten Welt, vor allen Dingen in den Regionen, die maßgeblichen Einfluß auf unsere Energie- und Rohstoffsituation und damit auf unsere langfristigen Wachstumschancen ausüben.
    Ich darf daran erinnern, daß in diesem Zusammenhang auch die Frage der Lebenslinien der Bundesrepublik Deutschland, Europas und der westlichen Welt eine entscheidende Rolle spielt. Diese Lebenslinien können durch kriegerische Verwicklungen, Verwerfungen und Eruptionen im Bereich der Dritten Welt in entscheidender Weise gefährdet werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Neigungen zu dirigistischen Tendenzen im Nord-Süd-Dialog — das integrierte Rohstoffprogramm steht dafür genauso wie die Ergebnisse der Seerechtskonferenz — haben bedauerlicherweise weitere Dirigismen in die internationalen Wirtschaftsbeziehungen eingeführt und damit die Gefahr aufgezeigt, daß das, was es heute noch an freiem Welthandel gibt, möglicherweise weiter eingeschränkt wird.
    Die Ölpreispolitik ist ein weiteres entscheidendes Datum der internationalen Rahmenbedingungen für die Bundesrepublik Deutschland: Die Tatsache, daß sich der Ölpreis in zehn Jahren fast vervierzehnfacht hat, zeigt, wie ernst und schwierig diese Frage ist Wenn wir dabei davon ausgehen, daß sich selbst unter günstigsten Bedingungen, nämlich bei Annahme der Jamani-Formel durch die ölproduzierenden Länder, der Ölpreis in den nächsten zehn Jahren vermutlich noch einmal verdoppeln wird, wird die Größenordnung dieses Problems für uns alle deutlich. Wir wissen, daß außenwirtschaftliche und währungspolitische Schwierigkeiten uns weiterhin begleiten.
    Aber auch vor unserer eigenen Haustür werden die Probleme mit Sicherheit nicht geringer. Es ist gestern schon angeklungen, was in der Europäischen Gemeinschaft in den nächsten Jahren auf uns zukommt, nämlich Finanzprobleme, die sich mit der zunehmenden Mitgliederzahl der Gemeinschaft nicht nur addieren, sondern voraussichtlich auch potenzieren werden. Wir haben gerade in den letzten Wochen erlebt, wie wichtig es ist, daß die Bundesregierung, daß der Deutsche Bundestag, daß die deutsche Öffentlichkeit insgesamt einen stärkeren Einfluß auf die Entwicklung innerhalb der Europäischen Gemeinschaft, innerhalb der Europäischen Kommission und innerhalb des Europäischen Parlaments ausübt. Ich darf hinzufügen, daß im Agrarbereich besondere Schwierigkeiten auf uns zukommen, und ich warne davor, sich bei der Lösung dieser Fragen ausschließlich von finanzpolitischen Überlegungen leiten zu lassen. Die weltweite Ernährungslage wird immer kritischer, und wir sollten vielleicht bei aller Notwendigkeit zum finanziellen Überdenken der europäischen Agrarpolitik auch einmal daran erinnern, daß die Leistungsfähigkeit unserer Landwirtschaft immerhin dazu beigetragen hat, daß wir wenigstens in diesem Bereich der Ernährung Europas weitgehend von Tausenden von Meilen von Lebenslinien unabhängig sind, die im Falle einer Krise abgeschnitten oder in Frage gestellt werden können.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

    Durch die gestern hier von Helmut Kohl angeführte Ernährungslage in Osteuropa, vor allem in Polen, gewinnt unsere Fähigkeit zu hoher Produktivität und zu Überschüssen eine zusätzliche Dimension, die auch für Europa Bedeutung hat. Deshalb wollte ich hier nur anmerken, daß man bei der Neuordnung neben finanzpolitischen auch andere Überlegungen in die Diskussion einführen muß.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Dabei darf ich auch daran erinnern, daß die Einkommensentwicklung in der Landwirtschaft, im Gegensatz zu fast allen anderen Gruppen unserer Gesellschaft, real gesehen im Jahre 1979 in erheblichem Umfang rückläufig war. Auch dies verdient Beachtung und muß bei allen Diskussionen mit überlegt sein.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir werden ja im Januar Gelegenheit haben, im Rahmen der Haushaltsberatungen über diese und viele andere Bereiche ausführlich zu sprechen. Ich möchte es mir deshalb heute versagen, hier in alle Einzelheiten der wichtigen Aufgabenfelder unserer Wirtschafts- und Finanzpolitik einzutreten.
    Wirtschaftliche Schwierigkeiten im Ostblock werden uns nach menschlichem Ermessen in den kommenden Monaten sehr viel stärker beschäftigen als bisher. Die Entwicklung und wirtschaftliche Zuspitzung in Polen etwa sind im Grunde genommen nur die Spitze eines Eisberges, der deutlich macht, daß die wirtschaftlichen Probleme im sozialistischen Lager zugenommen haben. Wie es dort wirtschaftlich weitergehen wird, hängt im wesentlichen von der Reformfähigkeit ab, die sich in den nächsten Monaten dort zeigen wird. Die Reformfähigkeit wird der Maßstab für die Überwindung der systemimmanenten Probleme sein, die sich im östlichen Lager stellen. Es ist mit Sicherheit davon auszugehen, daß auch in diesem Zusammenhang zusätzliche Wünsche an uns herangetragen werden. Die Zahl der internationalen Wünsche und Anforderungen an Europa und die Bundesrepublik Deutschland wird aus



    Kiep
    diesem und anderen Gründen in den nächsten Jahren größer.
    Dieser sehr kurze Abriß der internationalen Lage zeigt, daß wir den für uns unerwünschten Folgen nur dann begegnen können, wenn wir uns binnenwirtschaftlich rechtzeitig und in dem erforderlichen Umfang auf sie einrichten und die finanz-, wirtschafts-und gesellschaftspolitischen Voraussetzungen schaffen, um die Leistungsfähigkeit zu steigern, auf die sich die Politik der Bundesregierung in den 80er Jahren stützen muß. Die Antwort muß dabei klar und deutlich sein, weil wir j a vom Bürger Verständnis und zusätzliche Leistungsbereitschaft verlangen. Deshalb genügen allgemeine Anmerkungen und verschwommene Andeutungen hierfür nicht.
    Bedauerlicherweise hat in den vielen Jahren seit Godesberg die Sozialdemokratische Partei zur Sozialen Marktwirtschaft kein positives, kein bejahendes Verhältnis gefunden.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

    Auch das immer wieder beschworene Godesberger Programm hat daran eigentlich nichts geändert, da es ohnehin mehr als ein strategischer Umweg denn als ein Papier grundsätzlicher Einsicht zu bewerten ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich finde, daß sich die SPD in der Frage der sozialverpflichteten Marktwirtschaft eigentlich immer . wieder als eine Partei darstellt, die auf ihren Parteitagen Ordnungspolitik als semantischen Klassenkampf begreift, während der von ihr gestellte Bundeskanzler mehr schlecht als recht den Versuch unternimmt, die Zwänge der Tagespolitik mit den programmatischen Forderungen seiner Genossen so einigermaßen in Übereinstimmung zu bringen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Das Ergebnis dieser Politik, meine Damen und Herren, ist eine ausufernde Staatsquote ohne ordnungspolitische Konturen, aber mit Krisenerscheinungen in der aktuellen Finanz- und Wirtschaftpolitik. Wenn ich aus der gestrigen Diskussion eines in diese wirtschaftpolitische Diskussion einführen möchte, dann ist es die Aussage: es erscheint mir eher notwendig, daß die Sozialdemokratische Partei ein ordnungspolitisches „Godesberg" vornimmt, als daß die CDU/CSU sich einem außenpolitischen Canossagang widmen sollte.

    (Beifall bei der CDU/CSU)