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ID0820802900

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 8/208 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 208. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 20. März 1980 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag des Abg. Ziegler 16615A Verzicht des Abg. Ahlers auf die Mitgliedschaft im und Eintritt des Abg. Dr. Schweitzer in den Deutschen Bundestag . . . . 16615A Begrüßung der Präsidentin des Europäischen Parlaments, Frau Simone Veil, und einer Delegation 16615 A Absetzung eines Punktes von der Tagesordnung 16706 B Erweiterung der Tagesordnung . . . 16706B Bericht zur Lage der Nation Schmidt, Bundeskanzler 16615 D Dr. h. c. Strauß, Ministerpräsident des Frei- staates Bayern 16624 A Genscher, Bundesminister AA 16635 D Dr. Marx CDU/CSU 16642 B Brandt SPD 16650 C Hoppe FDP 16656 C Dr. Dregger CDU/CSU 16660 C Wehner SPD 16665 D Möllemann FDP 16670 A Franke, Bundesminister BMB 16674 D Graf Huyn CDU/CSU 16679 B Frau Schlei SPD 16683 A Beratung der Entschließung des Europäischen Parlaments zur sowjetischen Intervention in Afghanistan — Drucksache 8/3667 — 16686 A Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes — Drucksache 8/2067—Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 8/3826 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung — Drucksachen 8/3495, 8/3758 — Egert SPD 16686B, 16688 A Dr. Becker (Frankfurt) CDU/CSU . . . . 16686 C Hölscher FDP 16690 A Höpfinger CDU/CSU 16691 D Urbaniak SPD 16693 B II Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. März 1980 Spitzmüller FDP 16694 D Grobecker SPD 16696 B Frau Dr. Neumeister CDU/CSU . . . 16696 D Dr. Ehrenberg, Bundesminister BMA . 16697B Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften — Drucksache 8/873 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 8/3827 — Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses — Drucksache 8/3764 — Brandt (Grolsheim) SPD . . . . 16701B, 16703A Regenspurger CDU/CSU 16701 B Wolfgramm (Göttingen) FDP 16704 B Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein, Schulte (Unna), Spitzmüller und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Berücksichtigung des Denkmalschutzes im Bundesrecht — Drucksache 8/3105 — Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses — Drucksache 8/3716 — 16705 B Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Kaffee- und Teesteuergesetzes — Drucksache 8/3297 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 8/3769 — Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses — Drucksache 8/3745 — 16705 D Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Abgeltung von Kriegsschäden deutscher Staatsangehöriger in Italien — Drucksache 8/3419 —Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses — Drucksache 8/3744 — 16706 A Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Bergmannsprämien — aus Drucksache 8/3688 — Erster Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 8/3830 — Erste Beschlußempfehlung und erster Bericht des Finanzausschusses — Drucksache 8/3824 — 16706 C Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung besoldungsrechtlicher und versorgungsrechtlicher Vorschriften 1980 — Drucksache 8/3624 — von Schoeler, Parl. Staatssekretär BMI 16706D Regenspurger CDU/CSU 16707 C Liedtke SPD 16709 B Wolfgramm (Göttingen) FDP 16710 B Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Ausbau der Bundesfernstraßen in den Jahren 1971 bis 1985 — Drucksache 8/3662 — Lemmrich CDU/CSU 16711A Topmann SPD 16713A Merker FDP 16714 C Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zusatzprotokoll Nr. 2 vom 17. Oktober 1979 zu der am 17. Oktober 1868 in Mannheim unterzeichneten Revidierten Rheinschiffahrtsakte — Drucksache 8/3748 — 16717A Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zusatzprotokoll Nr. 3 vom 17. Oktober 1979 zu der am 17. Oktober 1868 in Mannheim unterzeichneten Revidierten Rheinschiffahrtsakte — Drucksache 8/3749 — 16717A Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 12. Dezember 1979 zur Änderung des Vertrages vom 11. September 1970 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Osterreich über Rechts- und Amtshilfe in Zoll-, Verbrauchsteuer- und Monopolangelegenheiten — Drucksache 8/3746 — 16717A Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 15. März 1978 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Mauritius zur Vermeidung der Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. März 1980 III Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen und zur Förderung des Handels und der Investitionstätigkeit zwischen den beiden Staaten — Drucksache 8/3747 — 16717 B Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung der Bundeshaushaltsordnung — Drucksache 8/3785 — 16717 B Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Siebenten Gesetzes zur Änderung des Soldatenversorgungsgesetzes — Drucksache 8/3750 — 16717B Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Maßnahmen für im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen aufgenommene Flüchtlinge — Drucksache 8/3752 — 16717 C Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Wohngeldgesetzes — Drucksache 8/3766 — 16717 C Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP Förderung der Menschenrechtserziehung — Drucksache 8/3751 — 16717 D Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft zur Unterrichtung durch die Bundesregierung UNESCO-Empfehlung über die Fortentwicklung der Weiterbildung — Drucksachen 8/1130, 8/3763 — . . . 16717D Beratung der Sammelübersicht 64 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen — Drucksache 8/3768 — 16718A Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Deutschen Bundestages - Drucksache 8/3770 — 16718B Beratung des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der Aufhebbaren Vierundvierzigsten Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung Aufhebbaren Vierzigsten Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste — Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung — Aufhebbaren Dreiundsiebzigsten Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste — Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz — Aufhebbaren Vierundsiebzigsten Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste — Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz —— Drucksachen 8/3540, 8/3539, 8/3519, 8/3544, 8/3787 — 16718C Nächste Sitzung 16718 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 16719* A Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. März 1980 16615 208. Sitzung Bonn, den 20. März 1980 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete (r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Abelein 21. 3. Dr. van Aerssen* 20. 3. Dr. Ahrens** 21. 3. Dr. Aigner* 21. 3. Alber * 21. 3. Amling 21. 3. Dr. Bangemann* 21. 3. Dr. Bayerl 21. 3. Blumenfeld*** 20. 3. Dr. Corterier*** 21. 3. Dr. Enders** 21. 3. Fellermaier* 21. 3. Flämig*** 21. 3. Frau Geier 21. 3. Dr. Geßner** 20. 3. Kittelmann** 21. 3. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments ** für die Teilnahme an Sitzungen des Europarates *** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete (r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Klepsch* 21. 3. Dr. Kreile 21. 3. Dr. Graf Lambsdorff 21.3. Lampersbach 21. 3. Lange * 20. 3. Dr. Mende** 20. 3. Milz 21. 3. Mischnick 21. 3. Dr. Müller** 21. 3. Müller (Mülheim) 21. 3. Dr. Pfennig * 21. 3. Reddemann** 20. 3. Dr. Schäuble** 21. 3. Frau Schleicher* 21. 3. Dr. Schmidt (Gellersen) 21. 3. Schmidt (Würgendorf) ** 21. 3. Schulte (Unna) 21. 3. Dr. Schwencke (Nienburg) * 21. 3. Seefeld* 21. 3. Frau Tübler 21. 3. Dr. Vohrer** 20. 3. Walkhoff 21. 3. Dr. Wendig 21. 3. Wissmann 21. 3. Wuwer 21. 3. Zebisch** 20. 3.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Alfred Dregger


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Regierungserklärung des Bundeskanzlers heute morgen begann mit dem zutreffenden Satz:
    Die Lage unserer geteilten Nation und die weltpolitische Entwicklung sind unlösbar miteinander verbunden.
    Ich möchte in meinem Beitrag diese Verbindung beleuchten. Ich möchte es nicht beschönigend tun, sondern mit all der Nüchternheit, die dem Ernst der Lage allein angemessen ist. Ich hatte heute den Eindruck, daß der Ernst der Lage in dieser Debatte noch nicht ausreichend sichtbar geworden ist.

    (Zuruf von der SPD)

    Ich will dabei einen Begriff zugrunde legen, der unser außen- und sicherheitspolitisches Denken seit jeher geprägt hat, der im letzten Jahrzehnt sträflich vernachlässigt worden ist, der aber — nachdem die Lage so ist, wie sie ist — auch in den Reden des Bundeskanzlers und des Außenministers zunehmend wiederkehrt: Gleichgewicht, militärisches Gleichgewicht in Europa und in der Welt.
    Wer sich zu einer Politik des Gleichgewichts bekennt, muß wissen, was das in der gegenwärtigen Weltlage bedeutet. Es bedeutet erstens, sich zu etwas zu bekennen, was im letzten Jahrzehnt weitgehend verlorengegangen ist. Es bedeutet zweitens, etwas zu erstreben, was die Sowjetunion mit allen Mitteln politischen Drucks und politischer Propaganda zu verhindern versucht. Es bedeutet daher drittens, die Spannungen in Kauf zu nehmen, die mit diesem Druck der Sowjetunion zur Verhinderung des Gleichgewichts unvermeidlich verbunden sein werden.
    Daß diese drei Thesen zutreffen, läßt sich am leichtesten für den Bereich der eurostrategischen Nuklearwaffen nachweisen. Die Bundesregierung selbst spricht hier von der Notwendigkeit der Nachrüstung. Nachrüstung bedeutet ja, daß die andere Seite vorgerüstet hat, also gegenwärtig militärisch überlegen ist. Wir alle wissen, daß das nicht nur für diesen Bereich, sondern genauso für die Land- und Luftstreitkräfte und für die Zivilverteidigung ein-



    Dr. Dregger
    schließlich des zivilen Bevölkerungsschutzes gilt, den es ja in der Bundesrepublik Deutschland so gut wie nicht gibt.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Sehr richtig! — Leider wahr!)

    Disparitäten also in der Zivilverteidigung, bei den Land- und Luftstreitkräften, bei den nuklearen Mittelstreckenwaffen. In der Vergangenheit wurden diese Disparitäten durch die Überlegenheit unseres amerikanischen Verbündeten in den interkontinentalen Nuklearwaffen ausgeglichen. Diese Überlegenheit besteht nicht mehr, wie wir alle wissen. Unsere amerikanischen Verbündeten laufen Gefahr, auch auf diesem Felde noch unterlegen zu sein, wenn sie sich nicht sehr anstrengen. Aber schon die jetzt erreichte Parität in den interkontinentalen Waffen bedeutet, daß die kontinentalen Disparitäten in Europa voll zu Lasten des Westens durchschlagen. Schlußfolgerung also: das militärische Gleichgewicht in Europa ist in gefährlicher Weise in Frage gestellt. Das zu These eins.
    Nun zu These zwei! Daß die Sowjetunion nicht bereit ist, an der vom Westen erstrebten Wiederherstellung des Gleichgewichts durch Rüstungskontrollvereinbarungen mitzuwirken, hat sie mit nicht zu überbietender Brutalität deutlich gemacht. Außenminister Gromyko hat bei seinem letzten Besuch in Bonn öffentlich erklärt, der Nachrüstungsbeschluß der NATO schließe Rüstungskontrollverhandlungen aus. Das ist um so bemerkenswerter, als die NATO diese Verhandlungen vorgeschlagen hatte, um die Verwirklichung ihres eigenen Nachrüstungsbeschlusses überflüssig zu machen. Statt auf dieses Angebot einzugehen, statt Parität auf möglichst niedrigem Niveau — am besten ohne Mittelstreckenwaffen — zu vereinbaren, lehnt die Sowjetunion Verhandlungen auf der Basis der Gleichheit ab.
    Was bedeutet das? Die Sowjetunion verlangt nicht weniger als die Unterwerfung des Westens schon vor dem Beginn der Verhandlungen. Sie stellt uns vor eine Wahl. Wir sollen zwischen der Fortsetzung der Entspannungspolitik, so wie sie sie versteht, und der Wiederherstellung des Gleichgewichts wählen. Wir sollen gleichzeitig wählen zwischen der Fortsetzung der Entspannungspolitik in der Art der Sowjetunion und der Bündnissolidarität zu unseren wichtigsten Alliierten, den USA.
    Daß die Sowjetunion uns heute vor diese Wahl stellen kann, wurde durch eine Entspannungspolitik ermöglicht, die nicht nur auf die Gleichheit von Leistung und Gegenleistung im politischen Bereich, sondern zunehmend auch auf das Gleichgewicht im militärischen Bereich verzichtet hat.

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

    Daß eine derartige Entspannungspolitik trotz aller nationalen Opfer der Deutschen den Frieden nicht sicherer machen konnte, daß sie ihn unsicherer machen mußte, war all jenen von Anfang an klar, die im letzten Jahrzehnt nüchtern geblieben sind. Inzwischen kommt diese Tatsache auch denen zu Bewußtsein, die sich selbst und andere getäuscht haben.
    Meine Damen und Herren, es ist gewiß schwieriger und risikoreicher, verlorengegangenes Gleichgewicht wiederherzustellen, als vorhandenes Gleichgewicht zu bewahren. Aus der von mir gegebenen Analyse der Lage folgt daher noch nicht, welche Politik jetzt möglich und richtig ist. Die Herren Brandt, Bahr und Wehner, die Architekten der Entspannungspolitik ohne Gleichheit und ohne Gleichgewicht, empfehlen uns, auf die Wiederherstellung des Gleichgewichts zu verzichten und die Entspannungspolitik ohne Gleichgewicht fortzusetzen.

    (Zuruf von der SPD: Lügen!)

    Sie sind offensichtlich bereit, um dieses Zieles willen auch die Aushöhlung der Bündnissolidarität mit den USA in Kauf zu nehmen. — Ja, meine Damen und Herren von der SPD, wenn Herr Brandt auf den Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan erklärt, das sei ein Zeichen dafür, daß es ein Zuwenig und nicht ein Zuviel an Entspannung gibt, dann muß er doch annehmen, durch noch mehr Entspannungspolitik der alten Art die Lage wiederherstellen zu können. Und wenn der Herr Wehner erklärt: Keine Mittelstreckenwaffen in Deutschland, dann entzieht er damit doch der NATO und der Sicherheitspolitik der eigenen Bundesregierung die Grundlage.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Wehner [SPD]: Woher wissen Sie denn das, Sie Alleswisser? ser? Dann haben Sie sich anlügen lassen! — Dr. Marx [CDU/CSU]: Hier sind die Zeitungen, in denen es geschrieben steht! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    — Herr Wehner, dann ist die ganze Weltöffentlichkeit angelogen worden. Wenn Sie etwas anderes gesagt haben, dann geben Sie uns den Text, in dem steht, wie Sie es gesagt haben.

    (Wehner [SPD]: Gucken Sie sich das Bundestagsprotokoll an, ehe Sie Lügen weiterverbreiten! — Gegenrufe von der CDU/ CSU — Zuruf des Abg. Wehner [SPD] zur CDU/CSU)

    — Ich warte immer noch auf Ihren Text.

    (Wehner [SPD]: Das werde ich Ihnen noch übersetzen!)

    Meine Damen und Herren, wenn diese Politik der Herren Brandt, Bahr und Wehner, der sich mit Recht sehr getroffen fühlt, auch falsch und, wie ich meine, auch lebensgefährlich ist, so ist sie wenigstens konsequent. Das letztere wird man von der Politik des Bundeskanzlers nicht sagen können.
    Die Ankündigung des Bundeskanzlers, die Sowjetunion werde die angestrebten Rüstungskontroliverhandlungen am Nachrüstungsbeschluß der NATO nicht scheitern lassen, hat sich als falsch herausgestellt. Während der Bundeskanzler in der ersten Fassung seiner Weihnachtsansprache noch die Friedensliebe der Sowjetunion beschrieb, marschierte sie in Afghanistan ein. Zunächst schwieg der Bundeskanzler. Was er seitdem sagt, ist widersprüchlich. Ich erinnere an die Frage des Olympia-Boykotts, wo er noch in Amerika Wert darauf legte, sich in dem gemeinsamen Kommuniqué von der amerikanischen Haltung durch die Beschreibung



    Dr. Dregger
    unserer Haltung abzusetzen. Ich frage, ob das den deutschen Interessen nützlich sein konnte.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich erinnere an seine verschiedenen Stellungnahmen zur Nützlichkeit von Handelsbeschränkungen und zu den Möglichkeiten der deutschen Wirtschaft, sich daran zu beteiligen. Ich erinnere an die heißen und kalten Blitzgüsse, mit denen er wechselnd den amerikanischen Präsidenten auszeichnet — ein Meisterstück von Diplomatie, meine Damen und Herren. Was den Bundeskanzler dabei bewegt, ist nicht klar ersichtlich. Schwankt er zwischen Einsicht und Selbsttäuschung, schwankt er zwischen dem amerikanischen und dem französischen Präsidenten, oder schwankt er nur zwischen Genscher und Wehner?

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Auf jeden Fall schwankt er, und das ist schlimm

    (Zuruf von der SPD: Das ist Quatsch!)

    „Denn der Mensch, der zur schwankenden Zeit auch schwankend gesinnt ist, der vermehret das Übel und bereitet es weiter und weiter.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Herr Bundeskanzler, Sie kennen das Zitat; ein solcher Mensch sind Sie. Vielleicht liegt es nicht an Ihrem Charakter, sondern nur an den Machtverhältnissen in Ihrer Partei; im Ergebnis kommt es auf dasselbe heraus. Sie ermutigen durch ihre schwankende Haltung den Aggressor; sie schüren seine Hoffnung, das Bündnis spalten und Europa von den USA abkoppeln zu können.

    (Zuruf von der SPD: Unverschämt!)

    Sie wecken Zweifel bei dem Verbündeten, auf dessen absolute Bündnistreue wir im Ernstfall angewiesen sind.

    (Dr. Ehmke [SPD]: Das hat Strauß alles nicht genehmigt, was Sie sagen!)

    Ich verkenne nicht, daß in der gegenwärtigen Lage, Herr Ehmke, jede eindeutige Positionsbestimmung nicht nur mit positiven, sondern auch mit negativen Konsequenzen verbunden ist.

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Die mag er nicht!)

    Aber der Verzicht auf eine klare Positionsbestimmung — das kann man Herrn Brandt und Herrn Wehner nicht vorwerfen — hat nur negative Konsequenzen.
    Wer sich dem sowjetischen Druck nicht beugt, wer das militärische Gleichgewicht wiederherstellen will, was auch Ihnen vorzuschweben scheint, Herr Bundeskanzler, der muß bereit sein, sich der Spannung auszusetzen, die mit dem ultimativen Druck Moskaus und dem Durcheinander in Ihrer Partei unvermeidlich verbunden ist.
    Prüfen wir aber noch einmal sorgfältig, ob die von den Herren Brandt, Bahr und Wehner, also von der Parteiführung der SPD, vorgeschlagene Politik des Verzichts auf Gleichgewicht, ob eine Entspannungspolitik ohne Gleichgewicht eine verantwortbare Alternative ist! Das hängt von der Bewertung der Ziele und der Methoden sowjetischer Politik ab.

    (Dr. Ehmke [SPD]: Pappkamerad Dregger!)

    Es ist nicht schwierig, sie zu erkennen. Afghanistan ist weder ein Einzelfall noch ein Betriebsunfall noch ein Schwächezeichen sowjetischer Politik, wie einige Toren in ihrer Strohhalmmentalität uns glauben machen wollen. Afghanistan ist Glied in einer Kette, die bereits 1939 mit der Eingliederung von Estland, Lettland, Litauen und Ostpolen, damals im Bündnis mit Hitler, in die Sowjetunion begann. Diese Kette setzte sich nach dem Kriege durch die Eingliederung von Polen, der Tschechoslowakei, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Ost- und Mitteldeutschland in das sowjetische Imperium fort. Die sowjetische Expansion in Europa wurde 1949 durch die NATO gestoppt, also durch Gleichgewicht,

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Nicht durch die Entspannungspolitik!)

    nicht durch eine Entspannungspolitik besonderer Art, wie sie erst 1970 begann.
    Die dritte Phase der sowjetischen Expansion, die noch anhält, vollzieht sich in Asien und Afrika. Angola und Mozambique im südlichen Afrika, Äthiopien und Aden/ Südjemen am Horn von Afrika, jetzt Afghanistan sowie Indochina mit Vietnam, Laos und Kambodscha, zuvor Kuba — um nur die wichtigsten Stationen zu nennen — gehören heute zum sowjetischen Macht- und Einflußbereich.
    Die Instrumente der sowjetischen Expansion in Asien und Afrika sind der ideologische Kampf, sind weltweite Propagandaaktionen, an denen sich viele westliche Politiker und Publizisten beteiligen, und zwar ohne Rücksicht auf die Folgen für die betroffene Bevölkerung. Denken Sie nur an die unglücklichen Menschen in Vietnam, Laos und Kambodscha, an die Bootsflüchtlinge, denken sie auch an die Zustände im Iran! Zu den Instrumenten dieser Expansion gehört die Lieferung von Waffen, die Entsendung kubanischer Kampftruppen und deutscher Militärinstrukteure in Spannungsgebiete. Dazu gehört die Schürung regionaler Konflikte, z. B. zwischen Indien und Pakistan, zwischen China und den südostasiatischen, zwischen Israel und den arabischen Ländern.
    Bei keiner ihrer Aktivitäten ist die Sowjetunion bisher ein unkalkulierbares Risiko eingegangen. Tatsachen hat die Sowjetunion stets respektiert, aber nur Tatsachen, nicht Reden und Resolutionen.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Mattick [SPD]: Was wollen Sie denn tun? — Weitere Zurufe von der SPD)

    Wenn es weiter so ist, daß die Sowjetunion die Tatsachen schafft und der Westen Reden und Resolutionen entgegensetzt, dann wird er sich nicht durchsetzen.

    (Schmidt [Hamburg] [SPD]: Welche Tatsachen?)




    Dr. Dregger
    — Von den Tatsachen habe ich gerade gesprochen. Ich meine die Tatsachen, die in diesen Ländern Asiens und Afrikas gesetzt worden sind.

    (Schmidt [Hamburg] [SPD]: Was schlagen Sie für den Jemen vor?)

    — Ich habe Ihnen heute morgen sehr geduldig zugehört, obwohl das sehr anstrengend war, Herr Bundeskanzler. Ich darf ebenfalls um etwas Geduld bitten.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Schmidt [Hamburg] [SPD]: Aber selbst bei Herrn Dregger werden noch Zwischenrufe erlaubt sein!)

    Das ergibt sich nicht nur aus einer nüchternen Analyse der sowjetischen Politik, sondern auch aus den Erklärungen der sowjetischen Führer, die im Westen unverständlicherweise entweder nicht zur Kenntnis genommen oder nicht geglaubt werden. Die sowjetischen Führer haben nie einen Zweifel daran gelassen, daß ihre Politik der Entspannung nicht auf Dauer angelegt ist, daß sie nur als Durchgangsphase im weltrevolutionären Kampf begriffen wird, daß sie dem derzeitigen — oder muß man nach zehn Jahren dieser Entspannungspolitik schon sagen: dem bisherigen? — Kräftegleichgewicht auf der Welt entsprach. Dieses Kräftegleichgewicht soll jedenfalls nicht stabilisiert, sondern überwunden werden durch den Sieg des Kommunismus im Weltmaßstab, selbstverständlich unter sowjetischer Führung. Das ist die erklärte Staats- und Parteidoktrin der Sowjetunion. Die praktische Politik stimmt mit dieser Doktrin nahtlos überein und kann nur durch sie, nicht durch anderes erklärt werden.
    Diese Doktrin, meine Damen und Herren, ist die Grundlage der Herrschaft der kommunistischen Staats- und Parteifunktionäre; sie ist die Legitimation der ungeheuren Entbehrungen, die diese Funktionärsschicht den Völkern der Sowjetunion durch übermäßige Rüstungslasten auferlegt. Es hat keinen Sinn, sich über diese Doktrin und die ihr entsprechende Praxis moralisch zu entrüsten. Man muß sie ganz einfach zur Kenntnis nehmen und sich darauf einstellen.
    Die Schlußfolgerung — nun komme ich zu dem, was Sie wünschen, Herr Bundeskanzler —, die sich aus dieser Doktrin und der politischen Praxis der Sowjetunion für den Westen ergibt, ist zwingend: Entspannungspolitik auf Dauer ist ohne Gleichgewicht nicht möglich. Entspannungspolitik ohne Gleichgewicht führt unvermeidlich zum Ende der Entspannung; zunächst zur sowjetischen Hegemonie und dann zur sowjetischen Weltherrschaft. Wer Entspannung nicht nur als Durchgangsphase zum Sieg des Kommunismus im Weltmaßstab, sondern wer Entspannung auf Dauer will, für den gibt es zur Gleichgewichtspolitik daher keine Alternative. Ich betone: zur Gleichgewichtspolitik; vorher haben Sie immer gesagt, es gebe keine Alternative zur Entspannungspolitik.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wenn uns die Sowjetunion vor die schlimme Alternative stellt: Gleichgewicht oder Entspannung, wie sie sie sich vorstellt, dann können wir nur das Gleichgewicht wählen. Die von den Herren Brandt,
    Bahr und Wehner und der Parteiführung der SPD empfohlene Politik ist daher keine verantwortbare Alternative. Sie ist absolut unakzeptabel, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Je eher und je konsequenter wir zu einer Politik des Gleichgewichts zurückkehren, je eindeutiger und je fester wir uns an die Seite unserer wichtigsten Alliierten stellen und diese auch moralisch stärken, desto eher und besser dienen wir dem Frieden.
    Seien wir uns klar darüber: Wer nicht den Frieden, sondern die Entspannung zum obersten Wert erhebt, auch dem Aggressor gegenüber, der gefährdet den Frieden und wählt die Unterwerfung.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Aus dieser Erkenntnis ergeben sich Konsequenzen für unsere Politik nicht nur in, sondern auch außerhalb Europas. Europas Abhängigkeit von Asien und Afrika war nie so groß wie jetzt. Ohne offene Rohstoff- und Energiemärkte und ohne offene Exportmärkte sind wir lebensunfähig. Wenn die Sowjetunion die Golfregion kontrolliert, kontrolliert sie uns.
    In dieser Situation kann es nicht darum gehen, der drohenden sowjetischen Hegemonie in der Golfregion durch eine westliche Hegemonie zuvorzukommen. Es geht ausschließlich darum, den Ländern der Golfregion und den Ländern der Dritten Welt eine nicht nur von Moskau, sondern von den Großmächten unabhängige Politik zu ermöglichen. Ob diese Länder zu einer solchen Politik bereit und fähig sind, ist auch — aber nicht nur eine Frage des militärischen Gleichgewichts. Es hängt auch und vor allem von ihrer inneren Stabilität ab, die wir fördern müssen. Es hängt schließlich nicht zuletzt davon ab, wie wir mit diesen Ländern umgehen.
    Dabei spielt nicht nur der Umfang der Entwicklungshilfe eine Rolle. Wenn es darauf ankäme, müßten die Länder der Dritten Welt geschlossen hinter dem Westen stehen. Die Entwicklungshilfeleistungen des Westens betrugen 1978 einschließlich Japans 20 Milliarden Dollar. Das mag zu wenig sein. Die des Sowjetblocks betrugen aber nur eine halbe Milliarde Dollar, also nur ein Vierzigstel der westlichen Leistungen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Davon hat Herr Brandt nichts gesagt!)

    Von den Exporten der Dritten Welt nimmt der Westen 19 Zwanzigstel ab, der Sowjetblock nur ein Zwanzigstel. Dieses Übergewicht an Entwicklungshilfeleistungen hat dem Westen wenig genützt. Es gibt heute nur noch wenige Länder der Dritten Welt, die bereit wären, sich offen an die Seite des Westens zu stellen. Das spektakulärste Beispiel ist die Zurückweisung der allerdings unzureichenden amerikanischen Hilfe durch Pakistan.
    Woran liegt der Sympathie- und Vertrauensverlust des Westens in der Dritten Welt? Meine Antwort: Erstens. Man kann nicht mit jedem zusammenarbeiten. Aber wenn man mit jemandem zusammen-



    Dr. Dregger
    arbeiten will, muß man ihn zunächst so nehmen, wie er ist. Das gilt nicht nur für das Leben der einzelnen Menschen, sondern auch für das Zusammenleben der Völker. So wünschenswert es ist, westliche Vorstellungen von Demokratie und Rechtsstaat über die Welt zu verbreiten, so schädlich und kontraproduktiv ist es, wenn das dogmatisch und ohne Rücksicht auf den anderen geistigen Hintergrund der asiatischen und afrikanischen Völker geschieht.

    (Zuruf von der FDP: Das sagen Sie mal Herrn Todenhöfer!)

    Die islamische Welt ist anders als die christlich geprägte Welt, und das hinduistisch geprägte Indien ist wiederum anders. Wer erfolgreiche Asien- und Afrikapolitik betreiben will, muß daher die Kultur und die Geistesgeschichte dieser Völker studieren und sich darauf einstellen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Was für Asien und Afrika gilt, gilt auch für Lateinamerika, das zwar christlich und europäisch geprägt, das aber trotzdem weder in der Zusammensetzung seiner Völker noch in seiner geistigen Entwicklung mit Europa oder Nordamerika identisch ist. Es war sicherlich eine herbe Enttäuschung für die Vereinigten Staaten, daß Argentinien nicht bereit war, sich dem amerikanischen Getreideboykott gegen die Sowjetunion anzuschließen. Überraschend war es nicht. Es war die Quittung für die Verständnislosigkeit, mit der der Westen die innere Situation eines Landes beurteilt, das in seiner jüngsten Geschichte vom Peronismus geprägt wurde, das daher anders als z. B. Chile nicht über intakte Parteistrukturen verfügt, ein Land, in dem die Alternative zur Militärregierung zur Zeit leider nicht westliche Demokratie, sondern ein links- oder rechtsperonistisches, d. h. ein faschistisches System wäre. Wer das alles übersieht und vom hohen Roß Zensuren verteilt, wie es die Linken in Westeuropa und die Liberals in Nordamerika so gerne tun, muß in einer kritischen Situation mit Konseqenzen rechnen.
    Was für die Verbreitung westlicher Vorstellungen von Rechtsstaat und Demokratie gilt, gilt auch für den gemeinsamen Wunsch der USA und der Sowjetunion nach Nichtverbreitung von Atomwaffen. Das liegt sicherlich im allgemeinen Interesse. Trotzdem ist es, wie ich meine, unklug, wenn sich die USA von der Sowjetunion in die Rolle des Weltpolizisten drängen lassen, während sich die Sowjetunion selbst vornehm zurückhält.
    Zweitens. Der Westen muß nicht nur die Eigenart und das Selbstwertgefühl der Länder der Dritten Welt, er muß auch ihre nationalen und regionalen Interessen respektieren oder sie wenigstens nüchtern in seine Überlegungen einbeziehen. Indien z. B. sieht in der Sowjetunion nicht nur eine Bedrohung, sondern — ob zu Recht oder zu Unrecht — auch ein Gegengewicht gegenüber Pakistan und China. Obwohl Pakistan im Hinblick auf seine innere Schwäche und seine Bedrohung von Norden für Indien keine Gefahr sein kann und obwohl China seine Außenpolitik gegenüber Indien grundlegend verändert hat und eine Wiederholung des Grenzkrieges von 1962 daher nicht in Frage kommt, möchten weder die jetzige indische Regierung noch die frühere, die heutige Opposition, die sowjetische Karte gänzlich aus ihrem Spiel entlassen. Es liegt im Interesse des Westens und der Region, die Gefühle der Angst und des Mißtrauens zwischen Indien auf der einen Seite sowie Pakistan und China auf der anderen Seite abzubauen. Aber das wird nicht dadurch gefördert, daß man hier im Westen die indische Politik als „moskauhörig" diffamiert. DaB das falsch ist, hat sich beim Besuch des indischen Außenministers jetzt in Bonn und bei seinen Erklärungen ebenso gezeigt wie in dem Gespräch, das ich vor einigen Wochen mit Frau Gandhi in Delhi führen konnte.
    Das Dritte, was der Westen in seiner Politik gegenüber den Ländern der Dritten Welt beachten muß, ist sicherlich das Wichtigste: Er muß kalkulierbar und zuverlässig sein. Die Politik des Westens muß einen langen Atem haben und darf nicht sprunghaft sein. Werden die USA die jetzige Linie gegenüber der Sowjetunion nach Afghanistan beibehalten, oder werden sie sie um 180 Grad verändern? Das ist die bange Frage, die sich die Freunde des Westens in der Dritten Welt stellen. Der Rückzug aus Vietnam und das Fallenlassen des Schah haben das Vertrauen in die Zuverlässigkeit des Westens, um es vorsichtig auszudrücken, nicht gerade vergrößert.
    Schließlich: Es muß sich — auch ökonomisch und sozial — lohnen, mit dem Westen befreundet zu sein. Es ist masochistisch, seine Freunde nicht besser oder gar schlechter zu behandeln als seine Gegner, wozu der Westen neigt. Das heißt nicht, daß der Westen seine Entwicklungshilfe auf diejenigen asiatischen und afrikanischen Länder konzentrieren sollte, die sich hundertprozentig hinter ihn stellen. Die Politik des Westens muß auch insofern einen langen Atem haben, als sie Veränderungen in der Innen- und der Außenpolitik dieser Länder zum Nachteil des Westens nicht gleich mit Sanktionen bei der Entwicklungshilfe bestraft.

    (Zustimmung bei Abgeordneten der CDU/ CSU)

    Aber daß man seinen Freunden mehr hilft als anderen, das ist bei unverbildeten Menschen — und die Länder der Dritten Welt sind unverbildet — so selbstverständlich, daß das Gegenteil nur Verwirrung auslösen kann.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Aus denselben politisch-psychologischen Gründen halte ich es auch für falsch, den Eindruck zu erwecken, wir erwarteten für unsere Hilfe keine Gegenleistungen. Das wird nicht als Großzügigkeit, sondern als Arroganz empfunden. Sagen wir daher den Ländern der Dritten Welt, daß wir auf sie so angewiesen sind wie sie auf uns und daß wir auf ihre Hilfe rechnen, wie sie auf die unsere rechnen!

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ein Letztes: Politik ohne Macht bleibt auch in Asien und in Afrika in der Regel wirkungslos. Es entspräche unseren Wünschen, wenn die Länder der Dritten Welt selbst in der Lage wären, das



    Dr. Dregger
    Gleichgewicht gegenüber der Sowjetunion zu wahren. Dazu sind sie im militärischen Bereich jedoch weder technisch noch ökonomisch in der Lage. Allein China dürfte auch einer Großmacht gegenüber defensivfähig sein, ich betone: defensivfähig, nicht offensivfähig. Daneben verfügt das kommunistische Vietnam über eine bedeutende Militärmacht. Alle anderen Länder der Dritten Welt können sich militärisch allenfalls gegen kommunistische Subversion schützen. Gegen einen äußeren Angriff können sie höchstens ersten Widerstand leisten.
    Die Aufgabe, das militärische Gleichgewicht gegenüber der Sowjetunion im Südatlantik, im Indischen Ozean und im Pazifischen Ozean aufrechtzuerhalten, kann nur von den USA zusammen mit den anderen Industriestaaten erfüllt werden. Ich zweifle daran, daß die Amerikaner allein dies können und auf Dauer wollen. Westeuropa und Japan haben auch moralisch und politisch keinen Anspruch darauf, daß diese Aufgabe auch zu ihren Gunsten allein von den USA wahrgenommen wird. Die ökonomische Kraft der neun Staaten der Europäischen Gemeinschaft mit einem Bruttosozialprodukt von 2 000 Milliarden Dollar im vorigen Jahr ist nahezu so groß wie das Bruttosozialprodukt der USA mit 2 100 Milliarden Dollar. Die Abhängigkeit Westeuropas und Japans von der Golfregion ist weit größer als die Abhängigkeit der Vereinigten Staaten von diesen Regionen der Welt.

    (Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

    Westeuropa und Japan werden daher auf die Dauer einen Anteil übernehmen müssen, der unter Berücksichtigung ihrer sonstigen Verpflichtungen, ihrer ökonomischen Kraft und ihrem Interesse in etwa entspricht.
    Diese Erkenntnis zwingt nicht dazu, den Allianzbereich der NATO auszudehnen, was ich nie gefordert habe. Es bedeutet auch nicht die Notwendigkeit, daß alle westlichen Industriestaaten sich am militärischen Schutz der Lebenslinien des Westens in Übersee beteiligen, was ich ebenfalls nie gefordert habe. Es bedeutet aber, daß sich alle westlichen Verbündeten mitverantwortlich fühlen und daß sich diejenigen, die nicht in anderer Weise besonders gebunden sind wie z. B. wir an der mitteleuropäischen Zentralfront, sich an dem Schutz dieser Lebenslinien mit den USA auch militärisch beteiligen.
    Meine Damen und Herren, die Zukunft der Welt hängt davon ab, ob sich der Westen nach Afghanistan so verhält, wie er sich nach dem Überfall auf die Tschechoslowakei im Jahre 1968 verhalten hat.

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Sehr wahr! Viel geredet, schnell vergessen!)

    Darauf hat die Sowjetunion spekuliert, und es steht noch nicht fest, ob sie sich dabei getäuscht hat.

    (Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Leider wahr!)

    Wenn sich der Westen nach einer Anstandsfrist, in
    der er sich zerstreitet, Afghanistan genauso vergißt,
    wie er die Tschechoslowakei vergessen hat, und
    dann erneut in politischen Tiefschlaf verfällt, dann hat er keine Zukunft.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

    Wenn der Westen durch Afghanistan auf Dauer aufgewacht sein sollte, wenn er nicht nur in Europa, sondern auch in den anderen Regionen der Welt durch eine kluge Politik gegenüber den Entwicklungsländern und durch militärische Anstrengungen für Gleichgewicht sorgt, dann ist Optimismus möglich; denn der Westen ist der Sowjetunion nicht nur ökonomisch überlegen. Wenn Sie die wirtschaftliche Kraft der neun Staaten der Europäischen Gemeinschaft und der USA zusammennehmen — es sind 4 100 Milliarden Dollar Bruttosozialprodukt im vorigen Jahr — und das mit der Sowjetunion vergleichen — 800 Milliarden Dollar —, stellen Sie fest, daß die ökonomische Überlegenheit des Westens das Fünffache beträgt. Der freie Westen ist der sowjetischen Diktatur vor allem auch moralisch und politisch überlegen. Was dem Westen fehlt, sind nicht Mittel und Möglichkeiten, sondern Wirklichkeitssinn und Selbstbehauptungswille. Wenn er sie zurückgewinnt, dann kann der Friede gesichert werden, dann wird es Entspannung nicht nur vorübergehend, wie es sich die Sowjetunion vorstellt, sondern auf Dauer geben. Dann kann man vielleicht sogar hoffen, daß sich die Sowjetunion in einem längeren Zeitraum aus einer imperialistischen und weltrevolutionären zu einer saturierten Großmacht wandelt, die zum Frieden der Welt beiträgt. Darauf durch eine konsequente Politik des Gleichgewichts hinzuwirken, ist die große Aufgabe der 80er Jahre. Die Vereinigten Staaten von Amerika sind offensichtlich auf Dauer dazu entschlossen. Wir sollten sie unterstützen, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Der Sowjetunion aber wollen wir sagen: Wir wollen auch mit ihr in Frieden, möglichst in Freundschaft leben, wir wollen mit ihr Handel treiben und geistigen Austausch pflegen. Wir wollen das aber ohne Angst tun können. Zu einem Satelliten ist die deutsche Nation nicht geeignet. Wir wollen Partnerschaft, wollen als Gleiche auf der Basis des Gleichgewichts mit ihr im Frieden leben.

    (Beifall bei der CDU/CSU)



Rede von Dr. Annemarie Renger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wehner.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Herbert Wehner


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Unterschied zu meinem Herrn Vorredner möchte ich die Regierungserklärung, die hier heute der Bundeskanzler gegeben hat, positiv bewerten und dem Bundeskanzler herzlich danken

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    sowohl für die Erklärung als auch für das, was er in ihrem Rahmen in Erinnerung gebracht hat in bezug auf das, was mit den Namen Erfurt und Kassel jedenfalls bei manchen noch in Erinnerung ist; andere werden versuchen, sich noch einmal ein Bild darüber zu machen.
    Der Ministerpräsident des Freistaats Sachsen hat leider auf diese Regierungserklärung — —

    (Lachen bei der CDU/CSU)




    Wehner
    — Bayern; ja!

    (Fortgesetztes Lachen bei der CDU/CSU)

    — Moment! Wenn Sie sich ausgelacht haben — Sie lachen sich ja selber aus —, werde ich Ihnen mal die Wende in der Geschichte sagen.

    (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Die Erinnerung ist wieder hochgekommen!)

    Meine Heimat hieß in der Weimarer Republik Freistaat Sachsen; genauso: Freistaat Thüringen.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    — Nun lassen Sie mich doch einmal ausreden, Sie Düffel-Doffel da!

    (Heiterkeit bei der SPD und der FDP — Lachen bei der CDU/CSU)

    Jetzt ist es umgekehrt. Jetzt gibt es einen Freistaat Bayern.

    (Broll [CDU/CSU]: Herr Wehner, was haben Sie bloß für Sachen gemacht!)

    Ist in Ordnung. So dreht sich das Karussell.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    — Ist gut. Ich habe keine Heimat mehr. Sie haben sie, und die ist jetzt Freistaat. Ich wünsche gute Reise in die Geschichte.

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Danke schön!)

    Ich erinnere hier auch an den 19. März 1980,

    (Sauer [Salzgitter] [CDU/CSU]: Reise in die Geschichte? Sie denken an Ihr rotes Halstuch?!)

    der in Erinnerung gebracht hat, was vor 10 Jahren in Erfurt ausgesprochen worden ist. Ich zitiere gerade auch deshalb, weil manche hier in ihren Beiträgen zu dieser Debatte nicht sehr gerecht geurteilt haben, den damaligen Bundeskanzler, den ersten sozialdemokratischen Bundeskanzler, Willy Brandt:
    Deutsche Politik nach 1945 war bei allen Aufbauleistungen hüben und drüben

    (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Hüben!)

    nicht zuletzt eine Funktion der Politik der Mächte, die Deutschland besiegt und besetzt hatten. Die Machtkonfrontation zwischen Ost und West überwölbte seitdem die deutsche Situation und teilt Europa. Wir können diese Teilung nicht einfach ungeschehen machen. Aber wir können uns bemühen, die Folgen dieser Teilung zu mildern und aktiv zu einer Entwicklung beizutragen, die sich anschickt, die Gräben zuzuschütten, die uns trennen in Europa und damit auch in Deutschland.
    Damals sind Grundsätze, von denen sich die Bundesregierung leiten ließ, so dargestellt worden:
    1. Beide Staaten haben ihre Verpflichtungen zur Wahrung der Einheit der deutschen Nation. Sie sind füreinander nicht Ausland.
    2. Im übrigen müssen die allgemein anerkannten Prinzipien des zwischenstaatlichen Rechts gelten, insbesondere der Ausschluß jeglicher
    Diskriminierung, die Respektierung der territorialen Integrität, die Verpflichtung zur friedlichen Lösung aller Streitfragen.
    3. Dazu gehört auch die Verpflichtung, die gesellschaftlichen Strukturen im Gebiet des Vertragspartners nicht gewaltsam ändern zu wollen.
    4. Die beiden Regierungen sollten eine nachbarschaftliche Zusammenarbeit anstreben, vor allem die Regelung der fachlich-technischen Zusammenarbeit, wobei gemeinsame Erleichterungen in Regierungsvereinbarungen festgelegt werden können.
    5. Die bestehenden Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte in bezug auf Deutschland als Ganzes und Berlin sind zu respektieren.
    6. Die Bemühungen der Vier Mächte, Vereinbarungen über eine Verbesserung der Lage in und um Berlin zu treffen, sind zu unterstützen.
    Es war ein wichtiger Tag, als diese sechs Grundsätze, von denen sich die Bundesregierung leiten ließ, deutlich ausgesprochen wurden. Das sollte nicht völlig in Vergessenheit geraten.
    Ich bin dem Bundeskanzler dankbar für seine für viele, die sie nachlesen werden, doch wohl nachdenklich stimmende Darlegung der 20 Punkte von Kassel. Es hat sich gelohnt, daß das heute hier herausgehoben worden ist.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Meine Damen und Herren, mein verehrter Herr Vorredner hat hier von Brandt, Bahr und Wehner gesprochen, die empfehlen würden, auf das Gleichgewicht zu verzichten.

    (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Zum Beispiel defensive Rüstung der Sowjetunion!)

    — Ich habe Sie ja nicht gemeint, Herr, obwohl Sie jetzt wie ein Papagei dazwischenreden.

    (Lachen bei der CDU/CSU)

    Nein, nein, ich rede zu meinem verehrten Vorredner. Sie meinen, weil Sie neben ihm sitzen, könnten Sie sich auch alles erlauben; das ist so nicht. —

    (Erneutes Lachen bei der CDU/CSU)

    Nein, nein, hier ist das ganz einfach, Herr Kollege Dregger: Wir drei, wie Sie sagen, die Sie hier genannt haben, empfehlen keineswegs, auf das Gleichgewicht zu verzichten. Wir sind mit Helmut Schmidt über die Notwendigkeit des Gleichgewichts ein und derselben Meinung; das ist die Tatsache.

    (Beifall bei der SPD)

    Meine Damen und Herren, ich habe hier die Ausführungen, die der Bundeskanzler nach der Bekanntgabe der Erklärung des Präsidenten der Französischen Republik und des deutschen Bundeskanzlers in Paris auf die Frage eines Korrespondenten, der sogar einen bedeutenden Namen hat, gemacht hat, nämlich auf die Frage, ob der Ausdruck „Entspannung" nicht überholt und sogar ein gewisser



    Wehner
    „Fetischismus" sei. Helmut Schmidt hat geantwortet:
    Entspannung setzt voraus, daß einer nicht so viel mächtiger ist als der andere, daß der andere fürchten muß, er könne eines Tages überwältigt werden. Mit anderen Worten: Entspannung setzt Gleichgewicht voraus, Gleichgewicht insbesondere der militärischen Faktoren. Und insofern war das Konzept, das schon zu Nixons und Breschnews Zeiten, später zu Jimmy Carters und Breschnews Zeiten hinter den SALT-Verhandlungen stand — SALT I wie SALT II —, Gleichgewicht der nuklear-strategischen Kräfte auf beiden Seiten, die Herstellung einer grundlegenden Vorbedingung für Entspannung überhaupt. Man kann Gleichgewicht natürlich auf zweierlei Weise herstellen: durch einen Rüstungswettlauf, daß einer versucht, mindestens so schnell zu laufen wie der andere — das wird eine Spirale, höchst gefährlich —, man kann es auch herstellen durch beiderseitig verpflichtende Begrenzung der Rüstung. Entspannung ist nicht möglich ohne Gleichgewicht. Die Wiederherstellung des Gleichgewichts, die Stabilisierung des Gleichgewichts — das ist eine der wichtigsten Aufgaben in diesem Jahr 1980 und darüber hinaus.
    So ganz klar der Bundeskanzler Helmut Schmidt nach der Deklaration, die er zusammen mit Giscard d'Estaing abgegeben hat.

    (Zuruf von der CDU/CSU: St. Ingbert!)

    Sie haben vorhin gesagt, die von Ihnen genannten drei — in diesem Fall haben Sie Brandt, Bahr und Wehner genannt — seien völlig anderer Meinung. Nein, wir sind dieser Meinung; in diesem Punkt gibt es keine Differenz.

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/ CSU)

    Meine Damen und Herren, da hier vorhin Unruhe war und gesagt wurde, in allen Zeitungen hätte ja gestanden, daß — — Dessen bin ich mir sicher. Ich könnte Ihnen hier eine einzige, wirklich anständige Wiedergabe dessen vorlesen,

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Die anderen sind unanständig?)

    — ich bitte Sie, ich darf das hier doch wohl sagen —, was ich tatsächlich gesagt habe. Daß sich andere völlig irren und daß sie den Irrtum mit Genuß verbreiten, kenne ich doch. Es lebe die Freiheit der Presse, es lebe aber auch meine, gelegentlich zu sagen, wie sie etwas falsch macht; das sage ich Ihnen.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich habe auch eine Freiheit. Ich ergebe mich nicht dem, was einen hetzen soll; das kommt nicht in Frage.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    — Nein, nun lassen Sie mich bitte einmal sprechen. Sie haben ja noch Gelegenheit, heute den ganzen
    Tag bis spät in die Nacht zu reden, Sie bedeutenden Herren. — Was habe ich hier gesagt?

    (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Wenn Sie die Presse beschimpfen wollen, dann beschimpfen Sie nicht uns, Herr Wehner!)

    — Reden Sie doch keinen Stuß, reden Sie doch keinen StuB, Sie weiser Herr!

    (Lachen bei der CDU/CSU — Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Jetzt haben Sie doch die Presse beschimpft!)

    — Ja, ja. Nun gehen Sie hin und machen Sie eine Anzeige gegen mich, Sie Knabe!

    (Erneutes Lachen bei der CDU/CSU — Kittelmann [CDU/CSU]: Sie sind sehr liebenswürdig, Herr Wehner!)

    — Mann, Sie sind doch nicht ganz voll.
    Meine Damen und Herren, ich gebe Ihnen wortwörtlich, was ich in zahlreichen — —

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    — Ja, Sie können es nicht aushalten, daß einmal jemand feststellt, was er wirklich gesagt hat.

    (Beifall bei der SPD — Erneute Zurufe von der CDU/CSU)

    Sie wollen ihn dann niederbrüllen, Sie wollen die Freiheit des Brüllers haben. Das ist Ihre Art von Parlamentsauffassung. Ich habe eine ganz andere. Da müssen ganz andere Leute kommen, als daß ich mich niederbrüllen lasse.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, ich zitiere jetzt, was ich sowohl in St. Ingbert als auch anderswo gesagt habe. Sie werden sich wundern: Genau dasselbe, was ich dort gesagt habe, habe ich auch hier im Bundestag gesagt. Ich nenne Ihnen die Fundstelle jetzt schon: Sie finden das im Protokoll 8/191 auf der Seite 15 065. Sie werden das dort wortwörtlich wiederfinden. Warum? Damals habe ich auf eine Rede des Herrn bayerischen Ministerpräsidenten geantwortet, der anzweifelte, daß wir in Fragen des Rüstungsgleichgewichts aufrichtig seien. Ich lese Ihnen jetzt vor, was ich tatsächlich in dem Beschluß mit verfaßt habe, den der Ordentliche Parteitag der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands im Dezember in Berlin mit großer Mehrheit angenommen hat.

    (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: St. Ingbert!)

    — Muß ich Ihnen sagen, daß ich dasselbe in St. Ingbert gesagt habe?

    (Vorsitz: Vizepräsident Dr. von Weizsäcker)

    Glauben Sie, Sie können mich irritieren? Sie können ganz etwas anderes mit mir, aber mich nicht irritieren.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP — Sauer [Salzgitter] [CDU/CSU]: Was können wir denn mit IhWehner nen? — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU)




    — Weil Sie es sonst unmöglich machen. Sie sind nämlich nicht Parlamentarier, sondern Sie sind das Abscheu-Bild eines Quasi-Parlamentariers.

    (Sauer [Salzgitter] [CDU/CSU]: Jetzt reicht es aber! Wir sind hier nicht im Sächsischen Landtag!)

    — Ich gehöre dem Bundestag seit über 30 Jahren an. Solche Mob-Szenen wie in diesem 8. Bundestag hat es selten gegeben.

    (Widerspruch bei der CDU/CSU — Kittelmann [CDU/CSU]: Das ist ein Skandal, was Sie sich da leisten!)

    — Ja, ja, das ist ein Skandal. Sie sind ein Skandal für dieses Haus. Das ist alles.

    (Dr. Hoffacker [CDU/CSU]: Das ist wie in Afghanistan!)

    — Das kann sein. Dann holen Sie mal Ihre Kalaschnikow und sagen — so wie der Brzezinski —: „Am liebsten möchte ich schießen."

    (Pfui-Rufe von der CDU/CSU — Pfeffermann [CDU/CSU]: Das ist eine Beleidigung für das ganze Haus! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    — Das Haus nicht. Das Haus wollen sie sowieso umbauen, Herr!
    Ich zitiere:
    Friedenspolitik, die Politik der sozialen und politischen Entspannung, bleibt vom Rüstungswettlauf in der Welt bedroht. Sozialdemokratische Politik sieht, wie es im Godesberger Programm heißt, die Grundsätze der Landesverteidigung in der Schaffung von Voraussetzungen für eine internationale Entspannung und für eine wirksame kontrollierte Abrüstung. Dieser Auftrag des Godesberger Programms besteht unverändert fort.
    Entspannung und Abrüstung setzen Gleichgewicht voraus. Das globale Gleichgewicht darf weder regional noch weltweit durch einseitige Aufrüstung gefährdet werden. Bei der Herstellung des Gleichgewichts haben Rüstungskontrolle und Abrüstung eindeutig die politische Priorität.
    Die konkurrierenden Staaten und Bündnisse müssen von der Friedensbereitschaft des anderen ausgehen, diese Auffassung auch aussprechen und aufhören, sich das Gegenteil zu unterstellen. Verteidigungspolitische Maßnahmen. dürfen nicht Überreaktionen sein, die aus Mißtrauen und Angst entstehen. Das subjektive Sicherheitsbedürfnis der jeweils anderen Seite muß in Rechnung gestellt werden. Die Art des innenpolitischen Schlagabtausches über die Begriffe „defensiv" und „offensiv hat gezeigt, wie gering bisher Fähigkeit und Wille sind, in diese schwierigen Zusammenhänge einzudringen.
    Dann folgt, was ich immer wieder erkläre, das, was in dem Punkt 28 unseres mit großer Mehrheit angenommenen Beschlusses steht:
    Die Solidarität des Bündnisses muß sich bewähren. Wir werden auch künftig unsere Politik fortsetzen, die jederzeit deutlich sichtbar macht, daß wir weder Nuklearmacht sind noch werden. Eine ausschließliche Stationierung nuklearer Mittelstreckenwaffen auf deutschem Boden kommt nicht in Frage. Die nächsten Jahre werden auch darüber entscheiden, ob der nukleare Rüstungswettlauf gebremst werden kann oder die Gefährdungen für die Welt weiter steigen werden. Deshalb darf es keine Automatismen geben. Der Gang der Verhandlungen und die erwarteten Ergebnisse müssen es den Politikern der NATO jederzeit möglich machen, Beschlüsse zu überprüfen und, wenn nötig, zu revidieren.
    Aus diesen Gründen soll die Bundesregierung der Stationierung der von den USA in eigener Verantwortung zu entwickelnden Mittelstrekkenwaffen in Europa (die frühestens 1983 möglich ist) nur unter der auflösenden Bedingung zustimmen, daß auf deren Einführung verzichtet wird, wenn Rüstungskontrollverhandlungen zu befriedigenden Ergebnissen führen.
    Ziel der Verhandlungen ist es, durch eine Verringerung der sowjetischen und eine für Ost und West in Europa insgesamt vereinbarte gemeinsame Begrenzung der Mittelstreckenwaffen die Einführung zusätzlicher Mittelstreckenwaffen in Westeuropa überflüssig zu machen.
    ... Es ist zu prüfen, ob bei fortschreitendem Verhandlungsprozeß überprüfbare Vereinbarungen (Moratorien) über einen Produktions- und Stationierungsstopp neuer nuklearer Waffensysteme die Erfolgsaussichten von Verhandlungen zwischen NATO und Warschauer Pakt erleichtern würden.
    Das ist der authentische Text, den ich immer in jeder meiner Reden — weil ich das Thema immer wieder behandle: „Sicherheit für die 80er Jahre" —, so wie ich das hier gemacht habe, zitiere.

    (Beifall bei der SPD)

    Und dann kommen Sie. Meine Damen und Herren, um es Ihnen zu erleichtern, sage ich Ihnen nochmal: das Protokoll der 191. Sitzung. Da habe ich das genauso in Erwiderung auf eine Rede des Herrn Ministerpräsidenten des Freistaats Bayern hier zitiert und habe dann noch hinzugefügt:
    Herr Ministerpräsident, worum es den Sozialdemokraten geht und worauf Sie wohl auch hinzielen — Sie haben ja genau an dem Tag, der der Tag vor den NATO-Erörterungen in Brüssel ist, hier das Wort genommen, was auch Ihr gutes Recht ist —, ist das Folgende. Die Entscheidung, die von der NATO im Dezember getroffen wird, und gleichzeitig Verhandlungen mit der UdSSR, dem Warschauer Pakt sind untrennbar verbunden. Dies ist die Voraussetzung für das, was in der unmittelbar vor uns stehenden Zeit von uns, der Bundesrepublik Deutschland, als Bestand-



    Wehner
    teil dieses Bündnisses, aus zu tun ist, zugleich durch die Verträge mit den Nachbarn im Osten, die zwar nicht wesensgleich mit den Verträgen sind, die uns in die westliche Verteidigungsgemeinschaft NATO und in die Wirtschaftsgemeinschaft Europäische Gemeinschaft integrieren, die man aber, weil man auf einem Bein bestenfalls stehen kann, als zweites Bein braucht, um an die Tische gehen zu können, an denen von Gleichberechtigten, wenn auch nicht Gleichmächtigen, über das, was auch unser Interesse ist, verhandelt wird: Sicherung des Friedens.
    In Klammern steht da dann: „(Beifall bei der SPD)". Hinzu habe ich gefügt:
    Das ist es, was wir mit unserem Beschluß wollen.
    Und dann steht in Klammern: „(Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Darüber gibt es keinen Streit!)".

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

    — Das steht hier drin, Herr Mertes. „Darüber gibt es keinen Streit!", haben Sie damals gesagt. Das scheint sich inzwischen geändert zu haben. Aber warum nicht?

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Wenn Herr Kollege Dregger das, was er dem Bundeskanzler vorwarf, er sei wohl schwankend — Herr Dregger hat sich das natürlich zusammengestellt und geschrieben, um es rechtzeitig auch noch hier vortragen zu können —, nachher noch einmal gut überlegt, wird er einiges seiner eigenen Beurteilung
    — er muß es nicht laut machen —, in seinen eigenen Gedanken korrigieren müssen.
    Dann möchte ich ihm folgendes sagen, meine Damen und Herren: Wir werden noch schwere Zeiten vor uns haben und zu durchleben haben. Es kann sein, daß gewisse Dinge jetzt so in die Luft steigen wie ein schöner bunter Luftballon. Ich denke zum Beispiel an dieses mit einem Zeitultimatum verbundene „Wenn bis zum 20. Februar ..., dann Olympiade-Boykott"; das ist ganz menschlich, das habe ich durchaus verstanden. Nur, dann kommt der logische Zwang, wenn wir dann hier sitzen werden — vielleicht werden Sie es erst richtig spüren, wenn der nächste Bundestag gewählt ist und zusammentritt — und uns dann damit zu befassen haben: „Wie bringen wir z. B. den innerdeutschen Sportverkehr wieder in Gang?", der nämlich dann einfach platzen wird.

    (Zuruf von der CDU/CSU)

    — Bitte sehr, ich habe keine Angst, ich werfe es Ihnen auch gar nicht vor, aber alles überlegt haben Sie nicht.
    Eines allerdings gebe ich zu: Bei Ihnen sind manche an der ständigen Aufregung im innerdeutschen Verhältnis so interessiert, daß es denen natürlich ein gefundenes Fressen sein wird, wenn die anderen sagen: Schluß mit innerdeutschen Sportbeziehungen! Dann kann man nämlich wieder protestieren.
    Dann kann man vielleicht auch die Transitstrecken ziemlich belasten.

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Erzählen Sie mal, was Sie wollen! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    — Das habe ich ja schon: Wir wollen, daß Verträge eingehalten werden.

    (Beifall bei der SPD)

    Es ist jetzt eine Situation, in der z. B. erstmals Persönlichkeiten von einem gewissen Rang in den Parteien mit dem C vorn und dem U hinten der Wirtschaft öffentlich vorwerfen, daß sie noch keine Handelsbeziehungen abgebrochen hat. Einer der Kollegen hier — ich will ihn jetzt nicht noch beschämen
    — hat sogar öffentlich dazu aufgefordert und gesagt, der Schaden, der auf die Unternehmen zukäme, müßte vom Staat erstattet werden. Der das gesagt hat, ist ein bedeutender Herr, der viel mit Export zu tun hat, früher, glaube ich, auch mit Export in jene Gebiete zu tun hatte. Aber sei es wie es sei, wir werden das alles noch erleben.

    (Dr. Hoffacker [CDU/CSU]: Sie decken damit Afghanistan!)

    — Ich decke Afghanistan? Überhaupt nicht!

    (Dr. Hoffacker [CDU/CSU]: Sie unterwerfen sich dem Zwang da!)

    — Ich habe mich noch nie jemandem unterworfen, auch nicht Ihren Schreiern. Noch nie habe ich mich jemandem unterworfen. Dort, wo ich gemerkt habe, daß ich einen Fehler gemacht habe, habe ich mich entschuldigt. Aber mich unterworfen? Da müssen Sie erst einmal einen Neuen erfinden, den Sie an meine Stelle setzen. Das gibt es überhaupt nicht.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich weiß ja, wonach es Sie gelüstet. Ich weiß, daß Sie glauben, Sie kommen jetzt in eine Zeit, in der man andere hetzen muß. Ich kenne das. Das habe ich bei jeder Bundestagswahl erlebt. Ich hoffe, daß es niemandem genauso ergeht wie mir bei den Bundestagswahlen 1949, 1953, 1957 und bei allen anderen.

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Sie leiden unter Verfolgungswahn!)

    Ich war immer der Prügelknabe der Nation.

    (Graf Stauffenberg [CDU/CSU]: Jetzt kommen die Tränen!)

    — Wenn Sie sich hier aufspielen, so spielen Sie sich bitte auf, aufregen werden Sie mich nicht.
    Nur, denken Sie daran: In einigen Monaten werden wir uns über das Weiterdrehen des Rades Afghanistan, und was dazugehört, noch manchen Kopf zerbrechen müssen, wie wir Schaden von unserem Land abwenden, weil wir — unsere Grundposition ist klar — ja nicht völlig allein wie auf einer Insel handeln können. Denken Sie bitte darüber nach!

    (Beifall bei der SPD — Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Ein Beispiel für Fairneß! Ein Kommentar zum Fairneß-Abkommen! — Dr. Marx [CDU/CSU]: Dafür haben wir ein Fairneß-Abkommen gemacht?! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)