Wir sollten jetzt versuchen
— diesen Appell habe ich schon an anderer Stelle an die Opposition gerichtet —,
gemeinsam zu überlegen, wie wir das Asylrecht in liberalem Geiste praktizieren, wie wir das Verfahren beschleunigen, ohne das Grundrecht auf Asyl zu verletzen.
Natürlich hat der Kollege Riedl recht, wenn er auf die große Zahl der Asylanten und auf die Lasten, die Gemeinden und Länder zu tragen haben, hinweist.
Die Zahl der Asylanten ist im letzten Jahr außerordentlich in die Höhe gegangen. Dieser Anstieg ist in diesem Jahr nicht zu verzeichnen, aber er pendelt sich auf dem Niveau des Vorjahres ein, wenn man die vietnamesischen Flüchtlinge abzieht, die in den Zahlen vorhanden sind.
Es ist keinesfalls so, daß alle Asylfälle sehr klar zu beurteilen sind. Nur 25 % werden von den Gerichten als offensichtlich unbegründet betrachtet. Die anderen gehen alle in dieses von uns vorgesehene Verfahren.
Ich möchte zu den bayerischen Versuchen, das Asylrecht zu ändern, hier klar erklären: Ich halte an dem Verfassungsartikel 16 fest. Dies ist ein Grundrecht, das die Verfassungsväter wegen der bitteren Erfahrungen der Nazizeit aufgenommen haben. Ich möchte an diesem Verfassungsartikel festhalten, auch wenn er uns Lasten bringt, und ich werde mich gegen jeden Versuch wehren, dieses Asylrecht gesetzlich auszuhöhlen oder aufzuweichen.
Die Entscheidungen dürfen nicht an die Grenze verlagert werden, sondern diese Entscheidungen gehören in das ordentliche Asylverfahren, wie wir es gesetzlich vorgesehen haben, und sie gehören in die Zone des Art. 19, d. h., sie müssen gerichtlich nachprüfbar sein.
So sieht es unsere Verfassung.
Das Thema innere Sicherheit, meine Damen und Herren, bleibt intensiv in der innenpolitischen Diskussion. Dies haben nicht zuletzt die Debatten im Plenum wie die Beratungen im Innenausschuß gezeigt. Jenseits aller Meinungsverschiedenheiten und politischen Auseinandersetzungen möchte ich in einer grundsätzlichen Bemerkung hervorheben: unser freiheitlicher Rechtsstaat hat sich bisher allen Angriffen gegenüber als stabil und abwehrfähig erwiesen,
und ich bin sicher, er wird es auch in Zukunft sein.
Dieses demokratische Selbstbewußtsein, das Vertrauen der Bürger in den Rechtsstaat sind die
eigentlichen Grundlagen unserer freiheitlichen
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Bundesminister Baum
Ordnung, nicht die Gesetze, sondern das Vertrauen der Bürger in diese freiheitliche Gesellschaft.
Weimar hatte viele gute Gesetze, aber Weimar ist dennoch zugrunde gegangen, weil dieses Vertrauen nicht vorhanden war.
Liberale Innenpolitik hat den Nachweis erbracht, daß sich Sicherheit und Freiheit nicht gegenseitig ausschließen. Sicherheit in Freiheit ist möglich, aber ohne Freiheit gibt es keine Sicherheit. Den Bedrohungen der Freiheit mit rechtsstaatlichen Mitteln zu begegnen, meine Damen und Herren, das ist die beste Verteidigung der Freiheit.
Die Lage der inneren Sicherheit bietet bei nüchterner Betrachtung keinerlei Anlaß für eine Dramatisierung, auch wenn manche Bedrohungen andauern. Aus der vom Bundeskriminalamt erstellten Kriminalstatistik für das Jahr 1978 ergibt sich sogar, daß der Anstieg der Gesamtkriminalität erheblich gebremst werden konnte. 1978 registrierten wir mit 2,8 % die geringste Steigerungsrate der letzten fünf Jahre. Die Abschwächungstendenz hat sich auch 1979 fortgesetzt. Dies gilt für allem für so wesentliche Kriminalitätsbereiche wie z. B. die Straftaten gegen das Leben.
Der Überfall auf die Volksbank in Zürich unterstreicht die nach wie vor bestehende Gefährlichkeit terroristischer Gewalttäter.
— Es haben sich auch die Befürchtungen bestätigt, Herr Kollege, daß die in Jugoslawien freigelassenen Personen erneut Gewalttaten verüben werden. Wir müssen jetzt fest davon ausgehen, daß sie nach Europa zurückgekehrt sind.
Die Lage in Zürich ist ein Indiz dafür, daß auch weiterhin Gewalttaten geplant und vorbereitet werden. Den Schweizer Behörden, an der Spitze Bundesrat Furgler, möchte ich auch von dieser Stelle für die gute Zusammenarbeit ausdrücklich danken.
Ohne eine europäische, internationale Zusammenarbeit, wie wir sie in verschiedenen Formen praktizieren, ist die Bekämpfung dieser Kriminalität überhaupt nicht möglich.
Es gibt keine Anzeichen dafür, daß der harte Kern der Terroristen bereit ist, aufzugeben. Es besteht daher kein Anlaß, die Situation zu verharmlosen. Aber der Fahndungsdruck konnte . durch systematische und beharrliche Tätigkeit der Polizei von Bund und Ländern verstärkt werden. Ich möchte der Polizei, an der Spitze dem Präsidenten des BKA, von dieser Stelle aus danken,
ebenso wie Präsident Meier und den Verfassungsschutzbehörden unser Dank gebührt, die bedeutende Erfolge auf dem Gebiet der Spionagebekämpfung in diesem Jahr zu verzeichnen haben. Es gab insgesamt eine Reihe wichtiger Fahndungserfolge. Darüber hinaus wurden die Vorbereitungen für weitere Verbrechen und die Logistik erheblich gestört. Die Entdeckung einer Reihe von konspirativen Wohnungen belegt dies.
Die Situation derer, die im Terrorismus verstrickt waren, ohne zum harten Kern zu gehören, gibt uns Anlaß zu der Hoffnung, daß die Signale, die wir gegeben haben, dort aufmerksam beobachtet werden. Die Selbstgestellungen von Peter Görlich und Susanne Herlinghausen, die Rückkehr von Astrid Proll und Christina Berster vermindern sicher nicht die Gefahren, die von den noch aktiven Terroristen ausgehen. Aber sie können eine Signalwirkung für die jungen Menschen haben, die am Rande terroristischer
Verstrickung leben, den Rückweg anzustreben.
Sie können ein Zeichen für die sein, die möglicherweise auf dem Sprungbrett stehen, in den Untergrund zu gehen.
Lassen Sie mich ein Wort zu einem anderen Kriminalitätsbereich sagen, zur Rauschgiftkriminalität. Das Anwachsen der Todesfälle durch Rauschgiftmißbrauch ist alarmierend. Bis zum 27. November waren es 542 Todesfälle gegenüber 430 im ganzen Jahr 1978. Die festgestellten Rauschgiftdelikte im Jahre 1978 stiegen um 9,7%, die Zahl der ermittelten Tatverdächtigen um 11,4%.
Ich meine, die Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität muß den gleichen Stellenwert haben wie die Bekämpfung des Terrorismus. Die wirksame Bekämpfung des Drogenangebots ist aber nur in internationaler Zusammenarbeit mit den HerkunftsTransit- und den gleichermaßen vom Rauschgiftmißbrauch betroffenen Staaten wie den USA möglich. Die Zusammenarbeit mit diesen Ländern konnte verbessert werden.
— Ja, ich weiß, und 'ich habe das abgelehnt, Herr Kollege Jäger.
Wenn wir nicht gemeinsam unsere Anstrengungen verstärken, wird auf die Dauer kein Staat dieser Seuche entgehen. Von diesem Bewußtsein gingen auch die Innenminister der Europäischen Gemeinschaft auf ihrer letzten Sitzung aus.
Neben der Verstärkung der Kontrollen an den Grenzen durch Zoll- und Grenzschutzeinzeldienst ist es Aufgabe des Bundeskriminalamts, den international organisierten Handel zu treffen. Zentrale Aufgabe der Länderpolizeien ist die Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität im Inland. Einen Beitrag zur Bekämpfung dieses Übels wird der vom Bundeskabinett im Oktober verabschiedete Regierungsentwurf zur Neuordnung des Betäubungsmit-
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telrechts leisten; denn mit dem neuen Gesetzentwurf wird die Doppelstrategie — verschärfte Maßnahmen gegenüber dem organisierten Verbrechen, Milderung und Straflosigkeit gegenüber dem Konsumenten — weiter ausgebaut. Ich sage ganz klar und deutlich: Für mich wäre ein Drogengesetz, das nur Strafverschärfung vorsieht, nicht akzeptabel. Strafe, die Therapie verhindert, ist schädlich.
Wir müssen das Strafrecht nutzen, um die Therapie zu stärken. Therapie statt Strafe muß die Forderung lauten.
Wir müssen dafür sorgen, daß von Bestrafung abgesehen werden kann, wenn eine therapeutische Behandlung vorgenommen wird. Ich sage ganz hart: Wir wollen mit einer solchen Vorschrift und entsprechenden Anordnungen der Richter Druck auf die Länder und Gemeinden ausüben, endlich mehr Therapieplätze zu schaffen.
Die Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität darf nicht der Polizei und der Justiz allein überlassen werden. Die Erfolge der Polizei halten sich wegen der großen Schwierigkeiten bei der Bekämpfung ohnehin in Grenzen. Die Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität ist eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft. Wir sollten uns nicht abwenden, wenn sich Menschen selbst zerstören. Wir sollten den Ursachen nachgehen.
Ich möchte noch ein Wort zum Ausbauprogramm innere Sicherheit sagen. Das war bei den Haushaltsberatungen ein besonderes Thema. Ich möchte dazu bemerken, daß gewisse Streckungen im zeitlichen Ablauf auch von mir hingenommen werden können. Allerdings muß grundsätzlich klar sein, daß es sich hierbei nicht um echte Kürzungen handelt. Die weiteren Planungen der Behörden dürfen nicht von Unsicherheitsfaktoren belastet werden. Es muß vor allem sichergestellt werden, daß der Bundesrechnungshof seine Prüfung im BKA so schnell durchführt, daß die Ergebnisse für den Haushalt 1981 verwertet werden können.
Was die Schutz- und Begleitdienste angeht, Herr Kollege Walther, so sind wir dabei, eine Modifizierung vorzunehmen, die auch vom Haushaltsausschuß, dem wir sie schon vorgetragen haben, begrüßt worden ist. Sie sollen nach kriminalfachlicher Beurteilung den bisherigen Sicherheitsstandard mindestens halten bei, wie ich hoffe, gleichzeitiger erheblicher Verringerung des Kostenaufwands.
Noch einige Worte zum Datenschutz, der mir in den nächsten Monaten in der Arbeit der Gesetzgebung sehr wichtig zu sein scheint. Das Bundesdatenschutzgesetz war ein Beginn. Immerhin haben wir mit mehr an Datenschutz verwirklicht, mehr an praktischen Dingen zur Verbesserung des Datenschutzes machen können, als manche Kritiker wahr haben wollen.
Hierin stimme ich dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz zu, der dieses so gescholtene Gesetz, Herr Kollege Schäfer, an dessen Zustandekommen Sie wesentlichen Anteil hatten, in Schutz genommen hat. Es hat uns wirklich den Einstieg in den Datenschutz in diesem Lande ermöglicht.
Ich begrüße, daß alle drei Fraktionen ihre Absicht bekundet haben, Verbesserungen am Bundesdatenschutzgesetz vorzunehmen und den Datenschutz weiterzuentwickeln. Die Fortentwicklung des Datenschutzes ist bereits in vollem Gange. Wir entwikkeln im Bereich der Verwaltung allgemeine Kriterien für die Erhebung, Speicherung, Übermittlung und Löschung von personenbezogenen Daten und Dateien im Sicherheitsbereich. Wir haben jetzt Löschungsfristen für die im Sicherheitsbereich gespeicherten Daten festgesetzt, auch im Verfassungsschutz. Nicht etwa im Alleingang, meine Damen und Herren von der Opposition, sondern im Einvernehmen von Bund und Ländern. Alle Länder waren beteiligt. Die Speicherungsvoraussetzungen werden verschärft. Das Ziel heißt nach wie vor: effektive Sicherheit in klaren rechtlichen Grenzen.
Diesem Ziel dient auch die Reform der Amtshilfe zwischen Nachrichtendiensten und Polizei. Ich habe das eben schon erwähnt. Die Amtshilfediskussion ist zum großen Teil eine Diskussion über die Grenzen der Informationshilfe und damit Datenschutzdiskussion. Extensive Amtshilfe kann alle Datenschutzregelungen einfach überspielen.
Die Beamten im Sicherheitsbereich, wo immer sie tätig sind, haben einen Anspruch darauf, daß ihnen ein klarer rechtlicher Rahmen vorgegeben wird. Hierzu werden wir im Frühjahr Vorschläge vorlegen, sobald die Auswertung der eingeholten Gutachten über die Amtshilfegrenzen zwischen Bundesgrenzschutz und den Nachrichtendiensten abgeschlossen ist.
Die rechtliche Präzisierung der Amtshilfegrenzen und die Amtshilfediskussion, meine Damen und Herren, werden dazu beitragen, daß der Konsens über diesen sensiblen Bereich verbreitert wird. Man wird in Zukunft weniger darüber streiten können, ob in einem bestimmten Fall — und solche Fälle werden immer wieder hochgespielt — die Amtshilfegrenzen beachtet worden sind oder nicht.
Damit wird aber auch das Vertrauen in die Arbeit der Sicherheitsbehörden gestärkt. Ich sage hier noch einmal ganz deutlich: Es ist das Ziel meiner Tätigkeit, nicht das Vertrauen abzubauen, sondern das Vertrauen in die Sicherheitsbehörden zu stärken, indem wir kritische Fragen aus der öffentlichen Meinung aufnehmen und zu einer Klärung bringen.
Das heißt, meine Damen und Herren: Ich wende
mich entschieden gegen das Gerede, wir würden die
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Sicherheitsbehörden verunsichern. Dies ist nicht der Fall. Ich habe mich in allen Fällen, in denen die Sicherheitsbehörden zu Unrecht angegriffen oder verunglimpft worden sind, vor diese Behörden gestellt, und ich werde das auch in Zukunft tun.
— Nur bin ich der Meinung, Herr Kollege: In einem Rechtsstaat muß auch Kritik ertragen werden können, auch von Beamten muß Kritik ertragen werden können, auch von Beamten der Sicherheitsbehörden.
Ich stimme hier dem Bundeskanzler, der das im Bundesamt für Verfassungsschutz gesagt hat, ausdrücklich zu.
Gemeinsam mit dem Bundeskriminalamt und dem Bundesamt für Verfassungsschutz sind Maßnahmen zur Aufhebung des unmittelbaren Zugangs zum Informationssystem des jeweiligen anderen Amtes eingeleitet worden.
Der Entwurf des Melderechtsrahmengesetzes zeigt, daß eine Verbesserung des bisher landesrechtlich zersplitterten Melderechts bei gleichzeitiger Beachtung der Erfordernisse des Datenschutzes durchaus erreichbar ist. Wir werden in Kürze die Beratungen über dieses Gesetz führen.
Noch einige Bemerkungen zur zivilen Verteidigung, Herr Kollege Gerster: Jeder von uns weiß, daß der Zivilschutz ohne Bereitstellung erheblicher Haushaltsmittel nicht wirksam ausgebaut werden kann. Ich muß hier erneut betonen, daß es keinen Zweck hat, finanzielle Forderungen zu erheben, die nicht realisierbar sind.
— Herr Kollege Gerster, ich muß Ihnen sagen: Unerfüllbare Forderungen, die die Kräfte des Haushalts, den auch Sie nach der Ankündigung von Herrn Strauß in der gestrigen Pressekonferenz konsolidieren möchten, übersteigen, sind keine Politik.
Sie können hier nicht ein düsteres Gemälde aufzeigen, ohne gleichzeitig realisierbare — ich betone: realisierbare — Deckungsvorschläge zu machen.