Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es geht hier um die Einzelpläne 06 und 36 und um die Politik des Bundesinnenministers Baum. Es geht hier nicht um den Kollegen Erich Riedl. Deshalb habe ich zwar Verständnis für den Entlastungsangriff des Kollegen Gärtner auf den Kollegen Riedl, muß aber sagen, daß dieser Angriff das folgende Faktum nicht aus der Welt schafft: Was wir dem Bundesinnenminister
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 193. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Dezember 1979 15427
Gerster
vorwerfen, ist, daß er versucht, ein Doppelspiel zu spielen und eine Doppelrolle auszufüllen.
Auf der einen Seite ist er Dienstherr der Sicherheitsbehörden. Er hat Beamte der Sicherheitsbehörden gegen oft unqualifizierte und tendenziöse Angriffe zu verteidigen. Er hat sich nicht unkritisch vor sie zu stellen, aber er hat sie zumindest loyal zu schützen. Die Beamten können Loyalität erwarten.
Diese Rolle kann er nicht spielen, weil er sich auf der anderen Seite zugleich als Vorsänger der Linksliberalen fühlt, die in der Existenz eines Polizisten bereits die Manifestation des Polizeistaates sehen.
Wir verlangen weiß Gott nicht — was hier vorhin behauptet worden ist —, daß der Bundesinnenminister dem Bürger — und zwar, wie es hier in unterstellender Weise gesagt wurde, jedem Bürger — mit Mißtrauen zu begegnen hätte. Was wir verlangen, ist zunächst einmal, daß der Bundesinnenminister nicht jedem seiner Beamten Mißtrauen entgegenbringt, sondern versucht, wirklich neutral zu entscheiden, und daß er in Fällen unbegründeter Angriffe seine Beamten entsprechend verteidigt. Dies kann er offenbar nicht.
Dies kann er nicht, weil er glaubt, in seiner Partei die linksliberale Vorreiterrolle spielen zu müssen
und bei denjenigen, die in unqualifizierter Weise Beamte angreifen, mit der Fahne vorweg marschieren zu müssen.
Nicht unkritisches Verhalten zu den Beamten, Herr Minister, erwarten wir, sondern ein faires Verhalten, das Sie offenbar nicht aufbringen können, weil Sie in einem Loyalitätskonflikt stehen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es geht um den Einzelplan 36, um die zivile Verteidigung. Es wird immer wieder so schön gesagt, daß oberstes Ziel der Bundesrepublik Deutschland die Sicherung des Friedens in Freiheit ist. Voraussetzung für Frieden und Freiheit sind jedoch die Verteidigungsbereitschaft und die Verteidigungsfähigkeit. Diese setzen den Schutz der Zivilbevölkerung voraus, weshalb die zivile Verteidigung erste Priorität genießen muß.
Diesem Stellenwert wird jedoch seit Jahren zunehmend der Bundeshaushalt nicht gerecht. Während im Bereich der Verteidigungsausgaben die Ausgaben in der Tat wachsen müssen, stagnieren die Ausgaben im Bereich der zivilen Verteidigung, wobei der Gegenvorhalt, daß wir im letzten Jahr ein Sonderprogramm beschlossen haben, nicht zieht. Es ist richtig, wir haben für einen Teilbereich ein Sonderprogramm für vier Jahre beschlossen, das aber eben nur in diesem Teilbereich etwas mildert, aber das Gesamtproblem nicht löst.
Ganze 12,20 DM pro Bürger und Jahr oder 0,3% des Bundeshaushaltes sollen für die zivile Verteidigung aufgewendet werden. Ich darf hier feststellen, daß das, was tatsächlich als kleine Erhöhung — ich komme noch darauf zu sprechen — stattfindet, allenfalls für laufende Kosten und Inflationszunahmen herhalten kann; daß aber letzten Endes keinerlei qualitative Verbesserungen, von diesem einen Sonderprogramm abgesehen, in der zivilen Verteidigung möglich sind.
Ich will es mir hier ersparen, die Probleme im einzelnen darzustellen. Feststellen muß man aber, daß der Schutz der Zivilbevölkerung nicht sichergestellt ist. So sind bei uns, um nur drei Beispiele zu nennen, in einem Ernstfall nur etwa 3% der Zivilbevölkerung durch Schutzräume gesichert. In anderen Staaten geht der Versorgungsgrad bis zu 80 %. Der Warndienst ist für ein Viertel der Bevölkerung überhaupt nicht ausgebaut. Dem Technischen Hilfswerk fehlt es an einer Mindestausstattung für Dienstkleidung, für Ausrüstungsgegenstände und für Unterkünfte.
Der Bundesinnenminister hat am 24. Oktober — nur als Beispiel — einen Brief an die nachgeordneten Dienststellen geschrieben, worin steht, daß zukünftig nicht einmal mehr auch nur eine Unterkunft angemietet werden kann, weil die finanziellen Mittel nicht ausreichen. Nach wie vor gibt es Probleme beim Fahrzeugbestand. Hilfskrankenhäuser haben Seltenheitswert und sind, soweit überhaupt vorhanden, in der Regel funktionsuntüchtig.
Mit anderen Worten, die zivile Verteidigung befindet sich in weiten Teilen in einem trostlosen Zustand. Sie erfüllt heute mehr eine Alibi- denn eine Schutzfunktion.
— Katastrophenschutz wird so, Kollege Walther, zur eigentlichen Katastrophe.
Meine Damen, meine Herren, wir müssen dem Bundesinnenminister vorwerfen, daß er draußen anders redet, als er tatsächlich handelt. So hat er noch am 2. Oktober beim Besuch des Bundesamtes für Zivilschutz die oberste Priorität, die ganz entscheidende Bedeutung der Zivilverteidigung herausgehoben,
mit sehr markigen Worten dieses im einzelnen unterstrichen.
Er hat in einem Schreiben — auch das nur als Beispiel — an den Bundessprecher des THW am 7. August, als er also seinen Haushalt bereits vorgelegt hatte, gesagt:
Ich bin mir darüber im klaren, daß nunmehr alle Anstrengungen unternommen werden müssen, um dem THW zu helfen. Dies gilt vor allem für die Beschaffung persönlicher Ausrüstungsgegenstände, für Gebäude ...
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Gerster
Ich kann das im einzelnen hier nicht zitieren. Dann fährt er fort:
Ich bin bemüht, im weiteren Verlauf der Haushaltsberatungen eine deutliche Aufstockung dieses Titels
— gemeint ist hier für das THW —
zu erreichen, um z. B. die Baumaßnahmen
die dringend notwendig sind, durchführen zu können.
Dies sind die Reden, die der Bundesinnenminister außerhalb der Etatberatungen führt, und zwar nicht zum ersten Male. So hat er bereits nach seinem Amtsantritt 1978 Mordsanstrengungen angekündigt für die zivile Verteidigung. Sein erster Haushaltsentwurf sah dann für 1979 statt einer Erhöhung eine Kürzung um 0,7 % vor. Das Parlament war es, der Haushaltsausschuß
und der Innenausschuß, das statt dessen eine Erhöhung von 11,5 % durchgesetzt hat
gegen — wenn Sie so wollen — den Innenminister, dessen Unterstützung wir dabei nicht verspürt haben.
Im Mai 1979 wiederum die Zusage, er werde für 1980 eine Erhöhung der Mittelansätze anstreben, sich massiv dafür einsetzen. Sein zweiter Haushaltsentwurf brachte zwar eine Steigerung von 0,6 %, aber bei der allgemeinen Preissteigerungsrate eben wiederum eine relative Kürzung der Haushaltsmittel, wiederum eine negative Priorität für die zivile Verteidigung.
— Ja, so wie sich immer wieder dieses Bäumchenwechsel-dich-Spiel des Bundesinnenministers wiederholt! Im Frühjahr und Sommer, wenn keine Haushaltsberatung ansteht, rennt er draußen bei den Katastrophenschützern von Ort zu Ort: große Ankündigungen, große Versprechungen, große Worte, ein großer Mann. Wenn es dann im Herbst in die Haushaltsberatungen geht, steht er da und muß Kürzungen seines Haushaltes hinnehmen. Ich frage mich: Gibt er nur vor, die zivile Verteidigung ausbauen zu wollen, und verfolgt ganz andere Absichten, oder aber ist er so schwach, daß er sich im Kabinett nicht durchsetzen kann? Im einen Fall wäre er unwahrhaftig, im anderen wäre er unfähig. In jedem Fall wäre es ein Erfolg für die Zivilverteidigung, wenn sie von diesem Mann befreit würde.
Denn, meine Damen und Herren, er erscheint im Frühjahr als grüner Baum, offenbar auf der Jagd nach Wählern, und dann, wenn der Baum Früchte tragen soll, trägt er in der Tat Früchte, es sind aber faule Äpfel und Birnen.
Die Frucht ist faul. Es heißt so schön: „An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen." An den Früchten des Herrn Baum und der zivilen Verteidigung ist dies, Herr Minister, in der Tat zu erkennen.
— Ich verstehe, daß Sie so schreien. Ich verstehe das sehr gut. Immer dann, wenn man Schwächen aufdeckt, pflegt sich ja die Stimmlage der Zwischenrufer zu erhöhen. Ich kenne das aus eigener Erfahrung. Ich gestehe das durchaus zu.
Meine Damen, meine Herren, in der Zivilverteidigung müssen erhebliche Anstrengungen unternommen werden. Hier hat die Union vor allem für das THW in diesem Jahr erhebliche Erhöhungen für Neubauten und für Dienstbekleidung durchgesetzt. Weitere Erhöhungsanträge wurden leider von der Koalition abgelehnt, obwohl am selben Nachmittag im Haushaltsausschuß Kürzungsanträge der Opposition gestellt wurden, allein beim Bundespresse- und Informationsamt in Höhe von rund 6 Millionen DM,
in der gesamten Öffentlichkeitsarbeit in Höhe von 13 Millionen DM. Ich frage Sie: Wo wären die Mittel besser angebracht gewesen, beim Technischen Hilfswerk oder aber bei der Eigenpropaganda? Wir haben uns für das Technische Hilfswerk entschieden, Sie haben sich für die Propagandamittel im Wahljahr entschieden.