Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der Entwicklungspolitik hat sich im vergangenen Jahr viel bewegt. Die öffentliche Anhörung im Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit zur Nord-Süd-Verflechtung, der Kongreß der Kirchen zur Entwicklungspolitik, Diskussionen und Beschlüsse von Parteien und Gewerkschaften, die jüngsten Empfehlungen des Sachverständigenrats, all dies hat zu mehr Verständnis für die Entwicklungspolitik in der Bevölkerung beigetragen.
Es gibt auch neue Umfragen, die zeigen, daß immer mehr Bürger davon überzeugt sind, daß Entwicklungspolitik eine notwendige Aufgabe ist. Während 1977 erst 62 % der Bundesbürger für die Entwicklungshilfe eintraten, sind es heute nach neuesten Umfragen 71 %. Nur noch 18 % der Bundesbürger lehnen die Entwicklungshilfe ab; vor zwei Jahren waren es noch 23 %. Interessant ist auch, daß die Zahl der Meinungslosen deutlich zurückgegangen ist, nämlich von 16 auf 11 %.
Das Thema wird auch in der nächsten Zeit Aufmerksamkeit erregen. Wir werden den Bericht der unabhängigen Sachverständigenkommission für internationale Entwicklungsfragen erhalten und die Diskussion in den Vereinten Nationen über die dritte Entwicklungsdekade führen. Das alles bedeutet Unterstützung der Politik der Bundesregierung.
Wir werden im Jahr 1980 für die Entwicklungshilfe mehr als 5 Milliarden DM ausgeben. Das ist eine Steigerung um mehr als 15%! Es ist die höchste Steigerungsrate aller Einzelpläne. Der Finanzplan der Bundesregierung sieht auch für die kommenden Jahre Steigerungsraten für den Einzelplan 23 vor.
Herr Hoffacker hat Krokodilstränen darüber vergossen, daß wir das 0,7-%-Ziel noch nicht erreicht haben. Herr Hoffacker, gestern forderte Herr Strauß rund sechzehn Milliarden D-Mark Steuerermäßigung. Gleichzeitig klagen Ihre Haushaltspolitiker hier über zu hohe Kreditaufnahme. Und da kommen Sie und beklagen, daß wir das 0,7-%-Ziel noch nicht erreicht haben. Wenn Sie eine Narrenkappe aufge-
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 193. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Dezember 1979 15413
Bundesminister Offergeld
setzt hätten, hätte man Sie ernster nehmen können.
Im übrigen ist es natürlich richtig, Herr Hoffacker — hätten Sie die Zahlen angeguckt, dann hätten .Sie das auch ohne geistige Anstrengung sehen können —, daß wir den Trend umgekehrt haben. 1977 lag der Anteil unserer öffentlichen Hilfe am Bruttosozialprodukt bei 0,27 %. Er lag 1978 auf der Grundlage einer anderen statistischen Methode bei 0,38 %, und er wird 1979 wiederum höher liegen. Wie Sie angesichts dieser Zahlen bestreiten können, daß wir den Trend, den Abfall, den wir über mehrere Jahre hatten, umdrehen konnten, ist mir völlig unverständlich.
Dann darf ich noch eine Fußnote machen. Wer über die Nichterreichung des 0,7-%-Ziels klagt, sollte darauf hinwirken, daß seine Fraktionskollegen im Haushaltsausschuß nicht noch Kürzungsanträge stellen, wie es in der Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses geschehen ist.
Die Bundesregierung hat mehrfach — zuletzt in ihren entwicklungspolitischen Thesen — deutlich gemacht, daß der Kampf gegen die absolute Armut ein ganz wichtiger Schwerpunkt ihrer Entwicklungspolitik ist. Ich kann zu dem, was Herr Hoffacker hier bemerkt, schlicht auf das verweisen, was ihm Herr Holtz geantwortet hat.
Wir halten die Unterstützung der nichtstaatlichen Organisationen — Kirchen und viele andere — gerade in diesem Bereich für außerordentlich wichtig. Ich will besonders hervorkehren, daß die Haushaltsansätze für die nichtstaatliche Entwicklungshilfe in meinem Etat weit überproportional steigen, nämlich um 18,5 %.
Wachsende Anforderungen verlangen wenigstens geringe Verstärkungen des Personals. Darauf haben die Kollegen Esters und Dr. Vohrer schon in den letzten Haushaltsdebatten hingewiesen. Ich weiß, daß das kein beliebtes Thema ist. Trotzdem, wenn Umfang und Qualität der deutschen Entwicklungspolitik weiter steigen sollen, dann sind auch gewisse personelle Verstärkungen in der Zukunft unumgänglich.
— Ich werde das doch sagen können, Herr Picard. Es
hat dieses Jahr Verstärkungen gegeben. Ich weise
darauf hin, daß auch gewisse Verstärkungen in den kommenden Jahren notwendig sind, wenn Qualität und Umfang gesteigert werden sollen. Ich sage das ganz leidenschaftslos.
Entwicklungspolitisch gesehen war 1979 ein ereignisreiches Jahr. Einige Stichworte:
An dem Kongreß der Kirchen über Fragen der Entwicklungspolitik haben sich alle wichtigen gesellschaftlichen Gruppen beteiligt.
Die Kapitalhilfe an die ärmsten Länder wurde in Zuschüsse umgewandelt. Dadurch wurden bisher nach Prüfung jedes einzelnen Falles — dabei wird es auch in Zukunft bleiben — insgesamt 17 von 26 in Frage kommenden Ländern begünstigt.
Die Bundesregierung hat im Mai 17 entwicklungspolitische Thesen verabschiedet.
Ebenfalls im Mai fand die 5. UNCTAD-Konferenz statt. Ich nenne vor allem den Beschluß zur verstärkten Hilfe für die ärmsten Länder und den Beschluß gegen den Protektionismus.
Schließlich hat es vor wenigen Wochen die Unterzeichnung des zweiten Abkommens von Lome mit einer wichtigen neuen Komponente für mineralische Rohstoffe gegeben.
Wir werden in Kürze den vierten entwicklungspolitischen Bericht vorlegen. Er wird Gelegenheit geben, über diese Themen ausführlicher zu diskutieren.
Die Bundesregierung sucht weltweite Partnerschaft auch in der Entwicklungspolitik. Wir sind mit fast allen Ländern wirtschaftlich verflochten. Von unserer ökonomischen Kraft erwarten viele Entwicklungsländer Hilfe. Deshalb werden wir auch im kommenden Jahr rund 50 Ländern finanzielle und rund 70 Ländern technische Zusammenarbeit anbieten. Gleichwohl gibt es deutliche Schwerpunkte. Fast die Hälfte aller Mittel der bilateralen Zusammenarbeit fließt in die armen Länder mit einem Pro-Kopf-Einkommen unter 300 Dollar jährlich. 24% der Zusagen in der Finanziellen Zusammenarbeit und 36 % der Zusagen in der Technischen Zusammenarbeit gehen an die ärmsten, also die am wenigsten entwickelten Länder, die sogenannten LLDCs, in denen nur 10 % der Bevölkerung der Entwicklungsländer leben.
Auch regional gibt es klare Schwerpunkte. Rund 50 % der Finanziellen Zusammenarbeit entfallen auf nur zehn Länder. Freiheitliche reformerische Kräfte werden wir in der Zukunft wie auch in der Vergangenheit besonders unterstützen. Die Konflikte des Ost-West-Verhältnisses, Herr Todenhöfer, dürfen nicht schematisch auf die Entwicklungsländer übertragen werden. Man kann die Entwicklungsländer nicht, wie Sie es immer wieder tun, in Freund-FeindKategorien einteilen. Sie tun das in immer wieder neuen Varianten.
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Wenn wir Ihren Empfehlungen gefolgt wären, Herr Todenhöfer, hätten wir in Somalia nicht ein Mogadischu, sondern ein Waterloo erlebt. Wenn wir Ihren Empfehlungen gefolgt wären, Herr Todenhöfer, dann hätten wir vor wenigen Monaten noch die Regierung Muzorewa anerkannt. Wir hätten damit die Friedensbemühungen behindert. Wir hätten uns von unseren westlichen Verbündeten isoliert. Wir hätten gegen die Interessen aller schwarzafrikanischen Staaten gehandelt.
Im übrigen ließen sich noch viele Empfehlungen von Ihnen anfügen, Herr Todenhöfer. Wir werden denen auch in Zukunft nicht folgen, weil sie nachweislich nichts taugen.