Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich den deplacierten Angriff des Kollegen Hoffacker auf die sozialdemokratischen Kollegen richtig verstanden habe, dann wollten Sie sagen, Herr Hoffacker, nur wer Geld hat, soll in dieser Haushaltsdebatte mit entscheiden können.
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 193. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Dezember 1979 15411
Dr. Vohrer
— Sie können im Protokoll nachlesen, was Sie gesagt haben. Auf jeden Fall sind Ihre Bemerkungen nur so zu verstehen. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann wird mir auch klar, weshalb Sie jeden einzelnen Haushalt hier ablehnen, nämlich Haushalte, die sich darum bemühen, zwischen den einzelnen Gruppen in der Bundesrepublik sozial ausgewogen zu sein, die aber auch unsere Solidarität zu den Ländern — wir sind gerade beim Nord-Süd-Verhältnis — zum Ausdruck bringen sollen.
Herr Hoffacker, ich möchte mich auch mit Ihrem entwicklungspolitischen Kulturbegriff beschäftigen, mit dem wir Liberalen nahezu gar nichts gemein haben. Ich bitte Sie sehr darum, einmal den Artikel der Staatsministerin Hamm-Brücher in der „Zeit" zu lesen, aus dem unsere Auffassung von einer kulturellen Eigenständigkeit ohne ideologische Selektion in Freund-Feind-Gruppen, wie Sie sie vornehmen, deutlich wird.
— Das liegt dann nicht zuletzt auch an Ihnen, an der polemischen Art, wie Sie Ihre Einwendungen vorgebracht haben. Auf jeden Fall muß es derjenige, der aufmerksam zugehört hat, so verstanden haben.
Aber ich möchte jetzt über den Etat reden, der mit einem Volumen von fast 5,3 Milliarden DM die höchste Steigerungsrate erfahren hat, und zwar nicht nur um 12,5 %, wie ursprünglich vorgesehen, sondern auf Grund der Arbeit des Haushaltsausschusses letztlich um 14,8 % Ich möchte ganz deutlich sagen, daß die Entwicklungspolitiker für diese Unterstützung des Haushaltsausschusses sehr dankbar sind.
Daß eine Steigerungsrate von fast 15 % auf dem Tisch liegt, ist kein Zufall. Vielmehr gibt es in diesem Hause zwei Parteien, die sich in aller Entschiedenheit für hohe Steigerungsraten in diesem Sektor ausgesprochen haben. Meine Partei hat im Frühjahr 1977 in Frankfurt die Verdoppelung innerhalb von drei Jahren beschlossen und den Wunsch zum Ausdruck gebracht, das 0,7-%-Ziel möglichst in der nächsten Legislaturperiode zu erreichen. Ich habe mit großer Genugtuung zur Kenntnis genommen, daß dié Sozialdemokraten in Berlin nahezu die gleiche Terminierung beschlossen haben, nämlich das 0,7-%-Ziel bis 1985 zu erreichen. Unsere Formulierung heißt: möglichst bis 1984. Ich würde mich freuen, wenn diese gleichgerichtete Zielrichtung auch von den Kollegen der CDU/CSU unterstützt würde, die ja zumindest als Entwicklungspolitiker immer sagen, daß sie dieses Ziel der Bundesregierung mittragen.
Eines muß in dieser Debatte aber auch gesagt werden: Wir haben den Sektor mit der höchsten
Steigerungsrate, und gleichwohl bekennt sich von der Bundesregierung,
aber auch von der Gesamtheit der Parlamentarier nur ein kleiner Teil offensiv zu diesem Ziel. Wenn ein Haushalt in diesem Maße in seinem Ansatz gesteigert werden kann, ist es eigentlich erstaunlich, daß die Bereitschaft, diese Steigerung gegenüber der Bevölkerung zu vertreten, nicht allzu deutlich erkennbar ist.
Das führt mich zu der Überzeugung, daß wir den harten und dornigen Weg von 5 Milliarden DM heute bis 10, 12 oder 15 Milliarden DM in den Jahren 1985 bis 1990 mit einer viel konsequenteren Argumentation und mit einem eindeutigen Bekenntnis zu diesem Ziel gehen müssen. Das ist nicht nur die Aufgabe der Entwicklungspolitiker — diejenigen, die bekehrt sind, müssen wir nicht bekehren —, sondern das ist auch die Aufgabe der übrigen Politiker in den einzelnen Parteien, die noch dazu viel Überzeugungskraft in den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen erfordert.
Da das Argument der internationalen Solidarität sicher nur einen kleinen Prozentsatz anspricht, halte ich es für sehr hilfreich, daß wir gewichtige Argumente von den Sachverständigen geliefert bekommen haben. In ihrem Gutachten haben sie in viel stärkerem Maße auf die Interdependenz zwischen Industrieländern und Entwicklungsländern hingewiesen und den Nachweis geführt, daß die Öffnung unserer Märkte für die Dritte Welt zu unserem Vorteil und nicht zu unserem Nachteil ist. Das ist das erste, was uns gelingen muß: Wir müssen der Bevölkerung die Angst nehmen, daß mehr Entwicklungshilfe den Verlust des Arbeitsplatzes bedeuten könnte.
Wir müssen hier deutlich machen, daß zwar mit der Öffnung der Märkte in einigen Branchen Arbeitsplatzrisiken erwachsen und auch Arbeitsplatzverluste eintreten werden, daß aber der Saldo aus Arbeitsplatzverlusten und Arbeitsplatzgewinnen durch Entwicklungspolitik, durch eine offene Handelspolitik für uns positiv ist. Das ist eine wichtige Erkenntnis, die wir immer wieder betonen müssen.
Ich finde es auch ganz erstaunlich, daß in diesem Jahr bei der Opposition in diesem Zusammenhang ein Thema ganz gefehlt hat, daß der Rückflüsse. Erstmalig zeigt sich hier, daß ein wachsender Prozentsatz der von uns als Kredite in die Dritte Welt gegebenen Mittel in Form von Aufträgen wieder in unsere Wirtschaft zurückfließt. Das waren 1976 nur 53%. Wenn der Bericht der Kreditanstalt für Wiederaufbau zutrifft, waren es 1977 schon 64% und
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Dr. Vohrer
1978 83%, die in unserem Lande wieder zu Aufträgen geführt haben.
Ich kann mir vorstellen, daß wir uns darum bemühen müssen, für die wenigen Sektoren, in denen durch die Öffnung der Märkte Arbeitsplatzrisiken entstehen, ein Programm zu erstellen, das aus ERP-Mitteln gespeist sein könnte, damit Umstrukturierungen, die im inländischen Produktionssektor vonstatten gehen, einigermaßen abgefedert werden können.
Zwischenzeitlich hat auch das Prognos-Gutachten deutlich gemacht, daß Entwicklungshilfe, offene Märkte sowie wirtschaftliche Wachstumsrate der Industrieländer und der Entwicklungsländer enger verknüpft sind, als wir dies ursprünglich annahmen. Das wirtschaftliche Wachstum in Entwicklungsländern bringt Beschäftigungsimpulse bei uns und umgekehrt. Dieser Zusammenhang -sollte bei den Bevölkerungsgruppen, für die egoistische Motive im Vordergrund stehen, zumindest Nachdenklichkeit hervorrufen.
Lassen Sie mich noch kurz auf das Argument eingehen: Wir haben reichlich Privatinvestitionen und können deshalb mit den öffentlichen Ausgaben für die Entwicklungshilfe etwas zurückhaltender sein. Wir sollten ganz deutlich die Komplementarität der beiden Ansätze sehen. Die öffentliche Entwicklungshilfe geht — auch nach den Ausführungen, die von meinen Vorrednern hier gemacht wurden — schwerpunktmäßig in die ärmsten Länder und dort in die Bereiche Grundbedürfnisse, Bildung, Nahrungsmittel, Gesundheit, soziale Infrastruktur. Vor diesem Hintergrund möchte ich ganz deutlich machen, daß die privaten Investitionen, die in Schwellenländer gehen, die öffentliche Entwicklungshilfe nicht ersetzen können und umgekehrt, sondern daß das zwei Instrumente sind, die beide von Bedeutung sind.
Bei der Opposition hat heute auch dieses düstere Kolossalgemälde von der neuen Weltwirtschaftsordnung und von dem Weltwirtschaftsdirigismus gefehlt, ganz einfach deshalb, weil sich deutlich abzeichnet, daß die beständige Politik im Rohstoffbereich, die von der Bundesregierung praktiziert wird, zwei Klippen umschiffen wird. Sie wird Angebotskartelle im Rohstoffbereich wie z. B. das der OPEC-Länder verhindern und auch nicht dazu führen, daß wir zu dirigistischen Marktordnungen nach dem Beispiel der EG-Agrarmarktordnung kommen. Zwischen diesen beiden Felsen werden wir unseren Kurs weiter halten. Ich könnte mir vorstellen, daß Sie. auch zur Kenntnis nehmen, daß das KautschuckAbkommen, das jetzt geschlossen wurde, ein Beispiel für eine solche vernünftige Rohstoffpolitik, in die Angebots- und Nachfrageseite einbezogen sind, darstellt und daß Sie auch ein gewisses Verständnis für die dann in diesem Bereich verbesserte, neue Weltwirtschaftsordnung finden.
Meine Damen und Herren, ich muß zum Ende meiner Ausführungen kommen. Ich sehe in dem Ansatz, den die Bundesregierung vertritt und der auch in der Rede des Bundesministers zur dritten Dekade vor dem Symposium der Vereinten Nationen zum Ausdruck kam, einen vernünftigen und konstruktiven neuen Ansatz, der deutlich macht, daß das Setzen von Schwerpunkten, wie sie vom Kollegen Holtz hier erläutert wurden, unsere Entwicklungspolitik auch in den nächsten Jahren erfolgreich gestalten wird.
Ich kann für die Liberalen dem Haushalt zustimmen. Ich würde mich freuen, wenn die Konzeption, die das BMZ aufgezeigt hat, in die Tat umgesetzt würde.