Rede von
Dr.
Paul
Hoffacker
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Esters verlangt drastische Worte, der Herr Kollege Gärtner befaßt sich damit, daß hier zu klar gesprochen wird. Das ist ein wirkliches Bild der Verfaßtheit der Regierungskoalition. Der Grad der inneren Beteiligung ist unter Null abgesunken. Hier wird eine lieblose Pflichtübung in Entwicklungspolitik absolviert; ein typisches Spiegelbild dieser Regierungskoalition.
Meine Damen und Herren, diesem schließt sich der Herr Minister an. In seiner letzten Rede vor dem Symposium der Deutschen Gesellschaft der Vereinten Nationen am 10. Dezember hat Minister Offergeld sich darüber beklagt, die öffentliche Entwicklungshilfe der westlichen Industrieländer sei von 0,52 % des Bruttosozialprodukts im Jahre 1969 auf 0,35 % im Jahre 1978 vermindert worden. Er hebt hervor, der negative Trend sei im Jahre 1978 in der Bundesrepublik umgekehrt worden.
Herr Minister, das ist schlicht falsch. Denn im Jahre 1975 ist erstmalig und einmalig die Marke von 0,4 % des Bruttosozialprodukts erreicht worden, und dann — in den Jahren bis 1978 — ist sie auf 0,31 % abgesunken. Wenn der Minister in derselben Rede hervorhebt, daß die Bundesregierung die öffentliche Entwicklungshilfe bis 1983 jährlich um 12,5 % erhöhen will, so begrüßen wir diesen Willen. Jedoch täuschen diese Zahlen nicht darüber hinweg, daß das versprochene 0,7-%-Ziel nicht erreicht wird. Mir scheint, daß diese Versprechungen wie in der Vergangenheit leer bleiben und, wie wiederholt geschehen, gebrochen werden.
Wenn man z. B. die Diskussionen der letzten Tage verfolgt, ergibt sich, daß der Herr Bundesfinanzminister die Kompetenz für das BMZ zu verwalten scheint. Denn wie anders sollte ich die Interviewäußerung des Herrn Bundesminsters für wirtschaftliche Zusammenarbeit vom 9. Dezember verstehen, in der er sagt, die Erreichung des 0,7-%-Zieles habe in allererster Linie der Bundesfinanzminister zu beurteilen? Diese Äußerung zeigt, Herr Offergeld, daß Sie als Minister Ihre Kompetenz für das BMZ bereits in der Garderobe von Herrn Matthöfer abgegeben haben. Wir bedauern das sehr.
Herr Matthöfer hat auch mittlerweile die Katze aus dem Sack gelassen, indem er in der „Zeit" seine Meinung deutlich gemacht hat. Er hat in einem heute erschienenen Interview signalisiert, daß er dann, wenn es zum Schwur kommt, überhaupt nicht daran denkt, sich an die Beschlüsse des SPD-Parteitages zu halten. Das ist natürlich eine bittere Pille, Herr Matthöfer, die Sie auf dem SPD-Parteitag haben hinnehmen müssen, daß Sie so überstimmt worden sind. Wenn ich höre, daß 100 dort gar nicht gewußt hätten, worüber sie abgestimmt haben, dann ist das natürlich noch bitterer und erhellt Ihre Erkenntnis.
Man darf sich überhaupt nicht wundern, wenn die Situation so ist, daß der Herr Offergeld in der Presse als der Stille aus dem Hotzenwald bezeichnet wird -- ich entschuldige mich fast bei den Alemannen, die hier sitzen — und daß er weniger durch Tatendrang und revolutionäre Konzepte auffällt
und statt dessen hilf- und sprachlos im Abseits steht. Er versucht wegzutauchen, Herr Bindig, statt die Entwicklungspolitik nach oben zu bringen. Seine bewegenden Worte über die Strategie einer gemeinsamen Verantwortung überzeugen doch nicht. Wenn man den Haushalt und die damit verbundenen Versprechungen bewertet, so sieht es sehr schlecht aus.
Lassen Sie mich das an einigen Beispielen verdeutlichen. Herr Minister Offergeld will die absolute Armut bekämpfen, und auch Herr Holtz plädiert auf dem Parteitag der SPD für eine Konzeption der Entwicklung der ärmsten Länder. Diese Regierung spricht unentwegt von der Strategie der Grundbedürfnisbefriedigung der Menschen in der Dritten und Vierten Welt. Aber was tut sie praktisch? Nehmen wir sie beim Wort ihres eigenen Informationsvermerks aus dem vorvergangenen Monat! Dort wird festgestellt, daß vom gesamten Entwicklungshaushalt nur 25 % — man höre und staune! — aller Mittel auf Förderungsbereiche entfallen, die überwiegend Grundbedürfnisprojekte enthalten.
Wie sieht das aber bei der Vergabe des Geldes praktisch aus? Das sieht praktisch so aus, daß bei der Vergabe von Krediten für 1977, also bis 1978, lediglich in zwei Ländern Kleinkredite bis zu 10 000 DM vergeben worden sind, und diese Zahl, man höre und staune, ergibt in Wahrheit 1 % der Endkredite.
Im Gegensatz dazu steht das Klotzen von 250000 DM aufwärts. Ich sage immer: Die Sozialdemokraten und Sozialisten können mit dem Geld anderer Leute nicht umgehen, weil sie selbst keins haben. Hier zeigt sich das auch wieder. Eine möglichst große Summe, nämlich 82 % des Gesamtvolumens, wird für Endkredite von 250000 DM und mehr ausgeben.
Das ist das wirkliche Bild, und auf dieser Basis ist der Kampf gegen die absolute Armut eine Farce. Die Beschwörungen und Bekenntnisse des Ministers und der Matadore auf dem SPD-Tag kommen einer lähmenden Gesundbeterei gleich, weil diese Regierung nicht erkannt hat, daß der Kampf gegen die absolute Armut bei der Unterstützung der ärmsten Menschen zu beginnen hat.
15406 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 193. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Dezember 1979
Dr. Hoffacker
Nimmt es sich nicht blamabel aus, daß bis 1978 nur zwei Länder das Glück hatten, Kleinkredite zu bekommen? Ich frage Sie, Herr Minister: Sind auf der Grundlage dieser Zahlen die Aussichten in der Rahmenplanung falsch? Wieviel Kleinpartner und Kleinstpartner in Landwirtschaft, Handwerk und Kleingewerbe haben Sie wirklich? Wollen sie Ihre Verantwortung auf GTZ und KW abwälzen, wollen Sie selber weiter untertauchen und keine Flagge zeigen? Hängt das schlechte Image der Entwicklungspolitik nicht damit zusammen, daß hier nur geklotzt wird und die wirklich Bedürftigen als entsprechende Partner in den Entwicklungsländern nicht erreicht werden, so daß Sie nicht eine Hilfe am Menschen tun, sondern sich lediglich in einen Planungsfetischismus verlagern, um die Fehler Ihrer Konzeptionslosigkeit nicht aufdecken zu müssen?
Warum helfen Sie nicht mit Kleinstkrediten? Sagen Sie es, geben Sie es zu: weil Sie diese Menschen überhaupt nicht erreichen. Daß es aber anders geht, zeigen die freien Träger. Warum entwickelt dieses Ministerium nicht mehr Phantasie? Trägt die Bundesregierung nicht Schuld daran, daß die Klagen in der Offentlichkeit über fehlgeleitete Entwicklungsgelder nicht verstummen, weil sie den wirklich Bedürftigen nicht erreicht und ihm nicht geholfen wird?
Im Rahmen der Grundbedürfnisbefriedigung in der Dritten Welt nennt Herr Bundesminister Offergeld nach der Nahrungssorge die Gesundheitsvorsorge. Auch hier erreicht die Politik der Bundesregierung die wirkliche Not der Menschen nicht. Es geht um bessere Gesundheitsdienste und Ausbildung für Krankenschwestern und Pflegerinnen. Es geht um medizinische Krankenversorgung; sie liegt im argen. Es ist bisher nicht gelungen, die traditionelle Medizin in die medizinische Versorgung der Menschen mit einzubringen.
Sie drücken sich, wenn es darum geht, einheimisches Personal zu finanzieren. Neben Ihnen sitzt ja der Herr Parlamentarische Staatssekretär Brück, der uns in einem sehr blumenreichen Brief hat wissen lassen, daß er nicht in der Lage und nicht bereit ist, eine Hilfe zu geben. Vielmehr versteckt er sich hinter Verklausulierungen und läßt das Ganze im Sande verlaufen.
Meine Damen und Herren, überläßt diese Regierung den Gesundheitsdienst am Menschen nicht einigen Idealisten? Geht sie nicht daran vorbei, ihnen bei dieser Fürsorge zu helfen? Läßt sie sie nicht alleine stehen, und verschanzt sie sich nicht hinter Akten und Planungsvorschriften, ohne die Menschen vor Ort zu erreichen? Und darum geht es: Sie erreichen die Menschen vor Ort nicht. Das Fazit heißt: Diese Regierung zeigt kein Herz für die Menschen der Dritten Welt,
sondern eine Krämerseele, meine Damen und Herren.
— Das gefällt Ihnen nicht, Herr Schäfer, das kann ich verstehen. Es ist ja auch bitter, wenn man am Abend noch so etwas hören muß.
Minister Offergeld stellt in seiner Rede vom 10. Dezember fest, daß es zuallererst darum gehe, die Grundbedürfnisse des Menschen in der Dritten Welt nach Nahrung, Gesundheit, Kleidung, Wohnung und Bildung zu befriedigen. Diesem Anspruch wird die Bundesregierung nicht gerecht.
Vielmehr scheint es mir so zu sein, daß die Politiker der Bundesregierung noch nicht aus der kritischkontroversen Diskussion über das Ziel der Entwicklung herausgefunden haben. Zu sehr steht der ökonomische Wachstumsprozeß im Vordergrund. Die Entwicklung des Menschen, der alles wirtschaftliche Wachstum zu dienen hat, kommt zu kurz. Die Gefahr einer Engführung des Entwicklungsbegriffs ist noch immer nicht überwunden. Entwicklungspolitik aber, die auf Erfolg gerichtet ist, muß den Blick auf den Menschen richten, und zwar auf ihn selbst und das ihm eigene Umfeld. Deshalb, so scheint mir, muß die ganzheitliche Entwicklung des Menschen in den Vordergrund gerückt werden. Das Ziel der Entwicklungspolitik schließt selbstverständlich die materiellen Bedürfnisse des Menschen ein. Sie wird aber nur Erfolg haben, wenn sie sein kulturelles Eigenleben achtet, die Wachstumsprozesse respektiert und Möglichkeiten zur friedlichen Wahrnehmung politischer Rechte zur Mitgestaltung des menschlichen Zusammenlebens eröffnet.
Durch die Fortschrittsbilder industriell kochentwickelter Länder ist der Abstand zu den Industrienationen bei den unterprivilegierten Menschen und Völkern noch größer geworden. Es ist eine Art Bettlermentalität entstanden oder aber ein von wenigen Funktionären geformtes Anspruchsdenken geprägt worden, das auf Grund ideologischer Einfärbung zu Konflikten führt.
Die Symbole westlichen Konsums haben in den Ländern der Dritten Welt einen weltweiten Demonstrationseffekt ausgeübt. Wir stellen fest, daß mit der gegenwärtigen Industrieepoche eine menschliche Entwurzelung und Verelendung in den Entwicklungsländern einhergeht.
Die Bezeichnung unseres Jahrhunderts als „Jahrhundert der Flüchtlinge" deutet auf diesen Gegensatz hin. Meine Damen und Herren, am Beispiel des Iran wird deutlich, daß Entwicklung — primär verstanden als ökonomisches Wachstum, ohne die menschliche Entwicklung einzubeziehen — scheitern muß. Raubbau an den vorhandenen Gütern, po-
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Dr. Hoffacker
litisches Zwangssystem und mangelnde Partizipation des Volkes an der Gestaltung des Gemeinwesens rächen sich mit Rückfall in atavistische Staatsvorstellungen.
Die Bundesregierung muß sich fragen, ob sie nicht in Gefahr ist, iri anderen Krisenherden der Dritten Welt zusätzlichen Konfliktstoff zu schaffen.
So fordern wir eine Abkehr von der Unterstützung und politischen Anerkennung gewaltanwendender Befreiungsbewegungen.
Die Politik unter Eppler hat zum Zusammenbruch einer wirksamen Entwicklungshilfe in Moçambique und Angola geführt und den Einfluß freiheitsverneinender, totalitärer Regime ermöglicht oder erweitert.
Was ich in den Beschlüssen des SPD-Parteitages lese, läßt nichts Gutes ahnen. Wenn dort verlangt wird, daß auch die Stiftungen des demokratischen Sozialismus und die Gewerkschaften — z. B. durch Bildung von Kampffonds für Streikende in den Entwicklungsländern —
stärker als bisher mitwirken sollen, dann ist das der falsche Weg einer friedlichen Zukunftssicherung. Es ist die Konfliktstrategie des Kampfes mit Mitteln der Gewalt, der Unheil über die Völker bringen muß. Zu lange schon treiben die Missionare der Sozialistischen Internationale ihr Unwesen in den Ländern der Dritten und Vierten Welt. Es sind häufig dieselben Funktionäre, die in den Industrieländern in feinem Zwirn und weißem Mercedes das Bild einer entwickelten Gesellschaft darzustellen versuchen.
Der Nadelstreifenanzug wird zum Kampfanzug sozialistischer Umtriebe.
Bei der Förderung und dem Programm des Ministers vermisse ich ganz deutlich jede Form der Ermutigung zur Integration in die freie Weltwirtschaft. Es fehlt das Engagement des Ministers für eine weltweite Offensive um das Verständnis für die Vorteile der freien Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung.
Die Bundesregierung begeht einen schweren Fehler, wenn sie weiterhin die Förderung der Schwellenländer vernachlässigt.
China ist neu auf den Plan getreten, Herr Minister. Ich finde es herrlich, daß Sie mal endlich Ihre Gesichtszüge etwas lockern. Als Entwicklungsland ist es deklariert worden. Kein Wort lese ich in den jüngsten Verlautbarungen des Herrn Ministers über eine Chance der Zusammenarbeit. Das ist unbegreiflich. Denn diese Rede des Herrn Ministers von vorgestern befaßt sich mit der Politik von morgen am Beginn der dritten Entwicklungsphase —
und dabei läßt er China aus dem Blick! Er sagt mit keinem Wort etwas dazu.
Dieser Minister will den Abbau statt des Aufbaus. Instrumente des Aufbaus diskutiert er nicht. Er geht ihnen aus dem Weg.
Es wäre noch sehr viel zu sagen.
Aber in der mir zur Verfügung stehenden Zeit kann ich das leider gar nicht mehr alles anbringen. Es wäre noch sehr Wesentliches zur Medienpolitik zu sagen. Denn unter dem Stichwort „Bildung" ist ein wichtiger Teilbereich entwicklungspolitischer Grundbedürfnisstrategie sowie eine übergreifende ordnungspolitische Komponente angesprochen. Aber dazu ebenfalls kein Wort, sondern Black-out, Herr Minister, in Ihrer Rede. Sie haben nicht erkannt, daß die Medienpolitik unverzichtbar zum Gesamtinteresse unserer Bemühungen gehören muß. Wir sehen, daß die Regierung von der unverzichtbaren Antwort auf diese Fragen nicht sehr viel hält. Sie hat nicht verstanden, daß es um den Menschen in den Ländern der Dritten Welt geht. Unsere Fraktion mißt dieser internationalen Medienpolitik einen sehr hohen Stellenwert bei.
Der Dialog über Aufgaben und Bedeutung der Medien muß vertieft und das Verständnis muß geweckt und vermehrt werden, weil Nachrichten und Meinungen unverzichtbare Bestandteile modernen menschlichen Lebens sind.
Die Regierung bietet ein Bild, das mit der Wirklichkeit, in der sich Entwicklungspolitik abspielen muß, nicht übereinstimmt.
Die Bilanz ist deshalb schlecht. Sie ist, verglichen mit den großen Worten des Ministers und dem immer wieder betonten hohen Wert der Entwicklungspolitik, nicht akzeptierbar.
Der Minister bringt die Entwicklungspolitik nicht nach vorn, sondern arbeitet eifrig daran, sie dem öffentlichen Bewußtsein zu entziehen — mit einem Eifer, wie wir ihn sonst nicht kennen.
Diesen Weg gehen wir nicht mit.