Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Zeitablauf ist ein bißchen ins Rutschen gekommen. Ich will mich bemühen, mich kurz zu fassen.
Frau Benedix, wenn wir bei der Haushaltsberatung auch noch eine Runde zur Bildungspolitik machen, bedeutet das nicht, daß wir noch einmal gleiche Reden halten müssen, die schon einmal während einer anderen Debatte gehalten wurden. Auf vieles von dem, was Sie gesagt haben, sind wir damals eingegangen. Insofern erlauben Sie mir, an dieser Stelle einfach darauf zu verweisen. Sie können ja die Reden noch einmal nachlesen.
Der Etat, der hier zur Verabschiedung steht, spiegelt die fehlende Kompetenz des Bundes wider. Hier wird nicht darüber entschieden, wie viele Lehrer eingestellt werden, über Klassenfrequenzen oder über Stundenausfälle. Das Entscheidende ist, daß der Bildungshaushalt des Bundes auf wenige Brocken beschränkt ist.
Ich möchte nur auf zwei Bereiche kurz eingehen, weil Herr Meinecke einiges zum Etat gesagt hat, was ich nicht wiederholen will. Zunächst einmal ist da der Hochschulbau als ein großer Brocken, der gegenüber dem letzten Jahr und dem Ansatz, wie er von der Bundesregierung vorgesehen war, um 100 Millionen DM abgenommen hat. Nun ist es ja nicht so, daß die Bundesregierung irgendwohin gehen kann und Hochschulen bauen kann, sondern diese Finanzierung ist eine Gemeinschaftsaufgabe, und sie geschieht nach den Plänen der Länder und nach dem, was die Länder wollen. Die Länder selber müssen Komplementärmittel aufbringen und sind selber zum Teil nicht bereit — meistens im Rahmen von Sparmaßnahmen —, dies zu tun. Folglich kann auch der Bund hier nicht tätig werden. Es ist also eine Finanzhilfe des Bundes an die Länder, wenn man so will, ohne daß man im wesentlichen bestimmen kann, ob man hier auf die Höhe Einfluß nimmt oder nicht. Dies liegt in der Hoheit gerade auch der Landesparlamente. Das heißt also: Wenn dieser Haushalt insgesamt eine Kürzung erfahren hat, so bedeutet es nicht eine Abkehr von bildungspolitischen Prioritäten, denn diese werden allein in den Ländern gestaltet und nicht hier.
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Frau Schuchardt
Ich möchte aber auch noch kurz auf die Bundesausbildungsförderung eingehen. Wir haben in den letzten Tagen die Erhebungen erfahren, die bei den Studenten gemacht wurden. Ich meine, wir sind hier aufgerufen, gemeinsam nach Lösungen zu suchen, wie man die ganz ohne Frage schlechter werdende soziale Situation an den Hochschulen verändern kann. Wenn man zum Beispiel weiß, daß 1973 39 % der Studenten in der Förderung waren, 1976 noch 38 % und jetzt 33 %, sollten wir, glaube ich, alle Veranlassung empfinden, hier tätig zu werden, übrigens auch wieder gemeinsam mit den Ländern, denn die geben ja auch hier ihren Teil dazu. Wir können nicht allein darüber entscheiden.
Wir müssen uns auch Gedanken darüber machen, wieso es eigentlich nicht gelungen ist, zunehmend Arbeiterkinder auch in die Hochschulen zu bekommen, sondern leider eher eine tendenzielle Abnahme bei den Erst- und Zweitsemestern zu beobachten ist. Dies aber eine Diskussion, die wir wohl bei der nächsten Bundesausbildungsförderungsanpassung führen müssen. Es wäre gut, wenn wir uns dann gemeinsam auf Verbesserungen verständigen würden.
Ich möchte aber noch einige Bemerkungen, Herr Meinecke, auch wenn sie nicht sozusagen direkt zum Etat gehören, zu der Rede von Franz Josef Strauß machen. Diese Rede ist nun einmal innerhalb der Etatberatung gehalten worden. Da gibt es eine ganze Reihe interessanter Gedanken.
Zum einen ist Herr Strauß natürlich total unschuldig an der bildungspolitischen Konfrontation. Er hat natürlich überhaupt nicht seinen Teil dazu beigetragen, daß der Bildungsgesamtplan nun erst einmal leider auf Eis gelegt worden ist. Ich glaube, man muß sich an dieser Stelle leider dann doch wiederholen, was man schon einmal vom gleichen Platz aus gesagt hat. Wenn im Juni, nachdem sich die Kultusminister geeinigt hatten, die Bayerische Staatsregierung einen Beschluß faßt, in dem es heißt: „Die Staatsregierung hat nicht die Absicht, der Einführung der Gesamtschule als Regelschule weder in Bayern noch anderswo zuzustimmen", ist dies die unmittelbare Eröffnung einer Konfrontation, denn wie anders ist dies zu verstehen, wenn die Regierung eines Landes in die Hoheit anderer Bundesländer in derart unerträglicher Weise eingreifen will? Dies ist die Eröffnung von totaler Konfrontation!
— Das steht genau drin: Wir werden uns gegen die Einführung der Gesamtschule in Bayern und anderswo — —
Bloß, anderswo haben die Bayern überhaupt keinen Einfluß, sondern nur darauf, ob sie die Abschlüsse, die dort erfolgen, auch anerkennen.
Hier kann man über diese fiese, miese Methode —
anders kann ich es gar nicht nennen - Unsicherheit säen, indem man Abschlüsse nicht anerkennt, und damit ein System innerhalb der Schulpolitik meiner Meinung nach ad absurdum führen. Dies ist eine ganz schlimme Sache.
Dann gibt es noch einen anderen Zeugen, zum Beispiel Herrn Remmers, der ja Bekannterweise als stellvertretender Vorsitzender der Bund-LänderKommission zurückgetreten ist, weil er die Konfrontation nicht mittragen wollte. Ich zitiere ihn aus seinem Schreiben, das er an seine Kollegen im niedersächsischen Landtag geschrieben hat: Die Sozialdemokraten — so sagt er — versuchten den Verfahrenskompromiß, der nun gefunden sei bei der Anerkennung der Abschlüsse, besonders herauszustellen.
Vertreter unserer eigenen Seite kritisierten mich,
— Remmers —
daß ich mich auf einen solchen Verfahrenskompromiß überhaupt eingelassen hatte. Die ganze Diskussion darüber belastete die nun beginnenden Verhandlungen. Insbesondere Vertreter der CDU/CSU-Bundestagsfraktion bedrängten uns immer mehr, auf eine Fortschreibung des Bildungsgesamtplanes überhaupt zu verzichten.
Sie wandten sich mindestens in dieser Zeit vor der Bundestagswahl gegen jeden Kompromiß, weil Kompromisse immer auch gegen uns ausgelegt werden könnten.
Wenn sich dann der Ministerpräsident von Bayern hier hinstellt und die Behauptung, er habe seinen Teil dazu beigetragen, Spannung in die deutsche Bildungspolitik zu bringen, als Lüge bezeichnet, kann ich nur sagen: M an kann auch Wahrheit als Lüge bezeichnen.
— Nein, keineswegs. Ich weiß ja, daß Sie ungern Zitate aus Briefen Ihrer eigenen Parteifreunde hören.
Ich habe mir das erlaubt. Stimmen diese Zitate, oder stimmen sie nicht? Sie stimmen genau. Darauf wollte ich nur hinweisen. Ich habe das Recht, das hier zu zitieren.
Ich möchte auf einen zweiten Bereich eingehen. Franz Josef Strauß hat ja darüber hinaus einige Ausflüge in die Bildungspolitik gemacht. Zum Beispiel hat er uns versichert, „daß ich" — Strauß — „überhaupt keine Voreingenommenheit für oder gegen ein Schulsystem habe." Nachdem er kurz Luft geholt und noch einmal betont hatte: „Ich bin rein sachbezogen", ließ er uns hören, nur die gegliederte Schule sei schülerfreundlich, elterngerecht und leistungsgünstig. Selbstverständlich lasse alles andere, was die Sozialdemokraten und Liberalen wollten, die
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Frau Schuchardt
Kinder zu Opfern einer sozialistischen Bildungspolitik und sozialistischer Alleingänge werden. Das ist die Sachbezogenheit dieses Herrn.
Ich gehe nicht davon aus, daß er genug Zeit findet, um sich im Detail mit bildungspolitischen Fragen zu beschäftigen. Wenn sich aber jemand zu einer solchen Frage äußert, kann man, glaube ich, erwarten, daß er sich vorher ein bißchen besser informiert, als das offenbar nach dem geschehen ist, was er hier gesagt hat.
Ich glaube, man muß noch einmal darauf hinweisen — mein Bundesvorsitzender hat das von dieser Stelle aus schon einmal gesagt —, daß in der Tat — —
— Er hat sich mit dieser Frage sehr intensiv beschäftigt, wie Sie sich vorstellen können.
Ich habe auch nicht gehört, daß jemand von Ihnen ihn zitiert hat, um ihm nachzuweisen, daß das, was er gesagt hat, falsch ist und daß er keine Ahnung hat. Genau das konnte Ihnen auch nicht gelingen.
Die Gesamtschulen sind nicht zuletzt auf das intensive Drängen auch der FDP wissenschaftlich begleitet worden. Dabei sind natürlich Mängel herausgekommen. Wenn man nicht davon überzeugt gewesen wäre, daß man etwas korrigieren muß, was man selber grundsätzlich für richtig hält, brauchte man es ja nicht wissenschaftlich zu begleiten. Wir haben früher ganz klar gesagt, daß wir aus diesen wissenschaftlichen Begleituntersuchungen Konsequenzen ziehen. Eines aber sollten wir deutlich machen, und damit gehe ich dann über zu dem dritten Punkt, den ich von Franz Josef Strauß zitieren möchte. Die Gesamtschule schöpft nämlich die Begabungsreserven der weniger Begabten in ganz besonderer Weise aus. Ich meine, allein das reicht aus, sich für dieses Schulsystem zu engagieren.
Selbstverständlich gilt auch für Liberale, daß die Ergebnisse der Untersuchungen sorgfältig ausgewertet werden müssen. Wenn aber z. B. gesagt wird, daß in bestimmten Leistungsbereichen das Optimale nicht herausgeholt worden sei, so ist auch zu berücksichtigen, daß von den betroffenen Wissenschaftlern deutlich gemacht worden ist, daß das nichts mit der Gesamtschule zu tun hat, sondern auch in anderen Bereichen der Fall sein könnte. Wenn das aber so ist, muß man sich darüber Gedanken machen, auf welche Weise die besondere Begabungen von Menschen stärker gefördert werden können, als das heute in beiden Schulsystemen geschieht. Diese stärkere Förderung in der Zukunft besser zu gewährleisten als bisher wird die Aufgabe sein.
Frau Benedix, Sie haben wieder einmal die schönen Klischees benutzt und gesagt, ein integriertes System müsse auch ein großes System ein. Ich kann Ihnen eine ganze Reihe von großen Schulen des herkömmlichen dreigliedrigen Schulsystems nennen. Aber nein, Sie sprechen von Verhaltensstörungen und davon, daß diese im Zusammenhang mit den großen Einheiten aufträten. Und gleich hinterher heißt es: große Einheiten, also integrierte Systeme. Falsch. Es gibt eine ganze Reihe von großen Schuleinheiten im dreigliedrigen Schulsystem, die genauso falsch sind. Sie dürfen, bitte schön, den Kriegsschauplatz nicht dorthin verlegen, sondern müssen ihn dort lassen, wo er ist, Frau Kollegin.
Meine Damen und Herren, wir hätten gemeisame Ziele gehabt: im Bereich Abbrecher, im Bereich Durchlässigkeit, im Bereich Fremdbestimmung.
— Richtig, nur, meine Damen und Herren, das Problem des dreigliedrigen Schulsystems liegt nun einmal in der fehlenden Durchlässigkeit. An einem solchen System kann man immer nur ein bißchen verändern, aber leider keine Durchlässigkeit herstellen. Genau das ist das Problem.
Es gibt das Abbrecherproblem. Sie wissen doch ganz genau, wie problematisch für ein Kind es ist, mit zehn Jahren in eine Schulform hineingewiesen worden zu sein, deren Leistungsanforderungen es nicht gerecht werden kann. Für dieses Kind ist es eine grauenvolle erste Erfahrung, gescheitert zu sein im Leben. Wenn man ihm dieses Scheitern in verhältnismäßig frühem Alter abnehmen kann, finde ich, haben wir die verdammte Pflicht, dieses zu tun. Dieses kann man eben auch genau mit einem anderen System machen.
Meine Damen und Herren, nun zu einem dritten und letzten, aber, wie ich finde, außerordentlich bemerkenswerten Gedankengang von Franz Josef Strauß. Franz Josef Strauß sagte hier:
Das ist doch der Wahn gewesen, daß der Mensch beim Akademiker beginne, daß die gehobene Berufsausbildung nur mit dem Abitur beginnen könne.
Jetzt wird es noch spannender:
Es geht darum, mit Abitur und Universitätsdiplomen die wirklichen Begabungen in unserem Lande, die nicht allzu zahlreiche Schicht der Begabten und Geeigneten, nachhaltig zu fördern.
Meine Damen und Herren: „die nicht zahlreiche Schicht der Begabten und Geeigneten". Ein Kanzlerkandidat bescheinigt den Wählern, daß leider nur ganz wenige von ihnen in den Genuß von Abitur und Universitätsdiplomen kommen können, weil nur so wenige in unserem Lande begabt seien,
wirkliche Begabungen hätten.
— Lesen Sie es einmal genau durch. Wenn man es hört, überhört man es vielleicht. Aber Sie sollten es lesen. Dann sind Sie erschrocken, was dabei herausgekommen ist.
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Frau Schuchardt
Bei einem Menschen, der selber die akademische Ausbildung wahrgenommen hat und, glaube ich, aus dem Hause eines Handwerkers kommt, finde ich es geradezu ungeheuerlich, wenn er sich hier vorne hinstellt und sagt: Das, was ich für mich in Anspruch genommen habe, möchte ich aber einem größeren Teil vorenthalten.