Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Zunächst,
Herr Glombig, darf ich noch einmal auf folgendes hinweisen — das hat auch Frau Verhülsdonk gesagt —: Erstens. Selten ist so viel von so vielen für die Familie an Unterstützung gefordert worden wie in den vergangenen Jahren und wie in diesen Tagen. Wenn alles, wie Sie es dargestellt haben, in Ordnung wäre, würden nicht fast alle gesellschaftlichen Gruppen im Gleichklang und auch wir im Deutschen Bundestag wirksame Hilfen für die Familie fordern — und dies mit Recht —, konzeptionell durchdacht, finanziell abgesichert und im Einklang mit den Familien.
Zweitens. Wer sich einsetzt für die Unterstützung der Frau in Haushalt, Familie und Erziehung, wendet kein Gießkannenprinzip an, sondern ist sozial gerecht und tritt für die Erfüllung eines seit Jahren bestehenden Nachholbedarfs ein.
Wenn je die Familie problematisiert worden ist, wie man sagt, wenn je die Familie ideologisch in Wort und Tat vielfältig in Frage gestellt worden ist — Herr Glombig, Sie können sich davon überzeugen —, dann gerade durch das zuständige Ministerium und in einer Art und Weise, die wirklich dazu beigetragen hat, daß die Familien verunsichert werden mußten.
— Zum Beispiel der Zweite Familienbericht.
Ich nenne weiter die Aussagen des Ministeriums zum Jugendhilfegesetz, in denen es heißt, daß die Vierzehnjährigen Anträge auf Förderleistungen stellen können, ohne die Eltern darüber zu informieren.
Weiter führe ich an, daß in der Begründung zum Jugendhilfegesetz steht, daß schon bei einem Anpassungskonflikt der junge Mensch aus der Familie herausgenommen werden muß.
— Das steht wörtlich, ich glaube, auf Seite 156 in der Begründung des Jugendhilfegesetzentwurfs der Bundesregierung.
— Ich bringe es Ihnen gern schriftlich, Frau Kollegin, heute nachmittag noch.
Gibt es, so möchte ich fragen, aus der Sicht des Bundestags eine Jugendpolitik, die den Namen „Jugendpolitik" verdient? — Wohl kaum.
Für den Heizölkostenzuschuß wird mehr als doppelt soviel ausgegeben wie für den Bundesjugendplan. Insgesamt werden im Bereich der Jugendpolitik etwas weniger als 400 Millionen DM aufgewandt; zur
15356 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 193. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Dezember 1979
Kroll-Schlüter
Förderung der Jugendarbeit werden 121604 DM verteilt.
Ich sage dies, um einmal die Relationen deutlich zu machen. Ich möchte darauf hinweisen, daß das Ministerium mehr eine Auszahlungsbehörde ist als ein gestaltendes Ministerium. Ober 90 % werden schlichtweg ausgezahlt, und zwar für Kindergeld. Aber es ist ja noch ein kleiner Gestaltungsraum da. Sie haben selbst von 0,3 % gesprochen. Aber auch dieser wird nicht genutzt. Sie drucken dafür buntes Papier, viele Broschüren und viele Anzeigen.
Viele haben bereits darauf hingewiesen, daß diese Schriftenflut und dieses Informationsmaterial, Frau Minister Huber,höchst fragwürdig ist. Ein Beispiel: Heute morgen wurde schon auf die Aktion un- ter der Überschrift „Das kommt in den besten Familien vor" hingewiesen. Da heißt es: „Aus dir wird nie ein richtiger Mann", „Laß mich in Ruh"', „Frag nicht so dumm", „Was auf dem Teller ist, wird gegessen", „Der Achmed kommt mir nicht ins Haus", „Paß ja auf, Jungen wollen immer das eine".
Das hat alles viel Geld gekostet; die Zahlen wurden heute morgen genannt. In solchen Informationsanzeigen in unseren Tageszeitungen werden Fragen angesprochen, die dann in den eigentlichen Broschüren ideologisch-pädagogisch beantwortet werden, aber ohne Herzlichkeit, ohne Raum für Spontaneität, ohne Natürlichkeit. Fast alles wird pädagogisiert und ideologisiert.
Wenn Sie ein Beispiel dafür brauchen: Sogar das Deutsch-Französische Jugendwerk leidet damn-ter. Ich verstehe, daß ein Abteilungsleiter Leiter des Deutsch-Französischen Jugendwerks werden möchte, denn es gibt ein experimentelles Sonderprogramm der Zärtlichkeit. In einem sonderbaren Training soll gezeigt werden,
wie die bestehende Herrschaftsstruktur „Zättlichkeit“ einschränkt. In der Gruppe dagegen soll Zärtlichkeit gelebt werden können. Im Gruppenleben sollen die Unterschiede zwischen Deutschen und Franzosen wie in Beziehung zur Zärtlichkeit, Machtkonflikten ... erfahren werden. Es dürfen nur Teilnehmer teilnehmen, die bereit sind, ihre Gefühle, Emotionen, auch Aggressionen nicht nur für sich zu behalten.
Ein zweites Beispiel dafür — Sie fragen ja immer nach Beispielen —, wie einseitig diese Vorhaben, Informationen sind — deswegen ist es kein Wunder, Frau Huber, daß auch Ihre Politikberatung einseitig ist —: Da gibt es ein Bundesjugendkuratorium. Es hat eine Terrorstudie verfaßt. Darin heißt es, daß der Terrorismus als das Extremverhalten einer winzigen, isolierten Gruppe junger Menschen angesehen wird, daß es aber andererseits nur eine Form der zahlreichen Variationen des Rückzugs Jugendlicher aus unserer Gesellschaft ist. Es handele sich hier also um ein Symptom für die Krankheit des sozialen, politischen und kulturellen Lebens. Wenn das stimmen würde, Frau Huber, müßten Sie sozusagen gegen die gesamte Gesellschaft zu Felde ziehen.
Ihre Politikberatung ist einseitig. Es ist sehr traurig, daß Sie, Frau Huber, und Ihr Ministerium ausschließlich unter dieser Perspektive beraten werden. Deswegen gibt es so viele Beispiele dafür, daß einseitig gefördert, beraten und informiert wird.
Wenn das an Beispielen noch nicht genügt, dann ist auf den vierten Jugendbericht hinzuweisen, in dem ein klassenkämpferisches Konzept entwickelt wird, so daß sich der angesehene sozialdemokratische Jugendforscher Jaide der weiteren Mitarbeit verweigern mußte und ein Minderheitenvotum erstellt hat.
Es ist also kein Wunder, daß diese Bundesregierung infolge dieser Politikberatung und Ihrer eigenen verengten ideologischen Sicht die junge Generation fast ausschließlich aus der Perspektive der unglücklichen und kranken Ränder sieht. Es gibt kranke Bereiche, unglückliche junge Menschen. Es gibt die Drogensucht, es gibt den zunehmenden Alkoholismus.
Übrigens Drogensucht: Ich finde, es ist unverantwortlich, Frau Minister, daß Sie die Drogenszene wiederum verniedlicht haben. Sie haben gesagt, es gebe zwar mehr Drogentote, aber weniger Konsumenten. Haschisch wird sozusagen am laufenden Band verniedlicht, obgleich mittlerweile alle zu der Erkenntnis gelangt sind, daß es sich hierbei um eine äußerst gefährliche Droge handelt. Sie haben nach Lage der Dinge, angesichts der traurigen Bilanz, die ich jetzt politisch nicht bewerten will, überhaupt keinen Anlaß, die Drogenszene auch nur mit irgendeinem Wort oder in einem Halbsatz zu verniedlichen.
Vielmehr haben wir alle Anlaß, gemeinsam alle Anstrengungen zu unternehmen, um diesem schleichenden Gift zu begegnen.