Rede von
Eugen
Glombig
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
— — an das Wohnraumkündigungsschutzgesetz.
— Herr Hasinger, ich weiß gar nicht, warum Sie sich so aufregen. Was soll das? Ich nehme an, daß das, was ich soeben gesagt habe, Sie zutiefst trifft. Wenn das so ist, dann mit Recht. Ich meine, Sie sollten sich das überlegen. Ich sage: Die CDU/CSU reduziert Familienpolitik auf zwei Dinge, nämlich erstens ideologische Polemik und zweitens möglichst viele mit der Gießkanne verteilte individuelle Geldleistungen für die Familie. Das ist das ganze Konzept Ihrer Familienpolitik.
Nun möchte ich doch einmal sagen, daß aus sozialdemokratischer Sicht für die Familienpolitik folgendes vordringlich ist. Vordringlich ist, sich nicht an rückwärtsgewandten und auch für die Vergangenheit nicht wirklich zutreffenden Idealen zu orientieren, sondern die tatsächlichen Probleme, die Entwicklungen und Wandlungen in den Familien zu erkennen und zur Kenntnis zu nehmen. Ich muß nach dieser Diskussion am Vormittag annehmen, daß Sie beides bisher weder zur Kenntnis genommen noch daraus entsprechende Folgerungen gezogen haben.
Bei den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen anzusetzen und diese so zu verändern, daß Familien und Kinder bessere Lebensmöglichkeiten haben, davon habe ich — außer Qualm — von Ihnen heute morgen nichts gehört. Sie weisen immer auf das familienpolitische Programm und die familienpolitischen Alternativen der Wehner-Kommission hin. Sie hätten sich damit einmal auseinandersetzen sollen. Nicht in einem einzigen Beitrag ist das geschehen.
Das bedeutet für uns in erster Linie: weitere Reformen der Arbeitswelt — das können Sie da nachlesen —, bessere Verteilung der Einkommen — ist das nichts für die Familien? —, eine Gestaltung der Städte, die mehr den Bedürfnissen der Menschen als Rentabilitätsgesichtspunkten folgt — eine Überlegung, die vor allem Ihnen zu denken geben muß. Damit ist Familienpolitik durchaus ein Teil einer umfassenden Gesellschaftspolitik, so wie die SPD und die Arbeiterbewegung sie mit Recht immer gesehen haben.
Ich darf in diesem Zusammenhang ruhig einmal auch dies sagen, selbst auf die Gefahr hin, daß Sie uns der Ideologie verdächtigen; aber ich meine, dies ist doch richtig: Kontrolle und Begrenzung wirtschaftlicher Macht im Interesse des arbeitenden Menschen und der Familien ist in der Tat auch weiterhin ein Anliegen, das wir als Sozialdemokraten immer wieder hervorheben müssen. Hierin liegt, meine ich, nach wie vor ein grundsätzlicher Unterschied zur Position der CDU/CSU. Dies sage ich für alle, die glauben, es gebe solche Unterschiede nicht.
In der eigentlichen Familienpolitik, Herr Kollege Blüm, in der Familienpolitik im engeren Sinn, bedeutet das: keine Gießkannenpolitik, sondern Konzentration auf die Probleme und Problemgruppen, d. h., auf die Einkommens- und Wohnungssituation kinderreicher und einkommensschwacher Familien, auf den Ausbau familienergänzender Erziehungshilfen. Hierbei ist übrigens die Reform der Jugendhilfe von besonderer Bedeutung. Da erwarten wir ja noch Ihren Beitrag. Der Kollege Kuhlwein wird sich dazu nachher noch äußern. Da sind wir sehr gespannt, wie Sie sich zu diesem Reformwerk im Verlauf der Gesetzgebung verhalten werden.
Eine entschiedene Politik für eine tatsächliche Gleichberechtigung von Mann und Frau in Familie und Beruf muß das Ziel sein; jedenfalls ist das unser Ziel. Ziel ist nicht, Männern und Frauen bestimmte Rollenvorstellungen aufzudrängen, weder traditionelle noch moderne. Wenn Sie für die traditionellen sind, wir sind weder für die traditionellen noch für die modernen. Nicht das Aufdrängen solcher Rollenverteilung, sondern die Ermöglichung freier Rollenwahl im echtesten Sinne des Wortes bedeutet konkret unter den derzeitigen Bedingungen- eine Politik, die nicht die Frauen in die traditionelle Rolle zurücklocken will, sondern ihnen die tatsächliche
15354 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode 193. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Dezember 1979
Glombig
Chance für eine gleichberechtigte Teilnahme am Erwerbsleben eröffnet. Das ist etwas ganz anderes als das, was Sie wollen. Das hat übrigens nichts damit zu tun, daß man die Frauen in den Beruf zwingen will. Wir wollen sie nicht in den Beruf zwingen. Das können Sie uns auch auf Grund des Papiers, das wir der Offentlichkeit vorgelegt haben, nicht unterstellen.
Das unterscheidet uns, Herr Kollege Blüm, von den Vorstellungen der CDU/CSU, die die Tendenz zur gleichberechtigten Teilnahme der Frau am Erwerbsleben mit Geld stoppen will.
Zu den familienpolitischen Plänen der Union folgendes. Die bekanntgewordenen Schwerpunkte der familienpolitischen Forderungen der Union sind eine maßlose Summierung von Einzelmaßnahmen, die weder finanzierbar sind noch den Familien in geeignetem Maße helfen können, die auf familienpolitische Geldleistungen angewiesen sind. Die Dynamisierung des Kindergeldes — vom Kollegen Burger gefordert; ich habe das irgendwo gelesen — zum jetzigen Zeitpunkt würde die derzeitige problematische Struktur der Kinderleistungen auf weite Sicht festschreiben. Ich meine, daß vor einem solchen Vorschlag im Interesse des Familienlastenausgleichs und seinem Ausbau nur gewarnt werden kann.
— Lassen Sie mich weiterreden, Herr Kollege Hasinger. Das Thema ist wirklich zu ernst, als daß wir uns weiterhin so anpflaumen sollten, wie das heute vormittag geschehen ist. Sie nehmen mir meine Zeit. Ich möchte jetzt endlich einmal in einem Zusammenhang vortragen.
— Herr Kollege Hasinger, Sie haben den ganzen Vormittag Zeit genug gehabt, Ihre Vorstellungen zu entwickeln.
Eine Kapitalisierung des Kindergeldes beim Erwerb von Wohneigentum unter der Bedingung der Aufgabe der Erwerbstätigkeit ist eine eindeutig gegen die gleichberechtigte Rollenteilung und die Interessen der erwerbstätigen Frauen und Mütter gerichtete Maßnahme, die vor allem der Bauwirtschaft nutzen wird; sonst aber nicht viel mehr.
Die Einführung eines Erziehungsgeldes für die Dauer von zweieinhalb Jahren ist aus sozialdemokratischer Sicht ebensowenig finanzierbar wie sozialpolitisch vertretbar, wenngleich ich sage, wir werden alle Vorstellungen dieser Art, auch die von Ihnen, gewissenhaft prüfen
und dann vor der Wahl — das wird uns von Ihnen unterscheiden; da bin ich ganz sicher — allen, die zur Wahl gehen, sagen, wie wir uns die Weiterentwicklung der Familienpolitik vorstellen. Gleichzeitig werden wir ihnen sagen, daß wir in der Familienpolitik in den vergangenen zehn Jahren die Weichen gestellt haben. Damit werden wir für sie erkennbar zum Ausdruck bringen, wohin die Reise mit uns gehen soll.