Herr Kollege Glombig, Sie wissen ganz genau, daß wir schon in der letzten Legislaturperiode gesetzgeberische Schritte vorgeschlagen haben und daß wir diesem Hause sehr deutlich erklärt haben, daß wir für dieses Thema, nämlich das Thema Erziehungsgeld, bereit sind, Prioritäten zu setzen, daß wir bereit sind, auch unangenehme Beschlüsse mitzutragen, damit endlich die Defizite im Bereich der Familienpolitik ausgeräumt werden können.
Ich möchte in meiner Rede fortfahren. Ich möchte von dem koalitionsinternen Gerangel um die familienpolitische Komponente im Steuerpaket '81 reden. Es hat deutlich gemacht, wie hier die Meinungen auseinandergehen. Frau Huber will mit einer einkommensabhängigen Aufstockung des Kindergeldes den bisher so hochgelobten familienpolitischen Grundsatz „Kind ist gleich Kind" verlassen und damit das Kindergeld aus dem Zusammenhang der familienpolitischen Leistungen herausnehmen.
In der „Stuttgarter Zeitung" konnte man vor dem SPD-Parteitag dazu folgenden Kommentar lesen:
Sicher wird sie in Teilen der SPD auf dem Parteitag Beifall einheimsen. Frau Huber wollte wenigstens SPD-Flagge zeigen, bevor sie untergeht.
Die Hauptverfechter einer einseitigen Frauenpolitik auch im Hinblick auf die Rolle der Frau in der Familie sind vor allem die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen. Diese haben sich kürzlich in einer Presseerklärung ihres Bundesvorstandes gegen einige Diskussionspunkte, die heute anstehen, gewandt, und zwar erstens gegen eine Reideologisierung der Diskussion um Familie und Kinder. Ich frage: Wer hat denn hier seit Jahren die ideologische Brille auf?
Zweitens haben sie sich gegen den Versuch gewandt, die unbefriedigende Situation der Kinder der Erwerbstätigkeit von Müttern anzulasten.
Meine Damen und Herren, ich zitiere dazu nur einen Satz aus der Weihnachtsrede von Altbundespräsident Walter Scheel zum Jahr des Kindes. Dort steht zu lesen — und es stimmt, was er sagt —:
Die Gleichberechtigung der Frau ist ein Gebot der Gerechtigkeit und ein Gebot der Verfassung, aber sie spielt sich, das müssen wir auch sehen, zum großen Teil auf dem Rücken unserer Kinder ab.
Das ist doch das Thema, das wir jetzt angehen müssen.
Drittens wenden sich die sozialdemokratischen Frauen gegen die Einführung eines Erziehungsgel-
15350 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 193. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Dezember 1979
Frau Verhülsdonk
des, das, wie sie sagen, der erste Schritt zur Mutter im Staatsdienst wäre.
Meine Damen und Herren, ich frage: Sind wir dann, wenn Sozialeinkommen die Menschen automatisch zu Staatsangestellten macht, nicht längst ein Volk im Staatsdienst? Wie wollen Sie denn in bezug auf das Sozialeinkommen „Erziehungsgeld" auf einmal andere Maßstäbe anlegen als in bezug auf andere Sozialeinkommen, etwa Kindergeld?
Durch das Kindergeld wären die Eltern dann ja auch Angestellte des Staates.
Viertens wenden sich die sozialdemokratischen Frauen gegen ein wechselseitiges Ausspielen von Hausfrauen und erwerbstätigen Frauen. Ich frage Sie: Wer hat denn die ungerechte einseitige gesetzliche Begünstigung der erwerbstätigen Frauen durch das Mutterschaftsurlaubsgesetz und durch den Kinderfreibetrag hier betrieben?
Fünftens wenden sich die sozialdemokratischen Frauen gegen eine Verunsicherung der Gesellschaft durch die Aussage, ein Geburtenrückgang würde unser Sozialleistungssystem gefährden. Wer das leugnet, sollte aber ehrlicherweise gleich zugeben, daß er auf die Erhaltung unseres leistungsbezogenen Rentensystems keinen Wert legt und statt dessen von einer staatlich zugeteilten Altersrente träumt, die an die Stelle der auf Lebensleistung bezogenen Rente treten muß, wenn man es hinnimmt, daß künftig immer weniger Beitragszahler für das Rentenaufkommen sorgen müssen.
Die Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen fragt sodann in diesem Papier ganz naiv: Warum kann nur eine wieder steigende Geburtenrate eine Entwicklung von mehr Lebensqualität darstellen? Ist nicht alle Wahrscheinlichkeit nach das Gegenteil richtiger?
Ja, meine Damen und Herren, damit sind wir dann auf dem Diskussionsniveau des Bundeskanzlers — sehr richtig, Herr Kollege Schwarz —, der zum Thema „Geburtendefizit" auch nicht mehr zu sagen wußte als das: Wir hätten nächstens bei weniger Bevölkerung mehr Platz auf den Straßen und mehr Parkplätze.
Wenn wir einmal von den wirtschaftlichen Folgen des Geburtendefizits und von den voraussehbaren Finanzierungsproblemen der Rentenversicherung absehen, muß ich Sie, meine Damen und Herren, doch fragen: Haben Sie sich einmal Gedanken über die sozialen und psychologischen Folgen der doch zwangsweise eintretenden Überalterung unserer Gesellschaft gemacht?
— Nein, ich habe ja gesagt: Sehen wir davon einmal ab und reden wir von anderen Dingen. Dabei bin ich gerade.
Ich rede von den sozialen und den psychologischen Folgen, Herr Kollege Fiebig, über die sozialen und emotionalen Defizite bei Einzelkindern und bei kinderlosen Familien. Haben Sie einmal über die Gefahr neuartiger sozialer Konflikte, z. B. über die Verschärfung des Generationskonflikts, nachgedacht? Haben Sie einmal darüber nachgedacht, wie inhuman und egoistisch eine Gesellschaft wird, die Kinder zu haben zunehmend als Last und als sozialen Abstieg erlebt statt als Zuwachs an Lebenssinn für die Eltern und als Hoffnung auf Zukunft?
Sie reden von dem Glück, das Kinder bereiten sollen; unsere Gesellschaft redet schon lange darüber, daß Kinder eine Last sind. Warum? Weil eben, und zwar durch Ihre Politik, die sozialen Folgen des Kinderhabens bei den Eltern spürbar sind.