Rede von
Roswitha
Verhülsdonk
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Minister Huber, seit Jahren tragen Sie hier Leistungs- und Erfolgsbilanzen vor. Wundern Sie sich eigentlich nicht darüber, daß draußen in den Familien die Probleme wachsen, während Sie hier 'immer wieder Erfolge verkünden? Fragen Sie sich nicht manchmal selbst, warum die Familienpolitik in den Mittelpunkt des allgemeinen Interesses getreten ist?
Diese Tatsache müßte Sie doch langsam einmal erschüttern. Zwischen dem, was Sie in Ihren Reden sagen, und Ihrer Politik kann man keine Übereinstimmung finden.
Es hat sich heute morgen hier erwiesen, daß es tatsächlich grundsätzliche Differenzen in diesem Hause und, so muß man wohl sagen, in der gesamten Gesellschaft über die Frage gibt, was der Familie heute nottut. Ich will mich deshalb hier mit grundsätzlichen Fragen beschäftigen.
Von dem ersten deutschen Bundespräsidenten, Theodor Heuss, stammt der Satz, daß die Familie wohl die letzte noch einigermaßen intakte menschliche Reserve gegen die völlige Verstaatlichung und die reine Verberuflichung des Menschen ist, gegen seine Verameisung, die auch Vereinsamung werden kann.
— Heuss sagt ja: die letzte noch intakte Reserve. Als wir regierten, war das auch noch so.
Heute kann niemand mehr daran zweifeln, daß die von Heuss genannten. Gefahren bestehen, gegen die die Familie den Menschen schützen soll. Nichts wird uns vor dem Ameisenstaat bewahren, wenn es uns nicht gelingt, Inseln der Geborgenheit, Inseln der Einübung in das soziale Miteinander zu erhalten. Wie sich in der Geschichte erwiesen hat, gibt es keinen besseren Ort als die intakte Familie für die Vermittlung von Liebe, Vertrauen und Treue — Tugenden, die unsere kalte, bürokratische Massengesellschaft nötiger hat als je zuvor.
Diese Erkenntnis findet heute in unserer Gesellschaft breite Zustimmung, gerade auch bei den jungen Menschen. Denn sie deckt sich mit den Erfahrungen der Menschen. Wenn Familienpolitik dem Menschen und damit dem Staat und der Gesellschaft dienen soll, muß sie darauf angelegt sein, die Autonomie der Familie und ihren Zusammenhalt zu stärken. Genau das Gegenteil aber ist seit Jahren geschehen.
Herr Kollege Fiebig, Sie haben sich heute morgen hier gewaltig erregt und das alles bestritten. Sie haben bestritten, daß es Verwirrung und Verunsicherung in den Familien in diesem Lande gegeben hat.
Wie können Sie das aufrechterhalten, wenn Sie sich einmal die Gesamtbilanz und die gesellschaftliche Diskussion vor Augen führen?
Ich weiß — wir haben es ja eben wieder von Frau Huber gehört —, man hört und liest in letzter Zeit eine Menge regierungsamtlicher und auch aus dem Lager der SPD kommender Erklärungen zur Familie und ihrer Bedeutung und zur Familienpolitik, die manchmal aus der Feder der Opposition stammen könnten. Besonders Frau Huber übt sich in solchen Äußerungen — jeweils vor dem geeigneten und geneigten Publikum, etwa den Familienverbänden. Das sind wohl die Pflichtübungen zur Sympathiewerbung, die man da machen muß. Die Wahrheit aber ist, daß sich die materielle Situation der Familie nicht verbessert hat, daß die Defizite, vor allem bei den Mehrkinderfamilien und bei den Familien mit behinderten Kindern, ständig größer werden.
Das hat Ihnen die Sachverständigenkommission im Dritten Familienbericht mit nicht zu übertreffender Deutlichkeit ins Stammbuch geschrieben.
Diese Kommission zieht aus ihrem Befund auch klare Konsequenzen. Sie fordert mit Nachdruck eine neue Zielrichtung der künftigen Familienpolitik. Ich nenne hier nur die beiden markantesten Forderungen: Maßnahmen zur Beeinflussung des generativen Verhaltens unter der Zielsetzung der Erhaltung der Bevölkerungszahl und als einen Lösungsweg zu diesem Ziele Maßnahmen zur höheren Bewertung der Familienhausfrau durch den Staat. Die Bilanz des Dritten Familienberichts macht deutlich, wie es sich jetzt rächt, daß diese Bundesregierung nie ein umfassendes Konzept für die Familienpolitik hatte,
daß nie versucht wurde, ressortübergreifend die Probleme der Familie anzugehen.
Aber wie sollte sie auch ein Konzept entwickeln! Wenn man hier die Kollegen von der FDP hört, etwa den Kollegen Eimer, wird einem schon sehr deutlich, daß es in dieser Koalition die gleichen Differenzen in diesen Fragen gibt, wie wir sie mit der SPD haben. Und offensichtlich ist auch innerhalb der SPD ein gemeinsames Konzept für die Familie nicht ohne weiteres durchsetzbar. Das zeigt die Tatsache, daß die Wehner-Kommission mehrere Vorschläge vorgelegt hat, unter denen man jetzt erst einmal auswählen soll und über die erst eine Auseinandersetzung stattfinden muß.
— Liebe Leute, wir machen doch seit Jahren Familienpolitik und kennen seit Jahren die Situation der Familie und wissen, wie sie sich entwickelt hat.
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 193. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Dezember 1979 15349
Frau Verhülsdonk
Da können Sie doch nicht sagen, jetzt machen wir mal vier Vorschläge, und dann diskutieren wir darüber.
Da kommen Sie mindestens fünf Jahre zu spät, denn so lange sind die Probleme schon bekannt.