Vor der Mittagspause möchte noch Frau Kollegin Verhülsdonk von der CDU/CSU- Fraktion reden. Ich bitte daher um Entschuldigung, daß ich keine Zwischenfrage zulasse.
Es ist gar nicht zu übersehen, daß neben der Lohnsteigerung gerade die Kindergelderhöhung nach Ablösung der alten Steuerfreibeträge einen nicht unerheblichen Teil der Gesamtverbesserung für die Familie ausmacht. Das sind Summen, von denen frühere CDU-Minister im Familienressort nicht einmal träumen konnten.
Wenig ehrlich und überzeugend fand ich in der Rede von Herrn Kohl am Dienstag die Passage, wo er sagte, daß Familienpolitik keine Bevölkerungspolitik sei. Aber genau zwei Zeilen später hat sie damit dann doch wieder etwas zu tun; dann klingen wieder die Renten an. Ich möchte Ihnen sagen, daß sich bei uns die Produktivität zwischen 1960 und 1978 um fast 100 %, genau um 92 %, gesteigert hat. Das heißt, daß die mögliche Höhe der Sozialbeiträge und auch die mögliche Rentenleistung doch nicht allein von der Kopfzahl abhängen. Außerdem wird wohl kein junges Paar moralischen Appellen folgen, die so vordergründig auf spätere Rentenzahler abzielen.
Herr Kohl hat dann ja auch Herrn Strauß darin zugestimmt — und dem kann man wohl zustimmen —, daß eine ausschließlich materielle Zuwendung keine Wende in der Familienpolitik herbeiführen werde. Aber was fordern Sie? In Ihrem Änderungsantrag auf Drucksache 8/3485 und dem neuen Strauß-Papier geht es um Geldleistungen und nicht um neue Konzepte. Und Herr Biedenkopf hat uns noch nicht einmal gesagt, ob er seine Frühjahrsmeinung geändert hat oder nicht, daß der Staat die Mutter für das Zuhausebleiben eigentlich nicht bezahlen kann.
Zu den mit dem Änderungsantrag verbundenen Einsparvorschlägen brauche ich nicht viel zu sagen, weil sich damit meine Kollegen beschäftigt haben, insbesondere Herr Ehrenberg. Aber auch ich finde, daß am selben Tag in einer Debatte, in der die Arbeitslosigkeit als große Gefahr hervorgehoben wird, nicht gleichzeitig vorgeschlagen werden kann, ausgerechnet aus der Reserve, die die Arbeitslosigkeit abfangen soll, 440 Millionen DM zu streichen. Da spricht man mit zwei Zungen.
Zur Sache selbst habe ich schon in ausführlicher Debatte Stellung genommen. Wir werden es am 17. Januar 1980 wieder tun, wenn die große familienpolitische Debatte auf der Tagesordnung steht.
Auch wir sind für eine gesunde Familie, wie die Opposition sie gefordert hat. Aber die Geburtenrate ist nun einmal kein Handelsobjekt. Im übrigen läßt sich die Familie nicht leicht bevormunden und irreführen,
weder durch eine politisch-moralische Offensive in Richtung Bevölkerungspolitik noch durch Zitate aus dem Zweiten Familienbericht. Dazu hat Herr Eimer ja gerade etwas gesagt. Wenn wir diese vom Parlament in Auftrag gegebenen Berichte nicht veröffentlicht hätten, hätten wir uns doch sicher ebenfalls Kritik eingehandelt. Wir dachten, wir müßten auch als Regierung Kritisches ertragen; denn solche Diskussionen helfen weiter, und das wollen wir.
— Aber ich habe schon siebenmal gesagt, daß das keine Berichte der Bundesregierung sind.
Was im übrigen meine Zeit und die Frage angeht, womit ich mich beschäftigt habe: Das Dementi im Zusammenhang mit dem von Herrn Kroll-Schlüter geforderten Rücktritt hat mich ganze drei Minuten gekostet.
— Bis auf die Erwiderung, die gerade erschienen ist, hat er mich keine Zeit gekostet.
Aber ich möchte mich bei Herrn Glos bedanken, der in einem sehr fairen Brief an das „Handelsblatt" die wirklichen Gründe aufgeführt hat, warum der Berichterstatterwechsel stattgefunden hat. Herr Glos hat mir eine Kopie dieses Briefes überreicht. Sie können den Brief einsehen. Damit sind die Behauptungen von Herrn Rose heute morgen wohl aus der Welt.
Die Regierung will der Familie helfen. Das gilt auch für das Sorgerecht und für das Jugendhilferecht. Sie bestreitet nicht, daß es Probleme gibt. Man muß sich bemühen, sie nicht nur mit ungezielten Zuschüssen zu lösen. Ich will z. B. nicht die Tatsache verharmlosen, daß es psychisch Kranke und Drogenabhängige gibt. Aber das ist eben kein typisches Phänomen für arme Familien, oft ist das Gegenteil der Fall.
Wenn also Milliarden ausgegeben werden sollen: Wo bleibt der richtige Denkansatz? Hier erbitten wir noch Ihre Vorschläge; denn wir glauben: Das sind Themen, die wir ruhig gemeinsam angehen sollten. '
Ein Teil der Jugend ist sicherlich von der Politik enttäuscht, weil Politik heute schwierig und wenig faszinierend ist. Aber Sie können doch wohl nicht
15346 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 193. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Dezember 1979
Bundesminister Frau Huber
behaupten, daß die gesamte Jugend mit vollen Segeln nun zur CDU übergelaufen ist.
Unbestreitbar richtig ist, daß wir uns mehr um die Jugend kümmern müssen. Deshalb sind z. B. in meinem Haushalt die Mittel für den Bundesjugendplan 1980 um 14 % aufgestockt worden. Wir wollen nicht, daß unsere Jugend in Schule und Betrieb nur noch erbarmungslosen Konkurrenzkampf erfährt. Wir müssen ihr einen eigenen Spielraum lassen.
Wir dürfen auch nicht nur Abziehbilder von uns selbst produzieren.
Der Fünfte Jugendbericht — Herr Rose, den haben Sie vielleicht nicht oder nicht genau gelesen
— dann haben Sie vielleicht nicht genügend darüber nachgedacht — ist sehr differenziert und kritisch. Aber er muß kritisch sein. Dafür ist er bestellt, und das ist sein Sinn.
Wir wollen auch den Frauen eine Chance geben und uns nicht nur verbal zur Emanzipation bekennen, sondern dazu beitragen, daß die Frauen Familienaufgaben und Beruf besser vereinbaren können. Daran arbeitet der im Sommer in meinem Hause neu eingerichtete Arbeitsstab Frauenpolitik,
übrigens auch unter Beteiligung einiger Männer. Er ist wie ich der Auffassung, daß Emanzipiertsein kein Merkmal von Erwerbstätigkeit ist, sondern eine Geisteshaltung, die auch der Kindererziehung zugute kommt.
Herr Burger, Sie sagen: „Lassen Sie doch die Frauen sich selbst entscheiden!" Das ist genau das, was ich über hundertmal hier und anderswo schon gesagt habe. Lassen Sie doch die Frauen sich selbst entscheiden!
Ich finde es auch nicht fair, daß Herr Rose aus einer kürzlich von mir in Wien gehaltenen Rede, die ausgesprochen kinderfreundlich war,
hier zusammenhanglos eine Passage zitiert hat.
Nach meiner Auffassung gibt es keinen Gegensatz zwischen Emanzipation der Frau und der Vermittlung familiärer Geborgenheit. Wir haben kein einseitiges Leitbild. Wir wollen keine Bevorzugung der
berufstätigen Frau, aber wir wollen auch keine Benachteiligung der berufstätigen Frau.
Wir wollen auch Hilfen für die berufstätige Mutter. Daß das nun eine neue Form von Klassenkampf sein soll, halte ich für eine absurde Idee. Ich bin sehr gespannt, was die Damen der CDU/CSU zu diesem Thema sagen werden.
Ich habe immer erklärt, daß Familienpolitik nur ein Maßnahmenbündel sein kann, Hilfe für die große Familie, Hilfe für alleinerziehende Eltern, Hilfen für Eltern in schwierigen Lagen, z. B. Eltern mit behinderten Kindern, und Hilfen für alle Eltern, so, wie wir sie in unserem neuen Steuer- und Familienprogramm vorsehen.
Aber auch die Aufklärung, meine Damen und Herren, ist nötig. Die Anzeigen, die hier kritisiert worden sind, entsprechen genau dem Wortlaut unserer Broschüre „Familie ist jeder für jeden". Diese Broschüre wird so stark bestellt, daß wir den Bestellungen gar nicht nachkommen können.
Ich lese Ihnen einige dieser Besteller vor. Es ist bestellt worden: von der Regierung Oberbayerns für alle Jugendämter,
vom Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus für Elternbeiratsvorsitzende,
von der CSU-Frauen-Union und von der CDU-Frauen-Union für die Bundesebene und alle Landfrauenvereinigungen, vom saarländischen Kultusminister für alle Schulen,
vom niedersächsischen Kultusminister für alle Jugendämter, vom Ernährungsminister von Schleswig-Holstein für alle Landwirtschaftsschulen
und vom Kultusminister von Rheinland-Pfalz für drei Bezirksregierungen — allein in diesem einen Land, um Ihnen einmal eine Zahl zu nennen, 203 000 Exemplare. Wir können gar nicht genug nachdrukken.
Meine Damen und Herren, wir müssen uns aber vor Augen halten, daß unsere Politik über das hinaus, was sie zum Ausgleich aus Gerechtigkeitsgründen an Zuschüssen gibt, auch Mittel für spezielle Aufgaben bereitstellen muß, für Elternbildung und -beratung, für Einrichtungen, auch modellhafte, im Gesundheitsbereich, für eine bessere Therapie z. B. psychisch Kranker und Drogenabhängiger, aber
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Bundesminister Frau Huber
auch für Aufklärung und Forschung sowie für viele
Institutionen und Verbände, die im Bereich Jugend,
Familie, Altenförderung unersetzliche Arbeit tun.
Herr Kollege Sayn-Wittgenstein hat heute morgen gesagt, er behandle den Abschnitt Gesundheit nicht, weil keine Initiativen aus unserem Hause gekommen seien. Dazu muß ich sagen, daß entsprechend der Arbeitsteilung in der Regierung von uns sehr wohl Initiativen gekommen sind. Ich will nur einige Stichworte nennen. Ich erinnere an die stark besuchte und auch von den Fraktionen des Deutschen Bundestages wahrgenommene Große Krebskonferenz. Ich erinnere an das wichtige Betäubungsmittelgesetz, an das umfassende Chemikaliengesetz, an das Apothekengesetz und an zahlreiche Novellierungen bei den Gesundheitsberufen.
— Ja, natürlich ist das unser Auftrag.
— Es ist nicht wichtig, ob hier schon früher einmal jemand eine Idee gehabt hat. Wichtig ist, daß ein Gesetzentwurf auf den Tisch kommt und auch verabschiedet wird.
Wir beanspruchen gar nicht für alles die Urheberschaft. Ich habe an diesem Pult schon mehrfach gesagt: Wir würden uns freuen, wenn gerade im Bereich von Jugend, Familie und Gesundheit vieles gemeinsam möglich wäre. Das wiederhole ich hier.
Zum Schluß möchte ich einen kleinen Abschnitt wieder der Familienpolitik widmen, weil diese hier heute das übergeordnete Thema ist
Ich will mich jetzt auf einen Artikel beziehen, der gerade in der neuesten Zeitschrift des Kinderschutzbundes erschienen ist. Daraus zitiere ich zwei Passagen.
Das deckt sich mit meinen Vorstellungen. Weil Sie immer meinen, wir seien so einseitig eingefärbt, ist es vielleicht gut, wenn ein Verband einmal Ähnliches sagt wie wir.
— Ich lese jetzt zum erstenmal in meiner Rede ein Zitat vor; ich denke, das muß mir gestattet sein. Der Kinderschutzbund sagt in dem Artikel:
Wer auf materiellen Wohlstand, auf einen oft sogar luxuriösen Lebensstil, auf die Erzielung eines immer höheren Einkommens zur Finanzierung des ständig wachsenden Lebensstandards fixiert ist, ...
— Ich lese jetzt aus einem Artikel aus der neuen Zeitschrift des Kinderschutzbundes vor. —
— Er ist nicht der Autor. — Ich fahre fort:
... fixiert ist, für den ist jedes Kind ein „Opfer". Es muß bezweifelt werden, ob jemand deshalb eine positive Einstellung zum Kind findet, wenn der Staat ihm die entstehenden Kosten erstattet, d. h. ihn in die Lage versetzt, seine Konsumbedürfnisse trotz Kind zu befriedigen.
... Solange es sich bei der Diskussion, die um die Vermehrung der Geburtenziffern geführt wird, ums Geld dreht, solange sich der einzelne in seinen Entscheidungen für oder gegen das eigene Kind an der ebenso platten wie verbreiteten Existenzphilosophie der Bundesrepublik — nämlich Wachstum, Wohlstand — orientiert und solange Kinder in der politischen Perspektive zu Objekten „zukunftsorientierter Familienpolitik", zur Sicherung von Produktion, Rentenfinanzierung und Wehrbereitschaft abgewertet werden, so lange kommen wir keinen Schritt weiter.
Das Ja zum Kind, meine Damen und Herren — das sagen wir mit dem Kinderschutzbund, obwohl wir auch dessen berechtigte Wünsche nicht alle auf einmal erfüllen können —, muß immaterielle Wurzeln haben. Kinder sind unverzichtbarer Teil des menschlichen Lebens.
Sie sind erlebbares Lebensglück und erlebbarer Lebenssinn.
Der Einzelplan 15 — Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit — ist nur das Spiegelbild unserer gezielten Bemühungen, die Familie und die Jugend ohne Bevormundung immer stärker zu unterstützen, am meisten dort, wo es am meisten not-tut.
Ich bedanke mich bei den Berichterstattern, bei den Mitgliedern des Haushalts- und des Fachausschusses und auch bei meinen eigenen Mitarbeitern und wünsche mir Zustimmung zu meinem Einzelplan.