Vielen Dank für Ihre Frage, Herr Kollege Burger. Ich will Ihnen eine Antwort geben. Sie selbst haben im „Deutschland-Union-Dienst" vom 4. Dezember 1979 geäußert:
Sosehr eine regelmäßige Anpassung des Kindergeldes an die wirtschaftliche Entwicklung erforderlich ist, so notwendig erscheint es, mit allen Möglichkeiten auszuschöpfen, um dem Personenkreis zu helfen, für den Hilfe dringend geboten erscheint.
Nun fragen wir Sozialdemokraten uns, welchem Personenkreis zuerst geholfen werden muß, wo die schwächsten Punkte in der Familienpolitik sind. Wo müssen wir zuallererst einsetzen? Wo müssen wir die zur Verfügung stehenden Geldmittel zuerst einsetzen?
Ich gebe Ihnen ein Beispiel aus dem zu Ende gehenden Jahr 1979, als wir das Gesetz über die Unterhaltsvorschußkassen geschaffen haben. Das war für uns eine Priorität, und ich bin stolz darauf, daß wir das abhaken konnten. Es ließen sich noch viele weitere Punkte finden, wo wir zuerst einsetzen müssen. Ich denke z. B. auch an die vierte Novelle des Bundessozialhilfegesetzes. Sie selber haben von den Schwerst- und Schwerbehinderten gesprochen. Nach diesen Gesichtspunkten geht sozialdemokratische Familienpolitik vor.
- Herr Kollege Burger, die Uhr läuft, und ich möchte meine Ausführungen fortsetzen.
Daher finde ich es nicht gut, daß es z. B. die „Stimme der Familie, Mitteilungsdienst des Fami-
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Fiebig
lienbundes der Deutschen Katholiken" dieses Unterhaltsvorschußgesetz — Herr Burger, ähnlich argumentieren Sie — kritisiert. Zum Schluß wird gesagt:
Insgesamt gesehen bedeutet das Unterhaltsvorschußgesetz einen weiteren Schritt hin auf den Sozialstaat. Sosehr diese Hilfe für alleinerziehende Eltern im Grundsatz zu begrüßen ist, so darf doch nicht übersehen werden, daß dieses Gesetz Eltern die Sorge für ihre Kinder teilweise und zeitweilig abnimmt und daß es damit weiter die Bereitschaft nährt, den Staat als Ersatzeltern anzusehen.
So ist es doch wahrhaftig nicht; denn das Unterhaltsvorschußkassengesetz ist für die Menschen da, wo sich der Erzeuger der Kinder in unverantwortlicher Weise abgesetzt hat und die Kinder ihrem Schicksal überläßt.
Daher kann ich der Stimme der Familie" wahrhaftig nicht zustimmen. Da ist mir eine Stellungnahme wesentlich sympathischer, die die Evangelische Frauenarbeit in Deutschland herausgegeben hat, wo es um die Frage geht, wem und welchen Menschen in unserem Land von der Familienpolitik zuerst geholfen werden muß. Da wird gefordert: „Unterhaltsvorschußkassen des Staates auch für Kinder über sechs Jahre." Wir kennen das in der Politik: Bis jetzt haben wir drei Jahre, und nun kommt gleich die Forderung, das auf sechs Jahre zu erhöhen. Es heißt weiter:
... Anspruch auf einen Platz in Kindertagesstätten, Anhebung des Kindergeldes allgemein und Abschaffung der steuerlichen Benachteiligung für Ein-Eltern-Familien. Der inneren Situation dieser Ein-Eltern-Familie mit ihren speziellen Problemen wurde bisher jedoch zuwenig Beachtung geschenkt. Wie viele Schwierigkeiten, mit denen vor allem alleinerziehende Frauen zu kämpfen haben, machen auch verheirateten Müttern zu schaffen, wenn sie berufstätig sein wollen: fehlende Teilzeitarbeitsplätze beispielsweise, niedrige Löhne, kaum Betreuungsmöglichkeiten für Schulkinder usw.
Herr Kollege Burger, das sind ja die eigentlichen Probleme unserer Familien, wenn nämlich z. B. Vater und Mutter nach einem harten Arbeitstag abends nervös und gestreßt nach Hause kommen, sich eigentlich ihren Kindern widmen müßten, es aber nicht können, weil sie viel zu müde sind.
Oder nehmen Sie das Lohnsystem in unserer Bundesrepublik: Da hat man doch wohl grundsätzliche Fragen.
— Ich suche die Auseinandersetzung mit Ihnen im Grundsätzlichen. — Ich war neulich in der Schachtanlage „Heinrich Robert" in meinem Wahlkreis. Wenn ein Bergmann unter Tage mit 1800 DM netto nach Hause geht, dann stimmt da doch etwas nicht. Da müßte in der Politik doch eigentlich angesetzt werden! Die Folge ist natürlich, daß seine Ehefrau
nebenbei arbeiten muß, um das Familieneinkommen aufzubessern. Also müssen wir, meine ich, bei einkommensschwachen Familien in unserem Lande einsetzen und dürfen nicht mit der Gießkanne übers Land gehen
und denen noch etwas oben draufgeben, die sich sowieso aus eigener Kraft helfen können
und nicht die Hilfe des Staates nötig haben. Hier, meine ich, müßten wir doch sehr sorgfältig unterscheiden.
Lassen Sie mich zum Schluß noch folgendes sagen. Ich meine, der Fraktionsvorsitzende der CDU/ CSU-Fraktion müßte auf seine Ausführungen, die er am Dienstag gemacht hat, noch eine Antwort der sozialdemokratischen Fraktion bekommen. Herr Kohl hat davon gesprochen, wir Sozialdemokraten hätten die jungen Menschen in unserem Lande enttäuscht.
Ich bin ganz gegenteiliger Auffassung. Wenn man fragt: „Wer enttäuscht denn junge Menschen in unserem Lander?, dann denke ich z. B. daran, daß die jungen Menschen in unserem Lande — ein Glück! — sehr kritisch sind und uns Abgeordnete, uns Politiker sehr kritisch sehen und befragen — ich finde das gut so —, daß sie uns fragen, ob wir grundgesetzkonform handeln, ob wir von Grundwerten ausgehen. Ich finde, da müssen wir uns alle miteinander der Kritik der jungen Menschen stellen und versuchen, sie für diese Staatsform Demokratie zu gewinnen. Was sagen denn wohl die jungen Menschen in unserem Lande dazu, wenn z. B. Asylsuchende, die aus der Tschechoslowakei zu uns kommen, an der bayerischen Staatsgrenze zurückgewiesen werden? Da werden doch wohl ihre Hoffnungen und ihre Erwartungen an den demokratischen Rechtsstaat enttäuscht!
Ein anderes Beispiel: Wie lange schon wird die Frage der Zivildienstleistenden und der Gewissensprüfung hin- und hergeschoben,
weil Sie sich in Ihrer Fraktion nicht einigen können und keine Position beziehen? Da werden doch junge Menschen enttäuscht, die erleben müssen, daß diese Gewissensprüfung alles andere ist als das!
Jugendpolitik und Familienpolitik haben in der sozialdemokratischen Fraktion allerersten Stellenwert. Wir sind nicht der Meinung, daß es für junge Menschen in diesem Lande keine Entwicklungsmöglichkeiten gebe. Natürlich wissen wir, daß dies schwierig ist, wenn junge Menschen unter einem Leistungsdruck stehen und gefordert werden — am Ausbildungsplatz, in der Schule —, wenn von ihnen erwartet wird, daß sie immer mehr und mehr lernen. Ihnen deutlich zu machen, daß auch wir Erwachse-
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nen einem lebenslangen Lernprozeß unterworfen sind, ist nicht immer einfach. Hier den Erwartungen junger Menschen zu begegnen, sollte unsere gemeinsame Aufgabe sein. Wir sollten nicht so darüber sprechen, wie der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU-Fraktion das getan hat.
Wir Sozialdemokraten werden Ihnen im nächsten Jahr unsere Beschlüsse zur Familienpolitik vorlegen. Ich bin gewiß, daß wir dann — mit der Ausgangslage, die wir auf dem Berliner Parteitag geschaffen haben — bestehen können.