Rede von
Claus
Grobecker
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kollege Wittgenstein, daß Sie den Einzelplan 11 ablehnen, ist natürlich ein verheerender Schlag gegen die Koalition. Nachdem Sie bekundet haben, daß Sie den Einzelplan 11 ablehnen werden, werden wir schwer noch weiterregieren können.
Der Einzelplan 11, meine Damen und Herren, ist das Dokument der Verantwortung der Bundesregierung und der sie tragenden Koalitionsfraktionen gegenüber den Bürgern. Darüber gibt es für uns jedenfalls keinen Zweifel. Alle Biedenkopf sehen und Straußschen Klimmzüge hindern uns nicht daran,
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Grobecker
uns nachdrücklich zum Sozialstaatsauftrag des Grundgesetzes zu bekennen.
Dieser Auftrag findet seine Umsetzung vor allen Dingen im Einzelplan 11.
Jetzt mache ich eine Bemerkung, bei der wir sicherlich übereinstimmen: 7,7 % Steigerungsrate — 48-Milliarden-DM-Grenze durchbrochen. Dies ist eine Feststellung, die Sie nicht kritisieren und nicht leugnen können. Mir kommt es immer darauf an, hin und wieder mit Herrn Wittgenstein übereinzustimmen. Nur, Herr Wittgenstein, nach dem zu schließen, was Sie zu den Renten gesagt haben, müssen Sie bei der Rede von Herrn Strauß am Dienstag nicht hier gewesen sein oder nicht zugehört haben. Wahrscheinlich haben Sie an Ihrem Manuskript für heute gearbeitet. Jedenfalls hat Herr Strauß gesagt, er wolle die Staatsquote senken. Da wird natürlich nichts aus all dem Schönen, was Sie hier erzählt haben, wie Sie die Rente haben wollen. Wenn man die Staatsquote senkt, wird aus den Blütenträumen, die Sie da in Richtung auf Rente fabriziert haben, natürlich überhaupt nichts. Das muß klar sein: Wenn man die Staatsquote senkt, kann man dort nicht gleichzeitig in die Höhe gehen.
Was zu diesem Thema hier von der CSU /CDU — auf diese Reihenfolge kommt es ja wohl an —
in der bisherigen Debatte gesagt oder, besser wohl, suggeriert worden ist, ist doch ein kleines bißchen eigenartig. Der Biedenkopf und vor allen Dingen auch der Kollege Blüm — ich weiß nicht so recht, ob das für Sie so eine Art Eintrittskarte gewesen ist, weil Sie sich für das Schattenkabinett qualifizieren wollten, Herr Kollege Blüm — —
– Ich will nur sagen: Nach dem, wie Sie das gesagt haben, hat sich bei mir der Eindruck verfestigt, Sie hätten Angst, auch einen Ausschlußantrag zu kriegen, ähnlich wie das bei Maria Weber der Fall gewesen ist. Deshalb mußten Sie wohl so reden.
Ich kann das nicht beurteilen.
— Meine Zeit ist genauso knapp wie die des Herrn Wittgenstein. Sie haben ja als Starredner am Dienstag etwas mehr Zeit gehabt, als ich heute hier habe.
— Nein, nein. — Ich will nur sagen, Kollege Blüm: Nehmen Sie es mir nicht krumm,. wenn ich in Zukunft „Herr Blüm" zu Ihnen sage.
Meine Damen und Herren, im Bundeshaushalt, Einzelplan 11 — und darüber muß man hier im Zusammenhang mit Renten reden —, sind 30 Milliarden DM Zuschüsse für die Rentenversicherung enthalten, davon 1,5 Milliarden DM für die vorzeitige Rückzahlung von Schulden, die der Bund in der Rentenversicherung hat. Nimmt man das zusammen mit dem 21. Rentenanpassungsgesetz, so steht heute fest — und darüber muß man reden —, daß die Liquidität der Versicherungsanstalten gesichert ist. Das darf bei einer solchen Debatte natürlich nicht untergehen. Unsere gesetzlichen Maßnahmen haben also Erfolg gehabt; davon müssen wir ausgehen. Die Liquidität ist gesichert. Es gibt kein Rentenloch. Im vorigen Jahr war das anders. Da haben wir noch darüber geredet, wie man dieses Loch schließen kann.
Nun gibt es — und deswegen debattieren wir ja hier über die Renten, sonst gäbe es dazu keinen Anlaß — ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, wonach dieses Parlament — Sie wie wir, alle zusammen hier — bis 1984 die Altersversorgung von Mann und Frau gerechter gestalten muß. Das ist der Anlaß der erneuten Debatte. Die Koalition nimmt dieses Urteil nicht nur ernst, sondern ist sehr frühzeitig — man kann sich darüber streiten, ob es richtig ist, das so frühzeitig zu tun — dabei, darüber nachzudenken, wie man denn die Forderung in diesem Verfassungsgerichtsurteil verwirklichen kann. Wir zaubern solche Vorschläge nicht aus dem Hut. Wir haben Kommissionen auf der Parteiebene eingesetzt. Die Bundesregierung hat entsprechende Kommissionen eingesetzt. Wir halten es für richtig, rechtzeitig innerparteilich und auch öffentlich darüber zu debattieren, was für Vorschläge es denn gibt, welche Möglichkeiten bestehen, dieses Verfassungsgerichtsurteil zu verwirklichen. Das dauerte bei der Mentalität, die wir haben, einige Monate, weil wir so etwas durchkneten und nicht einfach bestimmen.
Wir debattieren darüber, innerparteilich wie außerhalb. Wir kneten das durch und kommen dann zu einem Beschluß. Die Beschlüsse liegen noch nicht vor.
Wir werden spätestens auf unserem nächsten Parteitag im Frühsommer sagen, wie wir es machen
wollen. Wenn Sie diesen Diskussionsprozeß, der sich bei uns abspielt, zum Anlaß nehmen, hier zu kriteln und zu deuteln, dann ist doch wohl die Frage erlaubt, ob Sie sich schon mit dem Verfassungsgerichtsurteil beschäftigt haben und uns Vorschläge vorlegen können.
Bei Ihnen fängt das hoffentlich noch an. Ich hoffe sehr, daß Sie sich das überlegen. Ich finde, die Wähler müßten im Wahljahr 1980 von allen drei Seiten dieses Hauses Vorschläge vorliegen haben, damit
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sie auswählen können, welches der richtige Weg ist, mehr Gerechtigkeit bei der Altersversorgung von Mann und Frau herzustellen. Das ist doch der Punkt, auf den es ankommt.
Meine Damen und Herren, ein Wort zur Krankenversicherung. Zwischendurch hat es ja die Befürchtung gegeben, bei uns wie bei Ihnen, daß neue Eingriffe nötig werden könnten. Die Lage hat sich beruhigt, was die Kostensteigerungsrate angeht. Man kann wohl sagen, das Kostendämpfungsgesetz hat mit seinen Instrumenten dazu beigetragen, die Expansion der Preissteigerungsraten im Gesundheitswesen zu brechen. Wir werden uns über kurz oder lang mit der Novellierung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes beschäftigen. Es gibt keinen Zweifel, daß die Effizienz verbessert werden muß. Im Einzelplan 11 sind 875 Millionen DM, 10 Millionen DM mehr als im vorigen Jahr, für diese Novellierung vorhanden.
Zu den Kriegsopfern sagen Sie natürlich nichts, Herr Wittgenstein. Überall da, wo die Dinge in Ordnung sind, brauchen Sie auch keine Bemerkungen zu machen; das ist klar. Es hängt auch an der Zeit. Ich werfe Ihnen das nicht vor. Sie sind in der Opposition; Sie haben das aufzugreifen, von dem Sie meinen, daß es nicht in Ordnung ist.
Bei den Kriegsopfern haben wir inzwischen in diesem Haushalt eine Steigerung auf 12,5 Milliarden DM. In dieser Summe sind bereits die. Kosten aus dem inzwischen in Kraft getretenen Gesetz über die unentgeltliche Beförderung Schwerbehinderter enthalten, übrigens nach vielem Fingerhakeln, das wir als Fraktion der SPD mit den zuständigen Ministern gehabt haben. Inzwischen sind auch die Eilzüge, die im Nahverkehr verkehren, in die Regelung einbezogen.
Nun haben Sie sich, Herr Wittgenstein, mit dem Arbeitsmarkt beschäftigt, und zwar in einer Weise, aus der man schließen könnte, auf dem Arbeitsmarkt sei alles chaotisch. Ich teile bestimmte Kritikpunkte und werde darauf noch kommen. Vorweg muß ich aber feststellen, daß die Zahl der Arbeitslosen seit mehreren Monaten unterhalb der Grenze von 800 000 liegt. Nun sagen wir nicht: „Bravo, bravo, das ist ein riesiger Erfolg", sondern wir sagen: „Das sind 800 000 zuviel." Im Jahresdurchschnitt werden wir aber wahrscheinlich, soweit man es heute übersehen kann, 120 000 Arbeitslose weniger haben. Wir sind ein gutes Stück auf dem Weg zur Vollbeschäftigung vorangekommen.
Dennoch sehen wir auch Probleme, an deren Lösung wir arbeiten. Grob gesehen sind es zwei Probleme. Erstens gibt es erhebliche regionale Unterschiede, zu deren Bewältigung ein Programm gemacht worden ist, von dem wir schon erkennen können, daß es erfolgreich sein wird. Das zweite Problem ergibt sich aus der Struktur der Arbeitslosigkeit — es ist schrecklich genug, daß man dieses Wort dafür benutzt —, daß wir nämlich unter den bis jetzt noch verbliebenen Arbeitslosen ungeheuer viele ungelernte und ältere Arbeitnehmer und vor allen Dingen Frauen haben.
Um dem abzuhelfen, sind im letzten Jahr zwei Instrumente bereitgestellt worden. Eines davon ist das Arbeitsmarktprogramm für Regionen mit besonderen Beschäftigungsproblemen. Sie haben eine Kleine Anfrage gestellt, auf die die Antwort noch nicht vorliegt. Ich denke, inzwischen kann nachgewiesen werden, daß dieses Programm in solchen Regionen, wo die Arbeitslosenquote oberhalb von 6 liegt, gezogen hat, und zwar auch deshalb, weil nach meiner Einschätzung dieses Programms die neuen Bedingungen, nämlich jemanden gar nicht erst zu entlassen, nicht erst auf dem Arbeitsmarkt feilzubieten, wenn ich mich einmal so ausdrücken darf, sondern ihn im Betrieb zu lassen und mit Hilfe des Bundes umzuschulen, besonders dazu beitragen, diese Regionen aus ihrer Lage zu befreien.
Der zweite Punkt ist die 5. Novelle zum Arbeitsförderungsgesetz. Auch hier hat — daran gibt es wohl keinen Zweifel — die Arbeitsverwaltung inzwischen das Instrument bekommen, zusammen mit Gewerkschaften, Betriebsräten, Arbeitgebern und Bildungsträgern dafür zu sorgen, daß Angehörige der wie es neuhochdeutsch heißt — Problemgruppen, die jetzt noch arbeitslos sind, durch bessere Ausbildung in den Arbeitsmarkt vermittelt werden können.
Dennoch, Herr Bundesarbeitsminister, möchte ich eine kritische Anmerkung zu diesem Teil machen, weil ich zwar nicht Herrn Wittgensteins katastrophale Einschätzung dieser Programme teile, aber doch darum bitte, ernst zu nehmen, daß diese Mitnehmereffekte sowohl beim Arbeitsmarktprogramm als auch bei den ABM-Programmen — für den Fall, daß sie vorhanden sind; und es besteht der Verdacht, daß es solche Mitnehmereffekte gibt — uns beschäftigen. Man muß ein bißchen Gehirnschmalz darauf verwenden, zu überlegen, auf welche Weise man das besser steuerbar machen kann.
Was diesen Teil angeht, so möchte ich im übrigen, Herr Wittgenstein, darauf hinweisen, daß es CDU-Arbeitsminister der Länder gibt, die ihren Kommunen empfohlen haben, die ABM-Programme dazu zu benutzen, im kommunalen Bereich eigentlich normal fällig werdende Stellen dafür zu verwenden, daß mit ABM-Programmen ausgeholfen wird.
Darauf muß man dann natürlich achten; das ist eine beiderseitige Angelegenheit. Ich finde schon, daß wir im Haushaltsausschuß da einen gemeinsamen Auftrag haben.
Lassen Sie mich zu diesem Teil abschließend noch sagen, daß wir mit im Vergleich zum Gesamthaushalt des Einzelplans 11 verhältnismäßig wenig Geld, nämlich mit etwa 9 Millionen DM — wir werden sie im Frühjahr entsperren — eine zusätzliche Möglichkeit geschaffen haben, im Bereich der Stahlarbeiter das vorgezogene Altersruhegeld zu verbessern,
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und damit einen weiteren Schritt in einem Problemsektor zu tun, um Arbeitslosigkeit zu verhindern und Stahlarbeiter früher in die Rente gehen zu lassen.
Wenn ich noch ein Wort zu dem vorliegenden Antrag sagen darf: Den spürbaren und sichtbaren, weil finanziell nachrechenbaren Ausdruck dieser verbesserten Lage kann man im Einzelplan 11 nachlesen, nämlich bei dem Titel mit der Überweisung an die Bundesanstalt für Arbeit. Ursprünglich waren im Regierungsentwurf 2,3 Milliarden DM für die Bundesanstalt in Nürnberg vorgesehen. Wir haben diesen Titel auf 1,6 Milliarden DM senken können und haben dafür gleichzeitig die als Darlehen vorgesehenen 300 Millionen DM haushaltstechnisch so eingerichtet, daß dieses rückzahlbare Darlehen von 300 Millionen DM, falls das notwendig wird, als Zuschuß verwendet werden kann.
Meine Damen und Herren, Herr Wittgenstein hat sich noch einmal über den Zivildienst ausgelassen. Ich will da nicht nachklappen, sondern nur folgendes sagen. Es ist richtig, daß der Zivildienst in den letzten Jahren jedenfalls bei uns im Haushaltsausschuß häufig ein Problemkind war. Nur muß man auch da, damit es keine Mißverständnisse gibt, nach dem Verursacherprinzip vorgehen. Es ist Sache des Parlaments, endlich ein Gesetz zu verabschieden, das die Zivildienstleistenden in die Lage versetzt, zu wissen, was denn in den nächsten Jahren sein wird oder nicht sein wird.
Das, was wir in den letzten Jahren gehabt haben, ist „rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln", und das geht so nicht weiter.
Bei 30 000 Zivildienstleistenden, die wir im Haushalt 1980 finanziell abgedeckt haben, stehen 43 000 Plätze zur Verfügung. Das heißt, das Problem ist umgekehrt worden: Wir haben mehr Zivildienstplätze, als wir Zivildienstleistende haben. Deshalb mein Appell an alle Fraktionen, doch noch einmal den Versuch zu machen, ein Gesetz zu verabschieden, damit die Betroffenen wissen, woran sie sind und auf welche Weise sie in Zukunft weiterarbeiten können.
Darf ich abschließend noch ein Wort zum Arbeitsschutz sagen. Angesichts der ständig steigenden Zahl von Frührentnern und Frühinvaliden — allerdings, das muß positiv vermerkt werden, bei gleichzeitigem Rückgang der Zahl der Betriebsunfälle — kommt dieser sozialpolitischen Notwendigkeit — Arbeitsschutz und Humanisierung — nach meiner Einschätzung große Bedeutung zu. Es fehlt nicht an dem Willen, die Arbeitsplätze menschlicher zu machen, sondern es geht darum, vorhandenes Wissen in die betriebliche Praxis umzusetzen, es handhabbar zu machen. Deshalb hat sich die Bundesregierung entschlossen — wir haben entsprechende Mittel in den Haushalt eingestellt, wir werden im Frühjahr über deren Freigabe verhandeln —, ein Bundeszentrum für die Humanisierung des Arbeitslebens einzurichten. Es soll dabei keine neue Bürokratie geben, sondern wir werden die vorhandene Bundesanstalt in Dortmund dazu nutzen. Es geht dabei um die Nutzung der Ergebnisse durch
Praktiker, die Umsetzung in die betriebliche Praxis. Es geht darum, die Arbeitsbedingungen bei zunehmender Rationalisierung menschlicher zu machen.
Alles in allem ist dies ein Haushalt, der, obwohl auch er gekürzt worden ist, die Mittel enthält, die die Bundesregierung braucht, um ihren sozialpolitischen Verpflichtungen und Notwendigkeiten nachkommen zu können.
Opfer für die Haushaltskonsolidierung haben alle Einzelpläne bringen müssen, so auch dieser. Wir werden den Einzelplan 11 annehmen.