Rede von
Dr.
Hubert
Weber
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Helmrich, es ist gleich 19.40 Uhr, und da habe ich keine Lust, hier etwas fortzusetzen, was von Ihnen begonnen worden ist, was aber gar nicht den Gepflogenheiten dieses Hauses entspricht, nämlich an dieser Stelle Detailprobleme zu erörtern, die in die Ausschußberatungen gehören. Ich meine, das können wir den noch hiergebliebenen Damen und Herren Kollegen gar nicht zumuten.
Wir können sicherlich auch davon ausgehen, daß die Gruppe von Bürgern, die von diesem Gesetz einmal betroffen sein wird, den Inhalt verstehen wird, gleichgültig, ob wir bei diesem Gesetzentwurf nun vorweg die „Zielsetzung" oder das „Problem" beschreiben.
13998 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 177. Sitzung. — Bonn, Donnerstag, den 11. Oktober 1979
Dr. Weber
An dieser Stelle gleich ein Wort an die Zunft der Rechtsanwälte, die von diesem Gesetz einmal betroffen sein wird und die vielleicht der Überschrift entnehmen zu können glaubt, entweder sei nun die im Heimatland gegründete berufliche Existenz gefährdet, weil ein Heer von Anwälten aus anderen EG-Staaten in die Bundesrepublik ströme, oder die Einkünfte aus dem Heimatland könnten nach diesem Gesetz durch eine Zweigniederlassung in einem anderen EG-Staat aufgebessert werden. Je nach ihrer Ambition können die Anwälte, wenn sie das Gesetz einmal ganz lesen, sich freuen oder auch enttäuscht sein. Denn durch dieses Gesetz wird nicht — der Herr Justizminister hat schon darauf hingewiesen — der europäische Rechtsanwalt geschaffen. Es soll vielmehr nur die grenzüberschreitende Tätigkeit der Rechtsanwälte gesetzlich geregelt werden. Es geht dabei um den sogenannten Dienstleistungsverkehr, d. h., es soll die Ausübung anwaltlicher Tätigkeit in jedem anderen EG-Staat, dem sogenannten Aufnahmestaat, unter gleichzeitiger Beibehaltung der Niederlassung im Heimatstaat, im sogenannten Herkunftsstaat, ermöglicht werden. Deshalb werden auch keine Bestimmungen darüber getroffen, wann oder durch welches Verfahren ausländischen Rechtsanwälten eine Zulassung zur deutschen Rechtsanwaltschaft ermöglicht wird.
Was regelt das Gesetz? Nach bisherigem innerstaatlichen Recht dürfen ausländische Staatsangehörige auf dem Gebiet der Rechtsberatung und Rechtsbesorgung bei uns grundsätzlich nicht tätig werden, soweit sie die zur geschäftsmäßigen Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten erforderliche Erlaubnis nach dem Rechtsberatungsgesetz nicht besitzen. Für die Staatsangehörigen aus den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft regelt dieser Gesetzentwurf nunmehr die Voraussetzungen, unter denen sie anwaltlich in einem anderen EG-Staat tätig werden können.
Dafür gilt erstens, daß derjenige tätig werden darf, der berechtigt ist, in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft seine berufliche Tätigkeit unter dem für uns bezeichnenden Begriff „Rechtsanwalt" auszuüben, wobei das Recht des Herkunftslandes maßgeblich ist.
Zweitens sind alle gerichtlichen und außergerichtlichen Tätigkeiten vertretender und beratender Art erlaubt, die ein bei einem deutschen Gericht zugelassener Rechtsanwalt ausüben kann, sofern diese Tätigkeiten selbständig, also nicht in einem abhängigen Arbeitsverhältnis, ausgeübt werden.
Drittens wird klargestellt, daß alle innerstaatlichen Vorschriften, die sich auf die Ausübung anwaltlicher Tätigkeiten beziehen, auch auf den Dienstleistungserbringer anzuwenden sind. Dies gilt für Vorschriften, die den Anwälten in besonderen Situationen eine besondere Stellung einräumen, ebenso wie für die Berufspflichten und Standesregelungen. Diese Handlungsbefugnis des Dienstleistungserbringers wird für einen Teil der Rechte pflege eingeschränkt, nämlich u. a. für die gerichtlichen Verfahren aller Gerichtsbarkeiten und bestimmte behördliche Verfahren. Der Dienstleistungserbringer muß in diesen Fällen im Einvernehmen mit einem Rechtsanwalt hier in der Bundesrepublik handeln, der selbst Prozeßbevollmächtiger oder Verteidiger ist. Damit wird — über den Begriff des Einvernehmens können wir uns im Ausschuß noch unterhalten — der ordnungsgemäße Ablauf des Verfahrens nach deutschem Recht sichergestellt, und es wird letztlich die Verantwortlichkeit gewährleistet, wobei — ich meine, darauf sollten wir besonderes Gewicht legen — eine gewisse Großzügigkeit auch bei der Auslegung des Begriffes „Einvernehmen" erlaubt sein muß. Das kommt auch bereits dadurch zum Ausdruck, daß es dem deutschen Rechtsanwalt z. B. überlassen bleiben soll, in welcher Weise er sein Einvernehmen im konkreten Fall zum Ausdruck bringt.
Wir sollten diesen Gesetzentwurf begrüßen, weil er geeignet ist, innerhalb der Europäischen Gemeinschaft bestehende künstliche Barrieren abzubauen, und weil er sich als ein erster Schritt zur Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Gemeinschaft auf beruflichem Gebiet anbietet.
Da — damit knüpfe ich an die Bemerkung des Herrn Bundesjustizministers an — das Recht in Europa nicht so einheitlich geformt ist wie der menschliche Körper, wird es sicherlich noch einige Zeit dauern, bis wir zu einer Vereinheitlichung kommen, aber ich kann Ihnen versprechen, daß wir diesen Gesetzentwurf im Rechtsausschuß zügig beraten werden.