Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir zunächst eine allgemeine Vorbemerkung, die sowohl für diesen Gesetzentwurf der Bundesregierung gilt als auch für andere. Die Frage, die ich anspreche, ist: Warum werden sämtliche Gesetzentwürfe der Fraktionen und des Bundesrates und Ausschußberichte mit einem Vorblatt veröffentlicht, in dem es unter A. „Problem", unter B. „Lösung", unter C. „Alternativen" und unter D. „Kosten" heißt, während es bei den Entwürfen der Bundesregierung unter A. „Zielsetzung" heißt? Es gibt eine Anordnung des Präsidenten vom 1. Dezember 1969, daß unter A. stets das Problem aufzuführen ist. In der Anweisung heißt es dann weiter, daß Entwürfe, die nicht so vorgelegt werden, zurückzuweisen sind. Ich möchte den Präsidenten an dieser Stelle nur bitten, einmal nachzuprüfen, warum nicht entsprechend dieser Anordnung verfahren wird.
Der Kollege Collet hat in seiner Erklärung darüber — wenn ich Ihnen das sagen darf — am 24. Januar 1978 gesagt:
Es setzt sich doch niemand plötzlich ein Ziel, weder die Regierung noch die Opposition noch irgendein sonstiger Antragsteller, sondern es gibt ein Problem in unserem Lande, das man lösen wall.
Und es wäre uns sehr hilfreich, wenn das Problem in den Vorblättern etwas deutlicher dargestellt würde.
Abgesehen von dieser Vorbemerkung möchte ich aber nun auf das hier eingebrachte Gesetz zu sprechen kommen. Herr Minister, Sie haben schon gesagt, worum es geht. Lassen Sie mich deshalb zum Herzstück dieses Gesetzes, dem § 4, kommen. Sie haben darauf hingewiesen, daß jeder ausländische Advokat, der bei uns vor einem Gericht oder bei einer Behörde auftreten will, von einem bei einem deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt begleitet werden muß. Nicht zu Unrecht hat man diese Vorschrift deshalb die „Gouvernantenklausel" genannt. Das bedeutet aber — und wir müssen die Bundesregierung, glaube ich, in der Beratung fragen, ob das tatsächlich gewollt ist —, daß zwar jeder Franzose vor einem deutschen Amtsgericht selbst klagen kann und selbst Prozeßhandlungen vornehmen kann, daß aber, sobald er sich eines Anwalts aus dem EG-Bereich bedient, dieser Anwalt einen deutschen -„Gouvernantenanwalt" braucht. Das heißt: Der Advokat aus dem EG-Raum, der in Deutschland auftritt, kann weniger — beim Amtsgericht, wohlgemerkt — als der jeweilige Staatsbürger aus Frankreich, Belgien usw. Ich weiß nicht, ob das das Ziel des Entwurfes sein soll. Es ist richtig, daß nach dem Wortlaut der Richtlinie diese Regelung dem Art. 5 Alternative II entspricht. Aber ich knüpfe hieran die Frage, ob das Wort „Einvernehmen", das im deutschen 'Text der Richtlinie steht, in den übrigen Ländern im Sprachgebrauch dasselbe bedeutet wie das, was wir jetzt in unserem deutschen Gesetz daraus machen. Ich bitte, einmal zu prüfen, ob sich hier möglicherweise ein Übersetzungsfehler eingeschlichen hat. Denn ich kann es beim ersten Draufblick nicht als rich-
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 177. Sitzung. — Bonn, Donnerstag, den 11. Oktober 1979 13997
Helmrich
tig empfinden, daß bei einer Liberalisierung des Verkehrs der Anwälte im EG-Raum über die Grenzen der französische Advokat vor dem. deutschen Amtsgericht weniger können soll, als der französische Staatsbürger ohnehin kann. Das zum ersten.
Zum zweiten. Die Anwaltskammer nennt den Abs. 2 des § 4 problematisch, weil alle Handlungen, die nicht im Einvernehmen erfolgt sind, schlicht unwirksam sein sollen. Ich frage mich, ob wir die Richtlinie so restriktiv auslegen müssen.
Am Rande sei zu Abs. 2 noch folgendes bemerkt. Solche Fehler sollten nach Möglichkeit nicht unterlaufen. Alles, was nach Art. 1 getan werden kann, wird in Abs. 2 für unwirksam erklärt, wenn das Einvernehmen nicht. vorliegt. Das gilt auch, wenn der Advokat aus Frankreich einen Besuch im Gefängnis ohne Begleitung macht. Dann wird dieser hinterher für unwirksam erklärt. Das ist ein Lapsus, den man sicherlich beseitigen kann.
Die Frage, welche Stellung der Anwalt aus dem EG-Bereich in Deutschland haben soll, setzt sich dann fort, soweit es sich um die reinen Anwaltsprozesse handelt, also ab Landgericht aufwärts. Da heißt es in der Begründung: § 78 ZPO bleibt unberührt. Die Bundesrechtsanwaltskammer hat darauf hingewiesen, daß es eindeutig ist, was das bedeutet. Sie legt das Gesetz jetzt dahin gehend aus, daß ein französischer Advokat selbst nicht einmal mehr mit dem Einvernehmen eines deutschen Anwalts vor dem Landgericht Prozeßhandlungen vornehmen kann. Ich habe Zweifel, ob das so gemeint ist. In der Begründung wird der § 78 ZPO auch nur im Zusammenhang mit dem Lokalisationsprinzip genannt, und dann werden die entsprechenden Vorschriften aus dem GWB, dem UWG, dem Warenzeichengetz herangezogen. Soweit es sich in § 78 ZPO nur um das Lokalisationsprinzip handelt, mag das richtig sein. Aber der § 78 ZPO enthält vielmehr als nur das Lokalisationsprinzip. Er enthält die Bestimmung, wann ein Anwaltsprozeß vorliegt, d. h., wann überhaupt ein Anwalt auftreten muß. Da meine ich, daß das, was bezüglich der Amtsgerichte jetzt an Einvernehmenshandlungen möglich ist, auch der ausländische Anwalt im Anwaltsprozeß tun können müßte. Das gebe ich zu bedenken.
Das gleiche gilt für die Auseinandersetzung der Bundesregierung mit dem Bundesrat über die Frage des § 138 Abs. 2 der Strafprozeßordnung. Jeder amerikanische Anwalt, Professor oder sonstige Rechtskundige kann bei einem deutschen Gericht als Verteidiger zugelassen werden. Das geht nach dem Gesetzentwurf, soweit es sich um Anwälte aus dem EG-Bereich handelt, jetzt nicht mehr. Die Bundesregierung sagt mit Blick auf das Diskriminierungsverbot: da der deutsche Anwalt nicht einem besonderen Zulassungsverfahren nach § 138 Abs. 2 StPO unterworfen ist, darf auch der EG-Anwalt, der in Deutschland auftritt, einem solchen Verfahren nicht unterworfen werden, sonst würde er ja diskriminiert. Aber ich frage Sie: Was ist die größere Diskriminierung, nach einem Zulassungsverfahren nach § 138 Abs. 2 frei auftreten zu dürfen oder aber ohne ein solches Zulassungsverfahren nur mit einem Gouvernantenanwalt auftreten zu
dürfen? Hier muß man, glaube ich, das Diskriminierungsverbot nicht allein vom Buchstaben her auslegen; eine sinngemäße Auslegung würde möglicherweise doch zu einem anderen Ergebnis, wie der Bundesrat es vorgeschlagen hat, führen können.
Ich komme zum Schluß und gebe der Hoffnung Ausdruck, daß sich mit Hilfe dieses Gesetzes eine Sonderkaste von europäischen Anwälten herausbildet,, die sich mancher Schwierigkeiten, die uns das EG-Recht beschert — wenn ich etwa auf das Tabaksteuergesetz und auf die darin enthaltenen Definitionen hinweise, die ja nur deshalb so schwierig sind, weil sie EG-weit abgestimmt sind —, besonders annimmt.