Rede von
Benno
Erhard
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Die beiden Gesetzentwürfe beschäftigen sich mit demselben Gegenstand. Wer dabei zuerst zu Stuhl gekommen ist, kann kein Gegenstand längerer Betrachtung sein. Daß die Bundesregierung besonders lange gebraucht hat, einen Entwurf vorzulegen, auf den ich gleich noch kurz eingehen werde, ist ein anderes Problem.
Das Entscheidende ist dies: Ein Senat des Bundesgerichtshofs hat durch die drei Entscheidungen das geltende Recht und eine jahrzehntelange Rechtsprechung umgestoßen. Offenbar wollte der Senat Verbraucherschutz im Einzelfall praktizieren. Dabei hat er in Zehntausenden von Fällen das Gegenteil bewirkt, Rechtsunsicherheit geschaffen und ein völlig unpraktikables Beurkundungsrecht erzwingen wollen.
Der Richter als Sozialingenieur hat nicht nur seine Grenzen gefunden, sondern sie auch deutlich überschritten, so daß der Gesetzgeber handeln muß. Der Gesetzgeber ist gezwungen, Rechtssicherheit wiederherzustellen: Insofern stimmen wir mit der Bundesregierung und dem Herrn Bundesjustizminister überein.
Mit unserem Gesetzentwurf versuchen wir erstens, die Fortentwicklung des Beurkundungsrechts, die der Bundesgerichtshof bewirken wollte, soweit vertretbar, anzuerkennen und beizubehalten. Schriftstücke und Zeichnungen sollen Bestandteil der notariellen Urkunde werden, und auf sie soll verwiesen werden dürfen. Das ist im übrigen eine Forderung, die ich bereits 1977 dem Herrn Bundesminister der Justiz anregend unterbreitet hatte. Dieser Vorschlag paßt auch lückenlos in das Beurkundungsgesetz hinein; denn wir haben dort bereits ein Vorbild für die Beurkundung von Grundpfandrechten und Schiffshypotheken. Er paßt aber auch in unsere neuere Rechtsentwicklung; denn mit der jüngsten Strafrechtsnovelle — gültig ab 1. Januar 1979 — haben wir beschlossen, daß Strafurteile, die auf Bilder Bezug nehmen müssen, also Bilder darstellen müssen, weil sich aus ihnen der strafbare Tatbestand ergibt, auf diese Bilder verweisen dürfen, ohne sie näher beschreiben zu müssen, wenn sich diese Bilder nicht etwa als Anlage zum Urteil befinden, sondern in den Akten des Gerichts vorhanden sind.
Zweitens. Auf bereits öffentlich errichtete Urkunden oder auf behördlich genehmigte Pläne usw. — wie z. B. auf Baugenehmigungen — darf in der Vertragsurkunde nach unserem Entwurf verwiesen werden, ohne daß diese erneut der notariellen Urkunde beigefügt werden müssen, d. h., sie brauchen als Schriftstücke nicht verlesen zu werden.
Drittens. Die durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entgegen der bisherigen Rechtsauffassung nichtigen Vertragsurkunden werden kraft ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmung für wirksam erklärt. Als unwirksam sind ja durch das dritte Urteil sogar solche Verträge bezeichnet worden, die bereits im Grundbuch durchgeführt waren. Aus Respekt vor der Rechtsprechung bleiben rechtskräftige Entscheidungen nach unserem Entwurf unberührt.
Mit diesen Vorschlägen wird die eingetretene Rechtsunsicherheit beseitigt. Gleichzeitig wird für die Zukunft ein sinnvolles und praktikables Beurkundungsrecht geschaffen, wobei der Schutz der Vertragsparteien über mögliche bisherige Mängel ausgebaut und umfassend gesichert wird.
Der von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwurf – das, was der Bundesrat dazu gesagt hat, ist ja noch lange nicht Inhalt des Entwurfs der Regierung — läßt sich nur mit einer recht harten Kritik beurteilen. Er beseitigt nicht die Rechtsunsicherheit. Er verlagert diese Unsicherheit nur und schafft überdies eine Fülle neuer Probleme. Außerdem enthält er sich auch nur des leisesten Versuchs, das Beurkundungsgesetz für die Zukunft praktikabel zu erhalten. Ich kann mich sowohl aus meiner beruflichen wie aus meiner langjährigen Abgeordnetentätigkeit heraus nicht des Eindrucks erwehren, als hätten hier die Gesetzesformulierer jeden Bezug zur Rechtswirklichkeit und Rechtspraxis verloren. Allem Anschein nach sind sie — wie nach meiner Überzeugung auch die Richter des V. Senats beim Bundesgerichtshof — niemals in der freiwilligen Gerichtsbarkeit, vor allem nicht im Grundbuchwesen vor Ort tätig gewesen; sonst wäre man nicht auf den Gedanken gekommen, von den Rechtspflegern zu erwarten, daß sie mit nichtigen Verträgen arbeiten.
Wenn das, was die Bundesregierung vorschlägt, Gesetz wird, bleiben alle nach dem bisherigen und
13992 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 177. Sitzung. — Bonn, Donnerstag, den 11. Oktober 1979
Erhard
jetzt noch geltenden Recht beurkundeten Verträge gegenüber Außenstehenden unwirksam, d. h. nichtig. Das heißt weiter: Das Grundbuchamt darf die Grundbuchanträge nicht eintragen, darf keine Auflassungsvormerkung eintragen, darf keine vom Verkäufer bestellten Grundpfandrechte zur Finanzierung des Kaufpreises durch den Käufer eintragen. Die Folgen: Rechts- und wirtschaftliche Unsicherheiten bleiben bestehen — im wesentlichen zu Lasten des Käufers, der ja gerade geschützt werden sollte. Weitere Folgen sind: kein Schutz vor Zwischenverfügungen — z. B. Handwerkersicherungshypotheken —, kein Schutz des Käufers, kein Schutz vor anderweitigem Verkauf, kein Schutz- im Konkursverfahren des Verkäufers und ebenso auch nicht vor Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen den Verkäufer. Der Käufer kann aus den vorgenannten Gründen den Kaufpreis nicht bezahlen; er gerät in Verzug. Welche Rechtsfolgen ergeben sich? Der Zivilrechtler weiß: Eine breite Palette von Möglichkeiten tut sich hier auf.
Unsicherheit besteht im Verhältnis zu den Gemeinden wegen der Erschließungs- und Anschlußkosten und wegen solcher Verträge.
Wenn der Verkäufer, wie dargestellt, den Kaufpreis deshalb nicht erhält, weil keine Grundpfandrechte eingetragen werden können, muß gegebenenfalls der Bau eingestellt werden. Alle Beteiligten, nicht nur die Vertragsparteien, hängen rechtlich in der Luft, und letztlich ist wieder der Käufer der Benachteiligte.
Weiß der Bundesminister der Justiz nicht, wie viele Hunderte von Verträgen zur Zeit bei den Amtsgerichten liegen und nicht bearbeitet werden, und zwar aus den von mir genannten Gründen? Aber der Herr Bundesminister hat gemeint, er könne mit seinem Gesetzentwurf die Rechtsunsicherheit beseitigen. Für die Vergangenheit und für die Zukunft erfüllt der Gesetzentwurf der Regierung beides nicht.
Warum sollen für die Zukunft endlose Baubeschreibungen verlesen werden, warum umfangreiche Teilungserklärungen, die längst beurkundet sind, erneut verlesen werden? Zu Teilungserklärungen gehört auch die Gemeinschaftsordnung beim Wohnungseigentum. Die Verlesungen dauern für jeden einzelnen Fall viele Stunden, bis zu fünf Stunden, weil gegebenenfalls mehr als 100 Seiten verlesen werden müssen. Kein einziger Vertragsbeteiligter kann solches noch aufnehmen und einordnen. Die Sicherheitsfunktion der Beurkundung fällt tatsächlich fort. Wenn bei größeren Wohnungseigentumskomplexen die Teilungserklärung und die dazugehörige vollständige genehmigte Bauzeichnung jeder Urkunde beigefügt werden müssen, werden dicke Pakete von Plänen die Grundakten füllen. Bei jedem einzelnen Wohnungsgrundbuch wird genau der gleiche Vorgang in vollem Umfang Bestandteil der Grundakten werden. Das alles wird höchst kostenaufwendig sein. Von wem wird es zu bezahlen sein? — Vom Käufer, also dem Verbraucher.
Im Bundesministerium der Justiz, so habe ich den Eindruck, hat man offenbar viel und lange gedacht, viel aufgeschrieben, sehr viel in die Begründung, fast nichts in die Paragraphen. Das ganze läßt sich so beurteilen, daß der hohe Berg des hohen Bundesministeriums der Justiz lange und schmerzhaft kreißte, aber geboren wurde eine lächerliche Maus.
Unsere Gesetzgebung muß einfach, klar und praxisbezogen sein, sie muß Rechtssicherheit schaffen und die Lebensvorgänge wirksam regeln.
Ich hoffe, daß der Rechtsausschuß schnell, von überflüssigen Fraktionsbindungen frei, eine sachgerechte Entscheidung für die zweite und dritte Lesung, die möglichst noch in diesem Jahr stattfinden sollten, finden wird.