Rede von
Gerhart Rudolf
Baum
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch ich, Herr Kollege Jentsch, frage mich nach der Motivation Ihres Antrages. Ihre drei Einzelanträge gehen alle ins Leere. Ich werde das im einzelnen ausführen.
Zunächst muß ich mich dagegen wehren, daß Sie der Bundesregierung unterstellen, sie beschönige die Situation. Das tut sie nicht. Wir haben an vielen Stellen — bei Anfragen, die Sie an uns gerichtet haben, und auch in öffentlichen Erklärungen und Reden — keinen Hehl daraus gemacht, wie die Lage des Bundesgrenzschutzes ist. Wir haben nichts zu verbergen. Deshalb bin ich froh darüber, daß wir diese Debatte führen, damit wir endlich auch einmal hier im Deutschen Bundestag Ihren Verdächtigungen entgegentreten können.
Wir waren gestern abend, als die Sendung von Herrn Löwenthal lief, beim BGS, Herr Jentsch, und haben uns über den Ausbildungsstand der GSG 9 unterrichtet.
Ich frage mich auch, Herr Jentsch: Haben Sie, hat die Offentlichkeit überhaupt einen Anlaß, sich über die Einsatzfähigkeit des BGS zu beklagen? Ist in den letzten Jahren irgend etwas passiert, ein Ereignis, das Sie zu dem Schluß veranlassen könnte, der BGS sei nicht einsatzfähig? Wie kommen Sie dazu, hier die Stimmung auszubreiten, der BGS habe es verdient, jetzt ins Gerede zu kommen?
13978 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 177. Sitzung. — Bonn, Donnerstag, den 11. Oktober 1979
Bundesminister Baum
Ich frage mich auch — wie meine Vorredner — ernsthaft, ob Sie noch hinter dem Neukonzept stehen, das damals von allen Parteien dieses Hauses getragen und das von Bund und Ländern beschlossen worden ist, hinter einem Neukonzept, das wesentlich bessere Voraussetzungen hinsichtlich der Berufsbedingungen im BGS geschaffen hat — Sie wissen, daß wir den einfachen Dienst abgeschafft haben —, einem Neukonzept, das mit einer wesentlich besseren Ausbildung verbunden ist — zweieinhalb Jahre für die Männer im BGS —, einem Neukonzept, das — und das ist sehr wichtig — dem BGS endlich eine gesicherte Position im Sicherheitsverbund von Bund und Ländern eingeräumt hat.
Ich jedenfalls, Herr Kollege Jentsch, habe nicht den geringsten Anlaß, den BGS zu kritisieren. Ich habe im Gegenteil hier vor dem Deutschen Bundestag festzustellen, daß er seinen Aufgaben bisher vorzüglich gerecht geworden ist und daß er es nicht verdient, in dieser Weise in Kritik gezogen zu werden.
Wenn ich gesagt habe, wir haben nie verhehlt, daß es Schwierigkeiten gibt, so ist das auch an dieser Stelle. Wir alle wußten ja, daß mit der Umstellung des BGS, daß mit dem neuen Personalstrukturgesetz eine schwierige Umstrukturierungsphase zu bewältigen ist. Auch in den nächsten Jahren, bis etwa 1983, wird die hohe Ausbildungsbelastung, bedingt durch die Berufsförderung für die ausscheidenden Beamten alten Rechts und durch die gleichzeitige zweieinhalbjährige Ausbildung der Polizeibeamten neuen Rechts, andauern. Dies muß festgehalten werden. Das ist so, und das fordert dem BGS und den in ihm Tätigen große Leistungen ab. Von 1976 bis 1984 müssen insgesamt 13 000 Beamte neu ausgebildet werden, 13 000 Beamte, das sind etwa 1 600 pro Jahr, das ist, meine Damen und Herren, mehr als die Hälfte des gesamten Bestandes. Und das innerhalb von acht Jahren! Ich frage Sie, welcher Verband eine solche Last in einer so kurzen Zeit zu bewältigen gehabt hat, wie das beim BGS bisher ohne Beanstandung der Fall war, wobei auch noch, Herr Kollege Jentsch, die Phase der angespannten inneren Sicherheit zu berücksichtigen ist; denn es kann gar kein Zweifel darüber bestehen, daß der BGS in den Jahren 1977/78 bis heute außerordentlich gefordert worden ist und daß er auch alle diese Anforderungen erfüllt hat.
Sie haben behauptet, der BGS baue den Verbandscharakter ab; der Abbau des Verbandscharakters des BGS müsse beendet und der Verbandscharakter wieder hergestellt werden. Ich möchte das unterstreichen, was einer meiner Vorredner gesagt hat: Dies ist eine Gespensterdiskussion. Auch in Ihrem Antrag sprechen Sie wieder von der Wiederherstellung des Verbandscharakters. Sagen Sie uns doch bitte: Was verstehen Sie unter Verbandscharakter? Ist das eine sehnsüchtige Erinnerung an die Zeiten, in denen nicht Polizeivollzugsbeamte, sondern Wehrdienstpflichtige im BGS tätig waren? Was verstehen Sie unter Verbandscharakter?
Ich möchte Ihnen sagen, was ich darunter verstehe. Die organisatorische Gliederung des BGS ist seit seiner Gründung im wesentlichen unverändert geblieben. Natürlich ist der BGS auch heute noch überwiegend verbandsmäßig gegliedert, und Sie wissen, daß dies auch in Zukunft so bleiben wird. Die beiden neuen Abteilungen in Frankfurt und Karlsruhe werden in Verbandsform aufgestellt. Von den 2 666 Planstellen, die dem BGS im Rahmen des Ausbauprogramms innere Sicherheit zuwachsen, gehen 2 205 zu den Verbänden und nur 461 zum Grenzschutzeinzeldienst. Ich kann nur wiederholen, was ich schon mehrfach öffentlich gesagt habe: Niemand wird sagen können, der Verbandscharakter des BGS werde dadurch aufgegeben, daß wir die BGS-Wache beim Bundesverfassungsgericht teilweise einzeldienstlich organisiert haben und dies auch für die künftige Bewachung etwa des Gästehauses der Bundesregierung prüfen.
Alle Aufgaben, die den BGS-Verbänden übertragen worden sind, nehmen sie aus dem Verband heraus wahr. Dies gilt für die Aufgaben an der Grenze, also die Streifen an der Grenze — etwa 60 Prozent der Aufgaben liegen nach wie vor dort —, ebenso wie für die Aufgaben im Personen- und Objektschutz. Wo es die Situation erfordert, wird der BGS auch im Verband eingesetzt. Daran kann überhaupt kein Zweifel bestehen, und das Beispiel, das uns allen vor Augen steht, ist Gorleben, wo der BGS im Verband eingesetzt wird. Daß dies auch bei der derzeitigen hohen Einsatz- und Ausbildungsbelastung jederzeit möglich und der BGS dazu jederzeit in der Lage ist, hat er an verschiedenen Stellen unter Beweis gestellt.
Der Verbandscharakter des BGS darf aber nicht verhindern, daß der Einsatzwert des BGS voll genutzt wird. Es trifft sicherlich zu, daß die große Ausbildungs- und Einsatzbelastung dazu zwingt, Einsatzschwerpunkte zu bilden. Das gilt für den BGS ebenso wie für die Polizeien der Länder. Natürlich ist auch in diesem Zusammenhang, Herr Kollege Jentsch, die Zahl der Grenzstreifen und der Grenzüberwachungsflüge im Jahr 1978 im Vergleich zu 1977 zurückgegangen. In Ihrer Statistik haben Sie aber nicht erwähnt, daß es auch noch die Bayerische Grenzpolizei und den Zoll gibt, die auch an der Grenze zur DDR tätig sind. Dieser Rückgang läßt noch lange nicht den Schluß zu, der BGS sei nicht in der Lage, eine präzise Sicherung der östlichen Grenzen zu gewährleisten. Die Verbände des BGS nehmen die Grenzsicherungsaufgaben nach wie vor sehr ernst. Stärke und Dauer der Präsenz an den Grenzen sind aber von der jeweiligen regionalen und überregionalen Sicherheitslage abhängig, und es muß auch hinzugefügt werden, daß sich die Lage durch die Grenzfeststellung, die gemeinsam mit der DDR getroffen werden konnte, an manchen früher umstrittenen Abschnitten so entschärft hat, daß dem auch bei der Streifentätigkeit an der Grenze Rechnung getragen werden konnte.
Wer fordert, daß wir die Einzeleinsätze der Verbände im Personen- und Objektschutz noch weiter
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 177. Sitzung. — Bonn, Donnerstag, den 11. Oktober 1979 13979
Bundesminister Baum
zugunsten anderer Aufgaben einschränken, der muß gleichzeitig sagen, wo diese Einsätze abgebaut werden sollen. Herr Kollege Jentsch, soll das etwa im Personenschutz, bei der Sicherung deutscher Auslandsvertretungen oder bei der Lufthansa erfolgen? Welche Vorschläge machen Sie hier?
Ich bejahe also den Verbandscharakter, aber er besteht für mich nicht darin, daß ein großer Teil der BGS-Angehörigen an der Grenze in Kasernen auf seine Aufgabe wartet, sondern ich bin der Meinung, daß sie auch im täglichen Bedarf eingesetzt werden müssen. Sie sind eben nicht so verfügbar, wie Sie sich das vorstellen. Sie werden nach Bedarf zusammengesetzt. Nichts anderes war geplant und nichts anderes ist vernünftig.
Es trifft zu, daß Vollübungen im großen Verband zur Zeit nicht stattfinden. Das läßt die hohe Einsatz- und Ausbildungsbelastung nicht zu. Es werden in Kürze wieder Übungen auf Einsatzabteilungsebene stattfinden. Ich möchte in diesem Zusammenhang Ihren Blick auf die „gute alte Zeit" — wie es so schön heißt — im BGS lenken. Ende der 50er und in den 60er Jahren hielt der BGS Übungen mit großem Aufwand an Menschen und Material ab. Aber damals, Herr Kollege Jentsch, war der BGS ein Verband mit nur wenigen Aufgaben. Heute, nach dem Bundesgrenzschutzgesetz von 1972, hat der Bundesgrenzschutz eine Fülle von Aufgaben. Ich bejahe diese Aufgaben und ich möchte auch, daß er diese Aufgaben wahrnimmt.
Ein Wort noch zur verbandsmäßigen Führung. Der Polizeiführer trägt auch nach meiner Auffassung die Verantwortung für Führung und Einsatz seines Verbandes. Dazu steht nicht im Widerspruch, daß die Beamten des BGS dem Personalvertretungsgesetz unterliegen, eine geregelte Arbeitszeit haben, und ihnen die Möglichkeit eingeräumt wird, außerhalb der BGS-Unterkunft zu wohnen. Wollen Sie daran etwas ändern, Herr Jentsch? Ich möchte daran nichts ändern.
Ich habe allerdings manchmal den Eindruck, daß es vor allem diese Regelungen sind, also Fragen der Führung der Verbände, die hinter der Frage nach der Wiederherstellung des sogenannten Truppencharakters stehen. Hierzu stelle ich eindeutig fest: Die Mitwirkung der Personalvertretung, die geregelte Arbeitszeit, das Wohnen außerhalb der Unterkünfte beeinträchtigen. die verbandsmäßige Führung des BGS, wie ich sie verstehe, nicht.
Andererseits darf die klare Einordnung als Polizei — das möchte ich ebenso eindeutig feststellen — nicht mißverstanden werden als Abbau von Einsatzwert, innerer Geschlossenheit und Disziplin, die den BGS auch weiterhin auszeichnen werden.
Ein Wort noch, Herr Kollege Jentsch, zu der Verringerung der Zahl der geschützten Sonderwagen. Sie haben in Ihrem Antrag behauptet, die Bundesregierung wolle mit der haushaltsbedingten Verringerung der Ersatzbeschaffung der geschützten Sonderwagen den Einsatzwert des BGS bewußt schwächen. Ich möchte demgegenüber erklären: Für die besonderen Aufgaben des BGS, die sich teilweise deutlich von denen der Bereitschaftspolizei unterscheiden, ist zur Abwehr von Gefahren und schweren Störungen der öffentlichen Sicherheit die Ausstattung mit geschützten Kraftfahrzeugen in ausreichender Zahl unerläßlich. Nach der Konzeption, die im Programm für die innere Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland von 1974 niedergelegt ist, kommt ein Einsatz des BGS insbesondere in Lagen, in denen die Kräfte der Bereitschaftspolizei zur Beseitigung ernster Störungen nicht ausreichen, in Betracht. Die Länder erwarten in solchen Fällen auf Grund des Sicherheitsverbundes Unterstützung durch den BGS auch mit geschützten Fahrzeugen.
Die Bundesregierung steht nach wie vor hinter dieser Konzeption und denkt nicht daran, sie zu ändern. Der BGS verfügt über einen Bestand von 513 Sonderwagen. Aus fachlichen Erwägungen halte ich eine Ausstattung mit Sonderwagen im bisherigen Umfange grundsätzlich weiterhin für zweckmäßig. Allerdings wird kein vernünftiger Mensch sich dagegen sperren können, daß diese Ersatzbeschaffung in Stufen erfolgt. Ich möchte auch darauf hinweisen, daß eine fachgerechte Entscheidung über Fahrzeugtyp und Fabrikat erst im Jahre 1980 erfolgen kann.
Ein Wort noch zum angeblichen personellen Engpaß. Auch insoweit geht Ihr Antrag in die Leere. In personalwirtschaftlicher Hinsicht kann von einem Engpaß derzeit keine Rede sein, weil die vorhandenen Planstellen des BGS nahezu vollständig besetzt sind. Es gibt ein geringes Fehl von etwa 500 Beamten; im rechnerischen Jahresdurchschnitt ist dies bei einer Sollstärke von 22 384 überhaupt nicht zu vermeiden. Es ist bei dieser Situation zu berücksichtigen, daß die Zahl der noch in Ausbildung befindlichen Beamten neuen Rechts gegenüber den für verbandsmäßige Einsätze uneingeschränkt verfügbaren Polizeivollzugsbeamten im Moment noch sehr hoch ist. Dies ist jedoch eine geradezu zwangsläufige und unvermeidbare Folge des gesetzlichen Auftrages des BGS, ohne eine Übergangsphase die alte Struktur durch eine völlig neue Struktur zu ersetzen.
Ich wiederhole: Wir haben und werden zwischen 1976 und 1984 insgesamt 13 000 Beamte, mehr als die Hälfte des Bestandes des BGS, neu ausbilden müssen. Ich wiederhole auch, daß ein weiterer Abbau der Einzelabordnungen für die Bundesregierung unvertretbar ist. Die Bundesregierung hat alle Maßnahmen getroffen, die sie nach ihrer Ansicht treffen mußte und konnte.
Ich möchte mit Nachdruck darauf hinweisen, daß mit der Vermehrung der Aufgaben des BGS eine stetige Personalvermehrung einhergegangen ist. In der Zeit von 1969 bis 1979 ist die Sollstärke des BGS von 19 543 Planstellen auf 22 384 Planstellen gestiegen, also eine Aufstockung um 2 841. Im Jahre 1980 werden weitere 885, im Jahre 1981 noch einmal 635 Planstellen hinzukommen.
Ich möchte in diesem Zusammenhang einen Blick auf die Vergangenheit werfen. In den Jahren zwischen 1960 und 1970, in einer Zeit also, in der die heutige Opposition Regierungsverantwortung trug, belief sich die Iststärke des BGS zeitweilig auf
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14 000 Mann, heute sind es etwa 22 000 Mann. Wir haben heute eine Stärke des BGS, wie es sie vorher nie gegeben hat.
Die Nachwuchssituation kann heute als gut bezeichnet werden. Obwohl die Bewerberlage 1979 leicht zurückgegangen ist, wird das Einstellungsziel für dieses Jahr erreicht.
Auch ich möchte ein Wort an die Länder richten und möchte bitten, daß Bayern möglichst bald die vorbereitete Vereinbarung unterzeichnet. Wir haben ein dringendes Interesse daran, daß unsere Beamten, die ja in die Polizeien der Länder übergehen sollen, eine Sicherheit bekommen, daß dies auch fristgemäß geschehen kann. Ich appelliere also an die Länder, ich appelliere insbesondere an den Freistaat Bayern, zu den Absprachen zu stehen, die wir, Bund und Länder, damals gemeinsam getroffen haben.
I Zusammenfassend möchte ich feststellen: Der Bundesgrenzschutz ist allen an ihn gestellten Anforderungen bisher gewachsen gewesen. Ich bin sicher, daß dies auch in Zukunft so sein wird. Organisation, Ausstattung und Ausbildung garantieren eine leistungsstarke qualifizierte Bundespolizei, die auch künftig einen Beitrag zur inneren Sicherheit unseres Landes leisten kann. Es ist keine Rede davon und kann keine Rede davon sein, daß der BGS nur bedingt einsatzfähig sei. Schon heute steht er besser da als vor der Umstrukturierung im Jahre 1972.
Der BGS ist ein unentbehrlicher Teil des Sicherheitsverbundes zwischen Bund und Ländern. Ich sage mit allem Nachdruck: Wir werden uns nicht beirren lassen beim konsequenten Ausbau des BGS zu einer einsatzfähigen Bundespolizei.
Durch das Personaistrukturgesetz wird die Leistungsfähigkeit des BGS weiter gesteigert werden. Alle Maßnahmen, die wir seit 1972 vorgenommen haben, dienten der Entwicklung des Bundesgrenzschutzes zu einer Bundespolizei, die unbestritten im Sicherheitsverbund zwischen Bund und Ländern ihre Aufgabe wahrnimmt.
Herr Kollege Jentsch, ich fordere Sie auf: Sagen Sie deutlich, was Sie wollen! Ihre in Ihrem Antrag genannten drei Positionen, die Sie dem Parlament vorgelegt haben, gehen absolut ins Leere. Was wollen Sie? Wollen Sie jetzt Ihrerseits den Bundesgrenzschutz ins Gerede bringen, oder wollen Sie zu einem erfolgreichen Abschluß dieser Umstrukturierungsphase beitragen?