Rede von
Dr.
Klaus
von
Dohnanyi
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident, das ist selbstverständlich. Man kann auf der anderen Seite aber nicht unbefangen zu einem wichtigen europäischen Thema sprechen, wenn der vergangene Punkt ein so wesentliches europäisches Thema so streitig behandelt hat.
Herr Präsident, es ist ein beachtlicher Erfolg der Europäischen Gemeinschaft, aber auch dieser Bundesregierung, daß der Deutsche Bundestag heute die erste Beratung des Gesetzes über den Beitritt der Republik Griechenland zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, zur Europäischen Atomgemeinschaft und zur Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl vornehmen kann.
Die Lage der Gemeinschaft heute unterscheidet sich damit markant von derjenigen, die die sozialliberale Koalition vor zehn Jahren vorfand. Damals stand die Entwicklung im Schatten einer ebenso zähen wie erfolglosen Debatte über den Beitritt Großbritanniens und anderer nordeuropäischer Nationen. Die damalige Sechsergemeinschaft zeigte sich in vielen wichtigen Fragen -handlungsunfähig, weil mindestens ein Partner eine Fortentwicklung der Gemeinschaft vor ihrer Erweiterung als präjudizierend und als den Beitritt Großbritanniens erschwerend betrachtete, während mindestens ein anderer Partner die Auffassung vertrat, die Sechsergemenischaft müsse zunächst ihre eigenen inneren Probleme bewältigen und die Integration vertiefen, bevor sie eine Erweiterung in Angriff nehmen könne.
Wir sollten uns deswegen heute daran erinnern, daß dieses Dilemma erst auf der Haager Gipfelkonferenz im Dezember 1969 in einem Durchbruch gelöst werden konnte. Ohne diesen Durchbruch, an dem die Regierung Brandt/Scheel entscheidend mitgewirkt hat, könnten wir wahrscheinlich heute auch den Beitritt Griechenlands noch nicht beraten.
Das vergangene Jahrzehnt europäischer Politik weist eine Vielzahl bedeutsamer Fortschritte auf. Die Konstituierung des ersten direkt gewählten Europäischen Parlaments liegt nur wenige Monate zurück. Neben der Erweiterung der Gemeinschaft im Norden, dem inneren Ausbau, also der Vertiefung der Neunergemeinschaft, zum Beispiel durch den Beginn einer gemeinsamen Strukturpolitik, jetzt auch durch den Beginn einer gemeinsamen Energiepolitik, war die Vereinbarung über das europäische Währungssystem sicherlich einer der bedeutsamsten Fortschritte. Eine zunehmende erfolgreiche außenpolitische Zusammenarbeit deutet auf die Fortschritte der allgemeinen politischen Integration. Das Gewicht der Europäischen Gemeinschaft als Wirtschaftsfaktor im Welthandel ist in diesem Jahrzehnt gewachsen, auch unser Gewicht in der Entwicklungspolitik; und der politische Einfluß der Gemeinschaft hat unzweifelhaft zugenommen.
Diese unbestreitbaren Tatsachen sollten uns jedoch nicht die Probleme übersehen lassen, vor denen die Gemeinschaft heute steht. Die regionalen Strukturunterschiede wurden in den kritischen Wirtschaftsjahren offenkundiger. Von einer wirklichen Konvergenz der Wirtschaftspolitiken kann immer noch keine Rede sein. Der Subventionswettbewerb der Mitgliedstaaten untereinander, ja gegeneinander, nimmt besorgniserregend zu. Zu einem Teil haben wir auch die Erweiterung im Norden Europas und die damit zusammenhängenden Probleme -sicherlich noch nicht voll bewältigt.
So steht die Europäische Gemeinschaft gerade in diesem Herbst erneut vor der Frage, die von einzelnen Mitgliedstaaten aufgeworfen wird, ob und inwieweit die Gemeinschaftspolitiken, wie zum Beispiel die Agrarpolitik und die regionale Strukturpolitik, untereinander ausgewogen sind und inwieweit sie den einzelnen Mitgliedstaaten in einer gerechten und den Interessen der ganzen Gemeinschaft entsprechenden Verteilung zugute kommen. Der Europäische Rat in Dublin muß hier eine überzeugende Antwort finden, ohne ein gefährliches Prinzip des, wie man so sagt, „just retour", also einer oberflächlichen Gemeinschaftsrendite, zu akzeptieren; denn ähnliche Fragen werden auch durch die neue — die südliche — Beitrittsrunde aufgeworfen werden.
Die Bundesregierung übersieht also nicht die strukturellen Schwierigkeiten dieser vor uns liegenden südlichen Beitrittsrunde. Dennoch: So konsequent und notwendig, wie die Erweiterung der Europäischen Gemeinschaft im Norden war, so notwendig und konsequent ist jetzt die südliche Erweiterung der Gemeinschaft. Sie soll mit dem vereinbarten Beitritt der Republik Griechenland zum 1. Januar 1981 beginnen.
Die Republik Griechenland war seit 1962 mit der Europäischen Gemeinschaft verbunden. Ihr Beitritt wäre vermutlich früher erfolgt, wenn nicht die Blockierung der demokratischen Strukturen durch das Regime der Obristen eine unvermeidliche Pause in dieser Entwicklung erzwungen hätte. Dasselbe gilt übrigens auch für Portugal und Spanien, für die der Weg in die Demokratie auch den Weg in die Europäische Gemeinschaft öffnete.
Die Gemeinschaft hat eben für die ,sie umgebenden Nachbarstaaten offenkundig an Gewicht ge-
13924 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 177. Sitzung. — Bonn, Donnerstag, den 11. Oktober 1979
Staatsminister Dr. von Dohnanyi
wonnen, und zwar nicht nur ökonomisch, sondern auch politisch: Die Demokratie erweist sich hierbei als große Anziehungskraft.
Die vor uns liegende Erweiterung der Gemeinschaft bietet große Chancen für die beitretenden Länder ebenso wie für die heutigen Mitglieder der Gemeinschaft. Der Beitritt Griechenlands verstärkt die Position der Gemeinschaft im Mittelmeerraum, er öffnet einen Markt von über 10 Millionen Menschen für Industrie und Gewerbe in der Gemeinschaft. Wichtiger aber als dies: Die Gemeinschaft mit ihren 260 Millionen Einwohnern wird nun ein offener Markt für unsere fleißigen und einfallsreichen griechischen Nachbarn.
Ich sagte schon: Die Bundesregierung sieht die Chancen und die positiven Aspekte der neuen Beitrittrunde der Mittelmeerstaaten; aber sie unterstreicht auch die Probleme, die mit dieser Beitrittsrunde verbunden sein werden. Die Gemeinschaft, deren neun Mitgliedstaaten schon heute oft Schwierigkeiten haben, ihren Entscheidungsprozeß rationell und effektiv zu gestalten, wird auf eine Straffung und Stärkung' der Entscheidungsfähigkeit bei nunmehr bald zehn und zukünftig wohl zwölf Mitgliedstaaten noch mehr Wert legen müssen. Die Bundesregierung erwartet deswegen mit Interesse die Vorschläge der sogenannten drei Weisen, die in diesen Tagen unterbreitet werden sollen. Sie wird diese Vorschläge gemeinsam mit den Vorschlägen zur Organisation der Kommission, die vor einigen Tagen vorgelegt wurden, zu bewerten haben.
Meine Damen und Herren, auch die wirtschaftlichen Probleme dürfen nicht unterschätzt werden. So haben z. B. unsere italienischen, aber auch unsere französischen Freunde auf die Tatsache hingewiesen, daß durch die Erweiterung neue Konkurrenz insbesondere für ihre Agrarprodukte in der Gemeinschaft entstehen wird. Um so mehr weiß es die Bundesregierung zu würdigen, daß diese Mitgliedstaaten, die heute schon Anrainer am Mittelmeer sind, die südliche Beitrittsrunde so konstruktiv und positiv mit eingeleitet und mit vorangebracht haben. Ihre Interessen werden wir in den weiteren Entwicklungen nicht aus den Augen verlieren.
In diesem Zusammenhang muß allerdings die Feststellung getroffen werden, daß durch die Erweiterung der Gemeinschaft nach Süden auch in der Agrarpolitik neue Akzente gesetzt werden müssen. Wir müssen uns dem rechtzeitig stellen. Dies gilt insbesondere für die Überschußprodukte.
Schließlich stellen sich im Zusammenhang mit dem Beitritt Griechenlands — und später Portugals und Spaniens, wie wir hoffen — auch für diejenigen Staaten Fragen, die nicht Mitgliedstaaten der Gemeinschaft, aber auch Anrainer des Mittelmeeres sind. Ich meine insbesondere die Türkei, aber auch Jugoslawien und nicht zuletzt Israel und die arabischen Staaten an der nordafrikanischen Küste. Die Gemeinschaft muß die Erweiterung auch für diese Länder zu einer Chance werden lassen. Das
Mittelmeer als Ganzes ist eine Region besonderer politischer Verantwortung für Europa. Es darf insbesondere keine zusätzlichen Behinderungen im Zugang zum europäischen Markt geben. Daß gerade dies eine schwierige Aufgabe sein wird, ist angesichts der Erfahrung, die die Gemeinschaft in einigen anderen Bereichen bereits gemacht hat, offenkundig. Um so mehr Aufmerksamkeit wird die Bundesregierung dieser Aufgabe zu widmen ha- ben. Die Verhandlungen mit Griechenland konnten im wesentlichen in der Zeit der deutschen Ratspräsidentschaft, also in der zweiten Hälfte 1978, abgeschlossen werden. Die Bundesregierung möchte an dieser Stelle deswegen noch einmal der griechischen Regierung für die konstruktive Zusammenarbeit danken, die wir während der oft schwierigen Verhandlungen von griechischer Seite erfahren haben.
Die Bundesregierung hat dem Parlament auf Wunsch der griechischen Regierung den Entwurf des Vertragsgesetzes beschleunigt zugeleitet. Der Bundesrat hat keine Einwände erhoben. Ich möchte für die Bundesregierung dem Bundesrat für die zügige und positive Stellungnahme ausdrücklich danken.
Die Bundesregierung bittet nun alle beteiligten Ausschüsse des Deutschen Bundestages, möglichst zügig zu beraten. Sie bietet selbstverständlich ihre Zusammenarbeit für alle Einzelfragen an.
Meine Damen und Herren, wir sehen dem 1. Januar 1981, dem geplanten Datum für den Beitritt Griechenlands zur Europäischen Gemeinschaft, mit Freude entgegen.