Ich gebe mir auch Mühe, das, was ich vorzutragen habe, auch mit der nötigen Ruhe vorzutragen.
Ich sage noch einmal: Der Warschauer Vertrag ist — ebenso wie die anderen Ostverträge — ein sogenannter politischer Vertrag.
— Im Bereich des Irrationalen kann man schlecht argumentieren.
Leitsatz 1 aus dem Ostvertragsbeschluß vom 7. Juli 1975 stellt ausdrücklich fest — ich zitiere wörtlich —:
Die Verträge von Moskau und Warschau haben hochpolitischen Charakter; sie regeln die allgemeinen politischen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zur Sowjetunion und zu Polen.
Damit begründen diese Verträge — jedenfalls ohne ausdrückliche Vereinbarung — keine konkreten rechtlichen Handlungs- und Verhaltenspflichten der Bundesrepublik Deutschland.
Zweitens. Der Grundlagenvertrag mit der DDR, insbesondere die Art. 1 und 6, ändert nichts daran, daß die Bundesrepublik Deutschland „als Staat identisch ist mit dem Staat ,Deutsches Reich — in bezug auf seine Ausdehnung allerdings teilidentisch", so wörtlich das Bundesverfassungsgericht in den alle Verfassungsorgane bindenden Gründen seines Urteils vom 31. Juli 1973.
Will die Bundesregierung nichts mehr davon wissen, daß sie genau dies durch Staatssekretär Dr. Morgenstern seinerzeit im Rechtsausschuß hat vortragen lassen? Ich zitiere wörtlich — so damals Staatssekretär Morgenstern —:
Die erste Frage war, ob die Bundesregierung an der Auffassung festhält, daß die Bundesrepublik Deutschland mit dem Deutschen Reich identisch ist. Da kann ich Ihnen eine klare, präzise, positive Antwort geben.
Ende des Zitats des Staatssekretärs Morgenstern.
Die Unberührtheitsklausel in Art. 9 — ebenso wie übrigens die in Art. IV des Warschauer Vertrages — läßt den Rechtsbegriff „Deutschland in den Grenzen des Deutschen Reiches vom 31. Dezember 1937" unberührt. Auf Grund des Grundlagenvertrages können Rechtsänderungen nicht verlangt werden. Das haben die Vertreter der Bundesregierung bei den Beratungen des Grundlagenvertrages im Rechtsausschuß wiederholt versichert. So nochmals Staatssekretär Dr. Morgenstern:
Ich möchte sagen, daß Art. 6 nichts dafür hergibt,
— wörtliches Zitat —
daß die Bundesrepublik verpflichtet ist, irgendein geltendes deutsches Recht zu ändern.
Zitatende. Später noch einmal bekräftigend — wieder wörtliches Zitat —:
13920 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 177. Sitzung. — Bonn, Donnerstag, den 11. Oktober 1979
Vogel
Aus dem Art. 6 ergibt sich ja nur die Frage, ob die Bundesrepublik verpflichtet ist, gesetzliche Vorschriften zu ändern, ob sie sich der DDR gegenüber verpflichtet hat, das zu tun. Das habe ich vorhin verneint. Ich kann natürlich von mir aus jetzt nicht sagen, ob irgendwelche Ressorts solche Änderungen vorzuschlagen beabsichtigen.
Dann kommt im Protokoll ein Gedankenstrich:
— Mir wird soeben von dem Kommissionsmitglied Dr. Mahnke geflüstert, daß die Regierung so etwas nicht plane.
Ende des Zitats aus dem Protokoll des Rechtsausschusses.
Mehr noch! Ministerialdirektor Weichert, der der Verhandlungskommission angehört hatte, berichtete im Rechtsausschuß — das ist für unser Thema hochinteressant —, daß die DDR bei den Verhandlungen wiederholt die Terminologie angesprochen habe „und daß sie während der Verhandlungen im einzelnen dann, z. B." — das ist jetzt auch wieder wörtlich aus dem Protokoll zitiert — „wenn wieder neue Einkommensteuerrichtlinien herausgegeben worden sind, den Inlandsbegriff angesprochen" habe. Ministerialdirektor Weichert stellte aber unmißverständlich klar:
Es ist nicht zugesagt worden, daß wir in irgendeiner Form Gesetze ändern werden.
Punkt, Abführungsstriche.
Angesichts der juristisch eindeutigen Vertragslage täte die Bundesregierung gut daran, den Grundsatz „Pacta sunt servanda" ernst zu nehmen, auch — hören Sie bitte zu — wenn es um die Wahrung eigener Rechtspositionen geht.
Offensichtlich war sie noch im Jahre 1976 dazu bereit, also zu einer Zeit, als derselbe Helmut Schmidt, der jetzt von „Vertragsbruch" spricht, schon Bundeskanzler war. Wie anders soll sonst das Schreiben des Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundesminister der Finanzen und heutigen Ministers Rainer Offergeld vom 8. April 1976 an den Vorsitzenden des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen verstanden werden, in dem es heißt:
Die Bundesrepublik Deutschland und die DDR stehen in einem besonderen Verhältnis zueinander. Sie sind füreinander nicht Ausland. Daran hat sich durch den Grundvertrag nichts geändert.
Bis hierher hat der Herr Kollege Posser im Bundesrat schon einmal zitiert. Aber das Maßgebende kommt erst jetzt, und das hat er weggelassen:
Das besondere Verhältnis zeigt sich u. a. in der Regelung der gegenseitigen Wirtschaftsbeziehungen. Auf der Grundlage des Berliner Abkommens von 1951 und des Protokolls über
den innerdeutschen Handel im Anhang zum EWG-Vertrag wird der Waren- und Leistungsaustausch zwischen beiden Staaten als Binnenhandel abgewickelt. Die Entwicklung des innerdeutschen Handels auf der Basis der bestehenden Abkommen ist im Zusatzprotokoll zu Artikel 7 des Grundvertrages ausdrücklich vorgesehen.
Den politischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten hat der Gesetzgeber im Umsatzsteuerrecht
durch den die DDR einschließenden Inlandsbegriff Rechnung getragen. Dieser Inlandsbegriff hat den Vorzug, daß einerseits für Warenbezüge aus der DDR keine Einfuhrumsatzsteuer erhoben wird und daß andererseits der innerdeutsche Handel durch eine Steuererlaßregelung gesteuert werden kann.
Ich frage: Hat sich seitdem etwas geändert? Ich antworte: Nein, nichts hat sich seitdem geändert.
Im übrigen möchte ich noch darauf hinweisen, daß vor wenigen Tagen der Europäische Gerichtshof in einem Vorabentscheidungsverfahren festgestellt hat, daß innerdeutsche Handelsgeschäfte im Sinne des Protokolls über den innerdeutschen Handel nicht als Ausfuhr gelten und daß die DDR im Verhältnis zur Bundesrepublik nicht den Charakter eines Drittlandes hat.
Wenn Sie die DDR zu einem Tertium machen, geben Sie ihr natürlich den Charakter eines Drittlandes, einen Charakter, der bisher in der ganzen Staatsrechts- und Völkerrechtswissenschaft ein Unikum ist. Ich appelliere an die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsparteien: Beenden Sie endlich diese überflüssige Kontroverse.
Herr Kollege Wehner, ich hatte Ihnen versprochen, daß ich auf Sie noch einmal zurückkomme.
Mir liegt der Tagesdienst der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion, Ausgabe 950, vom 26. September 1979 vor. Dort findet sich unter der Überschrift „Betr.: Glaubwürdigkeit der Opposition" ein in der „Neuen Westfälischen" veröffentlichter Beitrag des Herrn Kollegen Wehner, in dem es am Schluß heißt — und da wird ja deutlich, worum es hier geht —:
Der Mannschaftsführer der Union, der bayerische Ministerpräsident Strauß, muß ... Farbe
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 177. Sitzung. — Bonn, Donnerstag, den 11. Oktober 1979 13921
Vogel
bekennen: Entweder Vertragstreue mit allen Konsequenzen oder Zwielicht für die Glaubwürdigkeit bundesdeutscher Außenpolitik.
Herr Kollege Wehner, ich habe mir die Mühe gemacht, eine Ihrer bedeutenden Reden hier im Bundestag aus dem Jahre 1960, die Sie anläßlich des Geburtstagsempfangs für die verehrte Frau Kollegin Renger zitiert haben, noch einmal sorgfältig durchzulesen. Da habe ich gefunden, daß Sie gesagt haben:
Der Herr Bundesminister Strauß z. B. hat gefragt, ob denn die SPD die Verträge der Bundesrepublik nur dem Buchstaben nach oder dem Sinne nach halten wolle.
Sie haben dann noch eine nette Geschichte von Herrn Höcherl eingeflochten, die ich jetzt weglassen will. Danach fragen Sie:
Warum aber uns Fragen in dieser Weise stellen? Damit im Ausland Zweifel an der Vertragszuverlässigkeit der Deutschen oder wenigstens eines großen Teiles der Deutschen erweckt oder gar genährt werden? Ist das richtig, ist das klug?
Jetzt frage ich Sie, Herr Kollege Wehner,
wenn Sie in dieser Sache Fragen an den Kanzlerkandidaten der Union stellen:
Ist das richtig? Ist das klug?
— Herr Kollege Wehner,
führen Sie — —
Meine Damen und Herren, führen Sie mit uns den Streit auf die sachliche Ebene eines Steuergesetzes zurück! Das Vermittlungsverfahren bietet dafür die geeignete Plattform. Angesichts unserer europarechtlichen Gebundenheit ist es die. Pflicht der Bundesregierung und ist es vor allem die Pflicht des Bundeskanzlers, besonders sorgfältig abzuwägen, ob Sie es verantworten können, das Gesetz entgegen eindeutigen Rechtsverpflichtungen gegenüber der Europäischen Gemeinschaft endgültig scheitern zu lassen.
— Herr Kollege Jahn, ich habe ein gutes Erinnerungsvermögen und kann mich an keinen Vorschlag aus den Reihen der Koalition, die ihre Vertragspflichten erfüllen will, erinnern, der uns geholfen hätte, aus dieser Kontroverse herauszukommen.
Meine Fraktion wird sich bei der Abstimmung über den Antrag von SPD und FDP der Stimme enthalten, weil die Zielsetzung des Anrufungsbegehrens nicht erkennbar ist.
Ich muß sagen, daß das nach Ihren Zwischenrufen noch weniger erkennbar ist.
Die Beratungen im Vermittlungsausschuß werden zeigen, ob sich die Bundesregierung und die Koalition nunmehr in der Lage sehen, vertragsrechtlichen Gegebenheiten Rechnung zu tragen und unsere verfassungspolitischen Überzeugungen zu respektieren oder ob wiederum nur eine substanz- und, sprachlose Anrufung des Vermittlungsausschusses gewollt ist. Schlagen Sie eine tragfähige Brücke, und wir sind bereit, sie zu betreten!