Rede von
Friedrich
Vogel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu dem Antrag der Koalitionsfraktionen auf der Drucksache 8/3245, auf Einberufung des Vermittlungsausschusses erkläre ich namens der CDU/CSU-Fraktion:
Wir erleben heute einen Vorgang, der in dieser Wahlperiode einmalig ist.
Unter Ausschöpfung der letzten verfassungsrechtlichen Möglichkeiten wird zu einem Gesetz, dem Umsatzsteuergesetz 1979, das dritte Mal das Vermittlungsverfahren eingeleitet. Der Vorgang ist nicht nur einmalig, er war auch, überflüssig.
Ausschließlich die Bundesregierung und — an ihrer Spitze — der Bundeskanzler tragen die politische Verantwortung dafür, daß die Neuordnung des Umsatzsteuerrechts bisher gescheitert ist und die Bundesrepublik Deutschland inzwischen wegen Vertragsbruchs vor dem Europäischen Gerichtshof steht.
Die sachliche Auseinandersetzung um steuerrechtliche Detailregelungen, auch um die Definition des Inlandbegriffs, wäre längst beendet, wenn die Koalition nicht einen deutschland- und ostpolitischen Grundsatzstreit vom Zaun gebrochen und über zwei Vermittlungsverfahren hinweg sorgsam gepflegt hätte.
Daß mit der Verzögerung des Gesetzgebungsverfahrens Steuerverwaltung und Wirtschaft vor schwere Probleme gestellt werden
— ich komme auf Sie noch zurück, Herr Kollege Wehner —, haben die Bundesregierung und — an ihrer Spitze — der Bundeskanzler bewußt in Kauf genommen. Sie haben ebenfalls bewußt in Kauf genommen, daß unter Verletzung des Grundsatzes „Pacta sunt servanda" europäische Vertragspflichten nicht eingehalten werden können.
Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen haben das Umsatzsteuergesetz zum Vehikel für den Versuch gemacht, die Ostverträge und den Grundlagenvertrag ein Stück — ich formuliere das ganz vorsichtig — aus der Nähe des Grundgesetzes zu rücken.
13918 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 177. Sitzung. — Bonn, Donnerstag, den 11. Oktober 1979
Vogel
Sie haben diesen Versuch mit der Behauptung verbunden, die Verträge erforderten eine Änderung des bisherigen Rechtszustandes. Das geschah zunächst so anbei, wohl in der Hoffnung lautloser Behandlung im Gesetzgebungsverfahren.
Wenn man die Begründung der Bundesregierung im ursprünglichen Gesetzentwurf und noch in der Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrates liest, so gewinnt man keineswegs den Eindruck, die Bundesregierung halte eine Neufassung der Gebietsdefinition aus Rechtsgründen für geboten. Erst als der Bundesrat aus rechtlichen und verfassungspolitischen Erwägungen darauf beharrte, es bei der geltenden Fassung des Umsatzsteuergesetzes zu belassen, wurde der Offentlichkeit, man muß schon sagen, eingehämmert, die Verweigerung der qualitativen Änderung der bisherigen Rechtsposition sei Vertragsbruch. Der Bundeskanzler verstieg sich sogar zu der absurden Behauptung, die Behörden der Bundesrepublik könnten sonst das Recht beanspruchen, in Dresden oder Breslau Umsatzsteuer zu erheben.
— Ich kann mich allerdings nicht erinnern, Herr Kollege Westphal, daß der Herr Bundeskanzler, als er noch als Finanzminister mit der derzeit gültigen Begriffsbestimmung leben mußte, Steuereinzieher nach Dresden oder Breslau geschickt hat.
Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß die Lautstärke in dem Maße zugenommen hat, in dem sich die Koalition bei ihrem Versuch ertappt sah, die Ostverträge
und den Grundlagenvertrag stillschweigend über den eigentlichen Inhalt auszudehnen.
In diesem Zusammenhang möchte ich die Aufmerksamkeit auf einen recht interessanten Vorgang lenken. Am Tag des zweiten Vermittlungsverfahrens veröffentlichte der Tagesdienst der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion, Ausgabe 860, Ausführungen des Bundeskanzlers vor seiner Fraktion. Da war, die Rede von „schlüsselhafter Bedeutung des Streites", von „Unglaubwürdigkeit", von „Glaubwürdigkeit als Vertragspartner", von „unsinnigen Fiktionen" und dergleichen. Wohlgemerkt, dieses Crescendo erhob sich pünktlich am Tag des Vermittlungsverfahrens, eines Vermittlungsverfahrens übrigens — und dies muß festgehalten werden — —
dieses muß festgehalten werden, weil die Bundesregierung ja den Vermittlungsausschuß angerufen hatte, eines Vermittlungsverfahrens, bei dem die Bundesregierung ansonsten selbst sprachlos blieb.
Demagogie und Provokation ersetzen aber keine Vorschläge zur Sache.
Es drängt sich die Vermutung auf, daß der Bundeskanzler, aus welchen Gründen auch immer, die Einigungsbemühungen unterlaufen wollte.
Auch für die Bundesregierung sollte gelten, was für die CDU und CSU selbstverständlich ist: Pacta sunt servanda, Verträge sind zu halten.
Und dieses gilt im Verhältnis zu den Europäischen Gemeinschaften ebenso wie im Verhältnis zur Sowjetunion, zur Volksrepublik Polen und zur DDR. Das leichtfertige Gerede vom Vertragsbruch ist nicht nur demagogisch, es ist auch sachlich unrichtig.
Dazu zwei Feststellungen.
Erstens: Die Ostverträge sind Modus-vivendiVerträge. Sie haben mithin keinen Endgültigkeitscharakter. Gerade in diesem Punkt haben wir Abgeordnete der Opposition seinerzeit im Rechtsausschuß hartnäckig bei den Vertretern der Bundesregierung insistiert.
— Mein lieber Herr Kollege Wehner — —
— Verehrter Herr Kollege Wehner, Ihr Zwischenruf erinnert mich an etwas, was unsere Wahlkämpfer bei ihren Hausbesuchen im Kommunalwahlkampf in Nordrhein-Westfalen erlebt haben.
— Moment. Sie sagen: „Vorsicht". „Wenn Franz Josef Strauß Bundeskanzler wird, dann gibt es Krieg." Dies ist unterschwellige Propaganda, Herr Kollege Wehner, seien Sie nicht so leichtfertig mit Zwischenrufen, die eine solche Assoziation herstellen. Dies ist meine ganz herzliche Bitte an Sie.
Meine Damen und Herren, ich erinnere mich noch sehr genau, weil ich seinerzeit einer der Berichterstatter im Rechtsausschuß für die Ostverträge war — und ich habe mich noch einmal durch
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Einblick in die Protokolle vergewissert —: Die Verträge als solche ändern nichts am bestehenden Rechtszustand.
— Wir sind bei einer Erklärung, Herr Kollege Westphal. Ich weiß nicht, ob der Herr Präsident — —