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ID0816608000

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    Plenarprotokoll 8/166 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 166. Sitzung Bonn, Dienstag, den 3. Juli 1979 Inhalt: Abweichung von § 60 Abs. 2 GO bei der Beratung der Verjährungsvorlagen . . . 13233 A Eintritt des Abg. Besch in den Deutschen Bundestag für den ausgeschiedenen Abg Carstens (Fehmarn) 13290 A Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung . 13233 B Beratung des Bericht des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gradl, Katzer, Blumenfeld, Dr. Mikat, Dr. Biedenkopf, Josten, Dr. Müller-Hermann, Gerster (Mainz), Wohlrabe, Frau Dr. Riede (Oeffingen), Kittelmann, Breidbach, Frau Pieser, Luster, Reddemann, Schröder (Lüneburg), Dr. Pfennig, Frau Berger (Berlin), Stommel, Conrad (Riegelsberg), Dr. Stercken, Russe, Frau Dr. Wisniewski, Schartz (Trier) und Genossen Unverjährbarkeit von Mord zu der Entschließung des Europäischen Parlaments zur Unverjährbarkeit von Völkermord und Mord zu dem von den Abgeordneten Wehner, Ahlers, Dr. Ahrens, Amling, Dr. Apel und Genossen und den Abgeordneten Dr. Wendig, Gattermann, Frau Dr. Hamm-Brücher und Genossen eingebrachten Entwurf eines Achtzehnten Strafrechtsänderungsgesetzes — Drucksachen 8/2539, 8/2616, 8/2653 (neu), 8/3032 — in Verbindung mit Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Wehner, Ahlers, Dr. Ahrens, Amling, Dr. Apel und Genossen und den Abgeordneten Dr. Wendig, Gattermann, Frau Dr. Hamm-Brücher und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Achtzehnten Strafrechtsänderungsgesetzes — Drucksache 8/2653 (neu) — in Verbindung mit Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Gradl, Katzer, Blumenfeld, Dr. Mikat, Dr. Biedenkopf, Josten, Dr. Müller-Her- II Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 3. Juli 1979 mann, Gerster (Mainz), Wohlrabe, Frau Dr. Riede (Oeffingen), Kittelmann, Breidbach, Frau Pieser, Luster, Reddemann, Schröder (Lüneburg), Dr. Pfennig, Frau Berger (Berlin), Stommel, Conrad (Riegelsberg), Dr. Stercken, Russe, Frau Dr. Wisniewski, Schartz (Trier) und Genossen Unverjährbarkeit von Mord — Drucksache 8/2539 — in Verbindung mit Beratung der Entschließung des Europäischen Parlaments zur Unverjährbarkeit von Völkermord und Mord — Drucksache 8/2616 — Dr. Mertes (Gerolstein) CDU/CSU . . . . 13234 A Frau Dr. Däubler-Gmelin SPD . . . . 13239 B Kleinert FDP 13243 C Hartmann CDU/CSU 13247 C Dr. Vogel (München) SPD . . . . . . 13252 A Gattermann FDP . . . . . . . . . 13254 C Gerster (Mainz) CDU/CSU . . . . . . 13257 B Dr. Dr. h. c. Maihofer FDP . . . 13260 A, 13292 A Dr. Emmerlich SPD . . . . . . . 13265 B Helmrich CDU/CSU 13268 A Sieglerschmidt SPD 13269 C Frau Matthäus-Maier FDP . . . . . . 13272 B Dr. Lenz (Bergstraße) CDU/CSU 13274 D Dr. Weber (Köln) SPD 13277 D Ey CDU/CSU 13281 C Frau Dr. Hamm-Brücher FDP 13282 B Blumenfeld CDU/CSU 13285 C Cronenberg FDP 13287 B Dr. Bötsch CDU/CSU . . . . . . . . . 13288 A Erhard (Bad Schwalbach) CDU/CSU . . . 13294 B Dürr SPD 13296 C Engelhard FDP 13298 D Dr. Gradl CDU/CSU 13301 A Thüsing SPD 13303 A Dr. Wendig FDP 13305 D Namentliche Abstimmungen . . 13290 A, 13292 B, 13308 A, 13311 B Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zum Sechsten Gesetz zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes — Drucksache 8/3027 — Pfeifer CDU/CSU . . . . . . . . . . 13308 B Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zum Gesetz zur Neufassung des Umsatzsteuergesetzes und zur Änderung anderer Gesetze — Drucksache 8/3028 Westphal SPD 13309 B Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zum Gesetz zur Änderung des Gesetzes über technische Arbeitsmittel und der Gewerbeordnung — Drucksache 8/3029 — Jahn (Marburg) SPD 13313 B Nächste Sitzung 13313 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 13315* A Anlage 2 Erklärung des Abg. Dr. Penner (SPD) nach § 59 GO zu Punkt 1 der Tagesordnung . . 13315*A Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 3. Juli 1979 13233 166. Sitzung Bonn, den 3. Juli 1979 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordneter) entschuldigt bis einschließlich Dr. Arnold 4. 7. Bayha 4. 7. Dr. Böhme (Freiburg) 4. 7. Büchner (Speyer) * 4. 7. Dr. Dübber 3. 7. Dr. h. c. Kiesinger 4. 7. Koblitz 4. 7. Dr. Müller ** 4. 7. Picard 4. 7. Scheffler ** 4. 7. Frau Schlei 4. 7. Dr. Schmitt-Vockenhausen 4. 7. Spilker 4. 7. Volmer 4. 7. Walkhoff 4. 7. Dr. Wulff 4. 7. Anlage 2 Erklärung des Abgeordneten Dr. Penner (SPD) nach § 59 GO zu Punkt 1 der Tagesordnung Ich stimme einer angestrebten Aufhebung der Verjährungsfrist für Mord nicht zu. Ich bin der Meinung, daß sich das abgestufte System der Verjährungsfristen im Strafgesetzbuch, in das auch schwerste Straftaten wie Mord einbezogen sind, bei allen eingeräumten Unzulänglichkeiten bewährt hat. Die zeitliche Begrenzung der staatlichen Verfolgungspflicht für Straftaten beruht auch auf der Erkenntnis, daß die Möglichkeiten der Wahrheitsfindung im Strafprozeß um so brüchiger und fragwürdiger werden, je mehr Zeit zwischen Tat und Ahndung verstrichen ist. Ich halte es daher für richtig und auch geboten, wenn der Gesetzgeber diese Regelerfahrung gesetzlich absichert und damit den Strafverfolgungsorganen eine Pflicht abnimmt, der sie auch bei bestem Wollen und Können nicht gerecht werden können. Hinweise auf ausländische Rechtsordnungen und frühere deutsche und romanische Rechtsinstitute halte ich für bemerkenswert, aber für nur bedingt aussagekräftig, da bei einem Vergleich die gesamten Verfahrensordnungen mit allen Möglichkeiten und Hemmnissen besonders des Beweisrechts gegenüber gestellt werden müssen. Der Anlaß für die Initiative ist ebenso beklemmend wie säkulär. Es geht nicht einfach um eine Neufassung des Verjährungssystems, es geht um die Frage, ob besonders Mordtaten der NS-Zeit über gesetzliche Verjährungsvorschriften einer Strafverfolgung entzogen sein können oder nicht. Das Für und Wider ist in den bewegenden Debatten der 60er * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlagen zum Stenographischen Bericht Jahre und in den Diskussionen aus jüngster Zeit engagiert, behutsam und sorgfältig beleuchtet worden. Ich bin aber der Meinung, daß es statthaft sein darf, bei der Entscheidung auch berufsbedingte Erfahrungen miteinzubeziehen, die mehr die praktische Auswirkung der Gesetzesänderung betreffen. Ich neige mehr und mehr zu der Auffassung, daß der in den 60er Jahren beschrittene Weg der Ausdehnung der Verjährungsfristen nicht richtig gewesen ist. Dabei will ich nicht verschweigen, daß ich dies seinerzeit anders gesehen habe. Aber im Verlaufe einer beruflichen Tätigkeit, bei der ich mit der Verfolgung von NS-Gewaltverbrechen zu tun hatte, sind mir zunehmend Zweifel gekommen. Und das, obwohl die nazistische Wirklichkeit mit Genozid, mit Vernichtungs- und Konzentrationslagern, mit Massen- und Einzelmorden durch Akten und Zeugenaussagen erdrückend bestätigt wurde. Aber im Strafprozeß geht es nicht allein um Tatgeschehen, sondern auch um persönliche Verantwortung, um Schuld. Der Nachweis individueller Schuld war schon früher aus vielerlei Gründen kaum oder gar nicht möglich. Das ist auch nach der Erweiterung der Verjährungsfrist auf 30 Jahre noch problematischer geworden. Nicht nur statistische Hinweise geben darüber Aufschluß. Selbst das deutsch-französische Rechtshilfeabkommen des Jahres 1971, das die Verfolgungssperren des Überleitungsvertrages für deutsche Behörden lockerte, hat die strafrechtliche Bewältigung der Judendeportationen aus Frankreich nicht unterstützen können, wie man hört. Ich bin der Meinung, daß unter den gegebenen Umständen die Beibehaltung des geltenden Verjährungsrechts verantwortet werden kann. Nach meiner Erfahrung dürfte die Entdeckung neuer Sachverhalte mit der Folge strafrechtlicher Verurteilung zwar nicht ausschließbar, aber nahezu ausgeschlossen sein. Aller Voraussicht nach wird ein berechtigtes Sühnebedürfnis nicht mehr gestillt werden können. Daher halte ich es aus meiner Sicht nicht für erträglich, Zeugen, die Schwerstes erlitten und durchlitten haben, den Lasten und Beschwernissen, ja den Qualen von Vernehmungen über die gegebenen Unumgänglichkeiten hinaus auszusetzen. Daß nach Eintritt der Verjährungsfrist unentdeckte NS-Mörder sich ihrer Untaten öffentlich rühmen könnten, ist eine theoretische Möglichkeit, hat aber mit der Verjährungsproblematik nichts zu tun. Für schon Abgeurteilte oder außer Verfolgung gesetzte NS-Täter sind eher Stichworte wie „Leugnen", „Verkleinern", „Es war eben Krieg" und in Einzelfällen auch Reue kennzeichnend. Eine Neigung zu öffentlicher Erörterung dieser Vergangenheit besteht bei diesem Tätertyp nach den bisherigen Erfahrungen hingegen kaum. Für die Zukunft muß eine stetig zunehmende Zahl von Fehlbeurteilungen der Strafverfolgungsorgane befürchtet werden. Das wird für die schon anhängigen Verfahren unumgänglich sein. Die Gründe lie- 13316* .Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 3. Juli 1979 gen durchweg in der Beweisnot der Gerichte und Staatsanwaltschaften. Die Aufhebung der Verjährungsfrist hätte zur Folge, daß zu allen neuen Vorgängen materielle Entscheidungen über Schuld oder Unschuld erforderlich würden. Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß diese durchweg Einstellungsverfügungen und Freisprüche sein werden. Ich hielte das für bedrückend, weil mit diesen staatlichen Akten, deren Qualität nicht anders ausfallen kann und wird, Geschichtslegenden gebildet und unterstützt werden können. Aus meiner Sicht ist daher das aus dem geltenden Recht folgende Offenhalten der strafrechtlichen Schuldfrage nach Ablauf der Verjährungsfrist auch der politische richtige Weg. Ich weiß, daß diese Überlegungen nur einen Teil der Fragen und Bedrängungen ausmachen. Für mich sind sie entscheidend. Eine neue gesetzliche Regelung muß sich auch an ihren Möglichkeiten und Grenzen messen lassen. Dem Anspruch der Opfer, der Betroffenen auf sühnende Gerechtigkeit kann nicht über eine Ausweitung des Verjährungsrechts Genüge geschehen. Ich meine, daß dies auszusprechen auch zur parlamentarischen Verantwortlichkeit gehört. Ich wage es daher, nein zu sagen.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Klaus Thüsing


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Moral und Politik sind unteilbar. Wer nicht will, daß Nazi-Morde verjähren, muß gleich dem Antrag zustimmen, der von den Abgeordneten Wehner, Wendig usw. eingebracht wurde und der bei einer Mehrzahl von Kollegen in allen Fraktionen Unterstützung gefunden hat.

    (Vereinzelter Beifall bei der SPD — Gerster [Mainz] [CDU/CSU] : Ihre Rede macht es wirklich schwer, zuzustimmen! — Nordlohne [CDU/CSU]: Rauschender Beifall!)



Rede von Liselotte Funcke
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Wendig.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Friedrich Wendig


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Zunächst eine allgemeine Bemerkung. Herr Kollege Thüsing, Sie haben soeben eine Reihe von Fragen aufgeworfen, deren eine oder andere sicher beantwortet werden muß. Ich bezweifle allerdings, daß die Unverjährbarkeit von Mord die Fragen, die Sie aufgeworfen haben, löst.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

    Eingangs halte ich die Feststellung für notwendig, daß in diesem Haus niemand unterstellt, ein Verbleiben bei der Verjährbarkeit der Strafverfolgung von Mord habe etwas mit Vergeben, Vergessen oder Amnestie zu tun. Ich sage dies im Blick auf den Herrn Kollegen Mertes, der heute morgen diese Befürchtung ein wenig anklingen ließ.
    Damit diese Gemeinsamkeit — darauf lege ich großen Wert — noch einmal unterstrichen wird, füge ich die Bemerkung hinzu, daß von allen Seiten der Abscheu gegenüber den Gewalttaten des NS-Regimes uneingeschränkt geteilt wird und wir alle unsere vornehmste Aufgabe darin erblicken, unser Volk vor einer ähnlichen Entwicklung zu bewahren.
    Neben den Unterschieden in der Rechtsauffassung über die Verjährungsfrage sollten wir also die uns



    Dr. Wendig
    allen gemeinsamen Grundlagen auch nicht in einem Nebensatz in Zweifel ziehen.
    Dann, Herr Kollege Erhard, gefällt es mir allerdings nicht, wenn Sie zu denjenigen, die für die Unverjährbarkeit von Mord sind, etwa in der Richtung „Mord schreit nach Rache!" sprechen oder wenn Sie als Beispiel für die Entwicklung, die hier eingeleitet wird, die Entwicklung der Strafzwecke im Dritten Reich — Reinerhaltung des Bluts oder Durchsetzung des Führerwillens — anführen. Ich glaube, dies sind Dinge, die mit unserer heutigen Debatte wirklich nichts zu tun haben.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Wenn ich mir gestatte, heute ein Resümee — ich bin der letzte in der Runde — aus der öffentlichen Diskussion, aus den Beratungen des Rechtsausschusses und aus dem heutigen Debattenverlauf zu ziehen, so fällt mir die Feststellung nicht schwer, daß wesentlich neue Argumente nicht mehr hervorgetreten sind. Mit einer solchen Feststellung geschieht auch der sehr ausführlichen und gründlichen Diskussion im Rechtsausschuß kein Unrecht. Bei jedem Gegenstand — er mag so kompliziert sein, wie er wolle — erschöpft sich einmal die Zahl der Argumente. Dies ist dann die Stunde, in der entschieden werden muß.
    Ich habe bei der ersten Lesung des Gesetzentwurfs im März meine Gründe und Überlegungen darzulegen versucht, die mich veranlaßt haben, einer Gesetzesinitiative zur Aufhebung der Verjährung der Strafverfolgung von Mord meine Stimme zu geben. Für meine Person und meine Freunde möchte ich heute feststellen, daß sich an dieser Überzeugung nichts geändert hat. Deshalb will ich darauf verzichten, die alten Argumente noch einmal zu wiederholen, bis auf einen Punkt, auf den es mir allerdings ganz entscheidend ankommt.
    Ausgangspunkt aller unserer Überlegungen waren sicher die noch nicht verjährten Morde aus der Zeit der NS-Gewaltherrschaft. Leider, muß ich sagen, waren auch die Erörterungen im Rechtsausschuß und heute nur zu .sehr von diesem Ausgangspunkt geprägt. Man verengt nämlich, wie ich meine, die rechtspolitische, aber auch die moralische Dimension, die dem Schutz des menschlichen Lebens zukommt, wenn man den zweifelsohne besonders schrecklichen Zeitraum unserer jüngsten Geschichte nicht nur, wie es richtig ist, zum Ausgangspunkt, sondern zugleich auch zum Schluß- und Endpunkt aller Überlegungen macht.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

    Ich glaube, daran kranken viele der heutigen Überlegungen. Das ist dann die Frage der Unehrlichkeit der Argumentation, mit der man sich auseinandersetzen muß.
    Herr Kollege Engelhard, Sie haben sicherlich die ehrlichen Motive derer, die wie ich dieser Meinung sind, nicht bestritten. Aber auch bei Ihnen und bei vielen dringt doch immer wieder durch: Euer aller Argument für diese generelle Lösung der Unverjährbarkeit ist nicht ehrlich, und damit muß man sich auseinandersetzen. Deshalb trifft die Anhörung von sachverständigen Juristen im Rechtsausschuß über den Umfang etwa noch verfolgbarer NS-Morde für mich nicht den Kern der Sache.
    Ernster muß man schon den verfassungsrechtlichen Zweifeln nachgehen, die von einigen Rechtslehrern im Rechtsausschuß vorgetragen worden sind. So hat beispielsweise — ich nehme dieses Beispiel — Professor Frowein den Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit geltend gemacht. Er begründet diesen Zweifel mit dem Vorwurf, daß mit der Vorlage ein klar umgrenzter Tatsachenkomplex als Anlaß genommen werden könne, wegen gewisser Schwierigkeiten in der Formulierung zu einer generellen Lösung zu gelangen, die eine Vielzahl von Taten erfasse, die man sonst niemals einer Neuregelung zuführen würde.
    Ich sage hierzu: Wäre dem wirklich so, gäbe ich Professor Frowein sogar in einem gewissen Umfange recht. Aber so ist es nicht. Die Taten außerhalb der NS-Zeit sollen eben nicht nur aus einer rechtskonstruktiven Notlage heraus erfaßt werden. Der Entwurf eines 18. Strafrechtsänderungsgesetzes ist vielmehr Ausdruck einer rechtspolitisch einheitlichen Neubewertung des menschlichen Lebens im System unseres Strafrechts.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Mein Kollege Hans Gattermann hat heute morgen sehr zutreffend und sehr überzeugend, wie ich meine, die Verbrechen der NS-Zeit als zentrales Entscheidungskriterium herausgestellt, wobei er die konsequente Frage angeschlossen hat, ob die Neubewertung des Rechtsgutes „menschliches Leben" aus diesen Erfahrungen heraus nicht im Bereich der Verjährung generell zu einer anderen Handhabung des Strafverfolgungsanspruchs führen müsse. Das, meine Damen und Herren, ist genau der Punkt, auf den es ankommt. Ich bedaure nur — bei aller Anerkennung der respektablen Gründe für diese damalige Entscheidung —, daß der Gesetzgeber von 1965 und 1969 diesen Zusammenhang so nicht gesehen und dann anders entschieden hat.
    Zur Sache selbst will ich von den Gründen, die mich zu meiner Auffassung geführt haben, nicht mehr viele anführen. Der Kollege Dürr hat zu Recht das Problem der Unterbrechung der Verjährung angesprochen. Ich bin der Meinung, daß alle Argumente, die gegen die Unverjährbarkeit von Mord angeführt werden, durch dieses Instrument der Verjährungsunterbrechung im Grunde genommen entkräftet werden. Schließlich ist es doch so, daß diese Unterbrechung der Verjährung praktisch eine Strafverfolgung bis zu maximal 60 Jahren bedeuten würde. Meine Damen und Herren, alle Argumente, die Sie vorgebracht haben, schwinden dahin, wenn Sie diesen Zeitraum vor Augen haben.
    Nun noch ein allgemeiner Gedanke: Daß in internationalen Konventionen nur von Völkermord und ähnlichen Verbrechen die Rede ist, darf nicht zu der Schlußfolgerung führen, in der Weltöffentlichkeit wäre die generelle Unverjährbarkeit von Morden überhaupt kein Thema. Bei internationalen Konven-



    Dr. Wendig
    tionen geht es zunächst um Staatsverbrechen, die für die Völkerrechtsgemeinschaft relevant sind. Wie die einzelnen Staaten im übrigen die Strafverfolgung bei Mord regeln, ist kein Gegenstand internationaler Übereinkommen. Im internationalen Vergleich ist darüber hinaus die Unverjährbarkeit von Mord keine Ausnahme. Ich will dafür keineswegs die besonderen Verhältnisse im Bereich des common law als Beispiel nehmen; auch in Westeuropa, etwa in Osterreich oder in Dänemark, ist eine Mordverjährung teilweise unbekannt.
    Ich folgere daraus: Jeder Staat muß nach seiner eigenen Rechtsüberzeugung entscheiden, wie er die Frage nach der Mordverjährung beantwortet. Das heißt aber expressis verbis, meine Damen und Herren: Dies ist für uns eine deutsche Frage.
    Damit komme ich zu meinem Ausgangspunkt zurück. Der Wert des menschlichen Lebens muß von uns Deutschen — wobei sicher von den schrecklichen Ereignissen der NS-Zeit auszugehen ist — in einer neuen moralischen und ethischen Dimension gesehen werden, auch von Konsequenzen für die Strafverfolgung.

    (Zustimmung bei Abgeordneten der SPD)

    Aus diesen Überlegungen leite ich die Verpflichtung ab, unverändert meine Stimme der Unverjährbarkeit der Strafverfolgung bei Mord zu geben.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

    Dies ist eine Rechtsüberzeugung, die sich zwar aus der Vergangenheit ableitet, die zugleich aber auch für die Zukunft Gültigkeit beanspruchen muß.
    Ich sehe, von unserer jüngsten Geschichte ausgehend, keinen grundsätzlichen Bruch mit einer liberalen Rechtstradition, wenn ich dieses Rechtsbewußtsein in neue Rechtsnormen für die Unverjährbarkeit von Mord umsetze. Herr Kollege Engelhard, Sie haben in Ihren Ausführungen zur Verjährung von Mord rechtshistorisch bis ins vergangene Jahrhundert und in die Weimarer Zeit zurückgegriffen und haben dann zur Gegenwart übergeleitet. Ich bitte, auch einmal die Frage zu stellen und zu bedenken, ob sich die Verhältnisse, die Zeiten und die Gegebenheiten, unter denen wir heute diese Frage entscheiden müssen, für uns Deutsche nicht geändert haben.

    (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der SPD — Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Nicht grundsätzlich!)

    Meine Damen und Herren, ich bin gleichwohl mit denen einig, die meinen, daß wir mit Mitteln des Strafrechts eine — ich sage es einmal so salopp — sogenannte Bewältigung der Vergangenheit, wenn überhaupt, nur in sehr unvollkommener Weise bewirken können. Da stimme ich durchaus dem zu, was der Kollege Kleinert heute morgen hierzu gesagt hat. Dies ist ein anderes Feld, ein Feld, das ich allerdings trotz des Lamentos vieler in unserem Lande noch nicht als gehörig bestellt empfinde. Schon in der März-Debatte habe ich darzulegen versucht, aus welchen Gründen es nach 1945 zu einer selbstkritischen Betrachtung der Vergangenheit bei vielen in unserem Lande nicht gekommen ist. Ich halte auch unverändert an meiner Auffassung fest, daß dies einer der Gründe ist, die den Riß zwischen den Generationen bei uns oft haben zu groß werden lassen. Nachdem wir nicht mehr unter der vielfältigen Not der Nachkriegsjahre zu leiden haben, sollte bei einem Abstand von über drei Jahrzehnten den Älteren von uns die Beantwortung der Frage leichter sein, ob wirklich, wie viele meinten und vielleicht heute noch meinen, die Jahre von 1933 bis 1945 nur ein peinlicher Betriebsunfall unserer Geschichte gewesen sind. Gerade diejenigen, die sich unserem Volk und unserer Nation besonders verbunden fühlen, sollten erkennen, was man ihnen und ihren Kindern angetan hat, als im deutschen Namen unmenschliche Verbrechen verübt wurden. Der Hinweis auf Unmenschlichkeiten in anderen Völkern ist da nur eine bequeme Ausflucht und löst unser deutsches Problem nicht.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Das will ja auch niemand!)

    Viele bezeichnen Fichtes „Reden an die deutsche Nation" von 1810 als eine maßlose Überschätzung deutschen Selbstverständnisses. Fichte hebt die Deutschen in seinen Reden deswegen so hoch empor, weil er ihnen sittliche Tugenden zuspricht, die sie, wie er meinte, vor allen anderen Völkern auszeichnen. Darin mag er geirrt haben. Wie weit ist aber der Abstand zwischen den von Fichte angenommenen sittlichen Tugenden der Deutschen und der Unmoral der NS-Gewaltherrschaft, in der individuelles Leben und das Leben von Völkern keinen Wert mehr besaßen! Diese Überlegungen betreffen sicher ein anderes Feld als den unmittelbaren Bereich des Strafrechts, obgleich sie für mich mit in den Bewertungsprozeß einmünden, in dem ich den Wert des menschlichen Lebens auch bei der Strafverfolgung fortentwickelt sehen möchte.
    Gleichwohl habe ich Respekt vor den anderen hier geäußerten Meinungen, zumal neben rechtspolitischen auch ethische Gesichtspunkte ins Feld geführt worden sind. Ich kann indessen den abweichenden Meinungen nicht folgen, weil mich auch die Überlegungen, die ich zuerst angestellt habe, immer wieder zu dem Punkt führen, an dem mich die notwendige Neubewertung des menschlichen Lebens als höchstem Rechtsgut vor die Frage der Unverjährbarkeit der Strafverfolgung von Mord stellt. Die Antwort auf diese Frage steht für mich und meine Freunde in dem Entwurf eines Achtzehnten Strafrechtsänderungsgesetzes, das uns heute hier vorliegt.
    Ich habe meine Darlegungen bewußt subjektiv gehalten, weil jeder für sich, nach seiner Überzeugung und nach seinem Gewissen spricht und handelt. Dies zeichnet — lassen Sie mich das zum Schluß sagen — die heutige Debatte in all ihren Phasen aus. Jede der hier vertretenen Meinungen ist respektabel. Niemand ist daher der bessere oder der schlechtere Deutsche oder aber auch jemand, der sich den Prinzipien eines liberalen Rechtsstaates näher oder ferner fühlt. Dieses Bewußtsein, das wir alle haben sollten, wird uns dann auch — das ist



    Dr. Wendig
    ein Blick in die Zukunft — in die Lage versetzen, die Entscheidung, die heute letztendlich getroffen wird, auch dann mitzutragen, wenn sie der eigenen Meinung nicht oder nicht voll entspricht. Nichts wäre gefährlicher, als wenn die Verjährungsdebatte über den heutigen Tag hinaus in diesem Parlament oder auch in unserem Land unbegrenzt fortgesetzt würde. Ich glaube, Ihre Motivation für die folgende Abstimmung in der dritten Lesung nicht ungebührlich zu belasten, wenn ich für die Zukunft um diese notwendige Gemeinsamkeit aller politischen Gruppen werbe.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)