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ID0816604700

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    Vokabeln: 6
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    4. Frau: 1
    5. Dr.: 1
    6. Hamm-Brücher.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 8/166 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 166. Sitzung Bonn, Dienstag, den 3. Juli 1979 Inhalt: Abweichung von § 60 Abs. 2 GO bei der Beratung der Verjährungsvorlagen . . . 13233 A Eintritt des Abg. Besch in den Deutschen Bundestag für den ausgeschiedenen Abg Carstens (Fehmarn) 13290 A Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung . 13233 B Beratung des Bericht des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gradl, Katzer, Blumenfeld, Dr. Mikat, Dr. Biedenkopf, Josten, Dr. Müller-Hermann, Gerster (Mainz), Wohlrabe, Frau Dr. Riede (Oeffingen), Kittelmann, Breidbach, Frau Pieser, Luster, Reddemann, Schröder (Lüneburg), Dr. Pfennig, Frau Berger (Berlin), Stommel, Conrad (Riegelsberg), Dr. Stercken, Russe, Frau Dr. Wisniewski, Schartz (Trier) und Genossen Unverjährbarkeit von Mord zu der Entschließung des Europäischen Parlaments zur Unverjährbarkeit von Völkermord und Mord zu dem von den Abgeordneten Wehner, Ahlers, Dr. Ahrens, Amling, Dr. Apel und Genossen und den Abgeordneten Dr. Wendig, Gattermann, Frau Dr. Hamm-Brücher und Genossen eingebrachten Entwurf eines Achtzehnten Strafrechtsänderungsgesetzes — Drucksachen 8/2539, 8/2616, 8/2653 (neu), 8/3032 — in Verbindung mit Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Wehner, Ahlers, Dr. Ahrens, Amling, Dr. Apel und Genossen und den Abgeordneten Dr. Wendig, Gattermann, Frau Dr. Hamm-Brücher und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Achtzehnten Strafrechtsänderungsgesetzes — Drucksache 8/2653 (neu) — in Verbindung mit Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Gradl, Katzer, Blumenfeld, Dr. Mikat, Dr. Biedenkopf, Josten, Dr. Müller-Her- II Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 3. Juli 1979 mann, Gerster (Mainz), Wohlrabe, Frau Dr. Riede (Oeffingen), Kittelmann, Breidbach, Frau Pieser, Luster, Reddemann, Schröder (Lüneburg), Dr. Pfennig, Frau Berger (Berlin), Stommel, Conrad (Riegelsberg), Dr. Stercken, Russe, Frau Dr. Wisniewski, Schartz (Trier) und Genossen Unverjährbarkeit von Mord — Drucksache 8/2539 — in Verbindung mit Beratung der Entschließung des Europäischen Parlaments zur Unverjährbarkeit von Völkermord und Mord — Drucksache 8/2616 — Dr. Mertes (Gerolstein) CDU/CSU . . . . 13234 A Frau Dr. Däubler-Gmelin SPD . . . . 13239 B Kleinert FDP 13243 C Hartmann CDU/CSU 13247 C Dr. Vogel (München) SPD . . . . . . 13252 A Gattermann FDP . . . . . . . . . 13254 C Gerster (Mainz) CDU/CSU . . . . . . 13257 B Dr. Dr. h. c. Maihofer FDP . . . 13260 A, 13292 A Dr. Emmerlich SPD . . . . . . . 13265 B Helmrich CDU/CSU 13268 A Sieglerschmidt SPD 13269 C Frau Matthäus-Maier FDP . . . . . . 13272 B Dr. Lenz (Bergstraße) CDU/CSU 13274 D Dr. Weber (Köln) SPD 13277 D Ey CDU/CSU 13281 C Frau Dr. Hamm-Brücher FDP 13282 B Blumenfeld CDU/CSU 13285 C Cronenberg FDP 13287 B Dr. Bötsch CDU/CSU . . . . . . . . . 13288 A Erhard (Bad Schwalbach) CDU/CSU . . . 13294 B Dürr SPD 13296 C Engelhard FDP 13298 D Dr. Gradl CDU/CSU 13301 A Thüsing SPD 13303 A Dr. Wendig FDP 13305 D Namentliche Abstimmungen . . 13290 A, 13292 B, 13308 A, 13311 B Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zum Sechsten Gesetz zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes — Drucksache 8/3027 — Pfeifer CDU/CSU . . . . . . . . . . 13308 B Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zum Gesetz zur Neufassung des Umsatzsteuergesetzes und zur Änderung anderer Gesetze — Drucksache 8/3028 Westphal SPD 13309 B Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zum Gesetz zur Änderung des Gesetzes über technische Arbeitsmittel und der Gewerbeordnung — Drucksache 8/3029 — Jahn (Marburg) SPD 13313 B Nächste Sitzung 13313 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 13315* A Anlage 2 Erklärung des Abg. Dr. Penner (SPD) nach § 59 GO zu Punkt 1 der Tagesordnung . . 13315*A Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 3. Juli 1979 13233 166. Sitzung Bonn, den 3. Juli 1979 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordneter) entschuldigt bis einschließlich Dr. Arnold 4. 7. Bayha 4. 7. Dr. Böhme (Freiburg) 4. 7. Büchner (Speyer) * 4. 7. Dr. Dübber 3. 7. Dr. h. c. Kiesinger 4. 7. Koblitz 4. 7. Dr. Müller ** 4. 7. Picard 4. 7. Scheffler ** 4. 7. Frau Schlei 4. 7. Dr. Schmitt-Vockenhausen 4. 7. Spilker 4. 7. Volmer 4. 7. Walkhoff 4. 7. Dr. Wulff 4. 7. Anlage 2 Erklärung des Abgeordneten Dr. Penner (SPD) nach § 59 GO zu Punkt 1 der Tagesordnung Ich stimme einer angestrebten Aufhebung der Verjährungsfrist für Mord nicht zu. Ich bin der Meinung, daß sich das abgestufte System der Verjährungsfristen im Strafgesetzbuch, in das auch schwerste Straftaten wie Mord einbezogen sind, bei allen eingeräumten Unzulänglichkeiten bewährt hat. Die zeitliche Begrenzung der staatlichen Verfolgungspflicht für Straftaten beruht auch auf der Erkenntnis, daß die Möglichkeiten der Wahrheitsfindung im Strafprozeß um so brüchiger und fragwürdiger werden, je mehr Zeit zwischen Tat und Ahndung verstrichen ist. Ich halte es daher für richtig und auch geboten, wenn der Gesetzgeber diese Regelerfahrung gesetzlich absichert und damit den Strafverfolgungsorganen eine Pflicht abnimmt, der sie auch bei bestem Wollen und Können nicht gerecht werden können. Hinweise auf ausländische Rechtsordnungen und frühere deutsche und romanische Rechtsinstitute halte ich für bemerkenswert, aber für nur bedingt aussagekräftig, da bei einem Vergleich die gesamten Verfahrensordnungen mit allen Möglichkeiten und Hemmnissen besonders des Beweisrechts gegenüber gestellt werden müssen. Der Anlaß für die Initiative ist ebenso beklemmend wie säkulär. Es geht nicht einfach um eine Neufassung des Verjährungssystems, es geht um die Frage, ob besonders Mordtaten der NS-Zeit über gesetzliche Verjährungsvorschriften einer Strafverfolgung entzogen sein können oder nicht. Das Für und Wider ist in den bewegenden Debatten der 60er * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlagen zum Stenographischen Bericht Jahre und in den Diskussionen aus jüngster Zeit engagiert, behutsam und sorgfältig beleuchtet worden. Ich bin aber der Meinung, daß es statthaft sein darf, bei der Entscheidung auch berufsbedingte Erfahrungen miteinzubeziehen, die mehr die praktische Auswirkung der Gesetzesänderung betreffen. Ich neige mehr und mehr zu der Auffassung, daß der in den 60er Jahren beschrittene Weg der Ausdehnung der Verjährungsfristen nicht richtig gewesen ist. Dabei will ich nicht verschweigen, daß ich dies seinerzeit anders gesehen habe. Aber im Verlaufe einer beruflichen Tätigkeit, bei der ich mit der Verfolgung von NS-Gewaltverbrechen zu tun hatte, sind mir zunehmend Zweifel gekommen. Und das, obwohl die nazistische Wirklichkeit mit Genozid, mit Vernichtungs- und Konzentrationslagern, mit Massen- und Einzelmorden durch Akten und Zeugenaussagen erdrückend bestätigt wurde. Aber im Strafprozeß geht es nicht allein um Tatgeschehen, sondern auch um persönliche Verantwortung, um Schuld. Der Nachweis individueller Schuld war schon früher aus vielerlei Gründen kaum oder gar nicht möglich. Das ist auch nach der Erweiterung der Verjährungsfrist auf 30 Jahre noch problematischer geworden. Nicht nur statistische Hinweise geben darüber Aufschluß. Selbst das deutsch-französische Rechtshilfeabkommen des Jahres 1971, das die Verfolgungssperren des Überleitungsvertrages für deutsche Behörden lockerte, hat die strafrechtliche Bewältigung der Judendeportationen aus Frankreich nicht unterstützen können, wie man hört. Ich bin der Meinung, daß unter den gegebenen Umständen die Beibehaltung des geltenden Verjährungsrechts verantwortet werden kann. Nach meiner Erfahrung dürfte die Entdeckung neuer Sachverhalte mit der Folge strafrechtlicher Verurteilung zwar nicht ausschließbar, aber nahezu ausgeschlossen sein. Aller Voraussicht nach wird ein berechtigtes Sühnebedürfnis nicht mehr gestillt werden können. Daher halte ich es aus meiner Sicht nicht für erträglich, Zeugen, die Schwerstes erlitten und durchlitten haben, den Lasten und Beschwernissen, ja den Qualen von Vernehmungen über die gegebenen Unumgänglichkeiten hinaus auszusetzen. Daß nach Eintritt der Verjährungsfrist unentdeckte NS-Mörder sich ihrer Untaten öffentlich rühmen könnten, ist eine theoretische Möglichkeit, hat aber mit der Verjährungsproblematik nichts zu tun. Für schon Abgeurteilte oder außer Verfolgung gesetzte NS-Täter sind eher Stichworte wie „Leugnen", „Verkleinern", „Es war eben Krieg" und in Einzelfällen auch Reue kennzeichnend. Eine Neigung zu öffentlicher Erörterung dieser Vergangenheit besteht bei diesem Tätertyp nach den bisherigen Erfahrungen hingegen kaum. Für die Zukunft muß eine stetig zunehmende Zahl von Fehlbeurteilungen der Strafverfolgungsorgane befürchtet werden. Das wird für die schon anhängigen Verfahren unumgänglich sein. Die Gründe lie- 13316* .Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 3. Juli 1979 gen durchweg in der Beweisnot der Gerichte und Staatsanwaltschaften. Die Aufhebung der Verjährungsfrist hätte zur Folge, daß zu allen neuen Vorgängen materielle Entscheidungen über Schuld oder Unschuld erforderlich würden. Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß diese durchweg Einstellungsverfügungen und Freisprüche sein werden. Ich hielte das für bedrückend, weil mit diesen staatlichen Akten, deren Qualität nicht anders ausfallen kann und wird, Geschichtslegenden gebildet und unterstützt werden können. Aus meiner Sicht ist daher das aus dem geltenden Recht folgende Offenhalten der strafrechtlichen Schuldfrage nach Ablauf der Verjährungsfrist auch der politische richtige Weg. Ich weiß, daß diese Überlegungen nur einen Teil der Fragen und Bedrängungen ausmachen. Für mich sind sie entscheidend. Eine neue gesetzliche Regelung muß sich auch an ihren Möglichkeiten und Grenzen messen lassen. Dem Anspruch der Opfer, der Betroffenen auf sühnende Gerechtigkeit kann nicht über eine Ausweitung des Verjährungsrechts Genüge geschehen. Ich meine, daß dies auszusprechen auch zur parlamentarischen Verantwortlichkeit gehört. Ich wage es daher, nein zu sagen.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Richard Ey


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen! Meine Herren! Ich glaube, die Art und Weise, in der dieses Hohe Haus über das ernste Thema der Verjährung diskutiert, zeichnet es insgesamt aus. Darüber können wir — quer durch alle Fraktionen und bei unterschiedlichen Standorten — außerordentlich froh sein.
    Meine Damen und Herren, den vorliegenden Anträgen zur Unverjährbarkeit von Mord und Völkermord schließe ich mich nicht an, sondern ich stimme für die Beibehaltung der bestehenden Regelung, wonach auch nationalsozialistische Gewaltverbrechen am 31. Dezember 1979 verjähren. Ich darf in diesem Zusammenhang auf die Ausführungen meines Kollegen Graf Stauffenberg in der ersten Lesung hinweisen.
    Sie werden es mir nachsehen, daß ich meine Auffassung an dieser Stelle nicht noch einmal ausführlich darlege. Das habe ich — und ich gehe davon aus, auch Sie — in den vergangenen Monaten häufig vor vielen Bürgern und in Gesprächen mit vielen Bürgern getan, und ich habe mit Vertretern insbesondere des mit uns befreundeten Staates Israel sowie auch der beiden großen Kirchen in Deutschland unser Problem erörtert. Ihnen darf ich an dieser Stelle meinen herzlichen und aufrichtigen Dank für den intensiven und hilfreichen Gedankenaustausch sagen, den ich mit ihnen haben durfte. Wir stehen sicher, auch soweit wir kontroverse Auffassungen vertraten, mit Respekt vor den jeweiligen Meinungen voreinander.
    Zusammenfassend möchte ich aber unterstreichen, daß nach meiner Überzeugung im Interesse der Rechtspflege, der Rechtssicherheit und zur Vermeidung von Fehlurteilen an dem Rechtsinstitut der Verjährung auch bei Mord festgehalten werden sollte.
    Einen Aspekt und eine Anregung möchte ich jedoch besonders hinzufügen. Wir sollten uns darüber im klaren sein, daß wir heute nicht nur für die Vergangenheit, sondern auch und vor allem für die Zukunft Lösungen schaffen müssen. Mit „Zukunft" ist zwangsläufig besonders die Jugend angesprochen, die nachwachsende Generation, die künftig die Geschicke unseres Staates verantwortlich übernehmen muß. Was können wir also für die Jugend und ihre Zukunft tun?
    Bundespräsident Karl Carstens hat in seiner Antrittsrede auf die Notwendigkeit eines verstärkten Geschichtsunterrichts und damit eines fundierten Geschichtsbewußtseins hingewiesen. Geschichtsbewußtsein ist abhängig vom Wissen um die Geschichte. Clausewitz fügte einmal hinzu — ich darf dabei ein Adjektiv weglassen („lügenhaften") —, daß Geschichte nicht zu verwechseln sei mit dem Blatt einer Zeitung.
    Ich möchte daher anregen, daß der Deutsche Bundestag eine umfassende Dokumentation über diese Verjährungsdiskussion veröffentlicht. Diese Dokumentation gehört in die Schulen und in die Universitäten. Sie sollte in die Richtlinien jedes Kultusministeriums über den staatsbürgerkundlichen Unterricht aufgenommen werden.



    Ey
    Auf diese Weise möge es der Jugend gelingen, unsere vom großen Unheil überschattete Vergangenheit nicht zu verwinden, wie man einen Schmerz verwindet, sondern aktiv zu überwinden, um künftig und für alle Zeiten Lehren zu ziehen, wie sie für die Erhaltung des Weltfriedens unabdingbar sind. Um es mit Carl Friedrich von Weizsäcker in seinem bemerkenswerten Vortrag „Gedanken über unsere Zukunft" zu sagen: Er weist darauf hin, daß die Erhaltung des Weltfriedens unabdingbar sei, daß aber die Erhaltung dieses Weltfriedens auch bisher nicht gekannter Anstrengungen bedürfe. Selbst alle Investitionen oder Aufwendungen für Kriege stünden zu diesen erforderlichen Anstrengungen zur Erhaltung des Weltfriedens in keinem Verhältnis.
    Wenn diese Chance genutzt wird, heute die Entscheidung in dieser wichtigen Frage, auf die Zukunft orientiert, zu fällen, dann kann auch das aufmerksame Ausland, insbesondere auch dessen Jugend, den Zugang zu uns Deutschen finden, dessen wir bedürfen und der für eine gemeinsame Zukunft so dringend erforderlich ist. Dieses sollte auch unser Leitgedanke bei der vor uns liegenden Abstimmung sein.

    (Beifall bei der CDU/CSU)



Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat Frau Dr. Hamm-Brücher.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Hildegard Hamm-Brücher


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist sicher ein Wagnis, versuchen zu wollen, sich als Nichtjurist in dieser Debatte zu Wort zu melden und einen Diskussionsbeitrag zu versuchen, in dem wenig oder gar nichts von juristischen, rechtlichen, rechtsphilosophischen Argumenten, aber viel von persönlicher Betroffenheit die Rede sein wird.
    Der Ausgangspunkt dieser Debatte über eine uns alle bewegende Gewissensentscheidung fällt mit der 30. Wiederkehr der Verabschiedung des Grundgesetzes, mit dem 30. Geburtstag der Bundesrepublik Deutschland schlechthin zusammen. Ich meine, diese Daten fallen nicht zufällig zusammen, und vielleicht ist es gut, auch in dieser Stunde einmal daran zu erinnern, daß das eine eng mit dem anderen zusammenhängt.
    Liebe Kollegen, wir haben in diesen Tagen und Wochen sehr viel über diesen ersten schwierigen Anfang unseres staatlichen Neuaufbaus gelesen und gesprochen, und erst vor zwei Tagen anläßlich der Vereidigung des fünften Bundespräsidenten wurden hierzu unvergeßliche Worte gesprochen. Wir haben uns an die Anfänge unserer Demokratiewerdung auf den Trümmern eines Unrechtsstaates erinnert, und ich glaube, wir alle sind mit guten Gründen stolz auf das in diesen 30 Jahren Erreichte.
    Aber dürfen wir es angesichts der Verjährungsdebatte wirklich bei diesem Feierstundenresümee bewenden lassen? Wenn wir hier zur gleichen Zeit mit großem Ernst, mit Behutsamkeit und Respekt vor der jeweils anderen Meinung eine Verjährungsdebatte führen, dann sollten wir meines Erachtens
    die Chance nützen, diese Debatte nicht nur in der quasi verdünnten Luft rechtlicher, juristischer und rechtsphilosophischer Argumente zu führen.

    (Frau Berger [Berlin] [CDU/CSU] : Sehr richtig! — Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Das haben wir auch nicht getan!)

    — Das ist auf weite Strecken leider so geschehen, und auch die Resonanz in der Öffentlichkeit ist so gewesen, liebe Kollegen.

    (Beifall bei Abgeordneten aller Fraktionen)

    Ich hatte oft das Gefühl, daß man als Nichtjurist wochenlang gar nicht mehr durchschauen konnte, wofür das Gewissen der Abgeordneten noch bemüht werden soll.

    (Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU] : Das war auch schwer zu erkennen, da haben Sie recht!)

    Ich muß gestehen, daß mich — bei aller Anerkennung der Redlichkeit der vorgebrachten Argumente — dieser Stand der Entscheidungsfindung doch nicht voll befriedigt.
    Auch in der interessierten Öffentlichkeit, meine Damen und Herren, wird dieses Thema völlig anders diskutiert.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Auf der Basis des Unwissens!)

    Ich meine, wir sollten uns nicht dem Vorwurf aussetzen, in dieser Debatte abermals an dem Bewußtsein und an den Denkkategorien unserer Bürger vorbeizudebattieren. Ich erinnere mich hier sehr lebhaft an die bewegenden Gespräche auf dem Evangelischen Kirchentag. Und ich erinnere mich mit Schrecken, meine Damen und Herren, an die ungezählten Postkarten, die mir in diesen Wochen -wie Ihnen auch — auf den Schreibtisch geflattert sind.
    Meine Damen und Herren, ich bin als junger Mensch im Hitler-Deutschland aufgewachsen und als Studentin während des Krieges seine entschiedene Gegnerin geworden.

    (Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU] : Da waren wir Soldaten, ja!)

    Viel Glück, eine schwere Krankheit und ein wunderbar zivilcouragierter Doktorvater haben mir wahrscheinlich das Leben gerettet. Seit 1946 habe ich — ermutigt durch Theodor Heuss — begonnen, am Aufbau unseres Landes mitzuarbeiten, seit 1948 als Stadträtin in München.• Seither habe ich nun in jeder Phase unserer politischen Entwicklung miterlebt und zeitweise auch miterlitten — ich möchte darüber nachher noch etwas sagen —, wie wir unsere Demokratiewerdung vollzogen haben.
    Deshalb, meine Damen und Herren, sehe ich so wichtige politische und auch moralische Zusammenhänge zwischen der 30. Wiederkehr des Gründungstages der Bundesrepublik Deutschland und der Verjährungsentscheidung. Ich meine, wir sollten uns als Abgeordnete bei dieser Gelegenheit diesen Zusammenhängen auch öffentlich stellen. Wir sollten uns



    Frau Dr. Hamm-Brücher
    dieser Auseinandersetzung auch — ich glaube, zur Befriedigung fast der meisten Kollegen hier im Hohen Hause — mit sehr viel mehr Offenheit, mit sehr viel mehr Breiten- und Tiefenwirkung annehmen. Ich möchte nur daran erinnern, daß wir uns gerade in jüngster Zeit bei vergleichsweisen Bagatellbelastungen aus dem Dritten Reich — ich meine die Beispiele Filbinger, Jahn und Seifriz - darüber klargeworden sind, daß vieles in unserem politischen Bewußtsein eben nicht verjähren kann, wenngleich es mit der Verjährungsdebatte, die wir hier heute führen, überhaupt nicht vergleichbar ist.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Das hat mit Verjährung auch nichts zu tun!)

    Ich sehe darin vor allem auch die Chance — ich freue mich, daß das von so vielen Kollegen angesprochen worden ist --, diese spürbar befreiender und krampflösender werdende Debatte zwischen den Generationen über Ursachen, Folgen und Konsequenzen der nationalsozialistischen Greueltaten zu führen und sie nicht aus dieser Verjährungsdebatte auszuklammern.
    Meine Damen und Herren, ich möchte vor der falschen Hoffnung warnen — das ist heute auch schon geschehen —, daß wir mit dieser noch so fairen Debatte im Parlament einen endgültigen Schlußstrich unter das traurigste Kapitel deutscher Geschichte setzen können.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Das will auch niemand!)

    — Herr Kollege, nicht hier im Hohen Hause, aber ich erinnere nur an die Postkarten, die uns doch allen einen tiefen Schock versetzt haben.

    (Beifall bei allen Fraktionen)

    Ich möchte wirklich davon absehen, mich herausgefordert zu fühlen, einige davon hier vorzulesen. Ich glaube, es wäre beschämend, lieber Kollege. Diese Postkarten haben leider den Eindruck in mir erweckt, daß es in unserem Lande immer noch Menschen gibt, die glauben, diesen Schlußstrich ziehen zu können.
    Mit welcher Entscheidung auch immer wir heute diesen Saal verlassen, die tiefen Beschädigungen, die unser aller Seelen, die Seelen der Deutschen davongetragen haben, können auch mit der heutigen Abstimmung nicht geheilt, nicht zugeschüttet, nicht aus der Welt geschaffen werden. Deshalb bin ich überzeugt davon, daß diese Debatte, je offener wir sie führen — und das heißt, je redlicher wir auch ihre eigentlich politische Dimension ansprechen —, um so eher ein fortwährender Beitrag zur Klärung, zur Bewältigung und schließlich hoffentlich auch zur Heilung dieser Beschädigungen sein wird.
    Ich sage das wiederum vor allem mit Blick auf unsere junge Generation, die den leidvollen Prozeß unserer Demokratiewerdung nach 1945 doch überhaupt nur dann verstehen kann, wenn wir ihr die Hypotheken nicht verschweigen, mit denen sie von Anfang an belastet war. Ich sage das auch zu uns Älteren, die wir sehr wohl um diese Hypotheken wissen, die unsere demokratische Ordnung 1945 und danach belastet haben. Ich möchte in diesem Zusammenhang unseren ersten Bundespräsidenten
    Theodor Heuss zitieren, der vor fast genau 30 Jahren anläßlich seiner Amtseinführung festgestellt hat:
    Es ist — ... — das geschichtliche Leid der Deutschen, daß die Demokratie von ihnen nicht erkämpft wurde, sondern als letzte, als einzige Möglichkeit der Legitimierung eines Gesamtlebens kam, wenn der Staat in Katastrophen . . . zusammengebrochen war. Dies ist die Last, in der der Beginn nach 1918, in der der Beginn heute mit uns steht, das Fertigwerden mit den Vergangenheiten.
    Nach meiner Überzeugung ist die Verjährungsfrage — nachdem mittlerweile unbestritten ist, daß beide der hier diskutierten Lösungen juristisch möglich sind — zwar für viele von uns immer noch eine Entscheidung zwischen zwei rechtlich möglichen Lösungen; letztlich aber ist es doch wohl eine politische Entscheidung, welcher der beiden Lösungen man den Vorzug gibt.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : So ist es!)

    Diese Entscheidung, Herr Kollege, fällt jedem von uns schwer genug. So erweist es sich auch heute nach 30 Jahren doch noch und doch wieder als eine schwere Last, mit unseren Vergangenheiten fertig zu werden, so wie Theodor Heuss das vor 30 Jahren vorausgesehen hat.
    Für meine Person möchte ich mich jedenfalls dazu bekennen, daß es politische, wenn Sie wollen: politisch-moralische Gründe sind, die bei mir den Ausschlag geben, daß ich für eine generelle Aufhebung der Verjährung für jeden gemeinen Mord votieren werde.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Das ist bei mir auch so!)

    Es sind gewiß keine Haß- oder Rachegefühle, die mich dabei leiten, und schon gar nicht ist es, Herr Kollege Mertes, wie Sie das heute früh zu formulieren beliebten, eine Anpassung an den schnell schwankenden Zeitgeist.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Das habe ich nicht gesagt!)

    — Ich habe es mir notiert, Herr Kollege. Sie haben gesagt: an einen mit der Mode schwankenden Zeitgeist.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Eine verkürzte Notiz!)

    — Herr Kollege Mertes, Sie sprachen vom Zeitgeist und vom Schwanken. Entsprechend habe ich das wiedergegeben.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Das gibt es auch!)

    — Das mag ja so sein. Aber es ist durchaus ehrenwert, daß ein Kollege, der 1945 und 1969 anders votiert haben mag, unter der fortschreitenden Diskussion, unter dem Grauen und dem Morden, das sich mittlerweile auf der Welt weiter verbreitet hat, heute eine andere Entscheidung fällt.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)




    Frau Dr. Hamm-Brücher
    Weshalb wollen Sie das mit einer solchen Bemerkung abqualifizieren? Ich möchte hier nachdrücklich für alle Kollegen eintreten, die den Mut haben, ihre Meinung bei einer so schwierigen Entscheidung zu ändern.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)