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ID0816603800

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 8/166 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 166. Sitzung Bonn, Dienstag, den 3. Juli 1979 Inhalt: Abweichung von § 60 Abs. 2 GO bei der Beratung der Verjährungsvorlagen . . . 13233 A Eintritt des Abg. Besch in den Deutschen Bundestag für den ausgeschiedenen Abg Carstens (Fehmarn) 13290 A Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung . 13233 B Beratung des Bericht des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gradl, Katzer, Blumenfeld, Dr. Mikat, Dr. Biedenkopf, Josten, Dr. Müller-Hermann, Gerster (Mainz), Wohlrabe, Frau Dr. Riede (Oeffingen), Kittelmann, Breidbach, Frau Pieser, Luster, Reddemann, Schröder (Lüneburg), Dr. Pfennig, Frau Berger (Berlin), Stommel, Conrad (Riegelsberg), Dr. Stercken, Russe, Frau Dr. Wisniewski, Schartz (Trier) und Genossen Unverjährbarkeit von Mord zu der Entschließung des Europäischen Parlaments zur Unverjährbarkeit von Völkermord und Mord zu dem von den Abgeordneten Wehner, Ahlers, Dr. Ahrens, Amling, Dr. Apel und Genossen und den Abgeordneten Dr. Wendig, Gattermann, Frau Dr. Hamm-Brücher und Genossen eingebrachten Entwurf eines Achtzehnten Strafrechtsänderungsgesetzes — Drucksachen 8/2539, 8/2616, 8/2653 (neu), 8/3032 — in Verbindung mit Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Wehner, Ahlers, Dr. Ahrens, Amling, Dr. Apel und Genossen und den Abgeordneten Dr. Wendig, Gattermann, Frau Dr. Hamm-Brücher und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Achtzehnten Strafrechtsänderungsgesetzes — Drucksache 8/2653 (neu) — in Verbindung mit Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Gradl, Katzer, Blumenfeld, Dr. Mikat, Dr. Biedenkopf, Josten, Dr. Müller-Her- II Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 3. Juli 1979 mann, Gerster (Mainz), Wohlrabe, Frau Dr. Riede (Oeffingen), Kittelmann, Breidbach, Frau Pieser, Luster, Reddemann, Schröder (Lüneburg), Dr. Pfennig, Frau Berger (Berlin), Stommel, Conrad (Riegelsberg), Dr. Stercken, Russe, Frau Dr. Wisniewski, Schartz (Trier) und Genossen Unverjährbarkeit von Mord — Drucksache 8/2539 — in Verbindung mit Beratung der Entschließung des Europäischen Parlaments zur Unverjährbarkeit von Völkermord und Mord — Drucksache 8/2616 — Dr. Mertes (Gerolstein) CDU/CSU . . . . 13234 A Frau Dr. Däubler-Gmelin SPD . . . . 13239 B Kleinert FDP 13243 C Hartmann CDU/CSU 13247 C Dr. Vogel (München) SPD . . . . . . 13252 A Gattermann FDP . . . . . . . . . 13254 C Gerster (Mainz) CDU/CSU . . . . . . 13257 B Dr. Dr. h. c. Maihofer FDP . . . 13260 A, 13292 A Dr. Emmerlich SPD . . . . . . . 13265 B Helmrich CDU/CSU 13268 A Sieglerschmidt SPD 13269 C Frau Matthäus-Maier FDP . . . . . . 13272 B Dr. Lenz (Bergstraße) CDU/CSU 13274 D Dr. Weber (Köln) SPD 13277 D Ey CDU/CSU 13281 C Frau Dr. Hamm-Brücher FDP 13282 B Blumenfeld CDU/CSU 13285 C Cronenberg FDP 13287 B Dr. Bötsch CDU/CSU . . . . . . . . . 13288 A Erhard (Bad Schwalbach) CDU/CSU . . . 13294 B Dürr SPD 13296 C Engelhard FDP 13298 D Dr. Gradl CDU/CSU 13301 A Thüsing SPD 13303 A Dr. Wendig FDP 13305 D Namentliche Abstimmungen . . 13290 A, 13292 B, 13308 A, 13311 B Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zum Sechsten Gesetz zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes — Drucksache 8/3027 — Pfeifer CDU/CSU . . . . . . . . . . 13308 B Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zum Gesetz zur Neufassung des Umsatzsteuergesetzes und zur Änderung anderer Gesetze — Drucksache 8/3028 Westphal SPD 13309 B Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zum Gesetz zur Änderung des Gesetzes über technische Arbeitsmittel und der Gewerbeordnung — Drucksache 8/3029 — Jahn (Marburg) SPD 13313 B Nächste Sitzung 13313 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 13315* A Anlage 2 Erklärung des Abg. Dr. Penner (SPD) nach § 59 GO zu Punkt 1 der Tagesordnung . . 13315*A Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 3. Juli 1979 13233 166. Sitzung Bonn, den 3. Juli 1979 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordneter) entschuldigt bis einschließlich Dr. Arnold 4. 7. Bayha 4. 7. Dr. Böhme (Freiburg) 4. 7. Büchner (Speyer) * 4. 7. Dr. Dübber 3. 7. Dr. h. c. Kiesinger 4. 7. Koblitz 4. 7. Dr. Müller ** 4. 7. Picard 4. 7. Scheffler ** 4. 7. Frau Schlei 4. 7. Dr. Schmitt-Vockenhausen 4. 7. Spilker 4. 7. Volmer 4. 7. Walkhoff 4. 7. Dr. Wulff 4. 7. Anlage 2 Erklärung des Abgeordneten Dr. Penner (SPD) nach § 59 GO zu Punkt 1 der Tagesordnung Ich stimme einer angestrebten Aufhebung der Verjährungsfrist für Mord nicht zu. Ich bin der Meinung, daß sich das abgestufte System der Verjährungsfristen im Strafgesetzbuch, in das auch schwerste Straftaten wie Mord einbezogen sind, bei allen eingeräumten Unzulänglichkeiten bewährt hat. Die zeitliche Begrenzung der staatlichen Verfolgungspflicht für Straftaten beruht auch auf der Erkenntnis, daß die Möglichkeiten der Wahrheitsfindung im Strafprozeß um so brüchiger und fragwürdiger werden, je mehr Zeit zwischen Tat und Ahndung verstrichen ist. Ich halte es daher für richtig und auch geboten, wenn der Gesetzgeber diese Regelerfahrung gesetzlich absichert und damit den Strafverfolgungsorganen eine Pflicht abnimmt, der sie auch bei bestem Wollen und Können nicht gerecht werden können. Hinweise auf ausländische Rechtsordnungen und frühere deutsche und romanische Rechtsinstitute halte ich für bemerkenswert, aber für nur bedingt aussagekräftig, da bei einem Vergleich die gesamten Verfahrensordnungen mit allen Möglichkeiten und Hemmnissen besonders des Beweisrechts gegenüber gestellt werden müssen. Der Anlaß für die Initiative ist ebenso beklemmend wie säkulär. Es geht nicht einfach um eine Neufassung des Verjährungssystems, es geht um die Frage, ob besonders Mordtaten der NS-Zeit über gesetzliche Verjährungsvorschriften einer Strafverfolgung entzogen sein können oder nicht. Das Für und Wider ist in den bewegenden Debatten der 60er * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlagen zum Stenographischen Bericht Jahre und in den Diskussionen aus jüngster Zeit engagiert, behutsam und sorgfältig beleuchtet worden. Ich bin aber der Meinung, daß es statthaft sein darf, bei der Entscheidung auch berufsbedingte Erfahrungen miteinzubeziehen, die mehr die praktische Auswirkung der Gesetzesänderung betreffen. Ich neige mehr und mehr zu der Auffassung, daß der in den 60er Jahren beschrittene Weg der Ausdehnung der Verjährungsfristen nicht richtig gewesen ist. Dabei will ich nicht verschweigen, daß ich dies seinerzeit anders gesehen habe. Aber im Verlaufe einer beruflichen Tätigkeit, bei der ich mit der Verfolgung von NS-Gewaltverbrechen zu tun hatte, sind mir zunehmend Zweifel gekommen. Und das, obwohl die nazistische Wirklichkeit mit Genozid, mit Vernichtungs- und Konzentrationslagern, mit Massen- und Einzelmorden durch Akten und Zeugenaussagen erdrückend bestätigt wurde. Aber im Strafprozeß geht es nicht allein um Tatgeschehen, sondern auch um persönliche Verantwortung, um Schuld. Der Nachweis individueller Schuld war schon früher aus vielerlei Gründen kaum oder gar nicht möglich. Das ist auch nach der Erweiterung der Verjährungsfrist auf 30 Jahre noch problematischer geworden. Nicht nur statistische Hinweise geben darüber Aufschluß. Selbst das deutsch-französische Rechtshilfeabkommen des Jahres 1971, das die Verfolgungssperren des Überleitungsvertrages für deutsche Behörden lockerte, hat die strafrechtliche Bewältigung der Judendeportationen aus Frankreich nicht unterstützen können, wie man hört. Ich bin der Meinung, daß unter den gegebenen Umständen die Beibehaltung des geltenden Verjährungsrechts verantwortet werden kann. Nach meiner Erfahrung dürfte die Entdeckung neuer Sachverhalte mit der Folge strafrechtlicher Verurteilung zwar nicht ausschließbar, aber nahezu ausgeschlossen sein. Aller Voraussicht nach wird ein berechtigtes Sühnebedürfnis nicht mehr gestillt werden können. Daher halte ich es aus meiner Sicht nicht für erträglich, Zeugen, die Schwerstes erlitten und durchlitten haben, den Lasten und Beschwernissen, ja den Qualen von Vernehmungen über die gegebenen Unumgänglichkeiten hinaus auszusetzen. Daß nach Eintritt der Verjährungsfrist unentdeckte NS-Mörder sich ihrer Untaten öffentlich rühmen könnten, ist eine theoretische Möglichkeit, hat aber mit der Verjährungsproblematik nichts zu tun. Für schon Abgeurteilte oder außer Verfolgung gesetzte NS-Täter sind eher Stichworte wie „Leugnen", „Verkleinern", „Es war eben Krieg" und in Einzelfällen auch Reue kennzeichnend. Eine Neigung zu öffentlicher Erörterung dieser Vergangenheit besteht bei diesem Tätertyp nach den bisherigen Erfahrungen hingegen kaum. Für die Zukunft muß eine stetig zunehmende Zahl von Fehlbeurteilungen der Strafverfolgungsorgane befürchtet werden. Das wird für die schon anhängigen Verfahren unumgänglich sein. Die Gründe lie- 13316* .Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 3. Juli 1979 gen durchweg in der Beweisnot der Gerichte und Staatsanwaltschaften. Die Aufhebung der Verjährungsfrist hätte zur Folge, daß zu allen neuen Vorgängen materielle Entscheidungen über Schuld oder Unschuld erforderlich würden. Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß diese durchweg Einstellungsverfügungen und Freisprüche sein werden. Ich hielte das für bedrückend, weil mit diesen staatlichen Akten, deren Qualität nicht anders ausfallen kann und wird, Geschichtslegenden gebildet und unterstützt werden können. Aus meiner Sicht ist daher das aus dem geltenden Recht folgende Offenhalten der strafrechtlichen Schuldfrage nach Ablauf der Verjährungsfrist auch der politische richtige Weg. Ich weiß, daß diese Überlegungen nur einen Teil der Fragen und Bedrängungen ausmachen. Für mich sind sie entscheidend. Eine neue gesetzliche Regelung muß sich auch an ihren Möglichkeiten und Grenzen messen lassen. Dem Anspruch der Opfer, der Betroffenen auf sühnende Gerechtigkeit kann nicht über eine Ausweitung des Verjährungsrechts Genüge geschehen. Ich meine, daß dies auszusprechen auch zur parlamentarischen Verantwortlichkeit gehört. Ich wage es daher, nein zu sagen.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Ingrid Matthäus-Maier


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich meine, daß Mord, der zugleich die Voraussetzungen des Völkermords oder der Kriegsverbrechen nach dem Genfer Abkommen von 1949 erfüllt, nicht verjähren darf. Ich glaube, daß dafür in erster Linie internationale Verpflichtungen maßgeblich sind.
    Nicht nur die UNO-Konvention über die Nichtverjährung von Völkermord und Kriegsverbrechen aus dem Jahre 1968, sondern auch Art. 7 der Menschenrechtskonvention von 1948 sowie das Abkommen des Europarats über die Unverjährbarkeit von Kriegsverbrechen aus dem Jahre 1974 sehen solches vor.
    Meine Damen und Herren! Ich darf kurz aus dieser Europäischen Konvention von 1974 zitieren. Es heißt dort:
    Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um sicherzustellen, daß die Verjährung für die Verfolgung der folgenden Verbrechen nicht gilt ...
    Dann sind die Verbrechen des Völkermordes und Kriegsverbrechen genannt. Es heißt dort weiter:
    Es
    — nämlich dieses Übereinkommen —
    gilt auch für Verbrechen, die vor diesem Inkrafttreten begangen worden sind, wenn die Verjährungsfrist zu der Zeit nicht abgelaufen war.
    Meine Damen und Herren, bei dieser Aufforderung aus dem Jahre 1974 ist es nicht geblieben, sondern das Europäische Parlament hat erst Anfang dieses Jahres seine Aufforderung wiederholt, dem Übereinkommen von 1974 auch tatsächlich beizutreten. Es hat seine Enttäuschung darüber zum Ausdruck gebracht, daß das noch nicht von ausreichend vielen Staaten getan worden ist, und gefordert, daß möglichst viele Staaten dies nachholen sollten und daß alle politischen und juristischen Vorkehrungen zu treffen sind, um eine Verjährung in diesen Fällen nicht eintreten zu lassen. Das ist die internationale Situation, in der wir in der Bundesrepublik Deutschland stehen.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Ohne rechtliche Verpflichtung!)

    Diese internationalen Aufforderungen gehen auch nicht ins Leere, denn mittlerweile ist ja nicht mehr streitig, daß mit größter Wahrscheinlichkeit, ja, mit Sicherheit nach einem Ablauf der Verjährung Ende dieses Jahres neue Täter bekannt würden mit neuen Taten oder doch an Tatkomplexen beteiligt, die wir bereits kennen. Von daher meine ich, daß wir sowohl juristisch als auch politischmoralisch verpflichtet sind, entsprechend diesem Übereinkommen im Bundestag tätig zu werden und die Verjährungsfrist Ende dieses Jahres nicht ablaufen zu lassen. '
    Ich glaube, daß nur eine wirklich gewichtige Gegenposition eingenommen werden kann, nämlich die, die vor etwa zehn Jahren von Thomas Dehler eingenommen wurde mit, wie ich finde, damals sehr überzeugenden Argumenten. Er führte nämlich aus, daß die Verjährungsfrist aus rechtlichen Gründen nicht nachträglich aufgehoben werden sollte. Ich meine aber, daß im Laufe der Zeit dieser Argumentation von Thomas Dehler die Grundlage entzogen worden ist. Zum einen deswegen, weil das Bundesverfassungsgericht entschieden hat, daß die rückwirkende Aufhebung der Verjährungsfrist verfassungsrechtlich zulässig ist. Das heißt: Schon for-malrechtlich ist die Position, die Thomas Dehler — damals für mich überzeugend — dargestellt hat, heute nicht mehr gültig. Zum anderen meine ich, daß auch inhaltlich nicht richtig ist, was immer wieder gesagt wird: daß nämlich das Institut der Verjährung ein Kernstück liberaler Rechtspolitik



    Frau Matthäus-Maier
    sei. Ich halte die Verjährung für ein bloßes Verfahrensinstrument, ein Instrument, von dem bekannt ist, daß es im Laufe der Geschichte und in den verschiedenen Staaten — auch Staaten, die uns politisch nahestehen — höchst unterschiedlich gehandhabt worden ist. Schon von daher kann es sich meiner Ansicht nach gar nicht um ein Kernstück liberaler Rechtspolitik handeln.
    Außerdem glaube ich, daß all die für eine Verjährung immer herangezogenen Argumente bei der vorliegenden Diskussion, nämlich der Verjährung von NS-Verbrechen oder, wie wir es juristisch formuliert haben, der Verjährung für Mord, der zugleich den Tatbestand des Völkermordes erfüllt, nicht zum Tragen kommen:, Gesichtspunkte wie Beweisschwierigkeiten nach einer dreißigjährigen Frist, als unangemessen empfundene Freisprüche, Schutz der Rechtspflege vor Überforderung nach einer so langen Zeit, Bedürfnis nach Rechtsfrieden oder das angebliche Fehlen eines Bedürfnisses nach Strafverfolgung. All dies kann meiner Ansicht nach für eine Verjährung in diesen Fällen nicht vorgetragen werden.
    In der Öffentlichkeit wird leider zu oft eine falsche Alternative aufgestellt. Hier geht es nicht um die Alternative, daß Ende dieses Jahres bei einem Ablauf der Verjährungsfrist ein Ende der NS-Prozesse eintritt, also ein Ende der Beweisschwierigkeiten in solchen Prozessen oder ein Ende der als unangemessen empfundenen Freisprüche. Nein, alle diese Prozesse gehen ja weiter; wir werden auch bei einem Ablauf der Verjährungsfrist noch jahrelang, möglicherweise jahrzehntelang NS-Prozesse haben. Die deutsche Justiz tut alles, um noch in möglichst vielen Fällen Verjährungsunterbrechung herbeizuführen. Das heißt, man bemüht sich ausdrücklich darum, daß auch nach einem möglichen Ablauf der Verjährungsfrist möglichst viele Prozesse stattfinden können.
    Wenn das so ist, geht es aber gar nicht um das Problem, daß nach dem 31. Dezember dieses Jahres Schluß wäre, sondern die Alternative stellt sich ganz anders. Wenn wir nämlich die Verjährung nicht aufheben, werden wir, wie ich finde, nach purem Zufall — je nachdem, ob eine Verjährungsunterbrechung eingetreten ist oder nicht — die einen Täter auf der Anklagebank und die anderen im Zuschauerraum sitzen haben. Das ist doch die Alternative, die wir nach Ende dieses Jahres haben werden, und diese Alternative halte ich nun für unerträglich. Ich glaube, daß auch kein Bürger draußen eine solche Ungleichbehandlung von doch gleichen Tätern mit gleichen Tatkomplexen verstünde; im Gegenteil, ich sähe es als eine unerträgliche Belastung der noch laufenden NS-Prozesse an, wenn auf Grund solcher Zufälligkeiten in der Frage „Verjährungsunterbrechung, ja oder nein?" eben die einen auf der Anklagebank und die anderen im Zuschauerraum säßen. Dies alles führt meiner Ansicht nach dazu, daß die Verjährung für solche Verbrechen aufgehoben werden muß.
    Auf der anderen Seite bin ich nicht der Ansicht, daß wir aus diesen Gründen die Verjährung für Mord generell aufzuheben haben. Es ist bereits
    mehrfach darauf hingewiesen worden, daß die Debatten heute, am 29. März und auch in den letzten Jahren, als wir über die Verjährung gesprochen haben, aus einem einzigen Grunde geführt worden sind. Es ging — vom konkreten Anlaß her — nie um die Frage der generellen Aufhebung der Verjährung; Anlaß war immer das Problem der NS-Verbrechen, bei denen sonst die Verjährung eingetreten wäre. Das ist der eine Grund.
    Der zweite Grund ist dieser: Ich glaube, daß Völkermord — dies ist in der ersten Lesung wie auch heute schon mehrfach gesagt worden — eine andere Qualität hat als Mord aus privaten Motiven.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Das ist nicht bestritten!)

    Es handelt sich bei Völkermord um organisierte Massenmordverbrechen, die — das ist wichtig — unter Ausnutzung des staatlichen Herrschaftsapparates — denn sonst hätten sie überhaupt nicht geschehen können — gegen ganze Bevölkerungsgruppen begangen worden sind. Dies hat eine andere Dimension als sonstige Mordtaten, eine andere Dimension nicht nur von der Zerstörungsdimension her — hier sind ja Millionen von Menschen umgebracht worden —, sondern auch von der Zielrichtung her; denn hier geht es um das Negieren des Existenzrechts ganzer Gruppen. Deswegen haben wir ja auch internationale Regelungen, die eine solche Zerstörung ganzer Gruppen unter Strafe stellen und uns auffordern, ihre Verjährung nicht eintreten zu lassen.
    Auch das geltende Strafrecht sieht — das kommt leider in der Diskussion zu kurz — diese Differenzierung vor. Wir haben doch schon heute in § 220 a des Strafgesetzbuches einen Sondertatbestand, der neben dem § 211, dem Mordparagraphen, existiert. Dieser Sondertatbestand des Völkermordes ist im Jahre 1954 eingeführt worden. Wir haben 1969 die Verjährung für Völkermord aufgehoben, und zwar nicht nur im Blick auf zukünftigen Völkermord, sondern auch rückwirkend bis zum Jahre 1954, also bis zur Einführung dieses Tatbestandes. Es fehlt im Grunde nur ein einziger Schritt, und dieser Schritt wird in dem Änderungsantrag, den wir hier in zweiter Lesung vorlegen, vorgesehen. Es ist der Schritt, die weitergehende Rückwirkung für den Völkermordtatbestand vorzusehen, und zwar insoweit, als es um Taten geht, die zugleich den Mordtatbestand erfüllen, um Taten, die vor 1954 — bis zurück in die NS-Zeit — geschehen sind. Ich meine also, daß unser bundesrepublikanischer Gesetzgeber diese Besonderheit des Völkermordes, die hier immer wieder bestritten worden ist, selber eingeführt hat und daß es nur konsequent ist, wenn wir, einerseits internationalen Verpflichtungen folgend und andererseits dem deutschen Gesetzgeber folgend, eine Regelung vorsehen, wie der sogenannte Maihofer-Entwurf sie empfiehlt.
    Ich glaube, daß wir, wenn wir die Verjährung für Mord generell aufheben, diesen qualitativen Unterschied zwischen Mord und Völkermord unzulässig und unverhältnismäßig verwischen. Heute morgen wurden einmal die Lehrer kritisiert, daß sie den Kindern und Jugendlichen in der Schule die au-



    Frau Matthäus-Maier
    ßerordentliche Dimension solcher Taten aus unserer jüngsten Geschichte zuwenig nahebringen. Ich kann nur zurückfragen: Wie sollen die Lehrer den Kindern nahebringen, daß die Völkermordverbrechen des Dritten Reiches etwas Außergewöhnliches sind, wenn wir diese Verbrechen bei der Verjährungsfrage nicht auch außergewöhnlich behandeln? Ich meine, daß diese unterschiedliche Qualität in der Verjährungsfrage zum Ausdruck kommen muß.
    Ich bin in den zurückliegenden Monaten von Kollegen, die anderer Ansicht als ich sind, mehrfach gefragt worden: Wie rechtfertigen Sie eigentlich eine unterschiedliche Verjährungsregelung für z. B. den grausamen Mord an einem Kind im Jahre 1979 auf der einen Seite und für die Morde an jüdischen oder polnischen Kindern im KZ auf der anderen Seite? Ist denn das Leben all dieser Kinder nicht genausoviel wert? Die Antwort kann selbstverständlich nur sein: Das Leben all dieser Kinder ist genausoviel wert, und sicher ist auch das Mitgefühl für die Opfer und für die Angehörigen in beiden Fällen genauso vorhanden. Aber ich meine, daß zwei Gründe dagegen sprechen, die Verjährung in diesen Fällen gleichzubehandeln.
    Der erste Grund ist — wenn Sie so wollen — mehr praktischer Natur. Das Problem einer Verjährungsfrist hat sich in den erstgenannten Fällen in der Praxis noch nicht gestellt. Es gibt in der gesamten Geschichte des Strafrechts und des Strafprozeßrechts nicht einen einzigen Fall — ich habe mich bei den zuständigen Fachleuten erkundigt —, wo nach Ablauf der Verjährungsfrist ein Täter aufgetaucht ist, von dem ein Mord bekannt geworden ist oder der sogar von sich aus gesagt hat, er habe vor 20, 30 Jahren jemanden umgebracht, und der dann wegen Ablauf der Verjährung nicht mehr hätte verfolgt werden können. Daher ist diese an uns gestellte Frage nicht tatsächlich akut. Wenn dies in der Praxis noch nie vorgekommen ist und nichts dafür spricht, daß es in Zukunft vorkommen wird, besteht keine Notwendigkeit dafür, von dem ansonsten bewährten Prinzip der Verjährung auch für solche Fälle generell abzugehen.
    Der zweite Grund ist grundsätzlicher Natur. Es besteht nämlich zwischen den beiden genannten Fällen nicht beim Opfer und auch nicht bei den Angehörigen, wohl aber in der Bewertung der Täter und der Taten ein erheblicher Unterschied. Ich glaube nämlich, daß die Hemmschwelle bei Völkermordverbrechen — das hat das Dritte Reich gezeigt — oft geringer als bei anderen Morden war. Das war deswegen so, weil es sich um Verbrechen handelte, die vom Regime gutgeheißen worden sind, hinter denen ein Staat mit einer Staatsideologie stand, zu der es gehörte, daß das Recht und die Pflicht bestand, bestimmte Gruppen in diesem Lande auszumerzen, weil es sich bei ihnen angeblich um „unwertes Leben" handelte. Ich glaube, daß dies der Grund dafür ist, daß es im Dritten Reich Täter gab, die an den schrecklichsten Morden und Völkermorden beteiligt waren, die aber privat als liebenswürdige Familienväter geschildert werden. Zu Hause haben sie wie andere gelebt, aber im KZ
    waren sie bereit, die tödliche Spritze zu setzen oder an der Rampe mit einem einfachen Handzeichen über Tod und Leben zu entscheiden.

    (Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU] : Wie sollen die bestraft werden?)

    Ich meine, wenn es so etwas gibt, wenn sich bei solchen Völkermordverbrechen die Täter hinter der Ideologie verschanzen, müssen besondere Barrieren aufgerichtet werden. Das ist der Grund dafür, daß uns das internationale Recht eine besondere Ahndung solcher Verbrechen vorschreibt.

    (Broll [CDU/CSU] : Soll das abschreckend wirken?)

    — Ja! — Die generalpräventive Wirkung der Strafe steht bei diesen Verbrechen ganz entscheidend im Vordergrund. Herr Maihofer hat darauf hingewiesen, daß es das Problem der individuellen Resozialisierung bei vielen NS-Tätern in der Tat nicht gibt. Deswegen muß hier die generalpräventive Wirkung im Vordergrund stehen.

    (Broll [CDU/CSU] : Wenn aber Todesstrafe nicht wirkt, wie soll dann dieses wirken?)

    Lassen Sie es mich so formulieren: Niemand, der sich, in welchem Land und unter welcher Ideologie auch immer, an Völkermordverbrechen beteiligt, darf darauf hoffen können, daß er nach dem Wechsel des Regimes und einem Aufenthalt von 20 oder 30 Jahren im Ausland dann in seine Heimat zurückkehren kann, ohne für seine Mordtaten zur Rechenschaft gezogen zu werden. Ich meine, daß dies die eigentliche Logik, der eigentliche Sinn unseres Antrags ist. Dieser Sinn würde aber verwischt werden, wenn die Mordverjährungsfrist generell aufgehoben werden würde.
    Lassen Sie mich ein letztes sagen: In der heutigen Debatte ist unser Antrag mehrfach als Versuch des Ausgleichs oder des Kompromisses aufgefaßt worden. Ich sehe unseren Antrag nicht so. Wir hatten nicht die Absicht, zwischen unvereinbaren Vorstellungen, nämlich hier Ablauf der Verjährung, dort Abschaffung der Verjährung, einen Kompromiß um des Kompromisses willen zu finden. Wir meinen, daß von der Sache her, von der internationalen Verpflichtung her und von der unterschiedlichen Qualität von Mord einerseits und Völkermord andererseits her die differenzierende Lösung die eigentlich sachgemäße ist, für die wir um Unterstützung in diesem Hause bitten. Ich glaube zwar nicht, daß wir damit, wie es immer wieder beschworen worden ist, die Vergangenheit bewältigen können. Aber ich glaube, daß die Aufhebung der Verjährung für Mord, der zugleich Völkermord darstellt, eine notwendige Voraussetzung für die Bewältigung der Vergangenheit ist.

    (Beifall bei der FDP)



Rede von Dr. Richard von Weizsäcker
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Lenz.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Carl Otto Lenz


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!



    Dr. Lenz (Bergstraße)

    Lassen Sie mich bitte im Anschluß an die Beratungen des Rechtsausschusses einige verfassungsrechtliche Bemerkungen zu dem Thema unserer Debatte machen.
    Das der Aufhebung der Mordverjährung zugrunde liegende Anliegen, nach mehr als 35 Jahren gegen heute noch nicht bekannte Täter Ermittlungs-und Strafverfahren durchzuführen, bedeutet nach meiner Auffassung eine Überforderung der Rechtspflege. Trotz intensiver, kontinuierlicher Bemühungen der Strafverfolungsbehörden können heute bestenfalls noch Zufallsergebnisse erzielt werden. So sind z. B. im Jahre 1977 nur sieben Angeklagte verurteilt worden. Demgegenüber wurden im gleichen Zeitraum 2 709 Verfahren ohne Bestrafung der Angeklagten oder Beschuldigten abgeschlossen. Meine Damen und Herren, das ist Justiz im Lotterieverfahren. Derartiges kann nicht in Ordnung sein.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Das ist verfassungsrechtlich bedenklich. Denn den Gesetzen muß eine Ausführbarkeit im Sinne ihrer grundsätzlichen und gleichmäßigen Anwendbarkeit zu eigen sein. So hat uns Professor Böckenförde im Rechtsausschuß gesagt. Insofern hat also die praktische Durchführung eines Gesetzes im Hinblick auf den Gleichheitssatz verfassungsrechtliche Bedeutung.
    Wir alle wissen, daß der Hauptansatzpunkt, das Hauptanliegen des Gesetzes die Verhinderung der möglichen Verjährung von NS-Verbrechen sein soll. Deswegen soll die Verjährung von Mord im allgemeinen — so wollen es die meisten SPD-Abgeordneten und einige Kollegen aus der CDU/CSU-und der FDP-Fraktion — aufgehoben werden. Auch das ist ein verfassungsrechtlich problematischer Vorgang. Professor Frowein hat uns im Rechtsausschuß gesagt, so wie sich ihm die Frage stelle, stoße es auf verfassungsrechtliche Bedenken, wenn man in einer Situation, in der Anlaß für die Aufhebung der Verjährung ein ganz klar umgrenzter Tatkomplex sei, wegen gewisser Schwierigkeiten — unter Umständen vielleicht der Formulierung — zu einer Lösung greife, von der man genau wisse, daß sie eine Vielzahl von Taten erfasse, die man niemals einer Neuregelung zuführen würde, wenn es nicht die anderen Fälle gäbe.
    Wir haben ja alle von der Tatsache Kenntnis genommen, daß weder bei den Beratungen zur Strafrechtsreform noch bei den Beratungen über eine schwerere Bestrafung von terroristischen Gewalttätern auch nur einem einzigen von uns hier in diesem Saal der Gedanke gekommen ist, hier etwa die Verjährung aufzuheben oder die Verjährungsfristen zu verlängern.

    (Beifall bei der CDU/CSU) Professor Frowein ist dann fortgefahren:

    ... man kann nicht bestreiten, daß die Verjährung auch eine Vergünstigung für den Täter ist, und es erhebt sich die Frage, ob es richtig ist, diese Vergünstigung für die Zukunft nunmehr auch für Bereiche aufzuheben, in denen
    ein Anlaß dazu für den Gesetzgeber ... überhaupt nicht besteht.
    Frowein kam zwar nicht zu dem Ergebnis, das vorliegende Gesetz sei verfassungswidrig. Aber er hat ebenfalls bestätigt, daß das eine Frage von verfassungsrechtlicher Bedeutung sei.
    Hier setzt nun die Regelung ein, die in diesem Hause von Herrn Kollegen Maihofer, unserem Kollegen Helmrich und auch von meiner Vorrednerin vertreten worden ist. Wir haben uns mit dieser Frage im Rechtsausschuß sehr ausgiebig beschäftigt. Die gegen diese Lösung erhobenen Bedenken sind im Bericht des Rechtsausschusses eingehend dargestellt.
    Ich möchte diese Gelegenheit benutzen, den Kollegen Emmerlich und Erhard sehr herzlich dafür zu danken, daß sie bei der Fertigstellung des Berichts die äußersten Anstrengungen unternommen haben; denn es ist noch keine Woche her, daß wir die Beratungen im Rechtsausschuß abgeschlossen haben. Sie standen — das möchte ich ganz freimütig sagen — gegen Abschluß der Beratungen unter einem gewissen Zeitdruck. Wir haben uns im allgemeinen für Berichte dieser Bedeutung Fristen von mehreren Wochen bis zur Fertigstellung gegönnt. Daß die Kollegen es möglich gemacht haben, heute die Entscheidung zu treffen, verdient unseren Dank und unsere Anerkennung.

    (Beifall)

    Mein Dank schließt auch die Mitarbeiter ein, die mit zu dem Ergebnis beigetragen haben.
    Von den vorgetragenen Bedenken gegen den Vorschlag der Kollegen Maihofer, Helmrich und Frau Matthäus-Maier scheint mir das Argument von Herrn Professor Böckenförde, unterschiedliche Verjährungsregelungen seien nur dann zu vertreten, wenn der Unrechtsgehalt der individuellen Taten unterschiedlich sei, von großer Bedeutung zu sein. Böckenförde sagt: Man kann nicht einfach klassifizieren: hier Staatsverbrechen, hier Privatverbrechen, sondern man muß sich schon, wie es das Strafrecht überhaupt tut, an der Schuld des Täters orientieren.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

    In diesem Zusammenhang möchte ich das Hohe Haus und auch die deutsche Öffentlichkeit auf die in meinen Augen sehr beachtlichen Ausführungen hinweisen, die der Kollege Erhard am 30. Mai 1979 in der Sitzung des Rechtsausschusses zu diesem Thema gemacht hat. — Sie sind für jeden zugänglich, der sich dafür interessiert, Frau Kollegin. — Er hat dabei die Frage aufgeworfen und einzeln durchbuchstabiert — dekliniert — konjugiert — wie Sie wollen —, ob einem, der damals — häufig gezwungenermaßen, ohne andere Wahl — die Uniform der SS anziehen mußte und dann vielleicht wegen eines körperlichen Gebrechens, weil er nicht voll felddiensttauglich war,

    (Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU] : Oder nach Verwundung!)




    Dr. Lenz (Bergstraße)

    zu einer solchen Bewachungsmannschaft abkommandiert wurde, tatsächlich vorgeworfen werden könne, daß er unter dem Einfluß dieser Umgebung die nationalsozialistische Ideologie aufgenommen — was für den Mordvorsatz ja ausreicht — bzw. unter dem Einfluß von Befehl und Gehorsam sowie dieser Ideologie die Taten begangen habe, deren Nichterfüllung ihm damals ebenfalls vorgeworfen worden wäre. Hier muß man versuchen, Gerechtigkeit gegenüber jedermann walten zu lassen, auch wenn es schwerfällt, auch wenn Täter und Tatumstände besonders abscheulich sind und wir mit den Opfern besonderes Mitleid haben.
    Im übrigen haben der Präsident des Bundesgerichtshofs, Dr. Pfeiffer, sowie die Generalstaatsanwälte Dr. Ulrich und Geißel den Vorschlag unserer beiden Kollegen wegen der Umgehung des Rückwirkungsverbots des Art. 103 Abs. 2 des Grundgesetzes kategorisch für verfassungswidrig erklärt, jenes Grundsatzes, der unter dem Namen nulla poena sine lege bekannt ist. Ich möchte für meine Freunde und für mich zu diesem Punkte sagen, was ich schon vor einigen Wochen hier feststellen durfte: Wir wollen NS-Mörder nicht anders behandeln als andere Mörder. Wir wollen für sie keine Ausnahme machen, weder im entschuldigenden noch im belastenden Sinne.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Ich habe mich gefreut, daß in diesem Punkte auch mit zahlreichen Kollegen der SPD im Rechtsausschuß durchaus Übereinstimmung bestand. Wir sind vielleicht in den Lösungen auseinander. Aber die Beratungen haben doch — das muß ich feststellen — ein bemerkenswertes Maß an Übereinstimmung in rechtspolitischen Grundauffassungen gezeigt, was ich nicht verdeckt sehen möchte durch eine möglicherweise kontroverse Entscheidung in dieser Frage heute. Gestatten Sie mir auch zu sagen, daß die Beratungen des Rechtsausschusses in einem Klima gegenseitigen Respekts, der Sachlichkeit und der Rücksichtnahme stattgefunden haben, das ich allen Gremien dieser Republik zu allen Zeiten wünsche.
    Meine Damen und Herren, nicht nur die Möglichkeit, den Täter nach mehr als 30 Jahren der Tat zu überführen, ist begrenzt, sondern auch die Chancen, jeden NS-Täter seiner gerechten Strafe zuzuführen. Nicht wenige Hauptverantwortliche können .heute aus den verschiedensten Gründen nicht mehr verfolgt werden, obwohl ihre Schuld oft wesentlich größer ist als die Schuld derer, die unter ihnen gedient haben und die heute vor den deutschen Gerichten stehen. Ich denke besonders an die schon mehrfach erwähnten, von den Alliierten verurteilten und bald darauf begnadigten NS-Verbrecher, die auf alliierten Wunsch einer erneuten Überprüfung durch die deutsche Justiz entzogen worden sind. Ich denke auch an die vielen, die 1969 durch die Änderung des Strafgesetzbuches — des § 50 Abs. 2; für die Spezialisten — aus der Bestrafung herausgefallen sind, weil der Bundesgerichtshof dieser neuen Vorschrift eine Auslegung gegeben hat, die für viele überraschend war. Derartige Ungleichheiten sind in einem Rechtsstaat
    schwer zu vertreten. Die Bundesrepublik Deutschland ist aber von Verfassungs wegen ein Rechtsstaat. Auch aus diesen Gründen gibt es hier verfassungsrechtliche Bedenken gegen die vorgeschlagene Regelung.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Der Deutsche Bundestag hat sich mit der Verjährungsfrage 1953, 1960, 1965 und 1969 beschäftigt. Dabei hat er sich im Gegensatz zu dem, was der Herr Kollege Vogel (München) heute morgen hier gesagt hat, zur Beibehaltung des Instituts der Verjährung auch bei NS-Verbrechen bekannt. Eine nochmalige Änderung ist dem Rechtsempfinden nicht förderlich. Das gilt selbst dann, wenn man die Einmaligkeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in der deutschen Geschichte berücksichtigt. Ich habe sie in der ersten Lesung hier als die Herrschaft des Verbrechens bezeichnet.
    Leider haben Kriegsverbrecherprozesse und die versuchte internationale Prävention nicht dazu geführt, daß weitere Verbrechen dieser Art und vergleichbaren Ausmaßes unterblieben sind. Wir brauchen nur unsere Blicke auf Ostasien zu richten. Dort wird in unseren Tagen der Tatbestand des § 220 a des Strafgesetzbuches, des Völkermordparagraphen, verwirklicht. Dort wird nämlich eine durch ihr Volkstum bestimmte Gruppe, nämlich die in Vietnam lebenden Chinesen, unter Lebensbedingungen gestellt, die geeignet sind, die körperliche Zerstörung dieser Gruppe ganz oder teilweise herbeizuführen. Und nirgendwo erhebt sich ein Kläger und stellt die Täter vor Gericht!

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

    Völkerstrafrecht wird nach der bisherigen Erfahrung der Weltgeschichte nur an den Besiegten geübt. Deswegen habe ich auch große Zweifel, ob die von Herrn Kollegen Maihofer hier verfolgten Ziele der völkerrechtlichen Prävention erreicht werden können. Deshalb sollte es keine weitere Änderung unseres Verjährungsrechts geben.
    Meine Damen und Herren, lassen Sie mich in diesem Zusammenhang sagen, daß ich auf eine strafrechtliche Würdigung des Verhaltens derjenigen Länder, die diese Flüchtlinge an ihren Küsten nicht landen lassen, sondern auf zerbrechlichen Fahrzeugen wieder ins Meer hinausschicken, ausdrücklich verzichten möchte. Rühmen möchte ich nur die englische Kronkolonie Hongkong, die trotz entsetzlicher Überfüllung ihrem humanitären Auftrag gerecht wird. Die dortige Kolonialregierung und die britische Regierung, unter deren Verantwortung dies geschieht, verdienen hierfür unsere besondere Anerkennung.

    (Beifall bei allen Fraktionen)

    Vielleicht ist dies auch ein Beispiel, das wir nachahmen sollten. Es ist schon gesagt worden, Kollege Sieglerschmidt: „Charity begins at home." Vielleicht können wir alle miteinander darüber nachdenken, ob wir nicht viel mehr in diesem Zusammenhang tun können.



    Dr. Lenz (Bergstraße)

    Der Deutsche Bundestag ist aufgerufen, in die Kontinuität des 1., des 3., des 4. und des 5. Deutschen Bundestages zu treten und sich für die Beibehaltung der Verjährung auszusprechen. Daß Kollegen, die damals mitgewirkt haben, heute für eine weitere Änderung des Verjährungsrechts eintreten, ist für mich persönlich ein schwer verständlicher Vorgang.

    (Zuruf des Abg. Josten [CDU/CSU])

    — Ist für mich, Herr Kollege Josten, ein schwer verständlicher Vorgang. Rechtsordnung ist mehr als eine Summe von Entscheidungen, die unter dem Gesichtspunkt der Zweckmäßgkeit vorgenommen werden, auch der höchsten Zweckmäßigkeit. Eine Rechtsordnung lebt von der Beständigkeit ihrer Entscheidung in grundsätzlichen Fragen. Eine nochmalige Änderung unseres Verjährungsrechts würde — ich zitiere Professor Böckenförde — das Vertrauen in die Konsistenz ausführlich diskutierter und als generelle Regelung konzipierter gesetzgeberischer Akte beeinträchtigen. Dieses Vertrauen — so sagt Böckenförde, ein Sozialdemokrat — wird durch die jetzigen Vorschläge enttäuscht. Darin liegt für ihn ein weiteres verfassungsrechtliches Bedenken.
    Die Kernfrage ist jedoch, ob die Aufhebung der Mordverjährung im Jahre 1979 für Taten, die vor 1945 begangen worden sind, nicht gegen das Rückwirkungsverbot des Grundgesetzes verstößt. Die Ieidenschaftlichen Plädoyers des Herrn Präsidenten des Bundesgerichtshofes und der beiden Generalstaatsanwälte, die der Rechtsausschuß angehört hat, gegen eine Umgehung des Rückwirkungsverbots in Form des Vorschlages des Kollegen Maihofer zwingen zu der Frage, ob man sich einfach auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1969 zurückziehen und sagen kann: Damit ist dieses Problem ein für allemal geregelt. Das ist nicht der Fall. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner bekannten, schon oft heute zitierten Entscheidung in Leitsatz 2 folgendes ausgeführt — ich zitiere wörtlich :
    Verjährungsvorschriften regeln, wie lange eine für strafbar erklärte Tat verfolgt werden kann. Sie lassen die Strafbarkeit der Tat unberührt. Verjährungsvorschriften unterliegen daher nicht dem Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 des Grundgesetzes.
    Für die Anhänger der Aufhebung der Verjährung ist jedoch eine besondere Sanktion zur Verdeutlichung der Verwerflichkeit der schwersten Tötungsdelikte unverzichtbar und gegeben, wenn die Rechtsordnung die Verletzung des höchsten Rechtsgutes durch Mord von der Verjährung ausnimmt. — Meine Damen und Herren, das steht so in einer der Drucksachen, über die wir heute diskutieren. Das ist nicht mein Argument. Das ist ein Argument derjenigen, die die Aufhebung der Verjährung fordern.
    Diese beiden Thesen, die des Bundesverfassungsgerichts und die derjenigen, die sich zur Rechtfertigung ihrer Vorlage auf das Verfassungsgericht berufen, stehen sich aber diametral entgegen. Für die Anhänger der Unverjährbarkeit des Mordes hat
    diese Strafcharakter. Damit fiele sie aber unter das Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 des Grundgesetzes.
    Unser Kollege Graf Stauffenberg hat hier am 29. März gesagt: Die Unterscheidung zwischen materiellem Recht, das Rückwirkung ausschließt, und dem Verfahrensrecht, das Rückwirkung zuläßt, scheint mir persönlich immer noch zu formal zu sein. Denn das tatsächliche Ergebnis — so Stauffenberg — bleibt doch, daß mit der Aufhebung der laufenden Verjährungsfrist die tatsächliche Rechtsposition des Angeschuldigten rückwirkend verändert wird.
    Der Sachverständige Professor Böckenförde hat uns gesagt, wenn es das Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht gäbe, käme er zu dem Ergebnis, daß keine der beiden hier diskutierten Lösungen verfassungsrechtlich möglich sei.
    Meine Damen und Herren, angesichts dieser Häufung verfassungsrechtlicher Bedenken, die ich hier nicht in ihrer ganzen Vollständigkeit vortragen konnte, kann ich Bundestag und Bundesrat nur noch einmal mit dem Grafen Stauffenberg gemeinsam auffordern, mit großer Sorgfalt und äußerster Behutsamkeit an die Änderung dieses Gesetzes heranzugehen. Für mich steht gerade nach den eingehenden Anhörungen im Rechtsausschuß fest: Die einzige verfassungsrechtlich unbedenkliche Lösung ist die Beibehaltung der Verjährungsfrist auch für Mord.

    (Beifall bei der CDU/CSU)