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ID0816603600

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    6. Matthäus-Maier.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 8/166 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 166. Sitzung Bonn, Dienstag, den 3. Juli 1979 Inhalt: Abweichung von § 60 Abs. 2 GO bei der Beratung der Verjährungsvorlagen . . . 13233 A Eintritt des Abg. Besch in den Deutschen Bundestag für den ausgeschiedenen Abg Carstens (Fehmarn) 13290 A Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung . 13233 B Beratung des Bericht des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gradl, Katzer, Blumenfeld, Dr. Mikat, Dr. Biedenkopf, Josten, Dr. Müller-Hermann, Gerster (Mainz), Wohlrabe, Frau Dr. Riede (Oeffingen), Kittelmann, Breidbach, Frau Pieser, Luster, Reddemann, Schröder (Lüneburg), Dr. Pfennig, Frau Berger (Berlin), Stommel, Conrad (Riegelsberg), Dr. Stercken, Russe, Frau Dr. Wisniewski, Schartz (Trier) und Genossen Unverjährbarkeit von Mord zu der Entschließung des Europäischen Parlaments zur Unverjährbarkeit von Völkermord und Mord zu dem von den Abgeordneten Wehner, Ahlers, Dr. Ahrens, Amling, Dr. Apel und Genossen und den Abgeordneten Dr. Wendig, Gattermann, Frau Dr. Hamm-Brücher und Genossen eingebrachten Entwurf eines Achtzehnten Strafrechtsänderungsgesetzes — Drucksachen 8/2539, 8/2616, 8/2653 (neu), 8/3032 — in Verbindung mit Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Wehner, Ahlers, Dr. Ahrens, Amling, Dr. Apel und Genossen und den Abgeordneten Dr. Wendig, Gattermann, Frau Dr. Hamm-Brücher und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Achtzehnten Strafrechtsänderungsgesetzes — Drucksache 8/2653 (neu) — in Verbindung mit Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Gradl, Katzer, Blumenfeld, Dr. Mikat, Dr. Biedenkopf, Josten, Dr. Müller-Her- II Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 3. Juli 1979 mann, Gerster (Mainz), Wohlrabe, Frau Dr. Riede (Oeffingen), Kittelmann, Breidbach, Frau Pieser, Luster, Reddemann, Schröder (Lüneburg), Dr. Pfennig, Frau Berger (Berlin), Stommel, Conrad (Riegelsberg), Dr. Stercken, Russe, Frau Dr. Wisniewski, Schartz (Trier) und Genossen Unverjährbarkeit von Mord — Drucksache 8/2539 — in Verbindung mit Beratung der Entschließung des Europäischen Parlaments zur Unverjährbarkeit von Völkermord und Mord — Drucksache 8/2616 — Dr. Mertes (Gerolstein) CDU/CSU . . . . 13234 A Frau Dr. Däubler-Gmelin SPD . . . . 13239 B Kleinert FDP 13243 C Hartmann CDU/CSU 13247 C Dr. Vogel (München) SPD . . . . . . 13252 A Gattermann FDP . . . . . . . . . 13254 C Gerster (Mainz) CDU/CSU . . . . . . 13257 B Dr. Dr. h. c. Maihofer FDP . . . 13260 A, 13292 A Dr. Emmerlich SPD . . . . . . . 13265 B Helmrich CDU/CSU 13268 A Sieglerschmidt SPD 13269 C Frau Matthäus-Maier FDP . . . . . . 13272 B Dr. Lenz (Bergstraße) CDU/CSU 13274 D Dr. Weber (Köln) SPD 13277 D Ey CDU/CSU 13281 C Frau Dr. Hamm-Brücher FDP 13282 B Blumenfeld CDU/CSU 13285 C Cronenberg FDP 13287 B Dr. Bötsch CDU/CSU . . . . . . . . . 13288 A Erhard (Bad Schwalbach) CDU/CSU . . . 13294 B Dürr SPD 13296 C Engelhard FDP 13298 D Dr. Gradl CDU/CSU 13301 A Thüsing SPD 13303 A Dr. Wendig FDP 13305 D Namentliche Abstimmungen . . 13290 A, 13292 B, 13308 A, 13311 B Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zum Sechsten Gesetz zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes — Drucksache 8/3027 — Pfeifer CDU/CSU . . . . . . . . . . 13308 B Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zum Gesetz zur Neufassung des Umsatzsteuergesetzes und zur Änderung anderer Gesetze — Drucksache 8/3028 Westphal SPD 13309 B Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zum Gesetz zur Änderung des Gesetzes über technische Arbeitsmittel und der Gewerbeordnung — Drucksache 8/3029 — Jahn (Marburg) SPD 13313 B Nächste Sitzung 13313 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 13315* A Anlage 2 Erklärung des Abg. Dr. Penner (SPD) nach § 59 GO zu Punkt 1 der Tagesordnung . . 13315*A Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 3. Juli 1979 13233 166. Sitzung Bonn, den 3. Juli 1979 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordneter) entschuldigt bis einschließlich Dr. Arnold 4. 7. Bayha 4. 7. Dr. Böhme (Freiburg) 4. 7. Büchner (Speyer) * 4. 7. Dr. Dübber 3. 7. Dr. h. c. Kiesinger 4. 7. Koblitz 4. 7. Dr. Müller ** 4. 7. Picard 4. 7. Scheffler ** 4. 7. Frau Schlei 4. 7. Dr. Schmitt-Vockenhausen 4. 7. Spilker 4. 7. Volmer 4. 7. Walkhoff 4. 7. Dr. Wulff 4. 7. Anlage 2 Erklärung des Abgeordneten Dr. Penner (SPD) nach § 59 GO zu Punkt 1 der Tagesordnung Ich stimme einer angestrebten Aufhebung der Verjährungsfrist für Mord nicht zu. Ich bin der Meinung, daß sich das abgestufte System der Verjährungsfristen im Strafgesetzbuch, in das auch schwerste Straftaten wie Mord einbezogen sind, bei allen eingeräumten Unzulänglichkeiten bewährt hat. Die zeitliche Begrenzung der staatlichen Verfolgungspflicht für Straftaten beruht auch auf der Erkenntnis, daß die Möglichkeiten der Wahrheitsfindung im Strafprozeß um so brüchiger und fragwürdiger werden, je mehr Zeit zwischen Tat und Ahndung verstrichen ist. Ich halte es daher für richtig und auch geboten, wenn der Gesetzgeber diese Regelerfahrung gesetzlich absichert und damit den Strafverfolgungsorganen eine Pflicht abnimmt, der sie auch bei bestem Wollen und Können nicht gerecht werden können. Hinweise auf ausländische Rechtsordnungen und frühere deutsche und romanische Rechtsinstitute halte ich für bemerkenswert, aber für nur bedingt aussagekräftig, da bei einem Vergleich die gesamten Verfahrensordnungen mit allen Möglichkeiten und Hemmnissen besonders des Beweisrechts gegenüber gestellt werden müssen. Der Anlaß für die Initiative ist ebenso beklemmend wie säkulär. Es geht nicht einfach um eine Neufassung des Verjährungssystems, es geht um die Frage, ob besonders Mordtaten der NS-Zeit über gesetzliche Verjährungsvorschriften einer Strafverfolgung entzogen sein können oder nicht. Das Für und Wider ist in den bewegenden Debatten der 60er * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlagen zum Stenographischen Bericht Jahre und in den Diskussionen aus jüngster Zeit engagiert, behutsam und sorgfältig beleuchtet worden. Ich bin aber der Meinung, daß es statthaft sein darf, bei der Entscheidung auch berufsbedingte Erfahrungen miteinzubeziehen, die mehr die praktische Auswirkung der Gesetzesänderung betreffen. Ich neige mehr und mehr zu der Auffassung, daß der in den 60er Jahren beschrittene Weg der Ausdehnung der Verjährungsfristen nicht richtig gewesen ist. Dabei will ich nicht verschweigen, daß ich dies seinerzeit anders gesehen habe. Aber im Verlaufe einer beruflichen Tätigkeit, bei der ich mit der Verfolgung von NS-Gewaltverbrechen zu tun hatte, sind mir zunehmend Zweifel gekommen. Und das, obwohl die nazistische Wirklichkeit mit Genozid, mit Vernichtungs- und Konzentrationslagern, mit Massen- und Einzelmorden durch Akten und Zeugenaussagen erdrückend bestätigt wurde. Aber im Strafprozeß geht es nicht allein um Tatgeschehen, sondern auch um persönliche Verantwortung, um Schuld. Der Nachweis individueller Schuld war schon früher aus vielerlei Gründen kaum oder gar nicht möglich. Das ist auch nach der Erweiterung der Verjährungsfrist auf 30 Jahre noch problematischer geworden. Nicht nur statistische Hinweise geben darüber Aufschluß. Selbst das deutsch-französische Rechtshilfeabkommen des Jahres 1971, das die Verfolgungssperren des Überleitungsvertrages für deutsche Behörden lockerte, hat die strafrechtliche Bewältigung der Judendeportationen aus Frankreich nicht unterstützen können, wie man hört. Ich bin der Meinung, daß unter den gegebenen Umständen die Beibehaltung des geltenden Verjährungsrechts verantwortet werden kann. Nach meiner Erfahrung dürfte die Entdeckung neuer Sachverhalte mit der Folge strafrechtlicher Verurteilung zwar nicht ausschließbar, aber nahezu ausgeschlossen sein. Aller Voraussicht nach wird ein berechtigtes Sühnebedürfnis nicht mehr gestillt werden können. Daher halte ich es aus meiner Sicht nicht für erträglich, Zeugen, die Schwerstes erlitten und durchlitten haben, den Lasten und Beschwernissen, ja den Qualen von Vernehmungen über die gegebenen Unumgänglichkeiten hinaus auszusetzen. Daß nach Eintritt der Verjährungsfrist unentdeckte NS-Mörder sich ihrer Untaten öffentlich rühmen könnten, ist eine theoretische Möglichkeit, hat aber mit der Verjährungsproblematik nichts zu tun. Für schon Abgeurteilte oder außer Verfolgung gesetzte NS-Täter sind eher Stichworte wie „Leugnen", „Verkleinern", „Es war eben Krieg" und in Einzelfällen auch Reue kennzeichnend. Eine Neigung zu öffentlicher Erörterung dieser Vergangenheit besteht bei diesem Tätertyp nach den bisherigen Erfahrungen hingegen kaum. Für die Zukunft muß eine stetig zunehmende Zahl von Fehlbeurteilungen der Strafverfolgungsorgane befürchtet werden. Das wird für die schon anhängigen Verfahren unumgänglich sein. Die Gründe lie- 13316* .Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 3. Juli 1979 gen durchweg in der Beweisnot der Gerichte und Staatsanwaltschaften. Die Aufhebung der Verjährungsfrist hätte zur Folge, daß zu allen neuen Vorgängen materielle Entscheidungen über Schuld oder Unschuld erforderlich würden. Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß diese durchweg Einstellungsverfügungen und Freisprüche sein werden. Ich hielte das für bedrückend, weil mit diesen staatlichen Akten, deren Qualität nicht anders ausfallen kann und wird, Geschichtslegenden gebildet und unterstützt werden können. Aus meiner Sicht ist daher das aus dem geltenden Recht folgende Offenhalten der strafrechtlichen Schuldfrage nach Ablauf der Verjährungsfrist auch der politische richtige Weg. Ich weiß, daß diese Überlegungen nur einen Teil der Fragen und Bedrängungen ausmachen. Für mich sind sie entscheidend. Eine neue gesetzliche Regelung muß sich auch an ihren Möglichkeiten und Grenzen messen lassen. Dem Anspruch der Opfer, der Betroffenen auf sühnende Gerechtigkeit kann nicht über eine Ausweitung des Verjährungsrechts Genüge geschehen. Ich meine, daß dies auszusprechen auch zur parlamentarischen Verantwortlichkeit gehört. Ich wage es daher, nein zu sagen.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Hellmut Sieglerschmidt


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Kollege Mertes, ich nehme Ihre Erklärung mit Befriedigung zur Kenntnis. Aber lassen Sie mich hinzufügen: Die Schwierigkeit bei solchen Sätzen liegt darin, daß sie sich häufig sehr schnell selbständig machen und Beine bekommen; und dann weiß man nicht, was daraus wird. Dies wollte ich mit meiner Bemerkung gern zum Ausdruck bringen.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Davor ist niemand gesichert!)

    — So ist es.
    Die Welt schaut heute auf uns hier in diesem Plenum — auch wenn es leider nur mäßig besetzt ist —, und die Welt hört uns zu. Zu dieser Welt gehören unter anderem unsere Partner in den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft. Sie würden meiner Einschätzung nach insgesamt gesehen — da mag es auch verschiedene Stimmen ge- ben — wenig Verständnis dafür haben, wenn wir uns heute für ein Eintreten der Verjährung entscheiden würden. Ich weiß, wovon ich spreche, weil ich jener Debatte im Europäischen Parlament beigewohnt habe, die der Entschließung vorausging, die ebenfalls Gegenstand der Aussprache hier in diesem Haus ist.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Wir haben ähnliche Erfahrungen!)

    Vor allem haben wir bei dem, was wir hier zu beschließen haben, an die Jugend in unserem Land zu denken. Ihr müssen wir unsere Entscheidung ohne juristische Tüftelei vor dem Hintergrund unserer Geschichte erklären können.
    Was wir heute beschließen, gilt nicht nur für die Gegenwart. Es wirkt in die Zukunft hinein. Es hat Bedeutung für die nachfolgenden Generationen, vor denen wir zu verantworten haben werden, was wir nachher hier beschließen.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)



Rede von Dr. Richard von Weizsäcker
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat Frau Abgeordnete Matthäus-Maier.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Ingrid Matthäus-Maier


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich meine, daß Mord, der zugleich die Voraussetzungen des Völkermords oder der Kriegsverbrechen nach dem Genfer Abkommen von 1949 erfüllt, nicht verjähren darf. Ich glaube, daß dafür in erster Linie internationale Verpflichtungen maßgeblich sind.
    Nicht nur die UNO-Konvention über die Nichtverjährung von Völkermord und Kriegsverbrechen aus dem Jahre 1968, sondern auch Art. 7 der Menschenrechtskonvention von 1948 sowie das Abkommen des Europarats über die Unverjährbarkeit von Kriegsverbrechen aus dem Jahre 1974 sehen solches vor.
    Meine Damen und Herren! Ich darf kurz aus dieser Europäischen Konvention von 1974 zitieren. Es heißt dort:
    Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um sicherzustellen, daß die Verjährung für die Verfolgung der folgenden Verbrechen nicht gilt ...
    Dann sind die Verbrechen des Völkermordes und Kriegsverbrechen genannt. Es heißt dort weiter:
    Es
    — nämlich dieses Übereinkommen —
    gilt auch für Verbrechen, die vor diesem Inkrafttreten begangen worden sind, wenn die Verjährungsfrist zu der Zeit nicht abgelaufen war.
    Meine Damen und Herren, bei dieser Aufforderung aus dem Jahre 1974 ist es nicht geblieben, sondern das Europäische Parlament hat erst Anfang dieses Jahres seine Aufforderung wiederholt, dem Übereinkommen von 1974 auch tatsächlich beizutreten. Es hat seine Enttäuschung darüber zum Ausdruck gebracht, daß das noch nicht von ausreichend vielen Staaten getan worden ist, und gefordert, daß möglichst viele Staaten dies nachholen sollten und daß alle politischen und juristischen Vorkehrungen zu treffen sind, um eine Verjährung in diesen Fällen nicht eintreten zu lassen. Das ist die internationale Situation, in der wir in der Bundesrepublik Deutschland stehen.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Ohne rechtliche Verpflichtung!)

    Diese internationalen Aufforderungen gehen auch nicht ins Leere, denn mittlerweile ist ja nicht mehr streitig, daß mit größter Wahrscheinlichkeit, ja, mit Sicherheit nach einem Ablauf der Verjährung Ende dieses Jahres neue Täter bekannt würden mit neuen Taten oder doch an Tatkomplexen beteiligt, die wir bereits kennen. Von daher meine ich, daß wir sowohl juristisch als auch politischmoralisch verpflichtet sind, entsprechend diesem Übereinkommen im Bundestag tätig zu werden und die Verjährungsfrist Ende dieses Jahres nicht ablaufen zu lassen. '
    Ich glaube, daß nur eine wirklich gewichtige Gegenposition eingenommen werden kann, nämlich die, die vor etwa zehn Jahren von Thomas Dehler eingenommen wurde mit, wie ich finde, damals sehr überzeugenden Argumenten. Er führte nämlich aus, daß die Verjährungsfrist aus rechtlichen Gründen nicht nachträglich aufgehoben werden sollte. Ich meine aber, daß im Laufe der Zeit dieser Argumentation von Thomas Dehler die Grundlage entzogen worden ist. Zum einen deswegen, weil das Bundesverfassungsgericht entschieden hat, daß die rückwirkende Aufhebung der Verjährungsfrist verfassungsrechtlich zulässig ist. Das heißt: Schon for-malrechtlich ist die Position, die Thomas Dehler — damals für mich überzeugend — dargestellt hat, heute nicht mehr gültig. Zum anderen meine ich, daß auch inhaltlich nicht richtig ist, was immer wieder gesagt wird: daß nämlich das Institut der Verjährung ein Kernstück liberaler Rechtspolitik



    Frau Matthäus-Maier
    sei. Ich halte die Verjährung für ein bloßes Verfahrensinstrument, ein Instrument, von dem bekannt ist, daß es im Laufe der Geschichte und in den verschiedenen Staaten — auch Staaten, die uns politisch nahestehen — höchst unterschiedlich gehandhabt worden ist. Schon von daher kann es sich meiner Ansicht nach gar nicht um ein Kernstück liberaler Rechtspolitik handeln.
    Außerdem glaube ich, daß all die für eine Verjährung immer herangezogenen Argumente bei der vorliegenden Diskussion, nämlich der Verjährung von NS-Verbrechen oder, wie wir es juristisch formuliert haben, der Verjährung für Mord, der zugleich den Tatbestand des Völkermordes erfüllt, nicht zum Tragen kommen:, Gesichtspunkte wie Beweisschwierigkeiten nach einer dreißigjährigen Frist, als unangemessen empfundene Freisprüche, Schutz der Rechtspflege vor Überforderung nach einer so langen Zeit, Bedürfnis nach Rechtsfrieden oder das angebliche Fehlen eines Bedürfnisses nach Strafverfolgung. All dies kann meiner Ansicht nach für eine Verjährung in diesen Fällen nicht vorgetragen werden.
    In der Öffentlichkeit wird leider zu oft eine falsche Alternative aufgestellt. Hier geht es nicht um die Alternative, daß Ende dieses Jahres bei einem Ablauf der Verjährungsfrist ein Ende der NS-Prozesse eintritt, also ein Ende der Beweisschwierigkeiten in solchen Prozessen oder ein Ende der als unangemessen empfundenen Freisprüche. Nein, alle diese Prozesse gehen ja weiter; wir werden auch bei einem Ablauf der Verjährungsfrist noch jahrelang, möglicherweise jahrzehntelang NS-Prozesse haben. Die deutsche Justiz tut alles, um noch in möglichst vielen Fällen Verjährungsunterbrechung herbeizuführen. Das heißt, man bemüht sich ausdrücklich darum, daß auch nach einem möglichen Ablauf der Verjährungsfrist möglichst viele Prozesse stattfinden können.
    Wenn das so ist, geht es aber gar nicht um das Problem, daß nach dem 31. Dezember dieses Jahres Schluß wäre, sondern die Alternative stellt sich ganz anders. Wenn wir nämlich die Verjährung nicht aufheben, werden wir, wie ich finde, nach purem Zufall — je nachdem, ob eine Verjährungsunterbrechung eingetreten ist oder nicht — die einen Täter auf der Anklagebank und die anderen im Zuschauerraum sitzen haben. Das ist doch die Alternative, die wir nach Ende dieses Jahres haben werden, und diese Alternative halte ich nun für unerträglich. Ich glaube, daß auch kein Bürger draußen eine solche Ungleichbehandlung von doch gleichen Tätern mit gleichen Tatkomplexen verstünde; im Gegenteil, ich sähe es als eine unerträgliche Belastung der noch laufenden NS-Prozesse an, wenn auf Grund solcher Zufälligkeiten in der Frage „Verjährungsunterbrechung, ja oder nein?" eben die einen auf der Anklagebank und die anderen im Zuschauerraum säßen. Dies alles führt meiner Ansicht nach dazu, daß die Verjährung für solche Verbrechen aufgehoben werden muß.
    Auf der anderen Seite bin ich nicht der Ansicht, daß wir aus diesen Gründen die Verjährung für Mord generell aufzuheben haben. Es ist bereits
    mehrfach darauf hingewiesen worden, daß die Debatten heute, am 29. März und auch in den letzten Jahren, als wir über die Verjährung gesprochen haben, aus einem einzigen Grunde geführt worden sind. Es ging — vom konkreten Anlaß her — nie um die Frage der generellen Aufhebung der Verjährung; Anlaß war immer das Problem der NS-Verbrechen, bei denen sonst die Verjährung eingetreten wäre. Das ist der eine Grund.
    Der zweite Grund ist dieser: Ich glaube, daß Völkermord — dies ist in der ersten Lesung wie auch heute schon mehrfach gesagt worden — eine andere Qualität hat als Mord aus privaten Motiven.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Das ist nicht bestritten!)

    Es handelt sich bei Völkermord um organisierte Massenmordverbrechen, die — das ist wichtig — unter Ausnutzung des staatlichen Herrschaftsapparates — denn sonst hätten sie überhaupt nicht geschehen können — gegen ganze Bevölkerungsgruppen begangen worden sind. Dies hat eine andere Dimension als sonstige Mordtaten, eine andere Dimension nicht nur von der Zerstörungsdimension her — hier sind ja Millionen von Menschen umgebracht worden —, sondern auch von der Zielrichtung her; denn hier geht es um das Negieren des Existenzrechts ganzer Gruppen. Deswegen haben wir ja auch internationale Regelungen, die eine solche Zerstörung ganzer Gruppen unter Strafe stellen und uns auffordern, ihre Verjährung nicht eintreten zu lassen.
    Auch das geltende Strafrecht sieht — das kommt leider in der Diskussion zu kurz — diese Differenzierung vor. Wir haben doch schon heute in § 220 a des Strafgesetzbuches einen Sondertatbestand, der neben dem § 211, dem Mordparagraphen, existiert. Dieser Sondertatbestand des Völkermordes ist im Jahre 1954 eingeführt worden. Wir haben 1969 die Verjährung für Völkermord aufgehoben, und zwar nicht nur im Blick auf zukünftigen Völkermord, sondern auch rückwirkend bis zum Jahre 1954, also bis zur Einführung dieses Tatbestandes. Es fehlt im Grunde nur ein einziger Schritt, und dieser Schritt wird in dem Änderungsantrag, den wir hier in zweiter Lesung vorlegen, vorgesehen. Es ist der Schritt, die weitergehende Rückwirkung für den Völkermordtatbestand vorzusehen, und zwar insoweit, als es um Taten geht, die zugleich den Mordtatbestand erfüllen, um Taten, die vor 1954 — bis zurück in die NS-Zeit — geschehen sind. Ich meine also, daß unser bundesrepublikanischer Gesetzgeber diese Besonderheit des Völkermordes, die hier immer wieder bestritten worden ist, selber eingeführt hat und daß es nur konsequent ist, wenn wir, einerseits internationalen Verpflichtungen folgend und andererseits dem deutschen Gesetzgeber folgend, eine Regelung vorsehen, wie der sogenannte Maihofer-Entwurf sie empfiehlt.
    Ich glaube, daß wir, wenn wir die Verjährung für Mord generell aufheben, diesen qualitativen Unterschied zwischen Mord und Völkermord unzulässig und unverhältnismäßig verwischen. Heute morgen wurden einmal die Lehrer kritisiert, daß sie den Kindern und Jugendlichen in der Schule die au-



    Frau Matthäus-Maier
    ßerordentliche Dimension solcher Taten aus unserer jüngsten Geschichte zuwenig nahebringen. Ich kann nur zurückfragen: Wie sollen die Lehrer den Kindern nahebringen, daß die Völkermordverbrechen des Dritten Reiches etwas Außergewöhnliches sind, wenn wir diese Verbrechen bei der Verjährungsfrage nicht auch außergewöhnlich behandeln? Ich meine, daß diese unterschiedliche Qualität in der Verjährungsfrage zum Ausdruck kommen muß.
    Ich bin in den zurückliegenden Monaten von Kollegen, die anderer Ansicht als ich sind, mehrfach gefragt worden: Wie rechtfertigen Sie eigentlich eine unterschiedliche Verjährungsregelung für z. B. den grausamen Mord an einem Kind im Jahre 1979 auf der einen Seite und für die Morde an jüdischen oder polnischen Kindern im KZ auf der anderen Seite? Ist denn das Leben all dieser Kinder nicht genausoviel wert? Die Antwort kann selbstverständlich nur sein: Das Leben all dieser Kinder ist genausoviel wert, und sicher ist auch das Mitgefühl für die Opfer und für die Angehörigen in beiden Fällen genauso vorhanden. Aber ich meine, daß zwei Gründe dagegen sprechen, die Verjährung in diesen Fällen gleichzubehandeln.
    Der erste Grund ist — wenn Sie so wollen — mehr praktischer Natur. Das Problem einer Verjährungsfrist hat sich in den erstgenannten Fällen in der Praxis noch nicht gestellt. Es gibt in der gesamten Geschichte des Strafrechts und des Strafprozeßrechts nicht einen einzigen Fall — ich habe mich bei den zuständigen Fachleuten erkundigt —, wo nach Ablauf der Verjährungsfrist ein Täter aufgetaucht ist, von dem ein Mord bekannt geworden ist oder der sogar von sich aus gesagt hat, er habe vor 20, 30 Jahren jemanden umgebracht, und der dann wegen Ablauf der Verjährung nicht mehr hätte verfolgt werden können. Daher ist diese an uns gestellte Frage nicht tatsächlich akut. Wenn dies in der Praxis noch nie vorgekommen ist und nichts dafür spricht, daß es in Zukunft vorkommen wird, besteht keine Notwendigkeit dafür, von dem ansonsten bewährten Prinzip der Verjährung auch für solche Fälle generell abzugehen.
    Der zweite Grund ist grundsätzlicher Natur. Es besteht nämlich zwischen den beiden genannten Fällen nicht beim Opfer und auch nicht bei den Angehörigen, wohl aber in der Bewertung der Täter und der Taten ein erheblicher Unterschied. Ich glaube nämlich, daß die Hemmschwelle bei Völkermordverbrechen — das hat das Dritte Reich gezeigt — oft geringer als bei anderen Morden war. Das war deswegen so, weil es sich um Verbrechen handelte, die vom Regime gutgeheißen worden sind, hinter denen ein Staat mit einer Staatsideologie stand, zu der es gehörte, daß das Recht und die Pflicht bestand, bestimmte Gruppen in diesem Lande auszumerzen, weil es sich bei ihnen angeblich um „unwertes Leben" handelte. Ich glaube, daß dies der Grund dafür ist, daß es im Dritten Reich Täter gab, die an den schrecklichsten Morden und Völkermorden beteiligt waren, die aber privat als liebenswürdige Familienväter geschildert werden. Zu Hause haben sie wie andere gelebt, aber im KZ
    waren sie bereit, die tödliche Spritze zu setzen oder an der Rampe mit einem einfachen Handzeichen über Tod und Leben zu entscheiden.

    (Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU] : Wie sollen die bestraft werden?)

    Ich meine, wenn es so etwas gibt, wenn sich bei solchen Völkermordverbrechen die Täter hinter der Ideologie verschanzen, müssen besondere Barrieren aufgerichtet werden. Das ist der Grund dafür, daß uns das internationale Recht eine besondere Ahndung solcher Verbrechen vorschreibt.

    (Broll [CDU/CSU] : Soll das abschreckend wirken?)

    — Ja! — Die generalpräventive Wirkung der Strafe steht bei diesen Verbrechen ganz entscheidend im Vordergrund. Herr Maihofer hat darauf hingewiesen, daß es das Problem der individuellen Resozialisierung bei vielen NS-Tätern in der Tat nicht gibt. Deswegen muß hier die generalpräventive Wirkung im Vordergrund stehen.

    (Broll [CDU/CSU] : Wenn aber Todesstrafe nicht wirkt, wie soll dann dieses wirken?)

    Lassen Sie es mich so formulieren: Niemand, der sich, in welchem Land und unter welcher Ideologie auch immer, an Völkermordverbrechen beteiligt, darf darauf hoffen können, daß er nach dem Wechsel des Regimes und einem Aufenthalt von 20 oder 30 Jahren im Ausland dann in seine Heimat zurückkehren kann, ohne für seine Mordtaten zur Rechenschaft gezogen zu werden. Ich meine, daß dies die eigentliche Logik, der eigentliche Sinn unseres Antrags ist. Dieser Sinn würde aber verwischt werden, wenn die Mordverjährungsfrist generell aufgehoben werden würde.
    Lassen Sie mich ein letztes sagen: In der heutigen Debatte ist unser Antrag mehrfach als Versuch des Ausgleichs oder des Kompromisses aufgefaßt worden. Ich sehe unseren Antrag nicht so. Wir hatten nicht die Absicht, zwischen unvereinbaren Vorstellungen, nämlich hier Ablauf der Verjährung, dort Abschaffung der Verjährung, einen Kompromiß um des Kompromisses willen zu finden. Wir meinen, daß von der Sache her, von der internationalen Verpflichtung her und von der unterschiedlichen Qualität von Mord einerseits und Völkermord andererseits her die differenzierende Lösung die eigentlich sachgemäße ist, für die wir um Unterstützung in diesem Hause bitten. Ich glaube zwar nicht, daß wir damit, wie es immer wieder beschworen worden ist, die Vergangenheit bewältigen können. Aber ich glaube, daß die Aufhebung der Verjährung für Mord, der zugleich Völkermord darstellt, eine notwendige Voraussetzung für die Bewältigung der Vergangenheit ist.

    (Beifall bei der FDP)