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    Plenarprotokoll 8/166 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 166. Sitzung Bonn, Dienstag, den 3. Juli 1979 Inhalt: Abweichung von § 60 Abs. 2 GO bei der Beratung der Verjährungsvorlagen . . . 13233 A Eintritt des Abg. Besch in den Deutschen Bundestag für den ausgeschiedenen Abg Carstens (Fehmarn) 13290 A Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung . 13233 B Beratung des Bericht des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gradl, Katzer, Blumenfeld, Dr. Mikat, Dr. Biedenkopf, Josten, Dr. Müller-Hermann, Gerster (Mainz), Wohlrabe, Frau Dr. Riede (Oeffingen), Kittelmann, Breidbach, Frau Pieser, Luster, Reddemann, Schröder (Lüneburg), Dr. Pfennig, Frau Berger (Berlin), Stommel, Conrad (Riegelsberg), Dr. Stercken, Russe, Frau Dr. Wisniewski, Schartz (Trier) und Genossen Unverjährbarkeit von Mord zu der Entschließung des Europäischen Parlaments zur Unverjährbarkeit von Völkermord und Mord zu dem von den Abgeordneten Wehner, Ahlers, Dr. Ahrens, Amling, Dr. Apel und Genossen und den Abgeordneten Dr. Wendig, Gattermann, Frau Dr. Hamm-Brücher und Genossen eingebrachten Entwurf eines Achtzehnten Strafrechtsänderungsgesetzes — Drucksachen 8/2539, 8/2616, 8/2653 (neu), 8/3032 — in Verbindung mit Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Wehner, Ahlers, Dr. Ahrens, Amling, Dr. Apel und Genossen und den Abgeordneten Dr. Wendig, Gattermann, Frau Dr. Hamm-Brücher und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Achtzehnten Strafrechtsänderungsgesetzes — Drucksache 8/2653 (neu) — in Verbindung mit Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Gradl, Katzer, Blumenfeld, Dr. Mikat, Dr. Biedenkopf, Josten, Dr. Müller-Her- II Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 3. Juli 1979 mann, Gerster (Mainz), Wohlrabe, Frau Dr. Riede (Oeffingen), Kittelmann, Breidbach, Frau Pieser, Luster, Reddemann, Schröder (Lüneburg), Dr. Pfennig, Frau Berger (Berlin), Stommel, Conrad (Riegelsberg), Dr. Stercken, Russe, Frau Dr. Wisniewski, Schartz (Trier) und Genossen Unverjährbarkeit von Mord — Drucksache 8/2539 — in Verbindung mit Beratung der Entschließung des Europäischen Parlaments zur Unverjährbarkeit von Völkermord und Mord — Drucksache 8/2616 — Dr. Mertes (Gerolstein) CDU/CSU . . . . 13234 A Frau Dr. Däubler-Gmelin SPD . . . . 13239 B Kleinert FDP 13243 C Hartmann CDU/CSU 13247 C Dr. Vogel (München) SPD . . . . . . 13252 A Gattermann FDP . . . . . . . . . 13254 C Gerster (Mainz) CDU/CSU . . . . . . 13257 B Dr. Dr. h. c. Maihofer FDP . . . 13260 A, 13292 A Dr. Emmerlich SPD . . . . . . . 13265 B Helmrich CDU/CSU 13268 A Sieglerschmidt SPD 13269 C Frau Matthäus-Maier FDP . . . . . . 13272 B Dr. Lenz (Bergstraße) CDU/CSU 13274 D Dr. Weber (Köln) SPD 13277 D Ey CDU/CSU 13281 C Frau Dr. Hamm-Brücher FDP 13282 B Blumenfeld CDU/CSU 13285 C Cronenberg FDP 13287 B Dr. Bötsch CDU/CSU . . . . . . . . . 13288 A Erhard (Bad Schwalbach) CDU/CSU . . . 13294 B Dürr SPD 13296 C Engelhard FDP 13298 D Dr. Gradl CDU/CSU 13301 A Thüsing SPD 13303 A Dr. Wendig FDP 13305 D Namentliche Abstimmungen . . 13290 A, 13292 B, 13308 A, 13311 B Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zum Sechsten Gesetz zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes — Drucksache 8/3027 — Pfeifer CDU/CSU . . . . . . . . . . 13308 B Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zum Gesetz zur Neufassung des Umsatzsteuergesetzes und zur Änderung anderer Gesetze — Drucksache 8/3028 Westphal SPD 13309 B Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zum Gesetz zur Änderung des Gesetzes über technische Arbeitsmittel und der Gewerbeordnung — Drucksache 8/3029 — Jahn (Marburg) SPD 13313 B Nächste Sitzung 13313 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 13315* A Anlage 2 Erklärung des Abg. Dr. Penner (SPD) nach § 59 GO zu Punkt 1 der Tagesordnung . . 13315*A Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 3. Juli 1979 13233 166. Sitzung Bonn, den 3. Juli 1979 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordneter) entschuldigt bis einschließlich Dr. Arnold 4. 7. Bayha 4. 7. Dr. Böhme (Freiburg) 4. 7. Büchner (Speyer) * 4. 7. Dr. Dübber 3. 7. Dr. h. c. Kiesinger 4. 7. Koblitz 4. 7. Dr. Müller ** 4. 7. Picard 4. 7. Scheffler ** 4. 7. Frau Schlei 4. 7. Dr. Schmitt-Vockenhausen 4. 7. Spilker 4. 7. Volmer 4. 7. Walkhoff 4. 7. Dr. Wulff 4. 7. Anlage 2 Erklärung des Abgeordneten Dr. Penner (SPD) nach § 59 GO zu Punkt 1 der Tagesordnung Ich stimme einer angestrebten Aufhebung der Verjährungsfrist für Mord nicht zu. Ich bin der Meinung, daß sich das abgestufte System der Verjährungsfristen im Strafgesetzbuch, in das auch schwerste Straftaten wie Mord einbezogen sind, bei allen eingeräumten Unzulänglichkeiten bewährt hat. Die zeitliche Begrenzung der staatlichen Verfolgungspflicht für Straftaten beruht auch auf der Erkenntnis, daß die Möglichkeiten der Wahrheitsfindung im Strafprozeß um so brüchiger und fragwürdiger werden, je mehr Zeit zwischen Tat und Ahndung verstrichen ist. Ich halte es daher für richtig und auch geboten, wenn der Gesetzgeber diese Regelerfahrung gesetzlich absichert und damit den Strafverfolgungsorganen eine Pflicht abnimmt, der sie auch bei bestem Wollen und Können nicht gerecht werden können. Hinweise auf ausländische Rechtsordnungen und frühere deutsche und romanische Rechtsinstitute halte ich für bemerkenswert, aber für nur bedingt aussagekräftig, da bei einem Vergleich die gesamten Verfahrensordnungen mit allen Möglichkeiten und Hemmnissen besonders des Beweisrechts gegenüber gestellt werden müssen. Der Anlaß für die Initiative ist ebenso beklemmend wie säkulär. Es geht nicht einfach um eine Neufassung des Verjährungssystems, es geht um die Frage, ob besonders Mordtaten der NS-Zeit über gesetzliche Verjährungsvorschriften einer Strafverfolgung entzogen sein können oder nicht. Das Für und Wider ist in den bewegenden Debatten der 60er * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlagen zum Stenographischen Bericht Jahre und in den Diskussionen aus jüngster Zeit engagiert, behutsam und sorgfältig beleuchtet worden. Ich bin aber der Meinung, daß es statthaft sein darf, bei der Entscheidung auch berufsbedingte Erfahrungen miteinzubeziehen, die mehr die praktische Auswirkung der Gesetzesänderung betreffen. Ich neige mehr und mehr zu der Auffassung, daß der in den 60er Jahren beschrittene Weg der Ausdehnung der Verjährungsfristen nicht richtig gewesen ist. Dabei will ich nicht verschweigen, daß ich dies seinerzeit anders gesehen habe. Aber im Verlaufe einer beruflichen Tätigkeit, bei der ich mit der Verfolgung von NS-Gewaltverbrechen zu tun hatte, sind mir zunehmend Zweifel gekommen. Und das, obwohl die nazistische Wirklichkeit mit Genozid, mit Vernichtungs- und Konzentrationslagern, mit Massen- und Einzelmorden durch Akten und Zeugenaussagen erdrückend bestätigt wurde. Aber im Strafprozeß geht es nicht allein um Tatgeschehen, sondern auch um persönliche Verantwortung, um Schuld. Der Nachweis individueller Schuld war schon früher aus vielerlei Gründen kaum oder gar nicht möglich. Das ist auch nach der Erweiterung der Verjährungsfrist auf 30 Jahre noch problematischer geworden. Nicht nur statistische Hinweise geben darüber Aufschluß. Selbst das deutsch-französische Rechtshilfeabkommen des Jahres 1971, das die Verfolgungssperren des Überleitungsvertrages für deutsche Behörden lockerte, hat die strafrechtliche Bewältigung der Judendeportationen aus Frankreich nicht unterstützen können, wie man hört. Ich bin der Meinung, daß unter den gegebenen Umständen die Beibehaltung des geltenden Verjährungsrechts verantwortet werden kann. Nach meiner Erfahrung dürfte die Entdeckung neuer Sachverhalte mit der Folge strafrechtlicher Verurteilung zwar nicht ausschließbar, aber nahezu ausgeschlossen sein. Aller Voraussicht nach wird ein berechtigtes Sühnebedürfnis nicht mehr gestillt werden können. Daher halte ich es aus meiner Sicht nicht für erträglich, Zeugen, die Schwerstes erlitten und durchlitten haben, den Lasten und Beschwernissen, ja den Qualen von Vernehmungen über die gegebenen Unumgänglichkeiten hinaus auszusetzen. Daß nach Eintritt der Verjährungsfrist unentdeckte NS-Mörder sich ihrer Untaten öffentlich rühmen könnten, ist eine theoretische Möglichkeit, hat aber mit der Verjährungsproblematik nichts zu tun. Für schon Abgeurteilte oder außer Verfolgung gesetzte NS-Täter sind eher Stichworte wie „Leugnen", „Verkleinern", „Es war eben Krieg" und in Einzelfällen auch Reue kennzeichnend. Eine Neigung zu öffentlicher Erörterung dieser Vergangenheit besteht bei diesem Tätertyp nach den bisherigen Erfahrungen hingegen kaum. Für die Zukunft muß eine stetig zunehmende Zahl von Fehlbeurteilungen der Strafverfolgungsorgane befürchtet werden. Das wird für die schon anhängigen Verfahren unumgänglich sein. Die Gründe lie- 13316* .Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 3. Juli 1979 gen durchweg in der Beweisnot der Gerichte und Staatsanwaltschaften. Die Aufhebung der Verjährungsfrist hätte zur Folge, daß zu allen neuen Vorgängen materielle Entscheidungen über Schuld oder Unschuld erforderlich würden. Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß diese durchweg Einstellungsverfügungen und Freisprüche sein werden. Ich hielte das für bedrückend, weil mit diesen staatlichen Akten, deren Qualität nicht anders ausfallen kann und wird, Geschichtslegenden gebildet und unterstützt werden können. Aus meiner Sicht ist daher das aus dem geltenden Recht folgende Offenhalten der strafrechtlichen Schuldfrage nach Ablauf der Verjährungsfrist auch der politische richtige Weg. Ich weiß, daß diese Überlegungen nur einen Teil der Fragen und Bedrängungen ausmachen. Für mich sind sie entscheidend. Eine neue gesetzliche Regelung muß sich auch an ihren Möglichkeiten und Grenzen messen lassen. Dem Anspruch der Opfer, der Betroffenen auf sühnende Gerechtigkeit kann nicht über eine Ausweitung des Verjährungsrechts Genüge geschehen. Ich meine, daß dies auszusprechen auch zur parlamentarischen Verantwortlichkeit gehört. Ich wage es daher, nein zu sagen.
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    Rede von: Unbekanntinfo_outline


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: ()

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich trete dafür ein — wie Herr Professor Maihofer es heute vormittag schon dargelegt hat —, daß es bei der generellen Verjährung für Mord verbleibt, so wie sie heute in unserem Gesetz festgeschrieben ist, daß jedoch die Verjährungsfrist für NS-Mordtaten aufgehoben wird. Ich trete also für eine differenzierende Lösung ein. Lassen Sie mich deshalb zunächst noch einmal kurz die Gründe zusammenfassen, weshalb ich eine Verfolgungsverjährung auch von Mordtaten für richtig halte.
    Es ist zunächst die wachsende Unmöglichkeit für den Richter, nach langem Zeitablauf einen Wahrspruch zu finden. Die Gefahr des Justizirrtums wächst. Deshalb ist es erforderlich, daß der formelle Rechtsfrieden nach Ablauf von, wie wir es heute haben, 30 Jahre wieder eintritt. Ebenso spricht für ein Beibehalten der generellen Verjährung die Abnahme der Strafwürdigkeit und des Strafbedürfnisses sowohl unter dem Gesichtspunkt einer etwa eingetretenen Resozialisierung als auch im Sinne der Prävention und Sühne.
    Lassen Sie mich das an einem Beispiel erläutern. Ein junger Mann oder eine junge Frau wird in einem Familien- oder Ehekonflikt zum Mörder, und zwar im Alter von 20 Jahren. Der Täter wird zunächst nicht festgestellt; die Tat wird erst nach 40 Jahren aufgeklärt. Dann ist der Täter 60 Jahre alt und hat in diesen 40 Jahren inzwischen ein ordentliches Leben geführt. Nach diesen 40 Jahren sitzt dieser Täter, der damals bei Begehung der Tat 20 Jahre alt war, auf der Anklagebank, und neben dem Staatsanwalt sitzt ein Jugendpfleger, der 25 Jahre alt ist. Er soll nach unserem Gesetz dem Richter helfen, darüber zu entscheiden, ob dieser inzwischen 60jährige wie ein Jugendlicher oder wie ein Erwachsener beurteilt werden soll.
    Einen solchen Anachronismus in unserem Rechtssystem versteht kaum jemand.

    (Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU] : Niemand!)

    Ich meine, daß die Verjährung hier ihren guten Sinn hat. Ich trete deshalb dafür ein, daß bei dem üblichen Individualmord derartige Prozesse, die den Richter vor eine fast unerträgliche Situation stellen, nicht stattfinden.
    Es kommt hinzu, daß sich die Verjährung bei uns — das ist richtig so — nach der Schwere der Tat richtet. Eine einfache Übertretung der Verkehrsregeln ist in relativ kurzer Zeit verjährt. Eine längere Verjährung gibt es bei Diebstahl, eine noch längere Verjährung wiederum bei Einbruchsdiebstahl. Die längste Verjährungsfrist von 30 Jahren haben wir bei Schwerverbrechen, insbesondere bei Mord.
    Die schwersten Verbrechen, die wir in unserer Rechtsgeschichte kennen, sind nun die NS-Verbrechen. Deshalb glaube ich, daß wir diese Mordtaten anders als den Individualmord behandeln können, den ich vorhin geschildert habe.
    Bei diesen Taten geht es um etwas anderes. Wir haben es hier mit einem planmäßigen Organisationsverbrechen zu tun, getragen vom damaligen Unrechtsstaat und von politischen Gruppen — mit Taten, die durch ihre Ausrottungszielsetzung gekennzeichnet waren. Deshalb sage ich, daß eine Differenzierung die sachgerechteste Lösung ist. Wenn ich diese Besonderheiten der NS-Morde betone, wird, glaube ich, gleichzeitig deutlich, daß es nicht richtig ist zu sagen, daß Mord gleich Mord sei. Gerade die heutige Debatte hat das nach meiner Auffassung gezeigt. Denn worüber hat man heute den ganzen Vormittag debattiert? Über nichts anderes als über die NS-Morde.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Herr Gerster hat eine Ausnahme gemacht!)

    — Herr Kollege Gerster hat eine Ausnahme gemacht. Herr Kollege Mertes, das ist richtig.
    Deshalb sage ich, Herr Kollege Wehner und andere, niemand aus diesem Hause hätte sich im vergangenen Jahr in Israel, in Polen oder auch sonstwo über die Aufhebung der Verjährungsfrist von Mord überhaupt unterhalten, wenn es nicht einzig und allein darum ginge. Darum, glaube ich, ist diese Lösung, die differenziert, die klarere, vielleicht auch sogar die ehrlichere, eindeutigere und konsequentere. Sie nennt das, worum es geht, beim Namen.
    Nun sind in den Beratungen juristische Bedenken gegen diese Lösung vorgetragen worden. Herr Professor Maihofer hat etliche dieser Bedenken hier heute früh schon behandelt. Lassen Sie mich nun noch zwei Dinge hervorheben.
    Das erste Bedenken war die Frage, ob diese differenzierende Lösung, die an den Tatbestand des Völkermords anknüpft, gegen das Rückwirkungsverbot verstößt. Wir haben sowohl von Sachverständigen, insbesondere von Herrn Professor Bökkenförde, als auch von den Herren des Justizministeriums gehört, daß nach ihrer Auffassung das Rückwirkungsverbot nicht tangiert wird. Vielmehr steht eine solche Differenzierung mit der hier heranzuziehenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 103 Abs. 2 des Grundgesetzes im 25. Band im Einklang. Die Differenzierung muß nämlich auf erhebliche Unterschiede gestützt werden; diese erheblichen Unterschiede gerade der Mordtaten der NS-Zeit zu den sonstigen Morden habe ich bereits hervorgehoben.
    Ein zweiter Einwand war die Frage, ob die tatbestandliche Umgrenzung sowohl klar genug sei als auch nicht etwa Lücken aufreiße, so daß Fälle unberücksichtigt blieben, die auch nach unserer Auffassung berücksichtigt werden müssen. Wir haben in den Beratungen einen Lernprozeß durchgemacht und haben den ursprünglichen Tatbestandsvorschlag ergänzt und, wie ich meine, klarer gefaßt. Die tatbe-



    Helmrich
    standliche Umgrenzung ist nunmehr meines Erachtens gelungen. Die Lückendiskussion, die im Ausschuß einen großen Raum eingenommen hat, hat es uns ermöglicht, auch von daher die Mängel auszuräumen, die an dem Tatbestand zunächst noch bestanden.
    Ich räume ein, daß unsere Lösung, unser Änderungsvorschlag, den wir vorlegen, nicht in der Lage ist — das bedrückt mich schwer —, letzte Gerechtigkeit in den Gesamtsachverhalt der NS-Verbrechen zu bringen. Das liegt aber nicht an der Tatsache, daß wir jetzt überhaupt etwas am Gesetz ändern, sondern das liegt an der geschichtlichen Situation, die ich, als ich in den Bundestag gekommen bin, so zu übernehmen hatte.
    Wir wissen alle, daß wir Täter haben, die, als die Bundesrepublik noch keine Gerichtshoheit besaß, von Amerikanern und Engländern bestraft worden sind, daß diese Täter zum Teil zum Tode verurteilt, zu lebenslänglich begnadigt und dann in den Jahren 1954, 1955, 1956 vollständig begnadigt und freigelassen worden sind, Täter zum Teil mit schwerer Schuld. Heute haben wir noch Täter mit zum Teil geringerer Schuld auf der Anklagebank. Das alles vermögen wir heute, 35 Jahre nach dem Kriege, nicht mehr auszuräumen. Wir sind nicht mehr in der Lage, diese Ungereimtheiten, die nach dem Kriege generell bei den NS-Taten entstanden sind, im Sinne einer materiellen Gerechtigkeit zu klären. Das bedrückt mich sehr.
    Dennoch glaube ich, daß diese differenzierende Lösung, dieser differenzierende Gesetzesvorschlag Schwierigkeiten vermeidet, die sowohl die generelle Beibehaltung der Verjährung mit sich brächte, als auch Schwierigkeiten, die die generelle Aufhebung der Verjährung mit sich bringt. Das liegt einfach darin, daß wir nicht in die Situation kommen werden, daß die 3 700 Verfahren, die etwa noch anhängig sind, geführt werden müssen und daß jeder, der nach dem Stichtag des 31. Dezember dieses Jahres entdeckt wird, nicht mehr zur Verantwortung gezogen werden kann.
    Aber mit der differenzierenden Lösung vermeiden wir auch die Schwierigkeiten, in die der Vorschlag insbesondere von Herrn Wehner und der SPD kommt, der nämlich dazu führt, daß wir solche Prozesse mit jugendlichen Tätern, die erst im Alter entdeckt werden, in unserer Rechtsordnung auf ewig fortschreiben. Damit verliert das Institut der Verjährung für den Individualmord seinen Sinn.
    Obwohl also auch unsere Lösung letzte Gerechtigkeit in allen Fragen der NS-Vergehen nicht zu bringen vermag, glauben wir doch, daß sie die sachgerechteste Lösung ist und daß wir mit ihr der Verstrickung einzelner in unserem Staate, der Verstrickung unseres Volkes und der Verstrickung, in der wir als Nachfolgestaat stehen, am ehesten gerecht werden können. Wir bitten deshalb für diesen Vorschlag um Ihre Stimme.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Rede von Dr. Richard von Weizsäcker
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Abgeordnete Sieglerschmidt.

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    Rede von Hellmut Sieglerschmidt


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt gute Gründe dafür, daß in vielen unserer Debatten das Abstimmungsergebnis faktisch weitgehend schon vor Beginn der Beratungen feststeht. Ich will mich darüber heute nicht verbreiten. Aber wenn Beratungen der Art, wie wir sie heute führen, einen Sinn haben sollen, dann muß es möglich sein, daß der einzelne seine Entscheidung im Laufe der Debatte noch einmal überdenkt und überprüft.
    Ich habe der ganzen Debatte seit heute morgen beigewohnt und sehr aufmerksam zugehört und sie mit dem Willen verfolgt, alle meine Argumente an anderen Argumenten zu wägen und zu prüfen. Dabei räume ich natürlich ein, daß sich der Standpunkt desjenigen, der im Rechtsausschuß nun schon wochen- und monatelang hierüber diskutiert hat, etwas stärker verfestigt hat als der anderer Kollegen.
    Ich will versuchen, diesen Dialog mit denen, die meinen, Verjährung solle jetzt eintreten, und auch mit den Vertretern anderer Regelungen zu führen. Ich wende mich dabei, Herr Kollege Gerster, auch an meine eigenen Fraktionskollegen, die eine andere Ansicht als ich haben. Ich möchte dazu hier nur bemerken, daß man es ihnen überlassen muß, ob sie zu dieser Meinung, die sie vertreten, das Wort ergreifen oder nicht.
    Ich will zunächst einige Bemerkungen zu dem Antrag der Kollegen Maihofer und Helmrich, betreffend den Versuch einer Sonderregelung für NS-Gewaltverbrechen, machen. Bei Ihrem Beitrag, Herr Kollege Helmrich, ist mir noch einmal klargeworden — das geschah heute schon mehrfach in der Debatte —, daß ein großer, ein grundlegender Fehler von Ihrer Seite, der Sie zu Ihrem Antrag geführt hat, darin liegt, daß Sie in der Bewertung Tat und Täter nicht unterscheiden. Die Taten, die in jenen zwölf Jahren geschehen sind, sind so grauenhaft, daß man noch in tausend Jahren davon reden wird. Die Täter aber, Herr Kollege Helmrich, sind Täter wie andere Täter auch. Mit ihren schrecklichen Taten sind sie einem anderen Mörder — ich will nicht sagen: einem gewöhnlichen oder üblichen Mörder; das sind schreckliche Ausdrücke —durchaus vergleichbar, ja, ich sage es hier ganz offen, es kann sogar sein, daß der einzelne Täter, der in diese Maschine hineingeraten ist, weniger schrecklich gehandelt hat als der Mörder bei einem anderen Mord.
    Ich will micht nicht mehr im einzelnen mit diesem Antrag beschäftigen. Ich denke, andere Redner vor mir haben — nach meiner Auffassung — zur Genüge dargetan, daß dieser Weg einer differenzierenden Regelung kein gangbarer, kein rechtlich sicherer Weg ist; ich füge hinzu: mindestens heute nicht mehr. Vielleicht wäre das eine Möglichkeit gewesen, wenn wir von Anfang an, gleich nach 1945 oder sobald die deutsche Strafhoheit gegeben war, besondere Regelungen für die Behandlung dieser NS-Gewaltverbrechen geschaffen hätten. Ich



    Sieglerschmidt
    will das offenlassen. Damals ist man diesen Weg nicht gegangen, und zwar — wie wir wissen — ja ganz bewußt nicht, weil man unter dem Eindruck des Sonderrechts der Nazi-Zeit kein Sonderrecht wollte und weil man ganz bewußt sagen wollte: Hier sind Mörder, andere Straftäter — damals noch Totschläger —, die genauso behandelt werden sollen, wie andere Mörder und Totschläger auch. Das heißt in bezug auf den Täter: „Gleichheit vor dem Recht" ; „Mord ist Mord". Wir können diesen Weg, diese Grundentscheidung, die wir damals getroffen haben, heute nicht mehr ändern wollen. Wir können den einmal eingeschlagenen Weg nicht mehr verlassen.
    Herr Kollege Mertes, Sie haben davon gesprochen, es sei die Unaufrichtigkeit unserer Zeit, daß man Sühne wolle und gleichzeitig Resozialisierung und daß man dies nicht in das richtige Verhältnis zueinander bringe. Ich hoffe, daß ich Sie so richtig verstanden habe.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Sie sind nicht genau! Als Strafzweck zählt heute noch nur die Resozialisierung, mit einer einzigen Ausnahme: NS-Verbrechen!)

    — Nein, da muß ich Ihnen widersprechen, Herr Kollege Mertes. Es ist nicht so, daß etwa die, denen ich in diesem Zusammenhang nahestehe, nicht einen ganz wesentlichen Anteil des Strafzweckes in der Sühne bei schwersten Verbrechen wie Mord sehen. Wir wollen die Verjährung von Mord allgemein nicht nur, aber auch aus diesem Grunde, weil wir wissen, daß die Sühne hier eine starke Komponente bildet. Die Resozialisierung folgt nach meiner Auffassung erst in zweiter Linie.

    (Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU] : Bei der Beratung des Strafrechtsgesetzes hörte man das anders!)

    — Was die schwersten Verbrechen anlangt, Herr Kollege Erhard, dies habe ich anders in Erinnerung. Aber ich will mich jetzt hier nicht mit Ihnen darüber auseinandersetzen.
    Herr Kollege Mertes, Sie haben von einem Sonderstrafrecht gegen Deutsche gesprochen. Eigentlich — ich will das gern und dankbar hervorheben
    — haben Sie dies gleich wieder ein wenig relativiert, indem Sie mit Recht darauf hingewiesen haben, daß vergleichbare Straftaten anderer uns nicht davon befreien, das zu tun, was hier bei uns notwendig ist. Ich möchte das deutlich unterstreichen.

    (Beifall bei der FDP)

    Hier gilt das englische Sprichwort: Charity begins at home, Nächstenliebe beginnt zu Hause. Man kann es auch mit einem deutschen Sprichwort sagen: Jeder kehre zunächst vor seiner eigenen Tür.
    Es ist ja auch deswegen unser Bestreben gewesen, keine Sonderregelung zu schaffen, weil wir der Meinung waren, hier sollte man von etwas, was nach Sonderrecht aussieht, absehen und des-
    wegen für die allgemeine Verjährung von Mord eintreten.
    In der Debatte heute ist auch jener Vorschlag erwähnt worden, eine Verjährungsregelung zu schaffen, die Elemente des Legalitätsprinzips — bei uns herkömmlicher Art — und solche des Opportunitätsprinzips angelsächsischer Tradition enthält. Ich wäre, Herr Kollege Erhard, die Sie diesen Gedanken bei uns in die Debatte des Rechtsausschusses getragen haben, wie Sie wissen, durchaus bereit gewesen, über so etwas als Kompromißlösung — als Kompromißlösung, nicht als das, was ich anstrebe — nachzudenken, wenn es nicht so wäre, daß zwingend — und darüber sind wir uns zum Schluß alle einig gewesen — die anhängigen Verfahren in eine solche Regelung mit einem grotesken Ergebnis hätten einbezogen werden müssen: Wir hätten eine eingeschränkte weitere Verfolgung derartiger Verbrechen zwar erreicht, aber zulassen müssen — ohne die Zahl der Verbrechen, die wir hätten weiterverfolgen können, genau zu kennen; es könnten verhältnismäßig wenige sein —, daß es mit Sicherheit zu einem gekommen wäre: der Einstellung zahlreicher anhängiger Verfahren.

    (Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU] : Welcher denn?)

    Ich glaube, wir sollten hier klarstellen, daß wir nicht von uns aus irgend etwas tun dürfen, was uns auch nur in den Verdacht bringen könnte, etwas zu tun, was nach Amnestie oder Teilamnestie aussieht.