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ID0816602200

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 8/166 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 166. Sitzung Bonn, Dienstag, den 3. Juli 1979 Inhalt: Abweichung von § 60 Abs. 2 GO bei der Beratung der Verjährungsvorlagen . . . 13233 A Eintritt des Abg. Besch in den Deutschen Bundestag für den ausgeschiedenen Abg Carstens (Fehmarn) 13290 A Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung . 13233 B Beratung des Bericht des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gradl, Katzer, Blumenfeld, Dr. Mikat, Dr. Biedenkopf, Josten, Dr. Müller-Hermann, Gerster (Mainz), Wohlrabe, Frau Dr. Riede (Oeffingen), Kittelmann, Breidbach, Frau Pieser, Luster, Reddemann, Schröder (Lüneburg), Dr. Pfennig, Frau Berger (Berlin), Stommel, Conrad (Riegelsberg), Dr. Stercken, Russe, Frau Dr. Wisniewski, Schartz (Trier) und Genossen Unverjährbarkeit von Mord zu der Entschließung des Europäischen Parlaments zur Unverjährbarkeit von Völkermord und Mord zu dem von den Abgeordneten Wehner, Ahlers, Dr. Ahrens, Amling, Dr. Apel und Genossen und den Abgeordneten Dr. Wendig, Gattermann, Frau Dr. Hamm-Brücher und Genossen eingebrachten Entwurf eines Achtzehnten Strafrechtsänderungsgesetzes — Drucksachen 8/2539, 8/2616, 8/2653 (neu), 8/3032 — in Verbindung mit Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Wehner, Ahlers, Dr. Ahrens, Amling, Dr. Apel und Genossen und den Abgeordneten Dr. Wendig, Gattermann, Frau Dr. Hamm-Brücher und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Achtzehnten Strafrechtsänderungsgesetzes — Drucksache 8/2653 (neu) — in Verbindung mit Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Gradl, Katzer, Blumenfeld, Dr. Mikat, Dr. Biedenkopf, Josten, Dr. Müller-Her- II Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 3. Juli 1979 mann, Gerster (Mainz), Wohlrabe, Frau Dr. Riede (Oeffingen), Kittelmann, Breidbach, Frau Pieser, Luster, Reddemann, Schröder (Lüneburg), Dr. Pfennig, Frau Berger (Berlin), Stommel, Conrad (Riegelsberg), Dr. Stercken, Russe, Frau Dr. Wisniewski, Schartz (Trier) und Genossen Unverjährbarkeit von Mord — Drucksache 8/2539 — in Verbindung mit Beratung der Entschließung des Europäischen Parlaments zur Unverjährbarkeit von Völkermord und Mord — Drucksache 8/2616 — Dr. Mertes (Gerolstein) CDU/CSU . . . . 13234 A Frau Dr. Däubler-Gmelin SPD . . . . 13239 B Kleinert FDP 13243 C Hartmann CDU/CSU 13247 C Dr. Vogel (München) SPD . . . . . . 13252 A Gattermann FDP . . . . . . . . . 13254 C Gerster (Mainz) CDU/CSU . . . . . . 13257 B Dr. Dr. h. c. Maihofer FDP . . . 13260 A, 13292 A Dr. Emmerlich SPD . . . . . . . 13265 B Helmrich CDU/CSU 13268 A Sieglerschmidt SPD 13269 C Frau Matthäus-Maier FDP . . . . . . 13272 B Dr. Lenz (Bergstraße) CDU/CSU 13274 D Dr. Weber (Köln) SPD 13277 D Ey CDU/CSU 13281 C Frau Dr. Hamm-Brücher FDP 13282 B Blumenfeld CDU/CSU 13285 C Cronenberg FDP 13287 B Dr. Bötsch CDU/CSU . . . . . . . . . 13288 A Erhard (Bad Schwalbach) CDU/CSU . . . 13294 B Dürr SPD 13296 C Engelhard FDP 13298 D Dr. Gradl CDU/CSU 13301 A Thüsing SPD 13303 A Dr. Wendig FDP 13305 D Namentliche Abstimmungen . . 13290 A, 13292 B, 13308 A, 13311 B Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zum Sechsten Gesetz zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes — Drucksache 8/3027 — Pfeifer CDU/CSU . . . . . . . . . . 13308 B Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zum Gesetz zur Neufassung des Umsatzsteuergesetzes und zur Änderung anderer Gesetze — Drucksache 8/3028 Westphal SPD 13309 B Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zum Gesetz zur Änderung des Gesetzes über technische Arbeitsmittel und der Gewerbeordnung — Drucksache 8/3029 — Jahn (Marburg) SPD 13313 B Nächste Sitzung 13313 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 13315* A Anlage 2 Erklärung des Abg. Dr. Penner (SPD) nach § 59 GO zu Punkt 1 der Tagesordnung . . 13315*A Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 3. Juli 1979 13233 166. Sitzung Bonn, den 3. Juli 1979 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordneter) entschuldigt bis einschließlich Dr. Arnold 4. 7. Bayha 4. 7. Dr. Böhme (Freiburg) 4. 7. Büchner (Speyer) * 4. 7. Dr. Dübber 3. 7. Dr. h. c. Kiesinger 4. 7. Koblitz 4. 7. Dr. Müller ** 4. 7. Picard 4. 7. Scheffler ** 4. 7. Frau Schlei 4. 7. Dr. Schmitt-Vockenhausen 4. 7. Spilker 4. 7. Volmer 4. 7. Walkhoff 4. 7. Dr. Wulff 4. 7. Anlage 2 Erklärung des Abgeordneten Dr. Penner (SPD) nach § 59 GO zu Punkt 1 der Tagesordnung Ich stimme einer angestrebten Aufhebung der Verjährungsfrist für Mord nicht zu. Ich bin der Meinung, daß sich das abgestufte System der Verjährungsfristen im Strafgesetzbuch, in das auch schwerste Straftaten wie Mord einbezogen sind, bei allen eingeräumten Unzulänglichkeiten bewährt hat. Die zeitliche Begrenzung der staatlichen Verfolgungspflicht für Straftaten beruht auch auf der Erkenntnis, daß die Möglichkeiten der Wahrheitsfindung im Strafprozeß um so brüchiger und fragwürdiger werden, je mehr Zeit zwischen Tat und Ahndung verstrichen ist. Ich halte es daher für richtig und auch geboten, wenn der Gesetzgeber diese Regelerfahrung gesetzlich absichert und damit den Strafverfolgungsorganen eine Pflicht abnimmt, der sie auch bei bestem Wollen und Können nicht gerecht werden können. Hinweise auf ausländische Rechtsordnungen und frühere deutsche und romanische Rechtsinstitute halte ich für bemerkenswert, aber für nur bedingt aussagekräftig, da bei einem Vergleich die gesamten Verfahrensordnungen mit allen Möglichkeiten und Hemmnissen besonders des Beweisrechts gegenüber gestellt werden müssen. Der Anlaß für die Initiative ist ebenso beklemmend wie säkulär. Es geht nicht einfach um eine Neufassung des Verjährungssystems, es geht um die Frage, ob besonders Mordtaten der NS-Zeit über gesetzliche Verjährungsvorschriften einer Strafverfolgung entzogen sein können oder nicht. Das Für und Wider ist in den bewegenden Debatten der 60er * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlagen zum Stenographischen Bericht Jahre und in den Diskussionen aus jüngster Zeit engagiert, behutsam und sorgfältig beleuchtet worden. Ich bin aber der Meinung, daß es statthaft sein darf, bei der Entscheidung auch berufsbedingte Erfahrungen miteinzubeziehen, die mehr die praktische Auswirkung der Gesetzesänderung betreffen. Ich neige mehr und mehr zu der Auffassung, daß der in den 60er Jahren beschrittene Weg der Ausdehnung der Verjährungsfristen nicht richtig gewesen ist. Dabei will ich nicht verschweigen, daß ich dies seinerzeit anders gesehen habe. Aber im Verlaufe einer beruflichen Tätigkeit, bei der ich mit der Verfolgung von NS-Gewaltverbrechen zu tun hatte, sind mir zunehmend Zweifel gekommen. Und das, obwohl die nazistische Wirklichkeit mit Genozid, mit Vernichtungs- und Konzentrationslagern, mit Massen- und Einzelmorden durch Akten und Zeugenaussagen erdrückend bestätigt wurde. Aber im Strafprozeß geht es nicht allein um Tatgeschehen, sondern auch um persönliche Verantwortung, um Schuld. Der Nachweis individueller Schuld war schon früher aus vielerlei Gründen kaum oder gar nicht möglich. Das ist auch nach der Erweiterung der Verjährungsfrist auf 30 Jahre noch problematischer geworden. Nicht nur statistische Hinweise geben darüber Aufschluß. Selbst das deutsch-französische Rechtshilfeabkommen des Jahres 1971, das die Verfolgungssperren des Überleitungsvertrages für deutsche Behörden lockerte, hat die strafrechtliche Bewältigung der Judendeportationen aus Frankreich nicht unterstützen können, wie man hört. Ich bin der Meinung, daß unter den gegebenen Umständen die Beibehaltung des geltenden Verjährungsrechts verantwortet werden kann. Nach meiner Erfahrung dürfte die Entdeckung neuer Sachverhalte mit der Folge strafrechtlicher Verurteilung zwar nicht ausschließbar, aber nahezu ausgeschlossen sein. Aller Voraussicht nach wird ein berechtigtes Sühnebedürfnis nicht mehr gestillt werden können. Daher halte ich es aus meiner Sicht nicht für erträglich, Zeugen, die Schwerstes erlitten und durchlitten haben, den Lasten und Beschwernissen, ja den Qualen von Vernehmungen über die gegebenen Unumgänglichkeiten hinaus auszusetzen. Daß nach Eintritt der Verjährungsfrist unentdeckte NS-Mörder sich ihrer Untaten öffentlich rühmen könnten, ist eine theoretische Möglichkeit, hat aber mit der Verjährungsproblematik nichts zu tun. Für schon Abgeurteilte oder außer Verfolgung gesetzte NS-Täter sind eher Stichworte wie „Leugnen", „Verkleinern", „Es war eben Krieg" und in Einzelfällen auch Reue kennzeichnend. Eine Neigung zu öffentlicher Erörterung dieser Vergangenheit besteht bei diesem Tätertyp nach den bisherigen Erfahrungen hingegen kaum. Für die Zukunft muß eine stetig zunehmende Zahl von Fehlbeurteilungen der Strafverfolgungsorgane befürchtet werden. Das wird für die schon anhängigen Verfahren unumgänglich sein. Die Gründe lie- 13316* .Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 3. Juli 1979 gen durchweg in der Beweisnot der Gerichte und Staatsanwaltschaften. Die Aufhebung der Verjährungsfrist hätte zur Folge, daß zu allen neuen Vorgängen materielle Entscheidungen über Schuld oder Unschuld erforderlich würden. Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß diese durchweg Einstellungsverfügungen und Freisprüche sein werden. Ich hielte das für bedrückend, weil mit diesen staatlichen Akten, deren Qualität nicht anders ausfallen kann und wird, Geschichtslegenden gebildet und unterstützt werden können. Aus meiner Sicht ist daher das aus dem geltenden Recht folgende Offenhalten der strafrechtlichen Schuldfrage nach Ablauf der Verjährungsfrist auch der politische richtige Weg. Ich weiß, daß diese Überlegungen nur einen Teil der Fragen und Bedrängungen ausmachen. Für mich sind sie entscheidend. Eine neue gesetzliche Regelung muß sich auch an ihren Möglichkeiten und Grenzen messen lassen. Dem Anspruch der Opfer, der Betroffenen auf sühnende Gerechtigkeit kann nicht über eine Ausweitung des Verjährungsrechts Genüge geschehen. Ich meine, daß dies auszusprechen auch zur parlamentarischen Verantwortlichkeit gehört. Ich wage es daher, nein zu sagen.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Werner Maihofer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Nun, dies kann ich — und nicht nur ich und nicht nur die Antragsteller, die sich meinem Antrag verbunden haben, sondern auch meine Fachkollegen, die sich mit diesen Fragen seit Jahren beschäftigen —nicht feststellen. Den grundlegenden Wandel der Wertüberzeugungen, der dazu nötigen würde, die Unverjährbarkeit der Mordverbrechen einzuführen, gibt es nicht. Ganz im Gegenteil — um dies ganz klar zu sagen —, selbst die Regelstrafe für Mordverbrechen läuft heute auf eine eindeutig unter Resozialisierungsgesichtspunkten zu gestaltende, etwa durchschnittlich 15jährige Gesamtstrafe hinaus.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Das ist eine richtige Darstellung!)

    Das ist einfach ein Widerspruch in sich.
    Zweitens. Die Antragsteller gehen mit ihrem Änderungsantrag den zweiten Weg, den einer Unverjährbarerklärung der früher begangenen Mordverbrechen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, soweit sie die Voraussetzungen der schon in unserem geltenden Recht enthaltenen Straftatbestände des Völkermordes oder der Kriegsverbrechen erfüllen. Zwar schließt das Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 unserer Verfassung die rückwirkende Anwendung dieser erst später in unser Recht aufgenommenen Straftatbestände selber aus, wie Sie alle wissen. Die Strafbarkeit kann sich immer nur nach dem bereits zur Tatzeit geltenden Mordtatbestand richten. Darüber gibt es zwischen uns
    keinen Streit. Nicht vom Rückwirkungsverbot berührt sind dagegen nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Februar 1969 die Verjährungsvorschriften. Deshalb steht es dem Gesetzgeber frei, diejenigen Mordverbrechen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft unverjährbar zu stellen, welche die oben dargelegten völkerstrafrechtlichen Voraussetzungen, bestimmter Völkermordverbrechen oder Kriegsverbrechen, also von Staatsverbrechen, erfüllen.
    Man hat eine solche differenzierende Verjährungsregelung für NS-Verbrechen auf der Rechtsgrundlage des Völkerstrafrechts von verschiedenen Seiten — auch von der Ihren — für verfassungsmäßig nicht möglich erklärt. Demgegenüber haben die beiden — das ist in der Öffentlichkeit nicht durchgedrungen — im Rechtsausschuß gehörten wissenschaftlichen Sachverständigen, übereinstimmend insoweit, einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 unseres Grundgesetzes in seiner vom Bundesverfassungsgericht gegebenen verbindlichen Auslegung ausdrücklich verneint. Vielmehr betreffe die von einer differenzierenden Verjährungsregelung angestellte Prüfung, ob bestimmte Mordtaten gleichzeitig Völkermord oder Kriegsverbrechen seien, nicht ihre Tatbestandsmäßigkeit, sondern sei lediglich, wie Professor Frowein herausgearbeitet hat, die für eine Aussonderung der weiter verjährenden und der nicht verjährenden Morde entscheidende prozessuale Vorfrage. Wenn deshalb der Gesetzgeber verfassungsrechtlich in. der Lage sei, die Verfolgungsverjährung bei Mord generell zu beseitigen, so könne es ihm nicht verwehrt sein, im Rahmen einer prozessualen Verjährungsvorschrift auch eine weniger weitgehende Regelung zu treffen. Die einzige Voraussetzung dabei ist, daß die Differenzierung sachgemäß ist. Diese Sachgemäßheit, aber auch die Verhältnismäßigkeit etwa unter dem Gesichtspunkt des Gleichbehandlungsgebots nach Art. 3 unseres Grundgesetzes wird von Frowein gerade für eine differenzierende Lösung durch ihre Anknüpfung der deutschen Verjährungsregelung an die geschilderte völkerrechtliche Entwicklung ausdrücklich bejaht. Fazit: Wenn überhaupt Änderung des geltenden Rechts, dann in Richtung auf eine allein als sachangemessen und verhältnismäßig aufgefaßte differenzierende Verjährungsregelung.
    Zu demselben Gesamtergebnis gelangt auch der zweite wissenschaftliche Sachverständige, Professor Böckenförde, wenn auch von ganz anderer Position aus. Er sieht, wie Sie auch seinen veröffentlichten Darlegungen entnehmen können, entgegen dem Verfassungsgerichtsurteil in jeder nachträglichen Verjährungsänderung eine auch materiellrechtliche und nicht nur formell-rechtliche Neubewertung mit Rückwirkung für den davon Betroffenen.
    Stelle man sich dagegen auf den vom Bundesverfassungsgericht eingenommenen Standpunkt einer rein prozessualen Rechtsnatur der Verjährungsvorschriften, welche das Rückwirkungsverbot nach Art. 103 Abs. 2 unberührt lasse, dann gelte es, durch eine von Böckenförde als verfassungsgemäß erachtete Sonderregelung „die rechtsstaatlichen Auswirkungen so eng begrenzt wie möglich" zu halten.



    Dr. Dr. h. c. Maihofer
    So seine wörtliche Ausführung auf ausdrückliche Nachfrage bei den Beratungen im Rechtsausschuß des Bundestages.
    Dies fordert im Prinzip ebenso eine differenzierte Verjährungsregelung, wobei es bei deren Differenzierung auch unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 GG allerdings — und das war ein sehr bedeutsamer Gesichtspunkt, den Herr Böckenförde in die Beratung eingeführt hat — entscheidend darauf ankommen muß, ob sich die daraus folgende verschiedene Behandlung verjährender und nicht verjährender Mordtaten nach völkerstrafrechtlichen Gesichtspunkten auch aus unterschiedlichen Strafzwecken begründen läßt. Eben hier in den unterschiedlichen Strafzwecken, neben dem für beide Bereiche wichtigen Zweck der Sühne für Schuld, liegt, wie ich eingangs dargelegt habe, für eine differenzierte Verjährungsregelung der eigentliche Unterschied zwischen der letztlich auf Resozialisierung abzielenden Bestrafung des gemeinen Mordes als Einzelverbrechen und der auf internale Prävention gerichteten Bestrafung von Völkermord und Kriegsverbrechen als Staatsverbrechen.
    Drittens. Die Antragsteller sind der Überzeugung, daß mit einer differenzierenden Verjährungsregelung die Fälle aus dem Kernbereich des Völkermordes und der Kriegsverbrechen erfaßt werden, die auch nach 1979 auf Grund neuer Unterlagen neu zur Verhandlung anstehen könnten, ohne daß zuvor eine vorsorgliche Unterbrechung der Verfolgungsverjährung durch gerichtliche Akte möglich war.
    Die Frage, die sich hier zunächst nüchtern stellt, ist die: Um welche Zahl, aber auch um welche Art von Fällen geht es bei dem Für und Wider einer Verjährungsaufhebung?
    Durch die, wie ich sagen möchte, irrealen Diskussionen der vergangenen Wochen sind in unserer Bevölkerung völlig falsche Vorstellungen darüber vorhanden, um welche Größenordnungen, aber auch um welche Fallbereiche es sich nach unseren bisherigen Erfahrungen in den künftigen NS-Verfahren handeln dürfte, die von unserer Verjährungsentscheidung 1979 betroffen sein könnten.
    Es sind nach den nachprüfbaren Erfahrungen des vergangenen Jahrzehnts von 1969 bis 1979 nicht, wie viele meinen, Tausende, auch nicht Hunderte von neuen NS-Verfahren, mit denen wir werden rechnen müssen.
    Nach den vorliegenden Verfahrensakten sind von 1969 bis 1979 insgesamt drei Verurteilungen und zwei Freisprüche ergangen, die ohne eine Verjährungsverlängerung nicht hätten ergehen können. Ebenso sind es für diesen Zehnjahreszeitraum insgesamt weitere 18 neu zur Anklage gebrachte Fälle, von denen inzwischen sieben in die Hauptverhandlung gelangt, die übrigen elf entweder eingestellt oder noch nicht eröffnet sind.
    Gerade wenn man die Verjährungsentscheidung nicht für eine Frage der Quantität, sondern des Prinzips hält, wird man andererseits an Hand dieser ernüchternden Zahlen den völlig falschen Erwartungen entgegentreten müssen — gerade auch unter dem Vorzeichen der Aufhebung der generellen
    Mordverjährung —, denen man draußen in der Öffentlichkeit begegnet.
    Um es einmal ganz scharf zu sagen: Hier geht es darum, in einigen ganz wenigen Fällen, in denen zureichende Beweisunterlagen für ein Strafverfahren vorhanden sind, Anklage zu erheben — wohl in weniger als zwanzig Fällen in zehn Jahren — oder Urteile zu erlangen — wohl in weniger als fünf Fällen in zehn Jahren —, wobei alle Fachleute übereinstimmend erklärt haben, daß es in den nächsten Jahrzehnten eher weniger Fälle sein werden als mehr.
    Das ist für alle Standpunkte hier in der Verjährungsdebatte wichtig. Deshalb möchte ich mit gebührender Deutlichkeit daran erinnern.
    Ebenso wie bei der Größenordnung ist, nach den irrealen Diskussionen der vergangenen Wochen, aber auch in Hinsicht auf die Fallgruppen, die von solchen NS-Verfahren noch erfaßt werden könnten, die Vorstellung verbreitet, als ob es sich hier wie in früheren Zeiten um das ganze Spektrum der Kriminalität unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft handelte. Die Wahrheit ist auch hier, daß die sich aus den gerichtlichen Unterlagen ergebenden tatsächlichen Fälle des vergangenen Jahrzehnts fast ausnahmslos Morde an Juden, an Zigeunern, an polnischen Häftlingen, an polnischen Zivilpersonen durch KZ-Personal oder Polizeiorgane zum Gegenstand haben, die in den Kernbereich, sei es der Völkermordverbrechen, sei es der Kriegsverbrechen, fallen.
    Angesichts dieser Sachlage erwies sich nach Auffassung der Antragsteller zwar die — auch in der Europaratskonvention vorgesehene — Einbeziehung schwerster Kriegsverbrechen in eine differenzierende Verjährungsregelung als angemessen, aber auch als ausreichend, um die nach den Erfahrungen des vergangenen Jahrzehnts tatsächlich zukünftig neu zur Ahndung gelangenden NS-Verbrechen zu erfassen.
    Wenn demgegenüber gerade gegen eine differenzierende Verjährungsregelung die Lückenfrage aufgeworfen wird — und das ist hier in den Beiträgen auch dieser Debatte geschehen und geschieht auch im Bericht des Rechtsausschusses, etwa an Hand einer Übersicht von Fällen, denen teilweise schon die Mordqualität überhaupt fehlt, die also von keiner Verjährungsregelung erfaßt werden könnten —, dann ist dem entgegenzuhalten, daß es eine lückenlose Abgrenzung in keiner Verjährungsregelung überhaupt gibt.
    Schon das seit 1975 geltende Recht weist gerade bei der entscheidenden Ahndung der hauptverantwortlichen Schreibtischtäter verhängnisvolle Lükken auf, die Herrn Rückerl nach seiner eigenen Aussage dazu veranlaßt haben, den schon vorbereiteten Prozeß gegen die Hauptverantwortlichen für die „Endlösung der Judenfrage" im Reichssicherheitshauptamt einzustellen.
    Was hier so einzig — und dies ist für mich die Folgerung aus alledem — bleibt, ist die Anknüpfung der Unverjährbarkeit der NS-Verbrechen an die völkerstrafrechtlichen Tatbestände des Völker-



    Dr. Dr. h. c. Maihofer
    mords und der Kriegsverbrechen, denen nicht nur wegen der Schwere der Tat, sondern auch der Schwierigkeit der Verfolgung solcher Staatsverbrechen nach der in der Völkergemeinschaft sich abzeichnenden Entwicklung der Unverjährbarkeit zukommen muß. Nur damit stellen wir unsere Verjährungsregelung 1979 auf eine allseits unbestreitbare Grundlage. Alle anderen Grundlagen, selbst die einer generellen Mordverjährungsaufhebung, haben hier oder dort ihre fragwürdigen Lücken.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Das gilt auch für die!)

    Viertens. Die Antragsteller sind durch die Beratungen im Rechtsausschuß aber auch in ihrer Überzeugung bekräftigt worden, daß nur die in ihrem Änderungsantrag vorgeschlagene differenzierende Verjährungsregelung zu einer nicht nur sachangemessenen und verhältnismäßigen, sondern auch zu einer dauerhaften Lösung der Verjährungsfrage führt. Eben auf diesen Gesichtspunkt, den letzten, den ich hier vortrage, kommt es mir entscheidend für den Abschluß dieser Beratungen an. Denn: nur eine solche Verjährungsentscheidung, die sich in die oben geschilderten Rechtsentwicklungen der Völkergemeinschaft einfügt, schafft nach meiner Überzeugung, wie im Bericht des Rechtsausschusses im einzelnen dargelegt, zugleich die gesetzlichen Voraussetzungen in unserem Strafrecht, die es der Bundesrepublik Deutschland ohne erneute Verjährungsdebatte und neuerliche Rechtsänderungen gestatteten, die vorliegende Europaratskonvention über die Unverjährbarkeit von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen zu ratifizieren. Wie immer man sich in dieser Frage endgültig entscheidet, die Frage ist: ,Muß dies alles nicht, jedenfalls vorsorglich, mitbedacht werden, wenn wir heute eine Verjährungsentscheidung treffen?
    Zur Sicherstellung der Unverjährbarkeit von Völkermord und Kriegsverbrechen hält diese Europaratskonvention — und ich kann mir nicht ersparen, Ihnen dies hier noch einmal im einzelnen vorzustellen — eine vierfache innerstaatliche Regelung bei den Mitgliedstaaten des Europarats für erforderlich — alles im Text der Konvention nachzulesen —:
    Erstens. Unverjährbarerklärung des Völkermords. Das steht in Art. 1 Nr. 1 der Europaratskonvention. Dies hat, wie Sie wissen, die Bundesrepublik Deutschland bereits mit der letzten Verjährungsentscheidung 1969 getan.
    Zweitens. Unverjährbarkeitserklärung der in den Genfer Konventionen von 1949 als „schwere Verletzungen" bezeichneten Kriegsverbrechen, sofern sie „besonders schwerer Art" sind — Art. 1 Nr. 2 der Europaratskonvention.
    Drittens die Anwendbarerklärung dieser Unverjährbarkeit des Völkermords und — viertens — der Kriegsverbrechen auch auf früher begangene Taten, wenn die Verjährungsfrist „zu der Zeit nicht abgelaufen" war. So Art. 2 Ziffer 2 der Europaratskonvention, was heute nurmehr für die noch unverjährten Verbrechen des Mordes in Betracht
    kommt, wogegen alle Fälle des Totschlags oder der Körperverletzung längst verjährt sind.
    Mit einer differenzierten Verjährungsregelung auf der Rechtsgrundlage dieses Völkerstrafrechts wären zugleich eben diese drei noch ausstehenden innerstaatlichen Entscheidungen mit getroffen. Sie führt zu einer Unverjährbarerklärung — in den Artikeln des Änderungsantrags nachzulesen — derjenigen Verbrechen des Mordes unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, welche die Voraussetzungen dieser internationalen Konventionen gegen Völkermord und Kriegsverbrechen erfüllen.

    (Zuruf von der CDU/CSU)

    Eine solche differenzierte Verjährungsregelung, welche bei der Erklärung der Unverjährbarkeit früher begangener Mordverbrechen ausdrücklich an völkerstrafrechtliche Tatbestände anknüpft, bewegt sich nicht nur nach Aussage der gehörten wissenschaftlichen Sachverständigen innerhalb der durch das Rückwirkungsverbot unserer Verfassung gezogenen Grenzen, sie erfaßt zugleich den Kernbereich der Fälle von schwersten Völkermordverbrechen und Kriegsverbrechen, die nach den Erfahrungen des vergangenen Jahrzehnts auch in den kommenden Jahrzehnten zur Verfolgung anstehen können.
    Demgegenüber stellt die vorgeschlagene Aufhebung der Mordverjährung allenfalls — ich meine dies wörtlich — eine Zwischenlösung dar, mit der die hier gebotene Unverjährbarerklärung der NS-Verbrechen unter dem völkerstrafrechtlichen Vorzeichen des Völkermordes und der Kriegsverbrechen gerade nicht erfolgt, sondern umgangen wird. Sie würde uns in absehbarer Zeit, so wie die früheren Verjährungsentscheidungen von 1965 und 1969 auch, eine erneute Verjährungsdebatte bescheren. Herr Kollege Gerster, deshalb hinterläßt nicht etwa eine differenzierte Verjährungsregelung ungelöste Probleme, sondern, wie ich meine, eben die von Ihnen mit befürwortete pauschale Verjährungsregelung. Sie hinterläßt uns eben dieses ungelöste Problem der Einfügung unserer Verjährungsentscheidung in die völkerstrafrechtlichen Entwicklungen.
    Ich versage es mir, schon beim jetzigen Stand der Aussprache auf die Erläuterung der Einzelanträge unseres Abänderungsantrags einzugehen. Worum es den Antragstellern bei dieser einführenden Begründung geht, ist, Ihnen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, vor Ihrer freien Gewissensentscheidung die rechtlichen Gründe und die werthaften Überzeugungen darzulegen, die uns zum Vorschlag einer differenzierten Verjährungsregelung bewogen haben. Wir halten sie für die beste mögliche Antwort auf die uns gestellte Frage. Sie führt zu einer sachangemessenen, verhältnismäßigen und dauerhaften Regelung der Verjährungsfrage, ohne die rechtsstaatliche Errungenschaft der zeitlichen Verjährung für die Straftatbestände unseres innerstaatlichen Rechts anzutasten.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Genau das bezweifle ich!)

    Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — .166. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 3. Juli 1979 13265
    Dr. Dr. h. c. Maihofer
    I Damit treffen wir zugleich auch eine Entscheidung, die sagt, was sie will, und tut, was sie sagt, die sich ehrlich zu unserer unverjährbaren Verantwortung als Nachfolgestaat für die Verfolgung der Mordverbrechen der NS-Gewaltherrschaft bekennt, die unter diese völkerstrafrechtlichen Vorzeichen fallen.
    Damit treffen wir auch eine Entscheidung, die diese Verjährungsregelung in die Rechtsentwicklung der Völkergemeinschaft einfügt dadurch, daß sie die Lösung dieser nicht nur unsere nationale Rechtsordnung, sondern auch den internationalen Rechtsfrieden berührenden Frage auf die gesicherte Grundlage des Völkerstrafrechts stellt. Nur damit werden wir der von uns geforderten stellvertretenden Verantwortung für die heutige Völkergemeinschaft und ihre zukünftige Entwicklung gerecht.
    Dies zum Ausgangspunkt der von uns geforderten Verjährungsregelung zu machen, dies aber auch in den Mittelpunkt der Verjährungsentscheidung dieses Hauses zu stellen, ist die Absicht, die dem von uns gestellten Änderungsantrag für eine differenzierende Verjährungsregelung zugrunde liegt, um deren Unterstützung ich Sie in den folgenden Abstimmungen bitte.

    (Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD und der CDU/CSU)



Rede von Dr. Annemarie Renger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Emmerlich.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Alfred Emmerlich


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Frage der Verjährung hat, wie ich finde, ungewöhnliche Aufmerksamkeit und Anteilnahme im In- und Ausland hervorgerufen. Ich bedaure, daß ich schon in diesem Punkt meinem besonders geschätzten Kollegen Kleinert widersprechen muß.
    Diese ungewöhnliche Aufmerksamkeit und Anteilnahme hängen gewiß mit vielen Umständen zusammen, nicht zuletzt damit, daß uns das Verjährungsproblem erneut in aller Härte mit dem Nationalsozialismus und seinen die menschliche Vorstellungskraft übersteigenden Verbrechen konfrontiert und unvermeidlich zu den Fragen führt: Wie konnte das alles in unserem Land passieren? Was ist eigentlich getan worden, um aus diesem furchtbaren Geschehen die richtigen Folgerungen zu ziehen?
    Bei den Älteren unter uns, die die nationalsozialistische Zeit als Erwachsene erlebt haben, kommt nicht selten die Frage hinzu: Wie hast du dich in der damaligen Zeit verhalten?
    Das Verjährungsproblem wirft darüber hinaus gewiß auch Fragen nach der Legitimation, nach den Möglichkeiten und nach den Grenzen des Strafrechts auf. Manchem wird dabei gegenwärtig, daß politisch motivierte Straftaten in der Geschichte bis in unsere Zeit hinein einer besonderen moralischen und rechtlichen Wertung unterstellt und gleichsam privilegiert worden sind. Ich selbst habe mich des öfteren gefragt, ob dieser Gesichtspunkt auch bei der Verjährung eine Rolle spielt. Was die
    Beratung im Rechtsausschuß anlangt, so gibt es für mich für eine solche Annahme keinerlei Anhaltspunkte.
    Mancher Bürger in unserem Land fragt: Warum verfolgt ihr nur die Verbrechen der Deutschen? Wäre es nicht ein Gebot der Gerechtigkeit, auch die Verbrechen anderer zu verfolgen? Auch diese Fragen muß man ernst nehmen.
    Meine Antwort lautet: Richtig ist, daß es im Zweiten Weltkrieg wie wohl in jedem Krieg auf allen Seiten zu Kriegsverbrechen gekommen ist. Doch die NS-Untaten, mit denen wir es zu tun haben, sind nicht nur während des Kriegs begangen worden, wenn sie auch in ihrer Masse in die Kriegszeit fallen. Bei diesen NS-Verbrechen handelt es sich aber keineswegs um Kriegsverbrechen, also um solche Straftaten, die im Kampf oder im Zusammenhang damit begangen worden sind. Richtig ist ferner, daß politischer Terror noch keineswegs vom Erdball verbannt ist und daß auch heute noch Massenvernichtungen stattfinden, ohne daß die Verantwortlichen in rechtsförmlichen Verfahren zur Rechenschaft gezogen werden. Vermindert dieser Tatbestand aber die Notwendigkeit, sie, die Verantwortlichen, zur Verantwortung zu ziehen? Ich sage: Nein! Im Gegenteil! Dieser Tatbestand unterstreicht die Notwendigkeit, diese Art von Tätern zur Rechenschaft zu ziehen.
    Fordert, meine sehr geehrten Damen und Herren, die Gerechtigkeit denn tatsächlich von uns, daß politische Mörder deshalb von Strafverfolgung freigestellt werden, weil politische Mörder andernorts straffrei ausgehen? Ich sage wiederum: Nein und abermals nein! Denn es wäre geradezu ein Anschlag auf die Gerechtigkeit, wenn schwerste Untaten der NS-Zeit ungesühnt bleiben würden.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Angesichts der das menschliche Vorstellungsvermögen sprengenden und immer noch einmaligen Ungeheuerlichkeit der Verbrechen des Nationalsozialismus, der andauernden Bedrohung der Menschen durch politischen Mord und der durch die Technik schrecklich gesteigerten Möglichkeiten zur Massenvernichtung haben wir die Pflicht, mit der sich durch die Geschichte ziehenden Privilegierung des politischen Mordes Schluß zu machen.

    (Josten [CDU/CSU] : Sehr wahr!)

    Wir müssen ein Zeichen setzen, ein Zeichen für die Rechtsentwicklung und das Rechtsbewußtsein in unserem Lande und in der Welt.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, der Bedeutung der Verjährungsentscheidung entsprechend sind die Beratungen im Rechtsausschuß besonders sorgfältig gewesen. Jedem Einwand und jedem Hinweis auch eines einzelnen Abgeordneten ist nachgegangen worden.
    Bevor ich versuche, in der gebotenen Kürze ein Resümee dieser Beratungen zu ziehen, halte ich es für notwendig, einer Behauptung entgegenzutreten,



    Dr. Emmerlich
    die auch heute wieder vorgetragen worden ist, der Behauptung nämlich, wir, die Initiatoren der Ihnen vorliegenden Gesetzesvorlage plädierten für die generelle Aufhebung der Verjährung von Mord nur deshalb, um die Unverjährbarkeit der sogenannten NS-Morde zu erreichen. Ich bin dieser Behauptung bereits in der ersten Lesung des Deutschen Bundestages entgegengetreten und tue das erneut. Auf Grund der jüngsten geschichtlichen Erfahrungen und der sich daraus ergebenden Notwendigkeit, alle Möglichkeiten zum Schutz des höchsten Gutes des Menschen, nämlich des Lebens, auszuschöpfen, sind wir zu der Überzeugung gekommen, daß die Verjährbarkeit von Mord diesem Schutzgut „menschliches Leben" nicht gerecht wird.
    Zuzugeben ist, daß wir aus dem Anlaß bevorstehender drohender Verjährung von schwersten Straftaten während der NS-Zeit versucht haben, diese unsere Grundüberzeugung im Deutschen Bundestag zum Tragen zu bringen: 1965, 1969 und jetzt, 1979.
    Herr Kollege Maihofer, daß wir im Rahmen der Strafrechtsreform diesen Versuch nicht unternommen haben, ist zwar richtig. Das liegt aber daran, daß wir in durchaus zutreffender Einschätzung der Kräfteverhältnisse im Bundestag wußten, daß es im Zusammenhang mit diesem Vorhaben für die Realisierung unserer Grundüberzeugung „generelle Aufhebung der Verjährung von Mord" keine Mehrheit geben würde.

    (Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU]: Sind die Mehrheitsverhältnisse so viel anders geworden?)

    Wenn ich nunmehr auf das Ergebnis der Beratungen des Rechtsausschusses eingehen darf, so liegt mir daran, zunächst festzustellen, daß meine Behauptung nicht dahin geht, daß sich die Einwendungen gegen eine generelle Aufhebung der Strafverfolgungsverjährung in den Beratungen des Rechtsausschusses als belanglos herausgestellt haben. Es ist nämlich richtig, daß die Beweiskraft insbesondere von Zeugenaussagen mit der Zeit abnimmt und daß es für die Staatsanwaltschaften und die Gerichte mit der Zeit immer schwieriger wird, die Wahrheit zu ergründen und zu einer gerechten Bewertung auch schwersten menschlichen Fehlverhaltens zu gelangen. Es ist deshalb sinnvoll, die Pflicht und das Recht des Staates zur Verfolgung von Straftaten durch Verjährung zeitlich zu begrenzen.
    Eine solche zeitliche Begrenzung der Strafverfolgung setzt aber nach meiner Überzeugung voraus, daß die Straftat selbst, weil sie so lange zurückliegt, dem Bewußtsein der Menschen entschwunden ist und der Verzicht auf Strafverfolgung nicht seinerseits als ein Schlag gegen die Gerechtigkeit, als eine schwerwiegende Störung der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens empfunden wird.
    Diese inhaltliche, diese materielle Voraussetzung für die Strafverfolgungsverjährung ist nach meinem Empfinden beim Mord, also bei der vorsätzlichen Vernichtung eines Menschenlebens aus niedrigsten Beweggründen oder in besonders verabscheuungswürdiger Weise, nicht gegeben.

    (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Und bei Totschlag?)

    Insoweit vermag ich das, was Herr Maihofer gesagt hat, daß nämlich auch über Mord irgendwann Gras wachse, nicht uneingeschränkt zu teilen.

    (Zustimmung bei Abgeordneten der SPD)

    Ich bin der Überzeugung, der Mord schreit so lange zum Himmel, wie der Täter straffrei umherläuft.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

    An dieser inhaltlichen Rechtfertigung der Verjährung, an dieser letzten Voraussetzung für Verjährung fehlt es bei den NS-Morden in, wie ich finde, unbezweifelbarer Weise, Lind ich freue mich darüber, daß ich den für mich sehr beeindruckenden Satz von Herrn Maihofer aus der ersten Lesung „Über Auschwitz wächst in Generationen kein Gras" hier voll aufnehmen und voll unterstützen kann. Insoweit gibt es zwischen uns keinerlei Meinungsverschiedenheiten.

    (Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU] : Ich glaube, nirgends im Hause!)

    Diese Verbrechen der NS-Zeit stehen den Opfern des NS-Regimes, ihren Angehörigen, ihren Mitbürgern in Israel, in Polen, in der Bundesrepublik — überall dort, wo der NS-Terror gewütet hat — so vor Augen, als wären sie gestern geschehen. Die Konzentrationslager, die Einsatzgruppen, die Gestapo-Keller, der gnadenlose Terror in Polen, in der UdSSR, in der CSSR, in den Niederlanden, in Deutschland und in den anderen besetzten Ländern, die Vernichtungslager und die Vernichtungsaktionen, Auschwitz, Oradour und Lidice, sie alle sind in der ganzen Welt unvergessen.
    Wie unvergessen sie sind, wird jedem überdeutlich, der sich vergegenwärtigt, daß Papst Johannes Paul II. am sechsten Tage seiner Pilgerreise nach Polen das Konzentrationslager Auschwitz besucht, in diesem — um ihn selbst zu zitieren — „Golgatha der Gegenwart" eine Messe zelebriert und dabei eine erschütternde Predigt gehalten hat,

    (Josten [CDU/CSU] : Sehr wahr!)

    die ich jedem zur Lektüre empfehlen möchte. Aus dieser Predigt möchte ich einen Satz zitieren. Der Papst hat ausgeführt:
    Auschwitz ist eine Gewissensabrechnung der Menschheit durch diese Tafeln, die von den Opfern zeugen, die die Völker erlitten haben. Auschwitz ist der Ort, den man nicht nur besichtigen kann. Man muß bei dem Besuch mit Furcht daran denken, wo die Grenzen des Hasses, der Vernichtung des Menschen durch den Menschen, die Grenzen der Grausamkeit liegen.
    Die überlebenden Verfolgten des NS-Terrors, die zivilisierte Welt, alle, auf deren Urteil wir Wert legen, würden es als einen Rechtsbruch ohnegleichen, als einen unerhörten Affront gegen die Opfer



    Dr. Emmerlich
    des Nationalsozialismus ansehen, wenn die Bundesrepublik Deutschland am 31. Dezember 1979 mit der Verfolgung selbst der schwersten vom Nationalsozialismus begangenen Verbrechen Schluß machen würde.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP — Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Aber mit Rechtsbruch hat das doch nichts zu tun!)

    Der Rechtsausschuß hat besonders sorgfältig Vorschläge für eine differenzierende Regelung, insbesondere den Vorschlag vom Kollegen Professor Dr. Maihofer, erwogen. Professor Dr. Maihofer hat an den Beratungen des Rechtsausschusses teilgenommen und diese durch seine Beiträge belebt und vertieft, insbesondere was die völkerstrafrechtlichen Aspekte der Verjährung angeht. Dafür möchte ich ihm als einer der Berichterstatter — ich nehme an, auch im Namen aller Mitglieder des Rechtsausschusses — an dieser Stelle ausdrücklich danken.

    (Beifall bei allen Fraktionen)

    Ich bedaure, die Annahme dieses Vorschlages, der im Bereich der auch von uns zunächst erwogenen Entscheidungsalternativen liegt und dem eine gewisse Plausiblität des ersten Blicks nicht abzusprechen ist,

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : So ist es!)

    ich bedauere, die Annahme dieses Vorschlages von Professor Maihofer gleichwohl nicht empfehlen zu können. Dieser Vorschlag ist für mich mit Risiken behaftet, die ich nicht für tragbar halte.
    Erstens. Dem Vorschlag kann nicht attestiert werden, daß er verfassungsrechtlich unbedenklich ist. Der Präsident des Bundesgerichtshofs und zwei Generalstaatsanwälte haben als Sachverständige vor dem Rechtsausschuß ausgeführt, der MaihoferVorschlag laufe auf eine Umgehung des Rückwirkungsverbots des Art. 103 Abs. 2 des Grundgesetzes hinaus. Wenn diese Auffassung von zwei Professoren auch nicht geteilt worden ist — ich füge hinzu: ich persönlich teile sie auch nicht —, so kann eine solche übereinstimmende Bewertung von drei Persönlichkeiten, die höchste Ämter in der Justiz innehaben, durch diese Äußerung der zwei Professoren nicht mit der für uns erforderlichen Gewißheit als entkräftet angesehen werden. Wegen weiterer, mehr am Rande vorgetragener verfassungsrechtlicher Bedenken darf ich auf den Bericht des Rechtsausschusses und seine Protokolle verweisen.
    Zweitens. Es ist keine auch nur annähernd gesicherte Prognose über die Interpretation des Völkermordtatbestandes und der Genfer Abkommen durch die innerstaatlichen Gerichte möglich. Der Anwendungsbereich des Vorschlages von Professor Maihofer ist deshalb nicht mit hinreichender Sicherheit zu bestimmen. Wir können nicht ausschließen, daß sich die Gerichte nicht in der Lage sehen, solche Mordtaten unter den Maihofer-Vorschlag zu subsumieren, die ihrem Unrechts- und Schuldgehalt nach unter allen Umständen unverjährbar sein müssen. Denn das Mordgeschehen der NS-Zeit wird durch den Völkermordtatbestand und durch die in den Genfer Abkommen von 1949 erfaßt ten Kriegsverbrechen nur zu einem Teil erfaßt. Eine Verjährungsregelung, die nur einen Teil der NS-Morde erfaßt, erscheint nicht akzeptabel, weil eine solche Differenzierung die Gefahr heraufbeschwört, daß Taten schwersten Unrechts und schwerster Schuld verjähren würden, während andere, bei denen die Schuld geringer ist, weiterhin der Strafverfolgung unterliegen. Das ist eine Konsequenz, die nicht mit dem Gleichheitsgrundsatz zu vereinbaren ist, die auch dem Prinzip der Gerechtigkeit zuwiderläuft und somit das Rechtsempfingen der Betroffenen tief verletzen und unsere Glaubwürdigkeit in Frage stellen würde.
    Drittens. Die Prognose von Professor Maihofer, es seien zukünftig nur solche Fälle zu erwarten, die unter seinen Vorschlag fallen, ist nicht abgesichert. Die Untersuchungen haben ergeben, daß viele Taten in bereits laufenden Straf- und Ermittlungsverfahren nicht unter seine Regelung fallen und daß es in anderen Fällen zweifelhaft ist, ob für die Staatsanwaltschaften und die Gerichte eine Subsumtion darunter möglich wäre.
    Im übrigen ist eine halbwegs gesicherte Voraussage über zukünftige Fallgestaltungen nicht möglich. Wahrscheinlich ist es, daß zukünftig vor allem Exzeßtaten zu verfolgen sind; gerade sie können mit dem Maihofer-Vorschlag aber häufig nicht erfaßt werden.
    Lassen Sie mich, meine sehr geehrten Damen und Herren, abschließend zur Kernfrage unserer Entscheidung zurückkommen. Die Einwendungen gegen eine generelle Aufhebung der Verjährung für Mord haben ihr Gewicht. Die Frage ist, ob diese vornehmlich strafprozessualen Einwendungen gewichtiger sind als die Argumente für die Aufhebung der Verjährung.

    (Josten [CDU/CSU] : Das ist die Frage!)

    Die Frage ist auch, ob es in unserer Zeit der erhöhten Bedrohung menschlichen Lebens ausreicht, sich auf Rechtstraditionen einer ruhigeren Vergangenheit zurückzuziehen.

    (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

    Nach meiner festen Überzeugung sind die auf moralische, auf rechtliche und auf politische Erwägungen gestützten Gründe für die Aufhebung der Verjährung gewichtiger als die von mir durchaus gewürdigten Gegengründe..
    Ich bitte den Deutschen Bundestag deshalb um seine Zustimmung zu dem vorliegenden Entwurf eines 18. Strafrechtsänderungsgesetzes.

    (Beifall bei der SPD, bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)