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ID0816601600

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 8/166 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 166. Sitzung Bonn, Dienstag, den 3. Juli 1979 Inhalt: Abweichung von § 60 Abs. 2 GO bei der Beratung der Verjährungsvorlagen . . . 13233 A Eintritt des Abg. Besch in den Deutschen Bundestag für den ausgeschiedenen Abg Carstens (Fehmarn) 13290 A Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung . 13233 B Beratung des Bericht des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gradl, Katzer, Blumenfeld, Dr. Mikat, Dr. Biedenkopf, Josten, Dr. Müller-Hermann, Gerster (Mainz), Wohlrabe, Frau Dr. Riede (Oeffingen), Kittelmann, Breidbach, Frau Pieser, Luster, Reddemann, Schröder (Lüneburg), Dr. Pfennig, Frau Berger (Berlin), Stommel, Conrad (Riegelsberg), Dr. Stercken, Russe, Frau Dr. Wisniewski, Schartz (Trier) und Genossen Unverjährbarkeit von Mord zu der Entschließung des Europäischen Parlaments zur Unverjährbarkeit von Völkermord und Mord zu dem von den Abgeordneten Wehner, Ahlers, Dr. Ahrens, Amling, Dr. Apel und Genossen und den Abgeordneten Dr. Wendig, Gattermann, Frau Dr. Hamm-Brücher und Genossen eingebrachten Entwurf eines Achtzehnten Strafrechtsänderungsgesetzes — Drucksachen 8/2539, 8/2616, 8/2653 (neu), 8/3032 — in Verbindung mit Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Wehner, Ahlers, Dr. Ahrens, Amling, Dr. Apel und Genossen und den Abgeordneten Dr. Wendig, Gattermann, Frau Dr. Hamm-Brücher und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Achtzehnten Strafrechtsänderungsgesetzes — Drucksache 8/2653 (neu) — in Verbindung mit Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Gradl, Katzer, Blumenfeld, Dr. Mikat, Dr. Biedenkopf, Josten, Dr. Müller-Her- II Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 3. Juli 1979 mann, Gerster (Mainz), Wohlrabe, Frau Dr. Riede (Oeffingen), Kittelmann, Breidbach, Frau Pieser, Luster, Reddemann, Schröder (Lüneburg), Dr. Pfennig, Frau Berger (Berlin), Stommel, Conrad (Riegelsberg), Dr. Stercken, Russe, Frau Dr. Wisniewski, Schartz (Trier) und Genossen Unverjährbarkeit von Mord — Drucksache 8/2539 — in Verbindung mit Beratung der Entschließung des Europäischen Parlaments zur Unverjährbarkeit von Völkermord und Mord — Drucksache 8/2616 — Dr. Mertes (Gerolstein) CDU/CSU . . . . 13234 A Frau Dr. Däubler-Gmelin SPD . . . . 13239 B Kleinert FDP 13243 C Hartmann CDU/CSU 13247 C Dr. Vogel (München) SPD . . . . . . 13252 A Gattermann FDP . . . . . . . . . 13254 C Gerster (Mainz) CDU/CSU . . . . . . 13257 B Dr. Dr. h. c. Maihofer FDP . . . 13260 A, 13292 A Dr. Emmerlich SPD . . . . . . . 13265 B Helmrich CDU/CSU 13268 A Sieglerschmidt SPD 13269 C Frau Matthäus-Maier FDP . . . . . . 13272 B Dr. Lenz (Bergstraße) CDU/CSU 13274 D Dr. Weber (Köln) SPD 13277 D Ey CDU/CSU 13281 C Frau Dr. Hamm-Brücher FDP 13282 B Blumenfeld CDU/CSU 13285 C Cronenberg FDP 13287 B Dr. Bötsch CDU/CSU . . . . . . . . . 13288 A Erhard (Bad Schwalbach) CDU/CSU . . . 13294 B Dürr SPD 13296 C Engelhard FDP 13298 D Dr. Gradl CDU/CSU 13301 A Thüsing SPD 13303 A Dr. Wendig FDP 13305 D Namentliche Abstimmungen . . 13290 A, 13292 B, 13308 A, 13311 B Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zum Sechsten Gesetz zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes — Drucksache 8/3027 — Pfeifer CDU/CSU . . . . . . . . . . 13308 B Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zum Gesetz zur Neufassung des Umsatzsteuergesetzes und zur Änderung anderer Gesetze — Drucksache 8/3028 Westphal SPD 13309 B Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zum Gesetz zur Änderung des Gesetzes über technische Arbeitsmittel und der Gewerbeordnung — Drucksache 8/3029 — Jahn (Marburg) SPD 13313 B Nächste Sitzung 13313 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 13315* A Anlage 2 Erklärung des Abg. Dr. Penner (SPD) nach § 59 GO zu Punkt 1 der Tagesordnung . . 13315*A Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 3. Juli 1979 13233 166. Sitzung Bonn, den 3. Juli 1979 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordneter) entschuldigt bis einschließlich Dr. Arnold 4. 7. Bayha 4. 7. Dr. Böhme (Freiburg) 4. 7. Büchner (Speyer) * 4. 7. Dr. Dübber 3. 7. Dr. h. c. Kiesinger 4. 7. Koblitz 4. 7. Dr. Müller ** 4. 7. Picard 4. 7. Scheffler ** 4. 7. Frau Schlei 4. 7. Dr. Schmitt-Vockenhausen 4. 7. Spilker 4. 7. Volmer 4. 7. Walkhoff 4. 7. Dr. Wulff 4. 7. Anlage 2 Erklärung des Abgeordneten Dr. Penner (SPD) nach § 59 GO zu Punkt 1 der Tagesordnung Ich stimme einer angestrebten Aufhebung der Verjährungsfrist für Mord nicht zu. Ich bin der Meinung, daß sich das abgestufte System der Verjährungsfristen im Strafgesetzbuch, in das auch schwerste Straftaten wie Mord einbezogen sind, bei allen eingeräumten Unzulänglichkeiten bewährt hat. Die zeitliche Begrenzung der staatlichen Verfolgungspflicht für Straftaten beruht auch auf der Erkenntnis, daß die Möglichkeiten der Wahrheitsfindung im Strafprozeß um so brüchiger und fragwürdiger werden, je mehr Zeit zwischen Tat und Ahndung verstrichen ist. Ich halte es daher für richtig und auch geboten, wenn der Gesetzgeber diese Regelerfahrung gesetzlich absichert und damit den Strafverfolgungsorganen eine Pflicht abnimmt, der sie auch bei bestem Wollen und Können nicht gerecht werden können. Hinweise auf ausländische Rechtsordnungen und frühere deutsche und romanische Rechtsinstitute halte ich für bemerkenswert, aber für nur bedingt aussagekräftig, da bei einem Vergleich die gesamten Verfahrensordnungen mit allen Möglichkeiten und Hemmnissen besonders des Beweisrechts gegenüber gestellt werden müssen. Der Anlaß für die Initiative ist ebenso beklemmend wie säkulär. Es geht nicht einfach um eine Neufassung des Verjährungssystems, es geht um die Frage, ob besonders Mordtaten der NS-Zeit über gesetzliche Verjährungsvorschriften einer Strafverfolgung entzogen sein können oder nicht. Das Für und Wider ist in den bewegenden Debatten der 60er * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlagen zum Stenographischen Bericht Jahre und in den Diskussionen aus jüngster Zeit engagiert, behutsam und sorgfältig beleuchtet worden. Ich bin aber der Meinung, daß es statthaft sein darf, bei der Entscheidung auch berufsbedingte Erfahrungen miteinzubeziehen, die mehr die praktische Auswirkung der Gesetzesänderung betreffen. Ich neige mehr und mehr zu der Auffassung, daß der in den 60er Jahren beschrittene Weg der Ausdehnung der Verjährungsfristen nicht richtig gewesen ist. Dabei will ich nicht verschweigen, daß ich dies seinerzeit anders gesehen habe. Aber im Verlaufe einer beruflichen Tätigkeit, bei der ich mit der Verfolgung von NS-Gewaltverbrechen zu tun hatte, sind mir zunehmend Zweifel gekommen. Und das, obwohl die nazistische Wirklichkeit mit Genozid, mit Vernichtungs- und Konzentrationslagern, mit Massen- und Einzelmorden durch Akten und Zeugenaussagen erdrückend bestätigt wurde. Aber im Strafprozeß geht es nicht allein um Tatgeschehen, sondern auch um persönliche Verantwortung, um Schuld. Der Nachweis individueller Schuld war schon früher aus vielerlei Gründen kaum oder gar nicht möglich. Das ist auch nach der Erweiterung der Verjährungsfrist auf 30 Jahre noch problematischer geworden. Nicht nur statistische Hinweise geben darüber Aufschluß. Selbst das deutsch-französische Rechtshilfeabkommen des Jahres 1971, das die Verfolgungssperren des Überleitungsvertrages für deutsche Behörden lockerte, hat die strafrechtliche Bewältigung der Judendeportationen aus Frankreich nicht unterstützen können, wie man hört. Ich bin der Meinung, daß unter den gegebenen Umständen die Beibehaltung des geltenden Verjährungsrechts verantwortet werden kann. Nach meiner Erfahrung dürfte die Entdeckung neuer Sachverhalte mit der Folge strafrechtlicher Verurteilung zwar nicht ausschließbar, aber nahezu ausgeschlossen sein. Aller Voraussicht nach wird ein berechtigtes Sühnebedürfnis nicht mehr gestillt werden können. Daher halte ich es aus meiner Sicht nicht für erträglich, Zeugen, die Schwerstes erlitten und durchlitten haben, den Lasten und Beschwernissen, ja den Qualen von Vernehmungen über die gegebenen Unumgänglichkeiten hinaus auszusetzen. Daß nach Eintritt der Verjährungsfrist unentdeckte NS-Mörder sich ihrer Untaten öffentlich rühmen könnten, ist eine theoretische Möglichkeit, hat aber mit der Verjährungsproblematik nichts zu tun. Für schon Abgeurteilte oder außer Verfolgung gesetzte NS-Täter sind eher Stichworte wie „Leugnen", „Verkleinern", „Es war eben Krieg" und in Einzelfällen auch Reue kennzeichnend. Eine Neigung zu öffentlicher Erörterung dieser Vergangenheit besteht bei diesem Tätertyp nach den bisherigen Erfahrungen hingegen kaum. Für die Zukunft muß eine stetig zunehmende Zahl von Fehlbeurteilungen der Strafverfolgungsorgane befürchtet werden. Das wird für die schon anhängigen Verfahren unumgänglich sein. Die Gründe lie- 13316* .Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 3. Juli 1979 gen durchweg in der Beweisnot der Gerichte und Staatsanwaltschaften. Die Aufhebung der Verjährungsfrist hätte zur Folge, daß zu allen neuen Vorgängen materielle Entscheidungen über Schuld oder Unschuld erforderlich würden. Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß diese durchweg Einstellungsverfügungen und Freisprüche sein werden. Ich hielte das für bedrückend, weil mit diesen staatlichen Akten, deren Qualität nicht anders ausfallen kann und wird, Geschichtslegenden gebildet und unterstützt werden können. Aus meiner Sicht ist daher das aus dem geltenden Recht folgende Offenhalten der strafrechtlichen Schuldfrage nach Ablauf der Verjährungsfrist auch der politische richtige Weg. Ich weiß, daß diese Überlegungen nur einen Teil der Fragen und Bedrängungen ausmachen. Für mich sind sie entscheidend. Eine neue gesetzliche Regelung muß sich auch an ihren Möglichkeiten und Grenzen messen lassen. Dem Anspruch der Opfer, der Betroffenen auf sühnende Gerechtigkeit kann nicht über eine Ausweitung des Verjährungsrechts Genüge geschehen. Ich meine, daß dies auszusprechen auch zur parlamentarischen Verantwortlichkeit gehört. Ich wage es daher, nein zu sagen.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Johannes Gerster


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion vertritt in der Frage der Verjährbarkeit von Mord keine einheitliche Meinung. Dies ist gut so. In dieser rechtspolitischen Frage, die, von unserer Vergangenheit überschattet, eine Regelung in der Gegenwart auch für die Zukunft erfordert, kann es in einer Volkspartei und in einer großen Fraktion keine Einheitsmeinung geben.
    Es kann eine Einheitsmeinung produziert werden, wenn die Gewissensfreiheit einzelner niedergewalzt würde oder wenn man um einer Scheineinigkeit willen einen möglicherweise dann zweifelhaften Kompromiß suchen würde. Die Negierung der Gewissensfreiheit des einzelnen würde unserer Demokratie schaden. Die Schaffung eines Kompromisses um jeden Preis könnte der Sache schaden, die zu grundsätzlich ist, als daß sie zu einem Handelsobjekt denaturiert werden darf.

    (Josten [CDU/CSU]: So ist es!)

    Ich danke meiner Fraktionsführung, daß sie nie einen Zweifel daran gelassen hat, daß in dieser Angelegenheit jeder Abgeordnete so stimmen sollte, wie er allein es für richtig hält.

    (Josten [CDU/CSU]: Sehr gut!)

    Diese Toleranz und Liberalität stehen in der Tradition der Entscheidungen der Jahre 1965 und 1969.
    Sie erfordern Respekt, wie ich selbst respektiere, daß eine Mehrheit in meiner Fraktion für die Beibehaltung der Verjährung eintritt.
    Ich spreche allerdings für die Minderheit meiner Fraktion, die für die generelle Aufhebung der Mordverjährung eintritt. Diese Gruppe hat als erste eine parlamentarische Initiative zur Aufhebung der Mordverjährung ergriffen. Sie legt Wert auf ihre Eigenständigkeit, auch wenn sie heute aus verfahrensrechtlichen Gründen einem Gesetzentwurf aus den Reihen der Koalition zustimmen muß.
    Der Deutsche Bundestag entscheidet wieder einmal über die Verjährbarkeit von Mordverbrechen. Wieder einmal stehen wir am Ende einer Debatte, die bisher in Abständen von vier bis zehn Jahren immer wieder in dieses Haus stand, jeweils die gleiche Debatte mit den gleichen Argumenten, mit dem gleichen öffentlichen Interesse und mit den gleichen Leidenschaften. Kaum eine andere Frage hat unsere 30jährige Republik so oft und so intensiv beschäftigt und die Gefühle vieler Menschen so tief aufgewühlt. Nur mit wenigen Fragen taten wir uns so unendlich schwer wie mit dieser Verjährungsfrage.
    Dabei stehen Anlaß und Wirkung in einem offenkundigen Mißverhältnis. So werden, wie wir wissen, bei einer Aufhebung der Verjährung nur relativ wenige Personen unmittelbar betroffen werden.
    Wer hätte kein Verständnis für das Argument, diese Frage müsse einmal endgültig geregelt bleiben? Wer versagt denen den Respekt, die Mordverjährung nicht alle paar Jahre neu und anders normieren wollen?
    Und doch zeigt das Wiederauftauchen dieses Themas immer und immer wieder, was nur mit einiger Beklommenheit hier festgestellt werden kann: In der Frage der Verjährbarkeit von Mord hat der Deutsche Bundestag bisher keine dauerhafte, keine allen Anfechtungen standhaltende Antwort geben können. Nur darum muß uns diese Frage immer wieder einholen. Ich füge hinzu: Auch die Entscheidung des Jahres 1979 wird uns nicht ruhen lassen, wenn wir nicht endlich die Verjährbarkeit von Mord generell aufheben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der SPD)

    Wir werden erst loskommen — dies sage ich gerade auch denjenigen, die den Gesichtspunkt der Rechtssicherheit in den Vordergrund stellen —, wenn Mord in diesem Lande nicht verjähren wird.
    Bisher litt der Deutsche Bundestag unter der Last seiner Verantwortung, weil rechtspolitische Motive allgemeinpolitischen und außenpolitischen sowie moralischen Kategorien entgegenzustehen scheinen. Gleichwohl haben bisher immer juristische Erwägungen den Ausschlag für die Bestätigung der Verjährung gegeben. Auch heute können Begriffe und Werte wie Rechtstradition, Rechtsfrieden Rechtssicherheit, Gleichheit und Gerechtigkeit,



    Gerster (Mainz)

    aber auch die Verläßlichkeit des Gesetzgebers als Argumente gegen die Verjährungsaufhebung geltend gemacht werden, und ich füge hinzu: mit bestem Gewissen und durchaus ehrenwert.
    Aber, meine Damen und Herren, wollte man 1965 und 1969 die Verjährung von Mord wirklich mit der letzten Konsequenz bestätigen? Mit der Folge, daß dann nach Ablauf der neuen, verlängerten Frist NS-Mörder frei und unangreifbar herumlaufen sollten? Glaubte man nicht vielmehr, die jeweilige Fristenverlängerung werde ausreichen, um auch noch den letzten noch lebenden NS-Mörder entdekken und verfolgen zu können?

    (Josten [CDU/CSU]: So war das!)

    Rechtspolitisch waren die Entscheidungen der Jahre 1965 und 1969 eine Bestätigung des Rechtsinstitutes der Verjährung. Faktisch wurden diese Entscheidungen jedoch als zeitlich begrenzte Verjährungsaufhebungen verstanden und auch so gewollt. Auch heute kann niemand ausschließen -das haben gerade die Beratungen im Rechtsausschuß belegt —, daß bisher unbekannte Mörder noch auftauchen werden. Im Gegenteil! Dies führt heute daher zu der Erkenntnis, daß die Fristverlängerungen von 1964 und 1969 ihr eigentliches Ziel verfehlt haben. Daher, meine ich, müßten diejenigen, die damals für eine Fristverlängerung stimmten, auch heute im Prinzip wieder so votieren. Da wir uns aber eine neuerliche Verlängerung der Verjährungsfrist — der Gedanke erscheint kaum aussprechbar zu sein — etwa auf 40 oder 50 Jahre wirklich nicht mehr leisten können, bleibt für diese Kollegen nach meiner Auffassung konsequenterweise nur die Aufhebung der Verjährung. Damit stünden sie zugleich in der Kontinuität etwa des Gruppenantrages von Ernst Benda aus dem Jahre 1965 und dem Regierungsentwurf der Großen Koalition aus dem Jahre 1969, die beide dem Ziel dienen sollten, die Verjährung für Mord generell und grundsätzlich aufzuheben.
    Die Frage, wie viele Strafverfahren nach 1979 dann auf uns zukämen, ist dagegen wenig überzeugend. Das Rechtsgefühl vieler Bürger unseres Landes müßte nach meiner festen Überzeugung Schaden nehmen, wenn einerseits junge Menschen wegen jugendlicher Straftaten sitzen müssen, aber nur ein Massenmörder — wäre die Tat auch noch so weit zurück — nicht mehr zur Verantwortung gezogen werden könnte.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei der SPD und der FDP)

    Ich meine, wegen eines einzigen Massenmörders müßten wir die Verjährung aufheben.
    Es geht, meine Damen und Herren, aber nicht nur um eine rechtspolitische Entscheidung, es geht um mehr. In der Verjährungsfrage wird der Deutsche Bundestag, ob uns dies paßt oder nicht, in eine Mitentscheidung und Mithaftung für unsere Geschichte gedrängt.

    (Josten [CDU/CSU]: Sehr wahr!) Deutschland hat den Naziterror mit der Zerstörung, mit der Teilung, auch mit Verbrechen gegen Deutsche bei der Vertreibung und mit der Unfreiheit im Osten unseres Vaterlandes bezahlt. Der Westen ist in die Gemeinschaft der freien Welt aufgenommen. Es besteht kein Zweifel, daß hierzulande alles Mögliche unternommen wurde, um alle NS-Mörder zu entdecken und ihrer gerechten Strafe zuzuführen. Und dennoch wird ein erneuter Beweis für die Dauerhaftigkeit unserer Grundwertentscheidungen, für die Abkehr vom Unrecht und für eine weitere Selbstanklage verlangt, indem NS-Mörder unnachsichtig weiter verfolgt werden sollen.

    Ich gestehe offen, mich persönlich stört es ganz erheblich, daß an uns strengere Maßstäbe angelegt werden als an andere Staaten, in denen nach 1945 im Namen des Unrechts gemordet wurde und auch heute noch gemordet wird. Vergeben und Vergessen wird ihnen offenbar freigiebiger gewährt als uns Deutschen im Westen.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Leider wahr!)

    Dazu stelle ich fest: Wer Mord aus politischen Gründen, so z. B. heute im Iran oder in Vietnam, nicht anprangert, hat das moralische Recht verwirkt, von uns die Aufhebung der Verjährung zu verlangen.

    (Katzer [CDU/CSU]: Sehr richtig! — Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: So ist es!)

    Und doch: Sollen wir, nur weil das Ausland Druck auf uns ausübt, dem Druck der eigenen Überzeugung nicht nachgeben? Nicht weil, sondern obwohl die Welt Gefahr läuft, Unrecht mit vielerlei Maß zu messen, sollten wir durch unsere Entscheidung heute erneut dokumentieren: Mord im deutschen Namen wird es nie wieder geben, und er wird daher auch 35 Jahre nach Kriegsende unnachsichtig geahndet.
    Rigorosität mit uns selbst stärkt aber auch unser Recht, Mord heute und überall an den Pranger zu stellen. Sie legitimiert uns, auch Verbrechen an Deutschen — heute an der innerdeutschen Grenze, früher bei der Vertreibung — als Verbrechen zu bezeichnen und dadurch einer falschen und einseitigen Geschichtsschreibung entgegenzuwirken.

    (Katzer [CDU/CSU] : Sehr richtig!)

    Meine Damen, meine Herren, letztlich können aber weder rechtspolitische noch außenpolitische Erwägungen bei der Verjährungsentscheidung den Ausschlag geben. Es geht um eine Grundentscheidung, und zwar nicht um eine losgelöste Entscheidung über die Vergangenheit, sondern notwendigerweise auch um eine Entscheidung für heute und für die Zukunft.
    Die Väter unserer Verfassung haben nach den bitteren Erfahrungen mit dem NS-Terror die Würde des Menschen an den Anfang unseres Grundrechtskataloges, an den Anfang unseres Grundgesetzes gestellt. Der Schutz des menschlichen Lebens genießt Vorrang, wenn man von wenigen gesetzlichen Ausnahmen wie etwa der Notwehr einmal absieht.



    Gerster (Mainz)

    Die Tötung eines Menschen unter den besonders verwerflichen Umständen des Mordes ist das schwerste Verbrechen, das unsere Rechtsordnung kennt.
    Dennoch hat der Staat aus humanitären Gründen die Todesstrafe abgeschafft, und dies bejahe ich. Selbst lebenslängliche Freiheitsstrafe bedeutet nicht mehr unbedingt „lebenslänglich". Die Schutzfunktion der Strafandrohung für Mord ist damit stark gemindert. Sie wird zusätzlich relativiert, wenn der Mörder durch Fristablauf der Verantwortlichkeit gegenüber Staat und Gesellschaft ganz entzogen wird.

    (Katzer [CDU/CSU] : Sehr richtig!)

    Mord bleibt Mord, so wie des gemordeten Ehegatten Witwe Hinterbliebene und sein Kind Halbwaise bleiben. Die Tat als die persönliche, auch moralisch vorwerfbare Schuld bleibt mit dem Täter verhaftet; er kann sich ihrer nicht entledigen. Wir sollten jedem, der menschliches Leben in derart schändlicher Weise zerstören will, zu erkennen geben, daß er sich nach einer solchen Tat sein ganzes Leben lange nicht der Verantwortung und Strafverfolgung entziehen kann.

    (Josten [CDU/CSU] : Sehr gut!)

    Die Prävention ist heute leider notwendiger als 1949. Mord und grausamste Hinrichtungen nehmen weltweit zu. Sie werden politisch begründet und gerechtfertigt. Was noch 1965 und 1969 niemand für möglich hielt, ist inzwischen bittere Wahrheit geworden. Auch in unserem Lande wurde unter Vorgabe politischer Beweggründe seit 1970 wieder gemordet.

    (Josten [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

    Das geschah zwar nur von einer kleinen Bande irregeleiteter Narren, aber immerhin begleitet von dem Versuch einer größeren Zahl von Personen, diesen Taten einen rechtfertigenden Anstrich zu geben. Name und Person von Hanns Martin Schleyer stehen hier für zahlreiche Opfer eines neuen politischen Fanatismus auch in Deutschland.

    (Josten [CDU/CSU]: Ausgezeichnet!)

    Mord nicht verjähren zu lassen, ist daher für mich — ich sage dies in aller Deutlichkeit — weniger ein Akt der Vergangenheitsbewältigung als ein Signal für die Gegenwart und die Zukunft.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Es wird deutlich gemacht, daß Mord keinerlei Berechtigung haben kann. Mörder haben dafür ein Leben lang geradezustehen und können frühestens, wenn ihr Schuld in einem Gerichtsverfahren erkannt ist, mit Gnade rechnen. Diese Grundentscheidung verträgt keine Ausweichmanöver. Sie ist ein moralischer Akt, ein erneutes Bekenntnis für das Lebensrecht jedes einzelnen Menschen. Daher verbietet sich auch ein Sonderrecht für NS-Verbrecher. Weder ein privilegierendes noch ein verschärfendes Sonderrecht wäre nach meiner Überzeugung zu rechtfertigen.
    Maßgeblich für die strafrechtliche Verantwortlichkeit war und ist die persönliche Schuld des Täters. Dies kann bei NS-Mördern geringer als bei einem Mord in einer freiheitlich verfaßten Gesellschaft sein; sie kann natürlich auch größer sein. Jede generelle Unterscheidung der Schuld, je nach Zeitablauf oder Staatsverfassung, wäre dagegen willkürlich und berührte damit die Grenzen des Rechtsstaates. Daher 'verbietet sich nach meiner Auffassung und nach meinem Verständnis eine Differenzierung der Verjährung von Mordtaten je nach Zeitepochen oder Mordfallgruppen. Den Vorschlag der Kollegen Maihofer und Helmrich werte ich als einen Versuch des Ausgleichs zwischen unterschiedlichen Meinungen. Dieser Versuch löst aber in keinem Fall die anstehende Problematik.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

    Nicht Fraktionen, sondern jeder einzelne Abgeordnete entscheidet heute über die Nichtverjährbarkeit von Mord.

    (Josten [CDU/CSU]: So ist das!)

    Diese Frage ist für viele eine Gewissensentscheidung, die keinen politischen Kompromiß verträgt. So wurde dies auch in den Jahren 1965 und 1969 gesehen und akzeptiert. Daher mißtraue ich allen, die in dieser Frage und in ihrer Fraktion auf eine einstimmige Entscheidung drängen.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

    Ich beanstande auch Ort und Art, in der der Kollege Wehner diese Debatte in der Öffentlichkeit eröffnet hat. Wer eine Israel-Reise zu einer Verjährungsdebatte mißbraucht, belastet unsere Diskussion und die Entscheidung des einzelnen auf das schwerste. Ich befürchte, daß dies sogar gewollt war. So blicke ich heute gespannt auf die Fraktion der SPD, um eine von ihrem Vorsitzenden abweichende Auffassung hier und heute an dieser Stelle zu vernehmen.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Das werden wir ja sehen!)

    Ich glaube, daß die Öffentlichkeit auch von der SPD Pluralität und Freiheit des einzelnen erwarten darf. Jedenfalls ist dieses Thema für interne und äußere Machtproben völlig ungeeignet.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Die heutige Entscheidung ist — ganz gleich, wie sie ausfällt — politisch, juristisch, moralisch tragbar. Hier danke ich dem Herrn Botschafter des Staates Israel, dem ich bei einer entgegengesetzten Äußerung öffentlich widersprochen habe, und bei dem ich dennoch auf ein großherziges und freundschaftliches Verständnis gestoßen bin.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

    Jede Entscheidung, die heute im frei gewählten deutschen Parlament fällt, muß für die Menschen in unserem Lande, aber auch draußen in der Welt annehmbar sein. Eine Einschränkung der freien



    Gerster (Mainz)

    Entscheidung des einzelnen gibt es nicht und darf es nicht geben.
    Mit dem Herrn Botschafter des Staates Israel bin ich in der Sache allerdings einer Meinung: Wir sollten uns alle einen Ruck geben und die Mordverjährung nach vielen Vorläufen endlich aufheben: ohne inneren Groll, ohne Wenn und Aber. Wir sollten aber auch jede andere Entscheidung hinnehmen. Entscheidend ist, daß wir diese Entscheidung mit Würde treffen, um sie dann gemeinsam zu tragen und zu verteidigen.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Sehr gut!)

    Nicht das in dieser Frage Trennende, sondern das uns im Streben nach Recht und Freiheit Einende muß dieser Entscheidung heute seinen prägenden Stempel aufdrücken.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)



Rede von Dr. Annemarie Renger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Maihofer.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Werner Maihofer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ende dieses Jahres läuft die in der letzten Verjährungsentscheidung 1969 verlängerte 30-Jahres-Frist für Mordtaten der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft — so wie zuvor bereits die für alle anderen NS-Verbrechen aus. Der heute zur zweiten Lesung anstehende Entwurf eines 18. Strafrechtsänderungsgesetzes will den Eintritt auch der Mordverjährung für NS-Verbrechen dadurch verhindern, daß er die Mordverjährung überhaupt aufhebt. Auch wenn ich mit dem Ziel dieses Entwurfs übereinstimme, die durch Mord begangenen NS-Verbrechen nicht verjähren zu lassen, so halte ich — auch und gerade nach den zwischenzeitlichen Beratungen im Rechtsausschuß des Bundestages — den hier vorgeschlagenen Weg nach wie vor für verfehlt. Denn auf diesem Weg gelangen wir, wie ich meine, weder zu einer sachangemessenen und verhältnismäßigen noch zu einer dauerhaften Regelung der Verjährungsfrage.
    Aus dieser, durch die Beratungen eher noch gestärkten Überzeugung heraus haben Herr Kollege Heimrich und ich schon im Rechtsausschuß einen Änderungsantrag eingebracht, den wir mit Unterstützung weiterer Mitglieder des Bundestages hier mit zur Entscheidung stellen. Er geht dahin, das Ziel: die Unverjährbarkeit der Mordverbrechen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, nicht durch eine pauschale Aufhebung der Mordverjährung zu erreichen, sondern auf dem Weg einer differenzierten Aufhebung der Mordverjährung für die Verbrechen des Mordes, welche die völkerstrafrechtlichen Voraussetzungen des Völkermordes oder der Kriegsverbrechen erfüllen. Die entscheidenden Gründe, die uns zu diesem Änderungsantrag bewegen, will ich in. den folgenden vier Punkten zusammenfassen.
    Erstens. Die Antragsteller sind der Überzeugung, daß man zu einer sachangemessenen Regelung der
    Verjährungsfrage für nationalsozialistische Gewaltverbrechen nur gelangen kann, wenn man von dem bereits in unserem geltenden Recht verankerten grundsätzlichen Wertunterschied zwischen Mord auf der einen und Völkermord und Kriegsverbrechen auf der anderen Seite ausgeht. Schon der Bericht des Strafrechtssonderausschusses des Bundestages zur Strafrechtsreform 1975 sieht diesen Grundunterschied darin, daß es sich beim Völkermord — im Unterschied zum Mord, der grundsätzlich ein Verbrechen von einzelnen gegen einzelne ist —, aber auch bei Kriegsverbrechen um Staatsverbrechen handelt, die in Ausführung oder doch in Ausnutzung staatlicher Befehle begangen werden. Auch hier muß dem einzelnen Täter — das muß klar festgehalten werden — seine persönliche Schuld nachgewiesen werden, die er durch seine Mitwirkung an solchen Staatsverbrechen auf sich geladen hat. Auch hier muß Strafe — auch das gilt es klarzustellen — als Sühne für Schuld begründet und gerechtfertigt werden.
    Aber anders als bei dem Einzelverbrechen des Mordes ist die Strafe bei einem solchen Staatsverbrechen wie dem Völkermord nicht mehr nur die Sache des einzelnen Staats, sondern eine Angelegenheit der Völkergemeinschaft. Das ist der Grund dafür, daß gemeine Mordverbrechen nach wie vor eine Sache innerstaatlichen Rechts, völkerstrafrechtliche Verbrechen dagegen ein Gegenstand völkerrechtlicher Vereinbarungen wie der UNO-Konvention gegen Völkermord von 1948 oder der Genfer Konventionen gegen Kriegsverbrechen von 1949 sind,

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Aber Sie kennen die Einschränkungen!)

    denen auch die Bundesrepublik Deutschland beigetreten ist und die heute in Kraft befindliches, geltendes Recht unseres Landes sind.
    Diese internationalen Konventionen haben den Zweck — auch das gilt es eingangs klarzustellen —, allen Mitgliedstaaten die Verpflichtung aufzuerlegen, stellvertretend für die Völkergemeinschaft bestimmte völkerstrafrechtliche Verbrechen auch und gerade dann zu ahnden, wenn sie als Staatsverbrechen begangen wurden und deshalb in der Zeit der Herrschaft eines Unrechtsstaates ungeahndet blieben und unverfolgbar waren. Zweck der Bestrafung solcher Staatsverbrechen ist so — anders als bei den gemeinen Mordverbrechen — neben der in beiden Fällen gewichtigen Sühne für Schuld — die internationale Prävention, die mit solchem Völkerstrafrecht — so unvollkommen das heute auch noch geschehen mag — geübt werden soll.
    Dagegen wird die sogenannte Resozialisierung des Täters, seine Wiedereingliederung also in die Rechtsgemeinschaft, die selbst bei der Mordbestrafung nach einer vom Bundesverfassungsgericht bekräftigten Wertüberzeugung der leitende Gesichtspunkt sein soll, bei den Tätern solcher Staatsverbrechen mit dem Zusammenbruch des Unrechtsstaates selbst gegenstandslos, wie die Erfahrungen mit den NS-Tätern ausnahmslos zeigen, bei denen sich Resozialisierungsprobleme niemals gestellt haben. Wenn Sie diesen Grundunterschied der Strafzwecke



    Dr. Dr. h. c. Maihofer
    übersehen und damit den Grundunterschied dieser beiden Verbrechensbereiche überhaupt außer acht lassen, kommen Sie meiner Meinung nach mit einer Verjährungsregelung für NS-Verbrechen von vornherein auf einen falschen Weg.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Sie übersehen etwas anderes!)

    — Darüber werden wir gleich noch reden.
    Aber nicht nur im Strafzweck liegt, wie ich meine, ein grundsätzlicher Unterschied zwischen Mord auf der einen und solchen Staatsverbrechen wie Völkermord und Kriegsverbrechen auf der anderen Seite. Auch bei der Strafverfolgung solcher Staatsverbrechen ergeben sich grundsätzliche Schwierigkeiten, die mit dem Einzelverbrechen des Mordes unvergleichbar sind, dadurch nämlich, daß die Ahndung dieser vom jeweiligen Staat selbst befohlenen oder doch gedeckten Verbrechen regelmäßig erst mit seinem Zusammenbruch möglich wird. Das ist eine völlig unvergleichbare Ausgangslage, schon allein was den Zeitablauf und damit Beweisverlust bei der Ahndung solcher Staatsverbrechen anlangt.
    Eben dies ist der Grund für die in der Völkergemeinschaft sich abzeichnende Entwicklung, die Verfolgung solcher Verbrechen gegen die Menschlichkeit — oder wie man noch schärfer sagen kann: die Menschheit — dadurch von der Dauer eines kriminellen Regimes unabhängig zu machen, daß man sie grundsätzlich für unverjährbar erklärt. Diese Entwicklungen des Völkerrechts haben zuletzt in der Europäischen Konvention über die Nichtverjährbarkeit von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen von 1974 ihren Niederschlag gefunden, die inzwischen von Frankreich und den Niederlanden unterzeichnet worden ist und zu deren Ratifikation die Mitgliedstaaten durch die den heutigen Beratungen mit zugrundeliegende Entschließung des Europäischen Parlaments vom Februar dieses Jahres erneut aufgefordert worden sind.
    Diese Europaratskonvention fordert von den Mitgliedstaaten nicht etwa die generelle Aufhebung der Mordverjährung, sondern die Nichtverjährbarerklärung bestimmter Völkermordverbrechen und Kriegsverbrechen und deren Anwendung auf früher begangene Taten, soweit diese noch nicht verjährt sind. Sie fordert somit eben das — nicht mehr, aber auch nicht weniger —, was wir mit einer differenzierten Verjährungsregelung für die anstehende Lösung der Verjährungsfrage bei NS-Verbrechen vorschlagen.
    Dies würde für unser deutsches Recht zu den gleichen Differenzierungen in der Verjährungsfrage führen, wei sie auch in anderen Ländern gelten, die eine zeitliche Mordverjährung kennen, wie etwa in Frankreich mit 10 Jahren, in Holland mit 18 Jahren, die demgegenüber beide die Verjährung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und von Kriegsverbrechen durch Gesetz von 1964 — in Frankreich; seinerzeit noch von de Gaulle unterzeichnet — und von 1971 — in Holland — ausdrücklich aufgehoben haben.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Die franzöischen Gerichte wenden sie nicht an!)

    — Dies — das habe ich schon in der letzten Verjährungsdebatte gesagt — steht auf einem völlig anderen Blatt. Es dreht sich hier zunächst allein darum, auf welchem Weg, dem einer Differenzierung oder Nichtdifferenzierung, man zur Nichtverjährung der' Verbrechen gegen die Menschlichkeit gelangen will.
    Auch die Bundesrepublik Deutschland hat eben diesen doppelspurigen Weg schon in ihrer Verjährungsentscheidung 1969 mit dem Neunten Strafrechtsänderungsgesetz beschritten, indem sie auf der einen Seite zwar die Mordverjährung um 10 Jahre auf 30 Jahre heraufgesetzt, auf der anderen Seite aber zugleich als einzigen Strafbestand unseres Rechts den völkerrechtlichen Tatbestand des Völkermords für unverjährbar erklärt hat.
    Es ist so überall ein und dieselbe differenzierende Verjährungsregelung, die wir hier vorfinden, angefangen von der Europaratskonvention bis zur Verjährungsregelung unserer Nachbarstaaten, die ich soeben angeführt habe.
    Der Vorschlag auf Aufhebung der Mordverjährung überhaupt will diesen in unserem geltenden Recht enthaltenen und inzwischen auch in anderen Rechten zu findenden Grundunterschied der Verjährung innerstaatlicher Verbrechen auf der einen Seite und der Nichtverjährbarkeit völkerstrafrechtlicher Verbrechen auf der anderen Seite nachträglich wieder aufheben.
    Zur Begründung dieser allgemeinen Rechtsänderung wird vorgetragen, sie sei gefordert durch eine Neubewertung des Rechtsguts „Leben", zu der man zwar aus Anlaß dieser Verjährungsdebatte 1979 über die drohende Verjährung von NS-Morden, aber doch in der Sache davon unabhängig, aus grundsätzlichen Erwägungen gelangt sei.
    Dem steht bei aller Würdigung Ihrer Gründe, Herr Kollege Vogel, einfach die nachweisbare Tatsache entgegen, daß während der auch von Ihnen in Erinnerung gerufenen fünfundzwanzigjährigen Beratungen zur Srafrechtsreform, die zu einer vollständigen Umgestaltung des Allgemeinen Teils unseres Strafgesetzbuchs geführt haben, zu keiner Zeit und von keiner Seite sich auch nur eine einzige Stimme für eine generelle Aufhebung der Mordverjährung erhoben hat, daß vielmehr die einzigen Vorschläge in dieser Richtung ausschließlich — auch das ist eine nachweisbare Tatsache — im Zusammenhang mit den Verjährungsdebatten, vor allem 1965 und 1969, gemacht wurden und dort nicht nur ausdrücklich abgelehnt wurden, sondern auch zu keinerlei Folgeänderungen für die 1975 in Kraft gesetzte Strafrechtsreform geführt haben.

    (Dr. Emmerlich [SPD] : Es war keine Mehrheit dafür da!)

    Ich kenne auch keine wissenschaftliche Äußerung außerhalb der Verjährungsdebatten über NS-Verbrechen, in der irgendein Sachgrund für die Nichtverjährbarkeit von Morden genannt worden wäre. Alle im Zusammenhang mit der Umgestaltung unseres bisherigen Vergeltungsstrafrechts in ein modernes Resozialisierungsstrafrecht abgegebenen Begründungen — bis hin zur Neubewertung selbst der le-



    Dr. Dr. h. c. Maihofer
    benslangen Freiheitsstrafe als Resozialisierungsstrafe — sprechen eine völlig andere, ich will es noch schärfer sagen: eine völlig entgegengesetzte Sprache.
    Sachgründe für eine Verjährungsaufhebung bei Mord sind nicht vorhanden. Das ist nach wie vor meine unerschütterte Überzeugung. Dann aber bleiben nur zwei Möglichkeiten: entweder offen zu bekennen, daß diese pauschale Verjährungsaufhebung ihren Hauptgrund darin hat, daß man glaubt, nur auf diesem Wege das Problem der Verjährung von NS-Verbrechen lösen zu können — das wäre eine in sich eindeutige Feststellung —, oder aber nach einer an die völkerstrafrechtlichen Tatbestände anknüpfenden differenzierten Verjährungsregelung für NS-Verbrechen zu suchen. Das ist die Alternative, vor der wir stehen.