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ID0816600600

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    Plenarprotokoll 8/166 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 166. Sitzung Bonn, Dienstag, den 3. Juli 1979 Inhalt: Abweichung von § 60 Abs. 2 GO bei der Beratung der Verjährungsvorlagen . . . 13233 A Eintritt des Abg. Besch in den Deutschen Bundestag für den ausgeschiedenen Abg Carstens (Fehmarn) 13290 A Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung . 13233 B Beratung des Bericht des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gradl, Katzer, Blumenfeld, Dr. Mikat, Dr. Biedenkopf, Josten, Dr. Müller-Hermann, Gerster (Mainz), Wohlrabe, Frau Dr. Riede (Oeffingen), Kittelmann, Breidbach, Frau Pieser, Luster, Reddemann, Schröder (Lüneburg), Dr. Pfennig, Frau Berger (Berlin), Stommel, Conrad (Riegelsberg), Dr. Stercken, Russe, Frau Dr. Wisniewski, Schartz (Trier) und Genossen Unverjährbarkeit von Mord zu der Entschließung des Europäischen Parlaments zur Unverjährbarkeit von Völkermord und Mord zu dem von den Abgeordneten Wehner, Ahlers, Dr. Ahrens, Amling, Dr. Apel und Genossen und den Abgeordneten Dr. Wendig, Gattermann, Frau Dr. Hamm-Brücher und Genossen eingebrachten Entwurf eines Achtzehnten Strafrechtsänderungsgesetzes — Drucksachen 8/2539, 8/2616, 8/2653 (neu), 8/3032 — in Verbindung mit Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Wehner, Ahlers, Dr. Ahrens, Amling, Dr. Apel und Genossen und den Abgeordneten Dr. Wendig, Gattermann, Frau Dr. Hamm-Brücher und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Achtzehnten Strafrechtsänderungsgesetzes — Drucksache 8/2653 (neu) — in Verbindung mit Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Gradl, Katzer, Blumenfeld, Dr. Mikat, Dr. Biedenkopf, Josten, Dr. Müller-Her- II Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 3. Juli 1979 mann, Gerster (Mainz), Wohlrabe, Frau Dr. Riede (Oeffingen), Kittelmann, Breidbach, Frau Pieser, Luster, Reddemann, Schröder (Lüneburg), Dr. Pfennig, Frau Berger (Berlin), Stommel, Conrad (Riegelsberg), Dr. Stercken, Russe, Frau Dr. Wisniewski, Schartz (Trier) und Genossen Unverjährbarkeit von Mord — Drucksache 8/2539 — in Verbindung mit Beratung der Entschließung des Europäischen Parlaments zur Unverjährbarkeit von Völkermord und Mord — Drucksache 8/2616 — Dr. Mertes (Gerolstein) CDU/CSU . . . . 13234 A Frau Dr. Däubler-Gmelin SPD . . . . 13239 B Kleinert FDP 13243 C Hartmann CDU/CSU 13247 C Dr. Vogel (München) SPD . . . . . . 13252 A Gattermann FDP . . . . . . . . . 13254 C Gerster (Mainz) CDU/CSU . . . . . . 13257 B Dr. Dr. h. c. Maihofer FDP . . . 13260 A, 13292 A Dr. Emmerlich SPD . . . . . . . 13265 B Helmrich CDU/CSU 13268 A Sieglerschmidt SPD 13269 C Frau Matthäus-Maier FDP . . . . . . 13272 B Dr. Lenz (Bergstraße) CDU/CSU 13274 D Dr. Weber (Köln) SPD 13277 D Ey CDU/CSU 13281 C Frau Dr. Hamm-Brücher FDP 13282 B Blumenfeld CDU/CSU 13285 C Cronenberg FDP 13287 B Dr. Bötsch CDU/CSU . . . . . . . . . 13288 A Erhard (Bad Schwalbach) CDU/CSU . . . 13294 B Dürr SPD 13296 C Engelhard FDP 13298 D Dr. Gradl CDU/CSU 13301 A Thüsing SPD 13303 A Dr. Wendig FDP 13305 D Namentliche Abstimmungen . . 13290 A, 13292 B, 13308 A, 13311 B Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zum Sechsten Gesetz zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes — Drucksache 8/3027 — Pfeifer CDU/CSU . . . . . . . . . . 13308 B Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zum Gesetz zur Neufassung des Umsatzsteuergesetzes und zur Änderung anderer Gesetze — Drucksache 8/3028 Westphal SPD 13309 B Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zum Gesetz zur Änderung des Gesetzes über technische Arbeitsmittel und der Gewerbeordnung — Drucksache 8/3029 — Jahn (Marburg) SPD 13313 B Nächste Sitzung 13313 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 13315* A Anlage 2 Erklärung des Abg. Dr. Penner (SPD) nach § 59 GO zu Punkt 1 der Tagesordnung . . 13315*A Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 3. Juli 1979 13233 166. Sitzung Bonn, den 3. Juli 1979 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordneter) entschuldigt bis einschließlich Dr. Arnold 4. 7. Bayha 4. 7. Dr. Böhme (Freiburg) 4. 7. Büchner (Speyer) * 4. 7. Dr. Dübber 3. 7. Dr. h. c. Kiesinger 4. 7. Koblitz 4. 7. Dr. Müller ** 4. 7. Picard 4. 7. Scheffler ** 4. 7. Frau Schlei 4. 7. Dr. Schmitt-Vockenhausen 4. 7. Spilker 4. 7. Volmer 4. 7. Walkhoff 4. 7. Dr. Wulff 4. 7. Anlage 2 Erklärung des Abgeordneten Dr. Penner (SPD) nach § 59 GO zu Punkt 1 der Tagesordnung Ich stimme einer angestrebten Aufhebung der Verjährungsfrist für Mord nicht zu. Ich bin der Meinung, daß sich das abgestufte System der Verjährungsfristen im Strafgesetzbuch, in das auch schwerste Straftaten wie Mord einbezogen sind, bei allen eingeräumten Unzulänglichkeiten bewährt hat. Die zeitliche Begrenzung der staatlichen Verfolgungspflicht für Straftaten beruht auch auf der Erkenntnis, daß die Möglichkeiten der Wahrheitsfindung im Strafprozeß um so brüchiger und fragwürdiger werden, je mehr Zeit zwischen Tat und Ahndung verstrichen ist. Ich halte es daher für richtig und auch geboten, wenn der Gesetzgeber diese Regelerfahrung gesetzlich absichert und damit den Strafverfolgungsorganen eine Pflicht abnimmt, der sie auch bei bestem Wollen und Können nicht gerecht werden können. Hinweise auf ausländische Rechtsordnungen und frühere deutsche und romanische Rechtsinstitute halte ich für bemerkenswert, aber für nur bedingt aussagekräftig, da bei einem Vergleich die gesamten Verfahrensordnungen mit allen Möglichkeiten und Hemmnissen besonders des Beweisrechts gegenüber gestellt werden müssen. Der Anlaß für die Initiative ist ebenso beklemmend wie säkulär. Es geht nicht einfach um eine Neufassung des Verjährungssystems, es geht um die Frage, ob besonders Mordtaten der NS-Zeit über gesetzliche Verjährungsvorschriften einer Strafverfolgung entzogen sein können oder nicht. Das Für und Wider ist in den bewegenden Debatten der 60er * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlagen zum Stenographischen Bericht Jahre und in den Diskussionen aus jüngster Zeit engagiert, behutsam und sorgfältig beleuchtet worden. Ich bin aber der Meinung, daß es statthaft sein darf, bei der Entscheidung auch berufsbedingte Erfahrungen miteinzubeziehen, die mehr die praktische Auswirkung der Gesetzesänderung betreffen. Ich neige mehr und mehr zu der Auffassung, daß der in den 60er Jahren beschrittene Weg der Ausdehnung der Verjährungsfristen nicht richtig gewesen ist. Dabei will ich nicht verschweigen, daß ich dies seinerzeit anders gesehen habe. Aber im Verlaufe einer beruflichen Tätigkeit, bei der ich mit der Verfolgung von NS-Gewaltverbrechen zu tun hatte, sind mir zunehmend Zweifel gekommen. Und das, obwohl die nazistische Wirklichkeit mit Genozid, mit Vernichtungs- und Konzentrationslagern, mit Massen- und Einzelmorden durch Akten und Zeugenaussagen erdrückend bestätigt wurde. Aber im Strafprozeß geht es nicht allein um Tatgeschehen, sondern auch um persönliche Verantwortung, um Schuld. Der Nachweis individueller Schuld war schon früher aus vielerlei Gründen kaum oder gar nicht möglich. Das ist auch nach der Erweiterung der Verjährungsfrist auf 30 Jahre noch problematischer geworden. Nicht nur statistische Hinweise geben darüber Aufschluß. Selbst das deutsch-französische Rechtshilfeabkommen des Jahres 1971, das die Verfolgungssperren des Überleitungsvertrages für deutsche Behörden lockerte, hat die strafrechtliche Bewältigung der Judendeportationen aus Frankreich nicht unterstützen können, wie man hört. Ich bin der Meinung, daß unter den gegebenen Umständen die Beibehaltung des geltenden Verjährungsrechts verantwortet werden kann. Nach meiner Erfahrung dürfte die Entdeckung neuer Sachverhalte mit der Folge strafrechtlicher Verurteilung zwar nicht ausschließbar, aber nahezu ausgeschlossen sein. Aller Voraussicht nach wird ein berechtigtes Sühnebedürfnis nicht mehr gestillt werden können. Daher halte ich es aus meiner Sicht nicht für erträglich, Zeugen, die Schwerstes erlitten und durchlitten haben, den Lasten und Beschwernissen, ja den Qualen von Vernehmungen über die gegebenen Unumgänglichkeiten hinaus auszusetzen. Daß nach Eintritt der Verjährungsfrist unentdeckte NS-Mörder sich ihrer Untaten öffentlich rühmen könnten, ist eine theoretische Möglichkeit, hat aber mit der Verjährungsproblematik nichts zu tun. Für schon Abgeurteilte oder außer Verfolgung gesetzte NS-Täter sind eher Stichworte wie „Leugnen", „Verkleinern", „Es war eben Krieg" und in Einzelfällen auch Reue kennzeichnend. Eine Neigung zu öffentlicher Erörterung dieser Vergangenheit besteht bei diesem Tätertyp nach den bisherigen Erfahrungen hingegen kaum. Für die Zukunft muß eine stetig zunehmende Zahl von Fehlbeurteilungen der Strafverfolgungsorgane befürchtet werden. Das wird für die schon anhängigen Verfahren unumgänglich sein. Die Gründe lie- 13316* .Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 3. Juli 1979 gen durchweg in der Beweisnot der Gerichte und Staatsanwaltschaften. Die Aufhebung der Verjährungsfrist hätte zur Folge, daß zu allen neuen Vorgängen materielle Entscheidungen über Schuld oder Unschuld erforderlich würden. Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß diese durchweg Einstellungsverfügungen und Freisprüche sein werden. Ich hielte das für bedrückend, weil mit diesen staatlichen Akten, deren Qualität nicht anders ausfallen kann und wird, Geschichtslegenden gebildet und unterstützt werden können. Aus meiner Sicht ist daher das aus dem geltenden Recht folgende Offenhalten der strafrechtlichen Schuldfrage nach Ablauf der Verjährungsfrist auch der politische richtige Weg. Ich weiß, daß diese Überlegungen nur einen Teil der Fragen und Bedrängungen ausmachen. Für mich sind sie entscheidend. Eine neue gesetzliche Regelung muß sich auch an ihren Möglichkeiten und Grenzen messen lassen. Dem Anspruch der Opfer, der Betroffenen auf sühnende Gerechtigkeit kann nicht über eine Ausweitung des Verjährungsrechts Genüge geschehen. Ich meine, daß dies auszusprechen auch zur parlamentarischen Verantwortlichkeit gehört. Ich wage es daher, nein zu sagen.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Detlef Kleinert


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Es ist ganz offensichtlich viel schwerer als 1965, für dieses Thema die Aufmerksamkeit der breiten Öffentlichkeit zu gewinnen, die es heute wie damals in gleicher Weise verdient. Das Haus ist davon ganz offensichtlich nicht verschont geblieben. Dabei haben wir geglaubt, daß die Auseinandersetzungen im Rechtsausschuß wenigstens insoweit, als die Presse darüber berichtet hat, die Aufmerksamkeit für dieses Problem geschärft hätten und daß das Problembewußtsein dadurch erneut so groß geworden wäre, wie es allenthalben in unseren internen Besprechungen dargestellt wird. Aber es ist eben doch nicht mehr so, wie es 1965 in so leidenschaftlicher Form bewiesen worden ist.
    Ich glaube, es lohnt sich sehr, über unser Thema, das wie 1965 von außerordentlichem Interesse ist, noch einmal sehr gründlich — und nicht nur lange — zu sprechen. Zunächst möchte auch ich im Namen der Mehrheit der Freien Demokraten Herrn Emmerlich und Herrn Erhard sehr herzlich für den Ausschußbericht danken,

    (Beifall)

    wobei ich gleich hinzufügen möchte, daß wir den anderen Kollegen, die sich zu ihren abweichenden Vorstellungen äußern werden, nicht etwa absprechen wollen, daß sie genau so sehr um ein möglichst gutes und möglichst richtiges Ergebnis bemüht sind. Mehr läßt sich bei allem in dieser Diskussion nicht erzielen.
    Dem Ausschußbericht gebührt das große Verdienst, hier noch einmal in Aufbereitung all dessen, was im Laufe der Jahre vorgetragen wurde, Klarheit geschaffen zu haben. Ich meine, diese Klarheit ist für das Haus unbequem. Übersehen Sie doch bitte nicht, daß 1965 legitimerweise eine Fülle von Überlegungen in der Diskussion waren, die nach diesem Ausschußbericht überhaupt nicht mehr vorhanden sind.
    Es bestand nämlich 1965 eine erhebliche verfassungsrechtliche Ungewißheit über die Frage, ob die Rückwirkung der Verjährung materiellen oder formellen Charakters sei und ob sich deshalb über-



    Kleinert
    haupt eine Änderung des Instituts der Verjährung auch nur in der zeitlichen Geltung ermöglichen ließe oder nicht. Dieses Bedenken war Anfang 1969 durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ausgeräumt.
    Eine weitere Frage hat 1960, in der ersten dieser Diskussionen, wie auch 1965 in viel stärkerem Maße als heute die Debattanten bewegt: Wie viele Täter gibt es noch, die unerkannt sind? Wie viele werden, wenn wir uns hier so oder so entscheiden, nicht bestraft werden können, obwohl sie schwerste Schuld auf sich geladen haben.
    Auch diese Frage, meine Damen und Herren, ist nach diesem Bericht des Ausschusses fast ganz in dem Sinne geklärt, daß nach Ansicht aller Sachverständigen, die inzwischen mit größerer Akribie, als das leider am Anfang der Geschichte der Republik der Fall war, den Fragen nachgegangen sind, kaum noch Fälle von Strafverfolgungen nach Eintritt der Verjährung nach geltendem Recht möglich sein werden. Es ist keineswegs auszuschließen — das sehen wir ganz klar —, daß einzelne Täter noch auftauchen. Zahlenmäßig wird es sich allenfalls um ganz, ganz wenige handeln.
    An dieser Stelle muß ich gleich zu Anfang sagen: 5 000 Personen, die zu lebenslanger Strafe verurteilt und anschließend amnestiert wurden und seit 20 oder 25 Jahren frei in diesem Land herumlaufen — übrigens ohne sich jemals ihrer Untaten gerühmt zu haben —, stehen gegen einige wenige, die, wenn wir beim geltenden Recht bleiben, ihrer Strafe entgehen könnten. Die anderen haben wir schon hinnehmen müssen. Deshalb ist das, was hier noch quantitativ allenfalls verbleibt, nicht mehr von der Qualität, die uns in unserer Entscheidung wesentlich beeinflussen könnte.
    Unter Berücksichtigung dieser beiden inzwischen ausgeräumten Punkte haben wir heute eine ganz besondere Debatte. Wir müssen uns nämlich nun der Frage stellen: Wollen wir aus Prinzip bis zum Schluß keine Verjährung? Wollen wir dieses Institut abschaffen, oder wollen wir die Sache praktisch handhaben in Ansehung dessen, was jetzt allenfalls noch auf uns zukommen kann und was wir sehr viel genauer wissen als 1960, 1965 und 1969? Oder wollen wir sagen: „Wir bleiben beim geltenden Recht?" Auf diese Fragen spitzt sich die heutige Situation bei den inzwischen gewonnenen Erkenntnissen deutlicher zu.
    Die Entwicklung der Debatte bis zum heutigen Tage habe ich einleitend schon als etwas ermüdend gekennzeichnet. Sie war auch ungewiß. Ich möchte über folgendes keinen Zweifel aufkommen lassen. Ich habe bei der Lektüre über die verflossenen Debatten an keiner Stelle gefunden, daß sich die Sozialdemokraten mit den jeweiligen Zwischenlösungen abgefunden hätten. Ihre Redner haben vielmehr stets betont, sie würden die jeweilige Zwischenlösung als einen Schritt auf dem von ihnen seit sehr früher Zeit für richtig gehaltenen Weg der Abschaffung der Verjährung ,auffassen. Das ist konsequent; das ist überhaupt nicht zu bestreiten.
    Ich habe umgekehrt auch nie gefunden, daß, unsere Vertreter bei den verschiedenen Abstufungen, in denen sich dieses Haus an das Problem herangetasfet hat — so muß man die Ergebnisse der vergangenen Debatten wohl bezeichnen —, in ihrer Überzeugung jemals wankend gewesen wären, daß unsere rechtspolitischen Grundsätze — das ist eben unsere Überzeugung vom Rechtsstaat; ich will damit nicht sagen, daß die Sozialdemokraten weniger rechtsstaatlich wären — auch nur im geringsten im Zweifel gewesen wären. Wir sind da immer anderer Auffassung gewesen. Ich finde, es ist sehr gut, daß diese Koalition aus Sozialdemokraten und Freien Demokraten an einem so wichtigen Punkt einmal darstellen kann, wie es möglich ist, sich bei fairer Partnerschaft in einer wichtigen Frage ganz frei und offen voneinander zu unterscheiden, und dies beiderseits bei sehr großer Konsequenz.
    Ich will nun nicht etwa den Vertretern der Christlich Demokratischen Union absprechen, daß sie sich um das Problem ihre Sorge gemacht hätten. Sie haben in all den Jahren aber jeweils den Teil gestellt, der dann dazu beigetragen hat, daß immer ein Schritt weitergegangen worden ist, ohne daß die eigentliche Entscheidung getroffen worden wäre.
    Ich weiß nicht, wie ich mich heute entscheiden würde, wenn heute 1960 wäre und hier über die Abschaffung der Verjährung, und zwar in klarer Zielansprache der Verbrechen des Naziregimes, entschieden werden würde. Nachdem aber seit 1960 19 Jahre vergangen sind, weiß ich ganz genau, daß mir in der jetzt eingangs geschilderten, zugespitzten Entscheidungslage mit größter Selbstverständlichkeit nur bleibt, mich für das zu entscheiden, für das sich meine politischen Freunde, als ich noch nicht dabei war, hier im Hause stets entschieden haben:' nämlich Beibehaltung des geltenden Rechts.

    (Beifall bei der FDP und Abgeordneten der CDU/CSU)

    Denn viele Gründe, die es früher einmal gegeben hat, die mindestens zu erheblichen Zweifeln Anlaß geben konnten, gibt es heute nicht mehr. Wir haben jetzt über unsere Auffassung von Strafrechtspflege zu entscheiden — oder über einen viel weitergehenden moralischen Grundsatz im Hinblick auf die Vergangenheit, auf unsere geschichtliche Vergangenheit zur Zeit des Nationalsozialismus. Wir haben zu entscheiden, ob wir sagen wollen: Das, was damals geschehen ist, war so singulär, daß es auch einen Eingriff in unsere Strafrechtspflege von erheblichem Gewicht rechtfertigt — wie wir inzwischen wissen: nicht von verfassungsrechtlichem, aber von ungewöhnlich erheblichem Gewicht. Das ist die Auffassung der Sozialdemokraten.
    Wir sind der Meinung: Hier werden das, was wir in der Kontinuität der Strafrechtspflege tun können, und das, was wir in der Kontinuität der Geschichte dieses Landes tun müssen, verwechselt.

    (Beifall bei der FDP und Abgeordneten der CDU/CSU)




    Kleinert
    Das ist früher schon einmal in der Debatte dargelegt worden. Es handelte sich damals um einen Zwischenruf von Herrn Jahn, wenn ich mich recht erinnere, der gesagt hat, es handle sich nicht um die Kontinuität der Strafrechtspflege, sondern um die Kontinuität der Geschichte. Sie sehen das so zusammen; das kann man ja auch tun. Wir sehen es nicht so zusammen, sondern wir meinen: Wir schulden es unserer Geschichte, in unserer Strafrechtspflege gerade nach den Ereignissen des Dritten Reiches besonders sauber und besonders klar zu bleiben.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Daran hat es bei den vorangegangenen Entscheidungen dieses Hauses im Ergebnis — keineswegs in den Ansätzen, darüber habe ich bereits gesprochen - jedesmal gefehlt.
    Ich mag nicht so sehr auf die Frage eingehen, ob wir heute über das Thema der Aufhebung der Verjährung sprechen würden, wenn es sich um wirklich alle Morde gleichermaßen handelte. Ganz beiseite lassen darf ich es nicht. Ich bin schon der Meinung, wir würden nicht darüber sprechen, wenn es licht die Morde aus der Zeit des Nationalsozialismus gäbe.

    (Dr. Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU] : Absolut richtig!)

    Herr Süsterhenn hat für die CDU 1969 nicht nur von der letzten Rate gesprochen, die Herr Mertes eben zitiert hat — etwas, was mir nicht so gut gefällt, obwohl es sich ja tatsächlich so abgespielt hat —, sondern auch davon, daß es der CDU leichter werde, dem damaligen Kompromiß zuzustimmen, weil man alle Mordtaten gleichsetze. Ich würde das anders sehen.
    Ich halte die Auffassung unseres Freundes Professor Maihofer schon für erheblich konsequenter. Er sagt, es gehe doch in Wirklichkeit um das besondere und exzeptionelle Unrecht, viele Fälle von Völkermord, viele Fälle von grausigen Verbrechen besonderer Art, bei denen man versuchen müsse, sie als solche zu erfassen und aus der Verjährung herauszunehmen. Vom politischen Anliegen her ist das, was Herr Professor Maihofer — er wird ja dazu sprechen — versucht, konsequenter als die Aufhebung der Strafe für Mord in allen Fällen. Ich glaube allerdings auch, daß der Weg, den Herr Professor Maihofer sucht, die Konsequenz, vor der wir uns sehen, etwas verschleiert. Es ist eine Hilfe, klarzumachen, worum es eigentlich geht. Es ist aber keine Hilfe in der Bewältigung des Problems.
    Ich habe dieser Tage irgendwo gelesen, „Bewältigung" wäre sehr schlecht, es hätte den gleichen Sprachstamm wie „Gewalt" und „vergewaltigen", und man würde sich zu etwas zwingen, was man gar nicht so meine. Ich glaube, das ist sehr richtig beobachtet. Wir wollen gar nicht bewältigen, sondern wir wollen klar sehen und klar entscheiden. Dazu hilft uns meiner Ansicht nach auch die mittlere Lösung von Herrn Professor Maihofer in klarer Zielansprache dessen, was hier gewollt ist, nicht.
    Wir müssen uns einfach fragen: Tun wir recht daran, Mord nicht verjähren zu lassen, weil er gegen das höchste aller Rechtsgüter gerichtet ist, oder sollen wir nicht hier genauso wie in allen anderen Fällen aus einer wirklich humanen Einstellung sagen, auch hier müsse es, abgesehen von allen Zweckmäßigkeitserwägungen, eine Grenze der Verfolgung geben, hier müsse es Verzeihen geben, hier müsse es Rücksichtnahme auf die Pesönlichkeitsveränderungen geben, von denen ich immer noch ausgehe?
    Ich habe in den vielen Diskussionen dieser Wochen und Monate gehört, die Persönlichkeit würde sich nicht ändern. Ich glaube, sie verändert sich sehr wohl. Ich glaube darüber hinaus, gerade viele Sozialdemokraten würden in ihrem rechtspolitischen Bestreben auf anderen Gebieten wesentlich zurückgeworfen, wenn sie nicht mehr daran glaubten, daß sich die Persönlichkeit verändern lasse.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Wir haben doch gemeinsam um viele Elemente der Resozialisierung gerungen. Dabei gehe ich nicht so weit wie manche, daß ich sage, das sei das alleinige Ziel der Strafrechtspflege. Ich sehe daneben durchaus den Gesichtspunkt der- Sühne. Die stärkere Betonung der Resozialisierung verbindet uns doch aber in unserem Bemühen um eine bessere Strafrechtspflege. Also kann ich nicht sagen, in diesen Fällen ändere sich die Persönlichkeit nicht. Sie ändert sich sehr wohl.
    Darin liegt für mich ein ganz wesentlicher Gesichtspunkt, daß irgendwann Verjährung ihren tieferen und auch gerechten Sinn hat, abgesehen von den technischen Schwierigkeiten, abgesehen von dem, was man 1965 auch nur vermuten konnte.
    Inzwischen hat es sich erwiesen. Der Majdanek-Prozeß ist ein Prozeß, der uns viel Schelte bei denen eingetragen hat, die ihn nicht sorgfältig vor Ort verfolgt haben. Sehr zu Unrecht! Die Richter haben nach meiner Überzeugung ihr Äußerstes getan, aber sie sind zu erschreckenden Beweisergebnissen gekommen, zu erschreckenden Ergebnissen schließlich ihrer Beweiswürdigung gekommen mit der Folge, daß das Ergebnis auch die technischen Bedenken rechtfertigt, die man 1965 nur prophezeien konnte, die aber inzwischen ganz offensichtlich geworden sind. Man kann nach dieser Zeit nicht mehr in geordneter Weise so Recht sprechen, daß es dem Bedürfnis nach Gerechtigkeit zumindest nahekommt. Das hat dieser Majdanek-Prozeß und sein Urteil ganz klar erwiesen.
    Vieles spricht auch gegen die Gleichbehandlung aller Mörder. Die Knesset, das Parlament des Staates, in dem sicherlich die meisten Menschen leben, die von dem, was im Dritten Reich an Verbrechen geschehen ist, zutiefst betroffen sind, hat uns eine Entschließung übersandt. Sie hat in dieser Entschließung darauf hingewiesen, daß es sich um ein Verbrechen handelte wie kein Verbrechen in der Geschichte der Menschheit. Auf die Geschichte der Menschheit will ich mich hier gar nicht einlassen;



    Kleinert
    daß dieses Verbrechen ungeheuerlich war, das ist außer Zweifel.
    Aber welche Folgerung soll ich daraus ziehen? Das ist der Punkt, auf den ich Ihre Aufmerksamkeit hier immer wieder zu lenken versuche. Muß ich daraus die Folgerung ziehen, daß ich in diesem Fall in unser Strafrecht eingreifen muß, um den einzelnen zu bestrafen, oder ist die Folgerung nicht eine ganz andere, nämlich die, daß wir, d. h. große Teile des Volkes, unserer Geschichte als Volk gegenüber nach wie vor fahrlässig blind, bequem und leichtfertig sind?

    (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)

    „Da in der Kammer 201 B des Landgerichts sowieso wird verhandelt." Damit wird die Geschichte dieses Landes erledigt, und draußen geht die Bevölkerung spazieren und amüsiert sich, während da drinnen die Vergangenheit bewältigt wird. Das kann doch nicht die Lösung sein!

    (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)

    Das ist wirklich keine Lösung. Das ist Verdrängung in einer besonders miesen Form.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Sehr richtig!)

    Wir müssen uns der Rechtsfrage einerseits und der geschichtlichen Frage andererseits stellen. Ich habe schon einmal versucht, das hier darzulegen, und ich lasse nicht nach in meinem Bemühen, dieses klarzumachen: Die geschichtliche Frage ist in unserem Lande in verheerender Weise unbekannt. Wenn ich höre, was die Lehrer an unseren Schulen davon wissen, dann wage ich gar nicht mehr zu fragen, woher die Schüler etwas wissen sollen, denn die Lehrer wissen gar nichts.

    (Beifall bei der FDP und bei der CDU/ CSU)

    Das ist doch das Entscheidende an der Situation.
    Und dann soll ich sehenden Auges hergehen und mit der angeblich strafrechtlichen Bewältigung der Resttatbestände dieses alles noch mehr zumachen? Nein, wir wollen es offen haben. Und deshalb bedarf es einer ganz klaren Trennung zwischen unserer Sorge um die Strafrechtspflege und unserer Sorge um das geschichtliche Bewußtsein von der Verantwortung für die einmaligen Verbrechen, die unser Volk, und zwar unser Volk im ganzen, damals begangen hat.

    (Wehner [SPD] : Die Botschaft hör ich wohl!)

    — Herr Wehner, mir geht es auch so; ich weiß, wie schwer es ist, hier etwas wirklich zu bewegen. Aber das darf mich doch nicht daran hindern, es nicht mit heißem Herzen zu versuchen. Ich gehöre nicht zu der Generation, wie damals Herr Benda. Herr Benda ist damals hier als junger Mann von wohlmeinenden älteren Kollegen angesprochen worden; er hat hier 1965 als Vertreter der jungen Generation gestritten, wie ihm schulterklopfend die
    Älteren bescheinigten, und sie waren glücklich darüber, daß er so gesprochen hat, wie er damals gesprochen hat. Nun, ja, um einiges jünger bin ich immer noch; aber eines weiß ich: ich weiß, daß unser politisches Engagement, nämlich das der Generation, die — wie ich — etwa 1932 geboren wurde, daher rührt, daß wir noch einigermaßen klar gesehen haben, wie unsere Studienräte zwischen 1944 und 1946 vom straffen Hochziehen des rechten Armes zum Kreuz-Schlagen übergegangen sind.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU — Heiterkeit)

    Weil wir das nicht wollten, haben wir ein erhebliches politisches Engagement entwickelt. Das ist auch eine Generation, die ein besonderes Erlebnis hatte, wie das viele Generationen in dieser Debatte schon für sich in Anspruch genommen haben. Herr Wehner, es wird uns niemand daran hindern, in diesem Sinne weiterzustreiten. Aber ich meine, wir sollten auf dem richtigen Felde streiten.
    Alle diejenigen, die unter dem damaligen Unrecht gelitten haben, werden diejenigen sein, die uns in einer vernünftigen Unterhaltung Recht geben, wenn wir sagen: Das alles ist passiert, weil in diesem Lande kein genügend gefestigtes, gesichertes und deshalb selbstverständliches Rechtsbewußtsein vorhanden war. Formale Eigenschaft oder materielle Eigenschaft der Verjährung hin und her: Die Verjährung ist in diesem Lande ein wichtiges Rechtsinstitut seit mehr als hundert Jahren. Es prägt die Rechtsüberzeugung der Rechtsgenossen. Und wenn ich damit so umgehe, wie dieses Haus schon mehrfach damit umgegangen ist, nämlich in Raten, dann prägt das dieses Rechtsbewußtsein falsch.
    Das Interessante ist ja: Manche glauben — aus sehr ehrenwerten Gründen —, wir hätten hier auch eine gewisse außenpolitische Verantwortung. Natürlich haben wir die. Natürlich schaut das Ausland auf das, was wir in dieser Frage tun. Das wissen wir alle. Aber es ist nicht so, daß man daraus nur eine Konsequenz ziehen könnte.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Richtig!)

    Wir haben Unterhaltungen gepflogen, nicht nur hier, sondern auch in Jerusalem, Tel Aviv und Warschau, und wir haben auch hier in Bonn mit Vertretern verschiedenster jüdischer Spitzenorganisationen aus den Vereinigten Staaten und mit Verlegern jüdischer Zeitungen gesprochen. Wenn man unsere Argumente sachlich — möglichst in kleinerem Kreise — auseinandergelegt und dargestellt hat, dann waren das immer diejenigen, bei denen ich mehr Verständnis gefunden habe als bei manchem, der hier ideologisch auf die eine oder andere Lösung eingeschworen ist.

    (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)

    Dazu bedarf es allerdings des Willens, die besondere Bedeutung dieser rechtsstaatlichen Entscheidung aus unserer Rechtstradition den anderen auch klarzumachen.



    Kleinert
    Ununterbrochen wird uns z. B. erzählt, in den angelsächsischen Ländern wäre das überhaupt nicht drin. Da gäbe es die Verjährung nicht. Ich habe versucht, mich in London mit führenden Mitgliedern des Anwaltvereins — so sagt man bei uns; bei denen ist das viel komplizierter — zu unterhalten. Die haben mir gesagt: Es ist völlig unmöglich, daß ein britischer Ankläger nach 20 Jahren anklagen würde. Daß ein Richter dann diese Anklage annehmen würde, ist absolut ausgeschlossen. Die Praxis dieses case law, die gesicherte Tradition dieses Rechtsbereichs läßt die Idee überhaupt nicht aufkommen, daß man nach so langer Zeit hier etwa noch strafrechtlich vorgehen könne.

    (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)

    Dann soll man uns doch mit oberflächlichen Rechtsvergleichen dieser Art verschonen

    (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)

    und vielmehr vor Ort erforschen, wie sich das wirklich verhält — und es verhält sich wirklich so, wie ich es vor Ort erfahren und Ihnen eben wiedergegeben habe.

    (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Eine beachtliche Rede!)

    Meine Damen und Herren, das Entscheidende — ich habe es mehrfach gesagt — ist die Auseinandersetzung mit unserer Geschichte. Ich habe das Buch von Frau Aicher-Scholl über die Geschichte der „Weißen Rose" in diesen Tagen noch einmal gelesen. Diese jungen Menschen haben damals sehenden Auges — so muß man das ganz deutlich verstehen — ihr Leben aufs Spiel gesetzt, nur um zu zeigen, daß es noch ein Prinzip gibt, daß es noch ethische, moralische und gewiß auch rechtliche Prinzipien gibt; sie wollten ein Zeichen dafür setzen, daß sich der einzelne dafür notfalls aufzuopfern hat. Das war das Signal, was die damals geben wollten. Sie wollten zeigen, daß wichtiger als das Leben diese Grundprinzipien sind.
    Jetzt versuchen wir durch letztlich technische Maßnahmen — und sehr technisch hat mir auch einiges in den vorangegangenen Reden geklungen — mit derartigen Dingen fertigzuwerden. Uns hätte es gut getan, wenn möglichst viele von denen, die heute mit der Bierflasche in der Hand vor ihrem Fernseher sitzen, damals auch nur einen Funken von dem an den Tag gelegt hätten — ohne Heldentum, ganz klein, ganz schlicht, in ihrem Umkreis —, was dann schließlich in letzter Stunde diese Geschwister Scholl und ihre Freunde gezeigt haben. Für die Zukunft zu erreichen, daß davon mehr vorhanden ist, als damals vorhanden war, ist unsere Aufgabe,

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Sehr gut!)

    aber nicht, mit rechtlichen Argumenten zu versuchen, unter Gefährdung eines wesentlichen Instituts unseres Rechtsstaates hier scheinbar Dinge in
    Ordnung zu bringen, die so keineswegs in Ordnung zu bringen sind.

    (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)



Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat Herr Abgeordneter Hartmann.

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    Rede von Klaus Hartmann


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Verehrter Herr Kollege Kleinert, wir alle wissen, daß Sie griffige und auch deftige Formulierungen lieben, und wir haben uns oft über dieselben amüsiert. Ich muß Ihnen allerdings gestehen, daß ich Ihre Aussage vom reibungslosen Übergang vom Armstrecken zum Kreuzschlagen — womit Sie die Opportunisten und Anpasser gemeint haben; ich weiß sehr wohl, wie ich das aufzufassen habe — nicht für sehr glücklich formuliert halte.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Ich teile Ihre Meinung! — Zuruf des Abg. Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU])

    Dies wollte ich voranstellen.
    Meine Damen und Herren! Die Befürworter einer generellen Aufhebung der Verfolgungsverjährung bei Mord haben schon in der ersten Lesung des von den Kollegen Wehner, Ahlers und Genossen eingebrachten Gesetzentwurfs eingeräumt, daß die konkrete Situation des Auslaufens der Verjährungsfrist nach geltendem Recht zum 31. Dezember 1979 der hauptsächliche, ja der alleinige Ausgangspunkt ihrer Überlegungen sei. Dazu haben sich auch die Kolleginnen und Kollegen im Rechtsausschuß, die eine generelle Aufhebung der Mordverjährung befürworten, ohne Umschweife bekannt. Der Umstand, daß am 31. Dezember 1979 die Verjährung schwerster Verbrechen drohe, gebe dem Gesetzgeber Anlaß -so argumentieren Sie —, erneut die Frage einer Strafverfolgungsverjährung bei Mord zu stellen. Mit einer Änderung des geltenden Rechts wird also das Ziel verfolgt, zu verhindern, daß schweres Unrecht aus der NS-Zeit ungesühnt bleibt.
    Ich möchte mich daher zuerst mit der Frage auseinandersetzen, ob der mit der beantragten Rechtsänderung erstrebte Erfolg auch tatsächlich erreicht werden kann. Der Deutsche Richterbund, der in diesem Hohen Hause, wenn es um Gesetzgebungsvorhaben geht, oft und mit Nachdruck zitiert wird, hat in seiner Erklärung vom 15. Februar dieses Jahres darauf hingewiesen, daß entgegen einer in der Bevölkerung offenbar weit verbreiteten Auffassung auch ein Festhalten am gegenwärtigen Rechtszustand nicht bedeuten würde, daß nach dem 31. Dezember 1979 keine Verfolgung von NS-Verbrechen mehr stattfinde.
    Die von Oberstaatsanwalt Rückerl, dem Leiter der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen, vorgelegten Zahlen — sie sind in der von ihm herausgegebenen Dokumentation genau nachzulesen — weisen aus, daß nach rund 80 000 abgeschlossenen Verfahren noch etwa 3 700 Ermittlungs- und Straf-



    Hartmann
    verfahren wegen NS-Verbrechen anhängig sind, in denen die gesetzliche Verjährungsfrist durch Strafverfolgungshandlungen unterbrochen worden, die Strafverfolgung also weiterhin möglich ist. Relevant wäre die Aufhebung der Verjährungsfristen nur für Täter, die erst ab 1. Januar 1980 bekannt werden.
    Ich folge dem Deutschen Richterbund in der Darlegung, daß, nachdem die Bundesregierung bereits 1964 und 1969 alle Staaten aufgefordert hat, vorhandenes Belastungsmaterial zur Verfügung zu stellen, es unwahrscheinlich ist, daß in den kommenden Jahren bisher unbekannte Täter neu festgestellt werden und daß es wohl ausgeschlossen ist, daß diese dann überführt und verurteilt werden können. Von den in den letzten Jahren eingeleiteten 168 Ermittlungsverfahren in NS-Sachen mußten fast alle schon mangels eines hinreichenden Verdachts gegen einen bestimmten Täter eingestellt werden.
    Wenn es nach dem 31. Dezember 1979 noch zu Ermittlungsverfahren kommen sollte, werden zwischen der Tat und dem Strafverfahren Zeiträume von zwischen 35 und 45 Jahren liegen. Der Täter wie auch die zumeist im europäischen und außereuropäischen Ausland lebenden Zeugen werden alte Menschen sein. Schon heute zeigt die Erfahrung, daß auch bei sorgfältigster Prozeßführung, die keine Mühen und Kosten scheut, eine ausreichend sichere Feststellung der Täter und ihrer Taten in dem Strafverfahren kaum noch möglich ist, obwohl die Ermittlungsverfahren schon vox langer Zeit eingeleitet worden sind. Ich erinnere an die Freisprüche im Majdanek-Prozeß und an ihre Kommentierungen im In- und Ausland. Was ist denn eigentlich fragwürdiger, denn Ansehen unserer Rechtsprechung abträglicher: immer mehr Freisprüche nach dem Grundsatz „Im Zweifel für den Angeklagten" oder der Eintritt der gesetzlichen Strafverfolgungsverjährung?
    Unter der Überschrift „Das Recht im Elend" heißt es in einem Leitartikel in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 31. März dieses Jahres — ich darf zitieren —:
    Die Zeugen, der Totalität des Vernichtungslager entkommen, meinen ein Zusammenspiel aller gegen sie zu erkennen. Die Angeklagten befinden sich auf freiem Fuß, das Gericht wehrt den Verteidigern nur in geringem Umfang. Es ist ein Zusammenspiel von Recht, das ihr erlittenes Unrecht in eine andere Welt verweist. Wenn Leid Sühne will, dann hat dieses Leid vor diesem neuen Recht keinen Halt. Wird man sich eines Tages an die Stirn schlagen und sagen, daß diese Prozesse eine groteske, menschenverachtende Entlastungsveranstaltung waren?
    Wer die Aufhebung der Mordverjährung fordert und dennoch Freisprüche mangels Beweises für unerträglich hält, wie weit ist der wohl noch davon entfernt, wegen des Ausmaßes und wegen der Grausamkeit der NS-Verbrechen jenen Angeklagten gegenüber auch den Grundsatz „in dubio pro reo" und andere fundamentale Rechtsprinzipien für
    verwirkt zu erklären? In Verfahren, die erst nach dem 1. Januar 1980 eingeleitet würden, wären die Beweisschwierigkeiten ja noch erheblich größer als bei den bereits eingeleiteten.
    Es ist daher zutreffend, wenn bei dieser Sachlage der Deutsche Richterbund der Auffassung ist, daß eine abermalige Änderung des geltenden Rechts kein Mehr an Gerechtigkeit und Befriedung des Rechtsempfindens verspricht. Es würde immer wieder zu Verfahrenseinstellungen oder Freisprüchen kommen, die der deutschen Justiz wie auch der Bundesrepublik Deutschland insgesamt den sachlich unberechtigten Vorwurf der Begünstigung nationalsozialistischer Gewalttäter eintrügen. Diese Befürchtung unserer Richterschaft sollten wir besonders ernst nehmen.
    Interessant ist es in diesem Zusammenhang, einmal nachzuforschen, wo in den westeuropäischen Staaten, in den Vereinigten Staaten von Nordamerika und in Kanada 30 Jahre nach Tatbegehung oder später die Strafverfolgung von Mordtaten überhaupt noch stattgefunden hat. Mir liegt die Stellungnahme des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages gegenüber dem Herrn Kollegen Spranger vom 5. April 1979 vor. Dort heißt es:
    1. In England wurde ein Mann namens Hone wegen Mordes an seinem unehelichen Kind 35 Jahre nach Begehung des Verbrechens hingerichtet. Aus der Fundstelle ergibt sich, daß diese Verurteilung im vorigen Jahrhundert oder eventuell sogar noch früher erfolgt sein muß. Das genaue Datum ist nicht angegeben.
    An anderen Fällen, in denen die Aburteilung erst relativ spät nach der Tatbegehung erfolgte, sind aus England bekannt:
    — 1802 wurde Governor Wall wegen eines 1782 begangenen Mordes hingerichtet, •
    — Sheward wurde in Norwich wegen Mordes an seiner Frau nach mehr als 20 Jahren hingerichtet,
    — 1905 wurde in dem Mordfall Appleton der Täter wegen eines im Jahre 1882 begangenen Mordes verurteilt, jedoch anschließend begnadigt.
    2. In Bayern wurde im Jahre 1951 wegen eines im Jahre 1922 auf einem Bauernhof in Hinterkaifeck verübten sechsfachen Mordes gegen einen der Tatverdächtigen ein Ermittlungsverfahren eingeleitet... Das Verfahren wurde jedoch eingestellt, weil — infolge der Kriegswirren — nicht geklärt werden konnte, ob die Verjährung wirksam unterbrochen worden war.
    Das ist die quantitative Situation in Fällen der allgemeinen Kriminalität. Sie treten nicht täglich auf. Der Wissenschaftliche Dienst weist noch auf folgendes hin: Aus der Tatsache, daß für das Ausland lediglich ein — aus dem vorigen Jahrhundert stammender — englischer Fall festgestellt werden konnte, in dem die Verurteilung später als 30 Jahre nach der Tatbegehung erfolgte, könne nicht ge-



    Hartmann
    schlossen werden, daß es weder in England noch in anderen westeuropäischen Staaten oder in Amerika oder Kanada andere solche Fälle gegeben hat. Doch seien keine Unterlagen darüber greifbar. Diese Fälle dürften als Ausnahmen von der Regel anzusehen sein, daß Verurteilungen über 25 Jahre nach der Tat gemeinhin nicht mehr vorkommen.
    Die Frage nach dem praktischen Nutzen einer generellen Aufhebung der Mordverjährung ist daher ganz eindeutig dahin zu beantworten, daß wegen der auf der Hand liegenden praktischen Schwierigkeiten nicht verhindert werden kann, daß auch schweres Unrecht nach Ablauf einer gewissen Zeitspanne nicht mehr gerecht gesühnt werden kann.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Richtig!)

    An dieser Stelle möchte auch ich wie vorhin Herr Kollege Mertes darauf hinweisen, daß der Eintritt der gesetzlichen Verjährung weder mit einer Amnestierung zu vergleichen ist noch eine moralische Absolution im Sinne einer Freisprechung von Vorwerfbarkeit beinhaltet. Mit dem Eintritt der Strafverfolgungsverjährung werden nicht das Wahrsein der kriminellen Tat und ihr Unrechtsein geleugnet. Es geht nicht um die Verjährung von Schuld, sondern um die Grenzen ihrer Sühnbarkeit. Jedes menschliche Tribunal stößt auf seiner Suche nach Wahrheit und Gerechtigkeit an diese Grenzen, jenseits derer sich der Konnex zwischen Schuld und Sühne auflöst.
    In diesem Zusammenhang ist auch danach zu fragen, ob die Aufhebung der Mordverjährung. nicht gegen den Verfassungsgrundsatz der grundsätzlichen und gleichmäßigen Anwendbarkeit, also der Praktikabilität, verstößt. Professor Böckenförde hat dazu vor dem Rechtsausschuß ausgeführt, daß die Praktikabilität in Frage steht, wenn eine Kumulation solcher Schwierigkeiten stattfindet, die praktisch zu einer Unausführbarkeit einer gesetzlichen Regelung im Sinne ihrer grundsätzlichen und gleichmäßigen Anwendung und Handhabung führt. Dies könne sich dann ergeben, wenn trotz intensiver kontinuierlicher Ausführung des im Gesetz enthaltenen Auftrags durch die Strafverfolgungsbehörden und die Gerichte bestensfalls Zufallsergebnisse erzielt werden können, etwa wegen unaufhaltbaren Beweisverfalls, unüberwindlicher Ermittlungsschwierigkeiten und fehlender Möglichkeit effektiver Beweissicherung. Professor Böckenförde hat freilich eine Aufhebung der Mordverjährung nicht von vornherein unter das Verdikt „verfassungswidrig" gestellt; er hat aber deutlich von einem verfassungsrechtlichen Unbehagen gesprochen.
    Die Fragwürdigkeit der Praktikabilität ist ein großes Bedenken gegen die Aufhebung der Mordverjährung. Ein weiteres Gegenargument ist das Postulat der Kontinuität der Gesetzgebung — auch dieses wurde heute bereits angesprochen —, der Kontinuität der Gesetzgebung im Interesse der Rechtssicherheit und des Rechtsstaats.
    Seit dem Jahre 1953 ist der Deutsche Bundestag mehrfach mit der Verjährungsproblematik befaßt
    worden. Ich möchte diese Entwicklung jetzt nicht nochmals darstellen, aber feststellen, daß er zu keinem Zeitpunkt an der Grundentscheidung gerüttelt hat: Auch Mord verjährt.
    In diesem Zusammenhang möchte ich besonders auf einen Umstand hinweisen, den der Bundesrichter Professor Willms in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 12. Februar dieses Jahres ausführlich dargestellt hat. Der Bundestag hat es ja nicht nur 1965 und 1969 bei der Mordverjährung im Grundsatz belassen, er hat die Grundentscheidung vielmehr im Jahr 1953 ausdrücklich getroffen.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Sehr richtig!)

    Im Jahre 1943 fügte nämlich im Zuge der Angleichung des österreichischen Strafrechts, das eine Verjährung der Verfolgung mit der Höchststrafe bedrohter Verbrechen nicht kannte, sondern nur nach Ablauf von 20 Jahren seit Begehung der Tat einen geringeren Strafrahmen vorschrieb, ein besonders von Freisler betriebenes NS-Gesetz der allgemeinen Vorschrift des Strafgesetzbuches über die Verfolgungsverjährung einen zweiten Absatz an, in dem es hieß, daß die Staatsanwaltschaft auch nach Ablauf der Verjährungsfrist die Verfolgung einleiten könne, wenn die Verhängung der Todesstrafe oder von lebenslangem Zuchthaus zu erwarten sei. Damit war sachlich zweierlei bestimmt. Zum einen wurde die Verjährung für mit den Höchststrafen bedrohte Verbrechen, also insbesondere für Mord, generell beseitigt. Zum anderen wurde es in die Hand der Strafverfolgungsbehörde gegeben, in Fällen des Ablaufs der nur noch im Sinne dieser Zäsur beachtlichen Verjährungsfrist nach Erwägungen der Opportunität über Verfolgung oder Nichtverfolgung zu entscheiden. Diese Regelung konnte nach dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Regimes selbstverständlich nicht unverändert fortbestehen. Eine Durchbrechung des Verfolgungszwangs bei Mord, die erst nach Ablauf einer der bisherigen Verjährungsfrist entsprechenden Zeitspanne letztlich dem „Führer", wie man damals sagte, überlassen wollte, ob der Täter noch zur Rechenschaft zu ziehen sei, war so typisch nationalsozialistisch, daß sie nun ohne weiteres gesetzlicher Geltungskraft entbehrte.
    Ganz anders verhält es sich freilich mit der Beseitigung der Verjährung. Sie hatte nichts typisch Nationalsozialistisches an sich und infolgedessen hatte sie auch nach dem Kriege Bestand.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Sehr richtig!)

    Wollte man an ihr festhalten, so hätte es auch nur einer redaktionellen Änderung des Gesetzestextes bedurft. Nach Meinung von Bundesrichter Willms hat es der Gesetzgeber ohne Zweifel auch so gesehen, als er sich im Jahre 1953 mit der Frage auseinandersetzte. Man wollte aber zur Verjährung zurückkehren.
    Die Bundesregierung schlug deshalb in ihrem Entwurf die vollständige Streichung des genannten Absatzes vor, weil — ich zitiere aus der damaligen Begründung — neuzeitliches Rechtsdenken verlan-



    Hartmann
    ge, daß auch bei schwersten Taten einmal der Zeitpunkt eintrete, von dem an eine Strafverfolgung ausgeschlossen sein müsse. Der Bundesrat wollte an diesem Vorschlag damals nicht uneingeschränkt teilhaben; er sprach sich für eine Verlängerung der Verjährungsfrist von 20 auf 30 Jahre aus. Der Rechtsausschuß lehnte diesen Vorschlag seinerzeit jedoch ab, obwohl die Bundesregierung ihm beigetreten war. Der Bundestag stimmte dann ohne Aussprache der vollständigen Streichung und damit der Rückkehr zur alten Verjährungsregelung zu.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: So war es! — Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/ CSU]: Der Frist von 20 Jahren! Damals war Herr Wehner auch schon im Parlament!)

    — Er stimmte der Frist von 20 Jahren zu.
    Willms fährt fort — jetzt zitiere ich wörtlich —:
    Nicht eine Stimme wurde laut, die auf die Notwendigkeit einer zeitlich unbegrenzten Verfolgung der nationalsozialistischen Verbrechen hingewiesen hätte. Heute fragt man sich, warum der Bundestag es damals, als man den schrecklichen Ereignissen noch so viel näher war, nicht bei der von den Nazis im 'Ergebnis zum eigenen Nachteil eingeführten Regelung des Ausschlusses der Verjährung belassen hat.
    Es gibt noch Mitglieder des Deutschen Bundestages, die an der Entscheidung des Jahres 1953 beteiligt waren
    — Herr Kollege Wehner —
    und jetzt vielleicht anders entscheiden möchten. Man sollte sie einmal fragen,
    zitiere immer noch Willms aus der „FAZ" —
    was sie sich damals bei einem Gesetz gedacht haben, das uns bis auf den heutigen Tag mit wiederholter Auseinandersetzung über die Verjährungsfrage weit über die Grenzen unseres Landes hinaus so viel Schwierigkeiten bereitet hat und bei dem man überlegen muß, ob es nicht als ernstes rechtliches Hindernis einer neuerlich geplanten Beseitigung der Verjährung im Wege steht. Denn diese Regelung soll ja gerade Verbrechen ergreifen, für die man damals die Verjährung wieder einführte. Kann es dem Gesetzgeber dort, wo es um das Grundrecht der persönlichen Freiheit geht, gestattet sein, einen bestimmten historischen Sachkomplex einmal so und einmal entgegengesetzt zu behandeln? Kann es ein beliebiges Hin und Her je nach politischer Wetterlage geben?
    Meine Damen und Herren, exakt dies ist der Punkt!

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Jawohl!)

    Das „verfassungsrechtliche Unbehagen", von welchem Professor Böckenförde vor dem Rechtsausschuß gesprochen hat, hat sich auch in mehreren anderen Hinsichten erhoben. Professor Frowein hat die kritische Frage aufgeworfen, ob es denn verfassungsrechtlich unbedenklich sei, daß ein ganz klar umgrenzbarer Tatenkomplex zum Anlaß genommen werde, wegen gewisser Schwierigkeiten, eben diesen bestimmten Tatenkomplex isoliert zu erfassen, zu einer generellen Regelung zu greifen, die eine Vielzahl von Taten erfasse, die man sonst niemals einer Neuregelung zuführen würde. Er hat in diesem Zusammenhang den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit tangiert gesehen.
    An dieser Stelle möchte ich eine Bemerkung zum differenzierenden Vorschlag des Herrn Kollegen Maihofer und des Herrn Kollegen Helmrich u. a. machen. Ich möchte nur kurz erwähnen, was vor allem gegen diese Lösung spricht. Zu allen Einzelheiten verweise ich auf den vorliegenden Bericht des Rechtsausschusses, in dem der Vorschlag ausführlich abgehandelt ist.
    Im Einklang mit dem Präsidenten des Bundesgerichtshofes und mit zwei vor dem Rechtsausschuß als Sachverständigen gehörten Generalstaatsanwälten bin ich der Auffassung, daß der Vorschlag Maihofer/Helmrich deshalb mit dem Grundgesetz nicht vereinbar ist, weil er in unzulässiger Weise das Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 umgehen will. Die Entlehnung der Nichtverjährbarkeit aus dem Völkermordparagraphen stellt nach meinem Dafürhalten und nach dem Dafürhalten der genannten Sachverständigen in unzulässiger Weise auf materiell-rechtliche Voraussetzungen ab, die zur Zeit der Tatbegehung noch nicht gegolten haben.
    Meine Damen und Herren, die von den Amerikanern, den Engländern und den Franzosen abgeurteilten NS-Mörder, deren Fälle nach dem sogenannten Überleitungsvertrag nicht mehr aufgegriffen werden können und bei denen es sich um die eigentlichen „großen Fische" gehandelt hat, befinden sich, soweit sie nicht hingerichtet worden oder zwischenzeitlich verstorben sind, inzwischen sämtlich in Freiheit und treten als Zeugen in den Prozessen gegen ihre früheren Untergebenen und Befehlsempfänger auf.
    In diesem Zusammenhang muß angesprochen werden, daß der Grundsatz der Gleichbehandlung — und dies ist bekanntlich ein verfassungsmäßiger Grundsatz — tangiert ist. Denn der Gleichheitsgrundsatz gebietet es, jeden NS-Gewalttäter seiner gerechten Strafe zuzuführen. Wie soll nach mehr als 30 Jahren noch eine gerechte Sühne für die Befehlsausführer von damals — im Vergleich zu den Strafen, mit denen ihre mit weitaus größerer Schuld belasteten Befehlsgeber vor den alliierten Gerichten davongekommen sind — gefunden werden?
    Und noch eines: Auch wenn das Bundesverfassungsgericht die rechtliche Zulässigkeit einer rückwirkenden Veränderung von Verjährungsvorschriften bejaht hat, bleibt eine rückwirkende Gesetzesänderung dennoch eine rechtspolitisch fragwürdige Maßnahme,

    (Sehr richtig! bei der FDP)




    Hartmann
    die uns auch das Ausland nicht ansinnen sollte. Gerade diejenigen, die durch den militärischen Sieg über den Nationalsozialismus die Voraussetzungen dafür geschaffen haben, daß in Deutschland ein demokratischer Rechtsstaat entstehen konnte, sollten uns Dispositionen über unsere Rechtsordnung als vermeintliches Mittel der Vergangenheitsbewältigung nicht abfordern wollen.

    (Zuruf eines Tribünenbesuchers: Aber wir tun das! — Der Tribünenbesucher entledigt sich seiner Jacke und zeigt darunter die Kleidung eines KZ-Häftlings — Zwei weitere Tribünenbesucher schließen sich an — Die Demonstranten werden von Ordnungskräften zum Ausgang gedrängt)

    Unsere Antwort auf das Unrechtssystem des Nationalsozialismus ist der freiheitliche, demokratische Rechtsstaat.

    (Anhaltende Zurufe der Demonstranten)