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ID0816600200

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 8/166 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 166. Sitzung Bonn, Dienstag, den 3. Juli 1979 Inhalt: Abweichung von § 60 Abs. 2 GO bei der Beratung der Verjährungsvorlagen . . . 13233 A Eintritt des Abg. Besch in den Deutschen Bundestag für den ausgeschiedenen Abg Carstens (Fehmarn) 13290 A Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung . 13233 B Beratung des Bericht des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gradl, Katzer, Blumenfeld, Dr. Mikat, Dr. Biedenkopf, Josten, Dr. Müller-Hermann, Gerster (Mainz), Wohlrabe, Frau Dr. Riede (Oeffingen), Kittelmann, Breidbach, Frau Pieser, Luster, Reddemann, Schröder (Lüneburg), Dr. Pfennig, Frau Berger (Berlin), Stommel, Conrad (Riegelsberg), Dr. Stercken, Russe, Frau Dr. Wisniewski, Schartz (Trier) und Genossen Unverjährbarkeit von Mord zu der Entschließung des Europäischen Parlaments zur Unverjährbarkeit von Völkermord und Mord zu dem von den Abgeordneten Wehner, Ahlers, Dr. Ahrens, Amling, Dr. Apel und Genossen und den Abgeordneten Dr. Wendig, Gattermann, Frau Dr. Hamm-Brücher und Genossen eingebrachten Entwurf eines Achtzehnten Strafrechtsänderungsgesetzes — Drucksachen 8/2539, 8/2616, 8/2653 (neu), 8/3032 — in Verbindung mit Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Wehner, Ahlers, Dr. Ahrens, Amling, Dr. Apel und Genossen und den Abgeordneten Dr. Wendig, Gattermann, Frau Dr. Hamm-Brücher und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Achtzehnten Strafrechtsänderungsgesetzes — Drucksache 8/2653 (neu) — in Verbindung mit Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Gradl, Katzer, Blumenfeld, Dr. Mikat, Dr. Biedenkopf, Josten, Dr. Müller-Her- II Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 3. Juli 1979 mann, Gerster (Mainz), Wohlrabe, Frau Dr. Riede (Oeffingen), Kittelmann, Breidbach, Frau Pieser, Luster, Reddemann, Schröder (Lüneburg), Dr. Pfennig, Frau Berger (Berlin), Stommel, Conrad (Riegelsberg), Dr. Stercken, Russe, Frau Dr. Wisniewski, Schartz (Trier) und Genossen Unverjährbarkeit von Mord — Drucksache 8/2539 — in Verbindung mit Beratung der Entschließung des Europäischen Parlaments zur Unverjährbarkeit von Völkermord und Mord — Drucksache 8/2616 — Dr. Mertes (Gerolstein) CDU/CSU . . . . 13234 A Frau Dr. Däubler-Gmelin SPD . . . . 13239 B Kleinert FDP 13243 C Hartmann CDU/CSU 13247 C Dr. Vogel (München) SPD . . . . . . 13252 A Gattermann FDP . . . . . . . . . 13254 C Gerster (Mainz) CDU/CSU . . . . . . 13257 B Dr. Dr. h. c. Maihofer FDP . . . 13260 A, 13292 A Dr. Emmerlich SPD . . . . . . . 13265 B Helmrich CDU/CSU 13268 A Sieglerschmidt SPD 13269 C Frau Matthäus-Maier FDP . . . . . . 13272 B Dr. Lenz (Bergstraße) CDU/CSU 13274 D Dr. Weber (Köln) SPD 13277 D Ey CDU/CSU 13281 C Frau Dr. Hamm-Brücher FDP 13282 B Blumenfeld CDU/CSU 13285 C Cronenberg FDP 13287 B Dr. Bötsch CDU/CSU . . . . . . . . . 13288 A Erhard (Bad Schwalbach) CDU/CSU . . . 13294 B Dürr SPD 13296 C Engelhard FDP 13298 D Dr. Gradl CDU/CSU 13301 A Thüsing SPD 13303 A Dr. Wendig FDP 13305 D Namentliche Abstimmungen . . 13290 A, 13292 B, 13308 A, 13311 B Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zum Sechsten Gesetz zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes — Drucksache 8/3027 — Pfeifer CDU/CSU . . . . . . . . . . 13308 B Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zum Gesetz zur Neufassung des Umsatzsteuergesetzes und zur Änderung anderer Gesetze — Drucksache 8/3028 Westphal SPD 13309 B Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zum Gesetz zur Änderung des Gesetzes über technische Arbeitsmittel und der Gewerbeordnung — Drucksache 8/3029 — Jahn (Marburg) SPD 13313 B Nächste Sitzung 13313 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 13315* A Anlage 2 Erklärung des Abg. Dr. Penner (SPD) nach § 59 GO zu Punkt 1 der Tagesordnung . . 13315*A Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 3. Juli 1979 13233 166. Sitzung Bonn, den 3. Juli 1979 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordneter) entschuldigt bis einschließlich Dr. Arnold 4. 7. Bayha 4. 7. Dr. Böhme (Freiburg) 4. 7. Büchner (Speyer) * 4. 7. Dr. Dübber 3. 7. Dr. h. c. Kiesinger 4. 7. Koblitz 4. 7. Dr. Müller ** 4. 7. Picard 4. 7. Scheffler ** 4. 7. Frau Schlei 4. 7. Dr. Schmitt-Vockenhausen 4. 7. Spilker 4. 7. Volmer 4. 7. Walkhoff 4. 7. Dr. Wulff 4. 7. Anlage 2 Erklärung des Abgeordneten Dr. Penner (SPD) nach § 59 GO zu Punkt 1 der Tagesordnung Ich stimme einer angestrebten Aufhebung der Verjährungsfrist für Mord nicht zu. Ich bin der Meinung, daß sich das abgestufte System der Verjährungsfristen im Strafgesetzbuch, in das auch schwerste Straftaten wie Mord einbezogen sind, bei allen eingeräumten Unzulänglichkeiten bewährt hat. Die zeitliche Begrenzung der staatlichen Verfolgungspflicht für Straftaten beruht auch auf der Erkenntnis, daß die Möglichkeiten der Wahrheitsfindung im Strafprozeß um so brüchiger und fragwürdiger werden, je mehr Zeit zwischen Tat und Ahndung verstrichen ist. Ich halte es daher für richtig und auch geboten, wenn der Gesetzgeber diese Regelerfahrung gesetzlich absichert und damit den Strafverfolgungsorganen eine Pflicht abnimmt, der sie auch bei bestem Wollen und Können nicht gerecht werden können. Hinweise auf ausländische Rechtsordnungen und frühere deutsche und romanische Rechtsinstitute halte ich für bemerkenswert, aber für nur bedingt aussagekräftig, da bei einem Vergleich die gesamten Verfahrensordnungen mit allen Möglichkeiten und Hemmnissen besonders des Beweisrechts gegenüber gestellt werden müssen. Der Anlaß für die Initiative ist ebenso beklemmend wie säkulär. Es geht nicht einfach um eine Neufassung des Verjährungssystems, es geht um die Frage, ob besonders Mordtaten der NS-Zeit über gesetzliche Verjährungsvorschriften einer Strafverfolgung entzogen sein können oder nicht. Das Für und Wider ist in den bewegenden Debatten der 60er * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlagen zum Stenographischen Bericht Jahre und in den Diskussionen aus jüngster Zeit engagiert, behutsam und sorgfältig beleuchtet worden. Ich bin aber der Meinung, daß es statthaft sein darf, bei der Entscheidung auch berufsbedingte Erfahrungen miteinzubeziehen, die mehr die praktische Auswirkung der Gesetzesänderung betreffen. Ich neige mehr und mehr zu der Auffassung, daß der in den 60er Jahren beschrittene Weg der Ausdehnung der Verjährungsfristen nicht richtig gewesen ist. Dabei will ich nicht verschweigen, daß ich dies seinerzeit anders gesehen habe. Aber im Verlaufe einer beruflichen Tätigkeit, bei der ich mit der Verfolgung von NS-Gewaltverbrechen zu tun hatte, sind mir zunehmend Zweifel gekommen. Und das, obwohl die nazistische Wirklichkeit mit Genozid, mit Vernichtungs- und Konzentrationslagern, mit Massen- und Einzelmorden durch Akten und Zeugenaussagen erdrückend bestätigt wurde. Aber im Strafprozeß geht es nicht allein um Tatgeschehen, sondern auch um persönliche Verantwortung, um Schuld. Der Nachweis individueller Schuld war schon früher aus vielerlei Gründen kaum oder gar nicht möglich. Das ist auch nach der Erweiterung der Verjährungsfrist auf 30 Jahre noch problematischer geworden. Nicht nur statistische Hinweise geben darüber Aufschluß. Selbst das deutsch-französische Rechtshilfeabkommen des Jahres 1971, das die Verfolgungssperren des Überleitungsvertrages für deutsche Behörden lockerte, hat die strafrechtliche Bewältigung der Judendeportationen aus Frankreich nicht unterstützen können, wie man hört. Ich bin der Meinung, daß unter den gegebenen Umständen die Beibehaltung des geltenden Verjährungsrechts verantwortet werden kann. Nach meiner Erfahrung dürfte die Entdeckung neuer Sachverhalte mit der Folge strafrechtlicher Verurteilung zwar nicht ausschließbar, aber nahezu ausgeschlossen sein. Aller Voraussicht nach wird ein berechtigtes Sühnebedürfnis nicht mehr gestillt werden können. Daher halte ich es aus meiner Sicht nicht für erträglich, Zeugen, die Schwerstes erlitten und durchlitten haben, den Lasten und Beschwernissen, ja den Qualen von Vernehmungen über die gegebenen Unumgänglichkeiten hinaus auszusetzen. Daß nach Eintritt der Verjährungsfrist unentdeckte NS-Mörder sich ihrer Untaten öffentlich rühmen könnten, ist eine theoretische Möglichkeit, hat aber mit der Verjährungsproblematik nichts zu tun. Für schon Abgeurteilte oder außer Verfolgung gesetzte NS-Täter sind eher Stichworte wie „Leugnen", „Verkleinern", „Es war eben Krieg" und in Einzelfällen auch Reue kennzeichnend. Eine Neigung zu öffentlicher Erörterung dieser Vergangenheit besteht bei diesem Tätertyp nach den bisherigen Erfahrungen hingegen kaum. Für die Zukunft muß eine stetig zunehmende Zahl von Fehlbeurteilungen der Strafverfolgungsorgane befürchtet werden. Das wird für die schon anhängigen Verfahren unumgänglich sein. Die Gründe lie- 13316* .Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 3. Juli 1979 gen durchweg in der Beweisnot der Gerichte und Staatsanwaltschaften. Die Aufhebung der Verjährungsfrist hätte zur Folge, daß zu allen neuen Vorgängen materielle Entscheidungen über Schuld oder Unschuld erforderlich würden. Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß diese durchweg Einstellungsverfügungen und Freisprüche sein werden. Ich hielte das für bedrückend, weil mit diesen staatlichen Akten, deren Qualität nicht anders ausfallen kann und wird, Geschichtslegenden gebildet und unterstützt werden können. Aus meiner Sicht ist daher das aus dem geltenden Recht folgende Offenhalten der strafrechtlichen Schuldfrage nach Ablauf der Verjährungsfrist auch der politische richtige Weg. Ich weiß, daß diese Überlegungen nur einen Teil der Fragen und Bedrängungen ausmachen. Für mich sind sie entscheidend. Eine neue gesetzliche Regelung muß sich auch an ihren Möglichkeiten und Grenzen messen lassen. Dem Anspruch der Opfer, der Betroffenen auf sühnende Gerechtigkeit kann nicht über eine Ausweitung des Verjährungsrechts Genüge geschehen. Ich meine, daß dies auszusprechen auch zur parlamentarischen Verantwortlichkeit gehört. Ich wage es daher, nein zu sagen.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Alois Mertes


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da die Berichterstatter heute morgen das Wort nicht nehmen, richte ich zunächst ein Wort des Dankes an sie, also an die Kollegen Dr. Alfred Emmerlich und Benno Erhard. Der von ihnen verfaßte Bericht ist eine umfassende und klare Darstellung der Beratungen des Rechtsausschusses. Der Bericht vermittelt außerdem jedem Beobachter im In- und Ausland, der um Fairneß bemüht ist und der sich ein zutreffendes Bild der Argumente für und gegen die Beibehaltung des geltenden deutschen Rechtes in der Frage der Mordverjährung verschaffen will, eine höchst informative Darstellung, die an Objektivität nichts zu wünschen übrig läßt.
    Dies ist nicht, wie so oft gemeint wird, eine Debatte zwischen Juristen einerseits und Moralisten andererseits. Das sage ich nicht nur, weil ich selbst nicht Jurist bin, sondern weil ich Wert auf die Feststellung lege, daß es bei der Verjährung um einen Konflikt zwischen zwei gleichrangigen moralischen Werten und Zielen, nämlich zwischen der vergeltenden Gerechtigkeit und dem notwendigen Rechtsfrieden, geht. Da es keine zwingenden Kriterien für die Lösung dieses Konfliktes gibt, handelt es sich also im besten Sinne um eine , politische Entscheidung, die wir zu treffen haben, selbstverständlich nach bestem Wissen und Gewissen.
    Was eigentlich bedeutet Verjährung? Das ist die Grundfrage. Leider wird das Rechtsinstitut der Verjährung immer wieder verwechselt mit Amnestie, mit Begnadigung, mit Verzeihen, mit Verharmlosen, mit Vergessenwollen. Sogar eine kürzliche Entschließung der Knesset, die Frau Kollegin Renger uns auf Veranlassung des israelischen Botschafters zugeleitet hat, stellt Vergebung und Verjährung von NS-Verbrechen auf eine Stufe. Immer wieder hören wir bei den Appellen, das seit 1969 geltende deutsche Recht wieder zu ändern, daß die nationalsozialistischen Morde niemals vergessen und verziehen werden dürfen. Als ob dieses Nichtvergessen nicht eine Selbstverständlichkeit für jeden Abgeordneten in diesem Hause wäre, als ob dieses Nichtvergessen durch die Aufhebung der 1969 beschlossenen Gesetze zu erreichen wäre! Welche Verwirrung der moralischen Kategorien, welche Verirrung psychologischer Einsichten! Ich selbst empfinde diese suggestive Kombination von Verjährung, Vergebung und Vergessen als eine beleidigende Zumutung.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Unter Menschen von sittlicher und intellektueller Integrität gibt es keine Diskussion über die Schrecklichkeit der Verbrechen, die im Dritten Reich nachweisbar geschehen sind. Das möchte ich auch an die Adresse all derjenigen sagen, die draußen im Zusammenhang mit der Verjährungsdebatte die Verbrechen jener Zeit zu entschuldigen, zu bagatellisieren oder gar zu leugnen versuchen.

    (Dr. Emmerlich [SPD] : Sehr gut!)

    Die Diskussion ging in den 50er und 60er Jahren und geht auch heute ausschließlich darum, welches der beste Weg ist, mit dem Erbe des Dritten Reiches fertig zu werden, dessen Beginn ich als 11 jähriger in einer Familie erlebt habe, die dann zwölf Jahre lang als reaktionär, ewiggestrig und nicht auf der Höhe des Zeitgeistes stehend angesehen wurde. Aber familiäre Einbettung ist ebenso wie spätes Geburtsdatum kein Verdienst, ebenso wie familiäre Verstrickung oder die Zufälligkeit des Geburtsdatums und des Geburtsortes keine Schuld sind. Meinem Elternhaus verdanke ich auch die Ehrfurcht vor dem jüdischen Volk und die Ehrfurcht vor dem Leben.
    Merken wir denn nicht, daß wir bei der Gleichsetzung der Verjährung mit ganz anderen Kategorien den Kollegen früherer Legislaturperioden unterstellen, ihr moralischer Rang sei minder als der unsere, weil sie sich ausdrücklich gegen alle Vorschläge der Aufhebung der Mordverjährung gewandt haben? Wie aber können wir untereinander, mit Jugendlichen draußen, mit Hinterbliebenen der Opfer der NS-Terrorherrschaft, mit moralisch besonders sensiblen Menschen angemessen und sinnvoll sprechen, wenn der Sinn der Verjährung so unrichtig, ja, so pervertiert gesehen wird?
    Im Gegensatz zum angelsächsischen Rechtskreis des Common Law, zu dem Großbritannien, Irland, Kanada, die USA — außer einem Bundesstaat —, Südafrika, Australien, Neuseeland, Indien, Malaysia und Israel gehören, spielt die Verjährung in den Ländern des kontinentaleuropäischen Rechtskreises, zu dem Deutschland gehört, eine erhebliche Rolle. In dieser europäischen Rechtskultur bedeutet die Verjährung ausschließlich — ich sage: ausschließlich — die Sicherung des Staates vor dem Justizirrtum, also vor dem Risiko neuen Unrechts, diesmal durch den Staat selbst. .
    In den Ländern des angloamerikanischen Rechtskreises sichert sich der Staat gegen das Risiko eigenen Unrechts auf andere Weise, nämlich durch das Opportunitätsprinzip und durch besonders strenge Beweisregeln. Die Verjährung ist im deutschen und europäischen Recht das notwendige Korrektiv zum Legalitätsprinzip. Sie soll das moralische Gleichgewicht zwischen Gerechtigkeit und Rechtssicherheit gewährleisten. Die Verjährung ändert überhaupt nichts an der moralischen Ver-



    Dr. Mertes (Gerolstein)

    werflichkeit der Tat und nichts an ihrem Unrechtsgehalt.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

    Gerade auch aus außenpolitischen Erwägungen halte ich es für eine elementare Pflicht der Wissenden, die Unwissenden — und sie sind zahlreich, auch im befreundeten Ausland — auf diese Zusammenhänge hinzuweisen.

    (Dr. Dregger [CDU/CSU] : Sehr gut!)

    Meine Kollegen, vor einigen Wochen hatte ich zusammen mit anderen Kollegen Gelegenheit zu einem Gespräch über die Verjährung mit einer Gruppe jüdischer Amerikaner. Wir haben unsere Auffassung — die der Mehrheit der CDU/CSU-Fraktion — dargelegt, und einer der Vertreter dieser namhaften Gruppe sagte: Ihre Argumente sind ehrenwert und gravierend; aber seien Sie sich als Außenpolitiker darüber im klaren, daß diese Argumente in den Vereinigten Staaten kaum bekannt sind, sondern daß bei uns in den USA weitgehend eine Beibehaltung der Verjährung als ein Mangel an Absage an das NS-System verstanden wird. Ich habe den anwesenden Rabbiner gefragt: Herr Rabbiner, kann ich es mit meinem Gewissen vereinbaren, in einer Frage, auf der mein Gewissen mir eine ganz bestimmte Antwort gibt, vor der Ignoranz der amerikanischen Öffentlichkeit zu kapitulieren? Ich kann es nicht! — Der Rabbiner hatte Verständnis.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Die Bundesrepublik Deutschland hat mit 30 Jahren, bei NS-Morden mit 35 Jahren, die längste Verjährungsfrist in Europa. Luxemburg, die CSSR, Frankreich, die Sowjetunion, Holland und Polen haben erheblich kürzere Verjährungsfristen. Allerdings gilt dort ein Ausnahmerecht gegen die Verjährung von NS-Morden, das sich in der Praxis fast ausschließlich gegen Deutsche richtet und in starkem Maße den Charakter von Siegerrecht trägt. So ist es in früheren Jahren auch in diesem Bundestag von allen Fraktionen empfunden worden.
    Es genügt nicht, nur festzustellen, daß auch die Anhänger der Beibehaltung des 1969 beschlossenen Mordverjährungsrechts von honorigen Motiven geleitet sind. vielmehr gebieten es die intellektuelle Redlichkeit und die moralische Transparenz der Debatte, die objektive sittliche Funktion der Verjährung all denen zu erläutern, die der irrigen Auffassung sind, die Verjährung sei ein Institut der Unrechtsduldung, eine Art Rechtswohltat zugunsten des Verbrechers.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

    In seinem Beschluß vom 19. Februar 1963 hat der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs den Sinn der Verjährung folgendermaßen definiert:
    Rechtssicherheit strebt nach Rechtsfrieden. Wird dieser durch eine Straftat gestört, so dient es ihm, wenn die Gerechtigkeit. durch Eingriff mit strafender Hand die Störung beseitigt. Ist der Rechtsfrieden jedoch von selbst durch heilenden Ablauf der Zeit wiederhergestellt, so hat ein Eingriff des Staates keiner Nutzen mehr; er führt nur zu neuer Unruhe.
    Meine sehr verehrten Kollegen; mit der Verjährung gibt der Gesetzgeber zu, daß die Erkenntnisschwäche des Menschen der Verwirklichung irdischer Gerechtigkeit Grenzen setzt; denn mit wachsendem Zeitabstand von der Tat des Beschuldigten, der bis zum eindeutigen Beweis seiner Schuld ja nicht verurteilt werden darf, wächst gerade auch nach der Erfahrung der NS-Mordprozesse — ich erinnere an die kürzlichen Urteile im Majdanek-Prozeß — die Schwierigkeit der einwandfreien Beweisführung für Taten vor 35 bis 47 Jahren, damit aber auch das Risiko staatlichen Unrechts.
    Der SPD-Politiker Adolf Arndt, selbst Opfer der NS-Zeit, bis 1969 sicher nicht nur der bedeutendste Rechtsfachmann der SPD-Bundestagsfraktion, sondern eine herausragende Gestalt in der Parlamentsgeschichte nach dem Kriege, schrieb dazu 1965 —ich zitiere —:
    Eingedenk der Geschichtlichkeit und Endlichkeit des Menschen und der engen Grenzen seiner Wissensfähigkeit ist die Verjährung ein Menetekel vor der Hybris,
    also ein Warnruf vor der Anmaßung des Menschen, auf dieser Erde perfekte Gerechtigkeit verwirklichen zu können. Diese von meinen Freunden und mir geteilte Sicht entspricht dem Realismus des christlichen Menschenbildes, der sich nicht vom Vorrang des Vergeltungs- und Sühnegedankens leiten läßt.
    Im übrigen gehört es zu den großen Unaufrichtigkeiten unserer Zeit, den Strafzweck der sühnenden Gerechtigkeit in allen Lebensbereichen zugunsten der Resozialisierung zurückzudrängen, im Falle der NS-Verbrechen aber sogar nach 35- bis 47jähriger Resozialisierung die Sühne zum obersten und ausschließlichen Strafzweck zu machen. Hier entsteht das Risiko neuen Unrechts in vielfältiger Form. Mir sind Fälle bekannt, in denen die Ehefrau, die Kinder, die Schwiegerkinder, die Enkelkinder 15 Jahre lang darauf warten, ob der Großvater, der sich seit 1945 untadelig gehalten hat, nun ein Mörder war oder nicht. In fast allen Fällen — wir wissen es ja — erweist es sich nicht, daß er es war. Hier tun sich neue Unrechtszusammenhänge auf, auf die wir achten müssen und deren Bedeutung wir vor unserem Gewissen zu prüfen haben.
    Ich habe die große Sorge, daß diese moralische und rechtliche Schizophrenie der Glaubwürdigkeit unseres Rechtsstaates auf die Dauer nicht gut bekommt. Ich für meine Person bin jedenfalls nicht gewillt, potentiellen Gegnern unseres Rechtsstaates — und gerade auch nicht solchen aus der dunklen braunen Ecke — gegen die innere Konsistenz unseres Rechtsdenkens die Argumente frei Haus zu liefern. Ich werde noch in einem anderen Zusammenhang auf die Gefährlichkeit jeder Doppelmoral zu Lasten der Glaubwürdigkeit unseres Gemeinwesens zurückkommen, einer Doppelmoral, vor der schon der weise König Salomon in seinen Sprüchen



    Dr. Mertes (Gerolstein)

    warnte, als er sagte: „Doppeltes Maß und doppeltes Gewicht, beides ist dem Herrn ein Greuel."
    Im Gegensatz zur Verjährung setzt Amnestie die Verurteilung des Angeklagten oder zumindest dringenden Tatverdacht voraus. Begnadigung kann nur einem bereits rechtskräftig Verurteilten zuteil werden. Verzeihung und Vergebung sind wieder etwas anderes. Verzeihen — das weiß doch jeder schon aus seinem privaten Bereich — ist ein höchst intimer Vorgang von eminenter personaler Freiheit. Verzeihen kann — hier stimme ich meinem Freund Paul Mikat zu — nicht der Staat, sondern verzeihen können nur die Opfer der Straftat, wenn sie dazu in der Lage sind, in voller Freiheit. Verzeihen kann in letzter Instanz — lassen Sie mich das als Christ sagen — nur die Allmacht des göttlichen Richters, dessen höchste Machtfülle sich darin zeigt, daß sie Schuld im vollen Sinne des Wortes aus Gnade vernichten ' kann. Dies ist im übrigen nicht nur christliche, sondern auch jüdische Glaubensüberlieferung. Der Bundestag ist nicht der Herr des letzten Gerichtes. Sein Wille zur Gerechtigkeit darf nicht dazu führen, daß im Ergebnis neues Unrecht auch nur entstehen könnte.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Gegen Vergessen und Verharmlosen — auch mit ihnen wird die Verjährung ja so oft in Verbindung gebracht — hilft nur ein waches, umfassendes und faires Geschichtsbewußtsein, das auf Wissen beruhen muß. Dies aber ist nicht Sache der Strafjustiz, sondern unser aller pädagogische und politische Pflicht. Sie zu erfüllen obliegt dem Gespräch der Eltern am Tisch zu Hause, sie obliegt den Lehrern, den Publizisten aller Medien, allen, die mit jungen Menschen ohne geschichtliche Erfahrung Verbindung haben.
    Hier aber gilt erneut die Warnung vor der doppelten Moral, vor einseitigen Anklagen. Wer keinen neuen deutschen Nationalismus, keine neue verbitterte Rechthaberei in diesem Lande aufkommen lassen will - und das will ich nicht —, der muß Sonderrecht gegen Deutsche in dieser vielschichtigen und empfindlichen Frage ablehnen. Das war für die Generation, die darum wußte, wie es zu 1933 gekommen war, eine selbstverständliche Lehre der Geschichte.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Nun hören wir alle oft das Argument, die ehemaligen Feindmächte hätten doch auch ähnliches getan wie wir. Es wird erinnert an die Bombardierung Hamburgs oder Dresdens, überhaupt an die Methode, zivile Wohnviertel mit Bombenteppichen zu belegen, an die Vertreibung Millionen Deutscher aus den Ostgebieten, die zahllosen umgekommen Flüchtlinge. Dieses Argument, meine verehrten Kollegen, ist falsch. Denn weder moralisch noch strafrechtlich gilt das Argument „tu quoque", auch du hast Böses getan. Kein Verbrecher kann sich damit entschuldigen, daß auch andere Verbrechen begangen haben. Was aber der Mann auf der Straße in Wirklichkeit und durchaus zu Recht meint, ist etwas anderes, nämlich daß in der Strafverfolgung international in dieser zusammen-
    rückenden Welt der Gleichheitsgrundsatz gewahrt werden muß.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich erinnere daran, wie nachdrücklich Papst Johannes Paul II. in seinen Verlautbarungen der ersten Monate seines Pontifikats immer wieder auf die Universalität der Gerechtigkeit, der moralischen Prinzipien, der Menschenrechte hingewiesen hat. In dieser Zeit können wir diese Grundsätze nicht nur auf unser Territorium, auf unser Land beschränken, sondern wir müssen die Gesamtheit der Welt sehen. Was ist das für eine Psychologie, die von einer weltweiten Verantwortung spricht und in dieser Frage, bei der die Möglichkeit der Geltung moralischer Prinzipien für die ganze Erde zur Debatte steht, dieses nicht sieht!
    Es widerspricht aber einem elementaren Grundsatz der Gerechtigkeit, nur eine bestimmte Kategorie von Verbrechen — hier die deutschen — einerStrafverfolgung auszusetzen, eine andere Kategorie aber — Angehörige der Siegerstaaten — de facto oder durch Amnestie vor einer Strafverfolgung zu schützen. Wenn man dann noch bedenkt, daß die Bundesrepublik Deutschland sich 1955 im sogenannten Überleitungsvertrag verpflichten mußte, niemanden deswegen strafrechtlich zu verfolgen, weil er ein Delikt im Sinne der Alliierten begangen hat; wenn man weiter bedenkt, daß viele der von den Alliierten begnadigten Hauptverantwortlichen in den NS-Prozessen als Zeugen gegen jene auftreten, die einst ihre Werkzeuge waren, dann sind die Empfindungen des Mannes auf der Straße, so unkorrekt oder grob, unannehmbar grob er sie oft auch artikuliert, alles andere als unverständlich. Adolf Arndt hat dieses dunkle Kapitel in der Geschichte der deutschen Nachkriegsjustiz treffend charakterisiert, als er sagte, hier seien Gleichheit und Gerechtigkeit in nicht wiedergutzumachender Weise zerstört worden.

    (Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU]: So ist es!)

    Hinzu kommt ein anderer Zusammenhang zwischen Verjährungsdebatte und Unrechtsbewußtsein, nämlich das millionenfache Quälen und Morden, das auch nach dem Ende der NS-Herrschaft in vielen Ländern kein Ende fand und das heute noch tausendfach, millionenfach Triumpfe feiert. Wer denkt jetzt nicht an das Morden und Quälen, das von den Machthabern in Vietnam und im Iran unschuldigen Menschen angetan wird. Ich verstehe es, daß der Gerechtigkeitssinn, der Sinn für Maß und Proportion sich bei vielen Menschen in diesem Lande aufbäumt, wenn sie sehen, mit welch unterschiedlichen Maßen auf dieser Erde gemessen wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Daß wir uns nicht mißverstehen: Das System der Konzentrationslager, wie sie etwa Eugen Kogon in seinem Buch „Der SS-Staat" dargestellt hat, muß im Wissen und in der verantwortungsbewußten Besinnung unserer Erzieher bleiben, auch wenn es nun schon 35 bis 47 Jahre zurückliegt. Daneben muß aber mit der gleichen moralischen Intensität



    Dr. Mertes (Gerolstein)

    — ich wiederhole: nicht zur Selbstrechtfertigung, sondern um der vollen Wahrheit und Gerechtigkeit willen — das Wissen um jenes Unrecht bleiben, das vor Hitler, während der NS-Zeit und nach Hitler Menschen in den Tod gequält hat. „Archipele GULags" existieren auch heute noch vielfältig. Welch klägliche Moral, die aus politischer Opportunität aktuellstes, verhinderbares Unrecht verschweigt — wo immer es auch sein mag —,

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    dagegen Unrecht vor Jahrzehnten, das individuell kaum mehr zu verifizieren und sicher nicht mehr zu verhindern ist, mit einer Intensität begleitet, das sie dem Unrecht unserer Zeit, unserer Umgebung tausendfach versagt.
    Lesen Sie bitte nach, was Alexander Solschenizyn selbst zu unserer Selbstreinigungsleistung in der Bundesrepublik Deutschland gesagt hat — ich darf nur ganz kurz zitieren —:
    Und dann hört man aus Westdeutschland, daß dort ... 86 000 Naziverbrecher verurteilt wurden ... — und wir trumpfen auf, wir geizen nicht mit Zeitungsspalten und Hörfunkstunden, wir brennen darauf, auch noch nach der Arbeit zu einer Kundgebung zu eilen und zu fordern wie ein Mann: „Auch 86 000 sind zuwenig! Auch zwanzig Jahre sind zuwenig. Weitermachen!" ... Will man indessen die 86 000 aus Westdeutschland auf unsere Relationen übertragen, dann ergäbe dies für unser Land EINE VIERTELMILLION! ... Ein Land, das das Laster sechsundachtzigtausendmal
    — wie West-Deutschland —
    durch seine Richter verurteilen ließ (und es in der Literatur und unter der Jugend endgültig verurteilt hat), wird Jahr um Jahr, Stufe um Stufe von ihm gereinigt.
    Meine sehr verehrten Kollegen, das deutsche Recht ließ seit 1851 den Mord nach 20 Jahren verjähren. Völlig fremd war ihm natürlich der Typus des Verbrechers, den Winfried Martini den „Regimetäter" genannt hat; also den Verbrecher, bei dem der Staat — seine Macht, seine Ideologie, seine Verführungskraft — als Anstifter und als Be-günstiger in Erscheinung tritt, so daß der „Regimetäter" sich von allen anderen Tätertypen unterscheidet.
    Es war dann Hitler, der — in Anlehnung an das Recht seiner österreichischen Heimat — die Mordverjährung 1943 aufhob.
    Der Deutsche Bundestag führte sie 1953 — acht Jahre nach der NS-Zeit — wieder ein. 1965 verwarf der Bundestag die Anträge auf Aufhebung der Mordverjährung und verlegte die Verjährungsfrist auf den 1. Januar 1950. 1969 verlängerte er die Mordverjährungsfrist auf 30 Jahre, für NS-Morde praktisch auf 35 Jahre.
    Mit guten Argumenten waren damals die FDP unter Walter Scheel und Hans-Dietrich Genscher sowie -ein Teil meiner Fraktion gegen diese Verlängerung, also für Mordverjährung ab 1. Januar 1970.
    Hätte diese Gruppe mit so ehrenwerten Männern die Mehrheit gehabt, so hätten wir heute diese Debatte gar nicht.
    Der Bundestag hat 1965 und 1969 außerordentlich gründlich und verantwortungsbewußt alle nur denkbaren Argumente für und wider die Verjährung von Mord — und die Liste auf beiden Seiten ist weiß Gott lang — beraten, um dann deren Aufhebung endgültig zu verwerfen.
    Einzige Ausnahme war der FDP-Abgeordnete William Borm, der bei der Ablehnung der Mordverjährung — ob 20 oder 30 Jahre — blieb. Das Protokoll verzeichnet keinen Beifall — auch nicht seiner Fraktion — bei seiner Erklärung.
    Das Gesetz, mit dem 1969 der Vorschlag der Bundesregierung, die Mordverjährung aufzuheben, zunächst auf Antrag der SPD-Fraktion, dann allgemein abgelehnt wurde, ist ganz ausdrücklich mit der Absicht verabschiedet worden, das Thema abschließend und endgültig zu lösen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    So hatten es damals auch das deutsche Volk und das Ausland verstanden.
    Der CDU-Sprecher in der dritten Lesung, der Abgeordnete Süsterhenn, erklärte am 26. Juni 1969, also vor genau zehn Jahren:
    Wollen wir uns aber nicht selbst und andere über die Tatsachen hinwegtäuschen, so kommen wir nicht an der Feststellung vorbei, daß es sich hier quasi um eine Tilgungsrate und, wie wir nach innen und nach außen deutlich sagen wollen, sozusagen um die Schlußrate auf rechtlichem Gebiet für die schwere Hypothek handelt, die auf unserer Geschichte liegt. Hier
    — also in der Endgültigkeit —
    ist der wirkliche Ausgangspunkt dieser Gesetzgebung.
    Nun soll das alles wieder umgestoßen werden.. Ich respektiere selbstverständlich die Kollegen, die dies wollen. Meine persönliche Vorstellung und die der mit mir votierenden Freunde von Verläßlichkeit und Kontinuität der Gesetzgebung in einer so aufwühlenden Frage gestattet mir die Beteiligung an diesem Wollen nicht.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wirklich neue Argumente sind seit 1969 nicht hinzugetreten.

    (Dr. Lenz [Bergstraße] [CDU/CSU] : Das stimmt nicht!)

    Die NS-Morde liegen weitere zehn Jahre zurück. Der Hinweis auf die linken Terroristen überzeugt mich nicht. Niemand rief bei ihren Mordtaten in den letzten Jahren nach Aufhebung der Verjährung. Dieses Argument einiger von mir geschätzter Kollegen in allen Fraktionen, insbesondere in meiner Fraktion, kam de facto erst, nachdem Herbert Wehner — aus politischen Gründen, so nehme ich an — während einer Israelreise die Aufhebung der Mordverjährung mit Blick auf die NS-Zeit gefor-



    Dr. Mertes (Gerolstein)

    dert hatte, übrigens ohne jede Vorabsprache mit den anderen Fraktionen.
    Wenn wir die gewissenhafte Entscheidung des Bundestages von 1969 wieder umstoßen und die Verjährung aufheben, klagen wir, ob wir es wollen oder nicht, in Wirklichkeit die damaligen Abgeordneten des Opportunismus an.

    (Dr. Dregger [CDU/CSU] : So ist es!)

    Bejahen wir aber die gewissenstreue Verantwortung des damaligen Ja zur Verjährung von Mord nach 30 Jahren, könnte eine Aufhebung zehn Jahre danach meines Erachtens auf das deutsche Volk als tagespolitische Anpassung seiner Parlamentarier wirken, die dann als hin- und herschwankende Gestalten in einer wesentlichen Frage erscheinen, selbst wenn die einzelnen Abgeordneten gegen die Verjährung noch so honorige Gründe — ich unterstreiche das — vortragen. Recht muß nach meiner Vorstellung vor allem verläßlich sein.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    In der Verjährungsfrage stehen, wie gesagt, seit je zwei moralische Grundsätze und Ziele gleichen Ranges im Konflikt miteinander, nämlich — ich sage es noch einmal — die vergeltende Gerechtigkeit und der notwendige Rechtsfrieden. Ich habe es sehr gewürdigt, Herr Bundeskanzler, daß Sie bei der Gedenkfeier in der Synagoge von Köln am 8. November 1978 auf diesen Konflikt zwischen zwei moralischen Positionen hingewiesen haben. Weder die Befürworter der Verjährung noch ihre Gegner können für sich eine höhere Moral in Anspruch nehmen. Beide haben den gleichen Abscheu gegen Mord.
    Die heute von jedem unter uns zu treffende Entscheidung, ob er das 1969 beschlossene Recht erhalten oder aufheben will, muß er nach bestem Wissen und Gewissen fällen. Das Wort „Wissen" bedeutet dabei: Gewissensfreiheit heißt in Fragen dieses Gewichts keineswegs die Berechtigung zu noch so gut gemeintem Urteil nach spontanem Empfinden.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Gewissensentscheidung bedeutet — und darin sind wir uns wohl alle einig — auch die Pflicht zum sehr sorgfältigen Abwägen aller Argumente für und wider, bedeutet bei der Mordverjährung für mich auch die Berücksichtigung der außerordentlich ernsten Entscheidungsgründe früherer Bundestage, die auch ohne ,,Holocaust"-Film das NS-System kannten, teilweise sogar erlitten haben und in denen namhafte NS-Gegner wie Konrad Adenauer (CDU), Fritz Schäffer (CSU), Adolf Arndt (SPD) und Thomas Dehler (FDP) nachdrücklich für die Beibehaltung der Verjährung eintraten.
    Meine Gewissensentscheidung beruht aber auch auf einem Widerwillen gegen den schnell schwankenden Zeitgeist,

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    gegen ungerechten und auch kurzsichtigen Druck von außen.

    (Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU] : Das sollte man nicht vergessen!)

    Hier eine kurze außenpolitische Bemerkung: Nur die kommunistischen Staaten Osteuropas und die DDR haben ein Interesse an der Erschütterung des Vertrauens unserer Bürger in die verläßliche Rechtsstaatlichkeit und Kontinuität so wichtiger Gesetzesentscheidungen.

    (Zurufe von der SPD)

    Israel, unsere Verbündeten, unsere Freunde, unsere demokratischen Parteien haben, so denke ich, das entgegengesetzte Interesse. Gerade unsere jüdischen Mitbürger wissen, wie das Unheil 1933 begann — und daran denke ich sehr oft —: mit dem Übergang von der Legalität in eine damals als berechtigt erscheinende parlamentarische Opportunität, von der Opportunität dann in den Opportunismus, in die Anpassung und in das Schweigen, das wir heute zu Recht als schuldhaft empfinden.
    Die Kritik an der deutsche Justiz und am deutschen Verjährungsrecht nach den Freisprüchen im Majdanek-Prozeß ist verständlich, aber ich empfinde sie nicht als weitsichtig und fair. Die entscheidende deutsche Wiedergutmachungsleistung nach dem NS-Unrechtsstaat war der Aufbau eines soliden demokratischen Rechtsstaates,

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    zu dessen Ordnung unweigerlich auch der Grundsatz gehört: Im Zweifel für den Angeklagten.
    Die Forderung nach perfekter Vergeltung und Justiz ist unvereinbar mit der Ethik des Rechtsfriedens, den das Verjährungsrecht verkörpert. Wer den parlamentarischen Befürwortern der 1969 vom Bundestag beschlossenen Verjährung von NS-Morden nach 35 Jahren andere als ehrenvolle Motive unterstellt — ich weiß, daß es in diesem Hause niemand tut, aber im Ausland geschieht das leider allzuoft —, beleidigt zahlreiche verantwortungsbewußte Gegner des Nationalsozialismus und des Antisemitismus in den Nachkriegsjahren. Ungewollt begünstigt er die pharisäische Doppelmoral des Unrechtsregimes der DDR, das die israelfreundliche Politik Bonns als faschistisch verleumdet und das der Wiedergutmachungsleistung eines Konrad Adenauer nichts Vergleichbares an die Seite stellen kann.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Nahum Goldmann hat als Präsident des Jüdischen Weltverbandes diese geschichtlich einmalige deutsche Sühneleistung auf der Kölner Synagogengedenkfeier am 8. November 1978 gewürdigt. Ich werde diese Feierstunde, bei der ich Gast der Jüdischen Gemeinde war, niemals vergessen können, gerade auch nicht wegen der Rede Nahum Goldmanns.
    Der redlichen Aufarbeitung der NS-Zeit und der konstruktiven Gestaltung der deutsch-israelischen Beziehungen kann auf Dauer schwerer Schaden entstehen, wenn sich einseitige Sühneforderungen praktisch mit der Diffamierung des demokratischen Deutschlands verbinden. Ein Übermaß an Anklage — das sage ich als jemand, der sehr viel über die Gründe, wie es zu 1933 gekommen ist, nachgedacht hat — führt nicht zur Besinnung, sondern zur Ver-



    Dr. Mertes (Gerolstein)

    härtung. Es führt zu nichts Gutem, wenn sich der massive moralische Druck auf die deutsche Justiz und Gesetzgebung weiter verstärkt und der Eindruck entstehen muß, statt des Rechtes regiere in Bonn wieder die politische Anpassung an momentane Stimmungen und Opportunität.
    Zwar braucht, meine verehrten Kollegen, das freie Deutschland das Vertrauen der freien Völker. Aber — das möchte ich auch einmal sagen dürfen — diese brauchen auch das Vertrauen der Deutschen.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Dregger [CDU/CSU] : So ist es!)

    Und zu diesem wechselseitigen Vertrauen, das die CDU/CSU-Regierungen unter Adenauer zusammen mit SPD und FDP aufgebaut haben, gibt es nur die Alternative der gemeinsamen Zerstörung der Zukunft. Für diese Zukunft trägt die gegenwärtige Generation mehr Verantwortung als für die Vergangenheit vor 34 bis 46 Jahren.
    Der Bundeskanzler und der Bundesminister des Auswärtigen als die Wichtigsten außenpolitischen Repräsentanten unseres Landes sollten erneut an den Weitblick und die Fairneß des westlichen Auslandes appellieren. Das gilt auch gegenüber Israel, dessen Motive wir respektieren, die aber letztlich nicht maßgebend sein können für eine wirklich unabhängige deutsche Gesetzgebung und Justiz.
    Meine sehr verehrten Kollegen, wir sind gewiß, daß alle Verantwortlichen in den mit uns befreundeten und verbündeten Ländern — ich denke hier mit großer. Hoffnung gerade auch an Israel — das Gewicht unserer Argumente würdigen. Gegen Blindheit bei den einen, Kurzsichtigkeit bei den anderen und Bosheit wieder bei anderen ist ohnehin kein Kraut gewachsen. Hier müssen wir innerlich vor unserem Gewissen ruhig und frei bleiben. Ich selbst habe in den letzten Monaten so überzeugende, auch öffentliche Bekundungen der Solidarität mit unserer Auffassung aus dem Kreise derjenigen bekommen, die Hinterbliebene oder Opfer des Nationalsozialismus sind, daß ich ihnen, gerade ihnen, von dieser Stelle aus meinen ganz besonders herzlichen Dank sagen möchte.

    (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU)



Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat Frau Abgeordnete Däubler-Gmelin.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Herta Däubler-Gmelin


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Frühjahr dieses Jahres haben zahlreiche Kollegen dieses Hauses — ich gehöre zu ihnen — dem Bundestag den Entwurf eines Achtzehnten Strafrechtsänderungsgesetzes vorgelegt. Inhalt dieses Gesetzentwurfs ist es, die Verjährung von Mord generell aufzuheben.
    Das ist bekanntlich der dritte Vorstoß innerhalb von 15 Jahren in diesem Haus, zu dessen Beurteilung wir aufgerufen sind. Wir halten diesen Vorstoß für sehr erforderlich, und zwar im Interesse der Sache, um die es heute bei uns geht.
    Der Anlaß ist heute der gleiche wie vor einem Jahrzehnt und vor 15 Jahren: Es droht die Gefahr
    jetzt mit Ablauf des Jahres 1979 —, daß NS-Mörder nicht länger vor Gericht gestellt werden können, wenn man ihrer habhaft wird, weil ihre Taten dann verjährt wären.
    Was das bedeutet, ist klar. Es bedeutet, daß solche Nazimörder, die es bisher mit welchen Mitteln auch immer geschafft haben, sich verborgen zu halten, im Ausland unterzutauchen oder ihre Verbrechen zu verschleiern, dann von uns keinerlei Verfolgung mehr zu befürchten bräuchten. Sie könnten dann ohne jene Heimlichkeit und Zurückhaltung, ja mit großer Dreistigkeit und ohne ihre Taten wenigstens noch verschweigen zu müssen, unter uns leben. Niemand könnte ihnen noch irgend etwas anhaben oder sie gar zur Rechenschaft ziehen.
    Die Antragsteller würden dies für einen unerträglichen Zustand halten, und zwar auch dann,, wenn wir davon ausgehen können — und wir tun das —, daß nicht mehr Hunderte oder Tausende von Tätern betroffen sein werden. Es mag zutreffen, was uns erfahrene Praktiker sagen: daß die Zahl der noch nicht bekannten in Frage kommenden Mörder nicht groß sei. Für uns ist es eine Frage der Glaubwürdigkeit, unseres Selbstverständnisses, nicht eine Frage der Zahl, und das auch dann nicht, wenn wir heute Einschätzungen nüchtern vernehmen, möglicherweise nüchterner als 1965. Denn damals mögen viele in diesem Haus von der Hoffnung ausgegangen sein, die Zeit bis 1969 werde ausreichen, um die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen oder wenigstens die Verjährung nach den bestehenden Gesetzen unterbrechen zu können. Diese Erwartung hat sich nicht erfüllt. Auch die Hoffnung des Jahres 1969, man werde durch eine weitere, diesmal zehnjährige, Verlängerung der Verjährung für Mord von 20 auf 30 Jahren bis zum Ende des Jahres 1979 zu einem endgültigen Abschluß kommen können, hat sich — das sehen wir heute — nicht erfüllt.
    In den derzeitigen Beratungen findet sich dann auch kein Verantwortlicher mehr, der uns mit Ernsthaftigkeit versichern würde, daß weitere Täter, also Mörder mit schwerster Schuld, nicht mehr ermittelt werden können, noch daß die Verjährung in allen in Frage kommenden Fällen schon habe unterbrochen werden können. Im Gegenteil, die Beratungen, die wir in den letzten Monaten im Rechtsausschuß geführt haben, haben unsere Skepsis verstärkt.
    Der für die Zentralstelle zur Aufklärung von nationalsozialistischen Gewaltverbrechen unmittelbar zuständige Justizminister des Landes Baden-Württemberg hat, wie uns in den Beratungen mitgeteilt wurde, erst vor einigen Wochen darauf hingewiesen, daß schon die Personalbesetzung der Zentralstelle in Ludwigsburg nicht ausreichen könne, um den heute vorhandenen Bestand an eingegangenen Ermittlungsakten bis Ende des Jahres 1979 wenigstens soweit aufzuarbeiten, daß fristgemäß nach dem geltenden Recht die Verjährung durch die erforderlichen richterlichen Akte unterbrochen werden könnte, wo dies geboten ist.



    Frau Dr. Däubler-Gmelin
    Ich frage jetzt nicht, warum das so ist. Das ist uns
    bekannt. Ich stelle nur fest, daß wir auch heute durchaus die Sorge haben müssen, daß das, was ich geschildert habe, in manchen Fällen Realität gewinnen kann, wenn wir uns heute — wie ich meine falsch — entscheiden.
    Die Antragsteller würden dies für einen unerträglichen Zustand halten — unerträglich wegen der moralischen, wegen der juristischen und auch wegen der politischen Folgen, die ja dann leicht absehbar wären.
    Die Antragsteller sind deshalb der Meinung, daß der Deutsche Bundestag, daß jeder von uns die Pflicht hat, durch sein Verhalten heute dafür zu sorgen, daß die Voraussetzungen für eine weitere Verfolgung von solchen Mördern über das Jahr 1979 hinaus geschaffen werden und daß damit zugleich der nicht wiedergutzumachende Schaden vermieden wird, der sonst auf uns alle zurückfallen würde.
    In der ersten Lesung vom 29. März dieses Jahres haben wir ausführlich über viele Gesichtspunkte gesprochen, die unserem Antrag im Grundsätzlichen und auch in seiner Ausgestaltung, im Weg, den er vorschlägt, zugrunde liegen. Sie werden es mir nachsehen, daß ich nicht die ganze Diskussion vom März nachzeichne. Lassen Sie mich lediglich auf einige Bedenken eingehen, die uns in den Beratungen der vergangenen Monate im Rechtsausschuß, in Diskussionen innerhalb des Bundestags — auch heute von Kollege Mertes — oder auch in Diskussionen draußen in der Öffentlichkeit immer wieder entgegengehalten worden sind.
    Viele dieser Stimmen, die wir hören, sagen uns, man solle die Verjährung jetzt nicht mehr verlängern, man solle sie schon gar nicht aufheben, wie wir das vorschlagen. Solche Stimmen laufen darauf hinaus, die Verjährung mit Ablauf dieses Jahres eintreten zu lassen. Viele der vorgetragenen Bedenken sind grundsätzlicher Art. Fast nahezu alle sind uns aus den Diskussionen von 1969, ja schon von 1965 durchaus geläufig.
    Wir haben die vergangenen Monate dessen ungeachtet dazu benutzt, unsere Meinung, unsere Argumente, unsere Schlußfolgerungen auch an Hand dieser Einwände nochmals zu durchdenken, unseren Ausgangspunkt nochmals auf seine Stichhaltigkeit zu überprüfen. Ich glaube, dieser Weg war richtig, weil alle diese Einwände seit 1969 eine zusätzliche Dimension erhalten haben, nämlich die des zusätzlichen Zeitablaufs, der inzwischen eingetreten ist. Wir haben die vergangenen Monate im Rechtsausschuß auch dazu benutzt, um uns mit Sachkennern zu beraten. Herr Dr. Rückerl von der Zentralen Stelle in Ludwigsburg hat uns mit Rat und seinen Kenntnissen zur Seite gestanden. Andere erfahrene und auch verantwortliche Persönlichkeiten aus den Ermittlungsbehörden, aus den Gerichten und aus der Wissenschaft haben dankenswerterweise dazu beigetragen, uns umfassende und, wie ich meine, zuverlässige Beurteilungsgrundlagen zu verschaffen. Uns, meine Damen und Herren, die Antragsteller des Gesetzentwurfs, über den wir heute beraten, hat dies in unserer Auffassung noch sicherer gemacht, auch
    dann, wenn wir in den Diskussionen vieles Neue erfahren haben und einige unserer Meinungen durchaus relativieren konnten.
    Niemand in diesem Hause bezweifelt — lassen Sie mich das betonen — den Grundsatz, daß Mörder nach unserer Rechtsordnung, nach dem. Selbstverständnis unserer Gesellschaft für ihre Taten auch zur Rechenschaft gezogen werden müssen. Dieser Konsens besteht nicht nur heute, dieser Konsens bestand 1965 und 1969. Aber die Bedenken damals und auch die Bedenken gegen die Aufhebung der Verjährung heute werden anders begründet. Es gibt hier Einwände von sehr unterschiedlichem Gewicht. Wenn beispielsweise — ich habe Herrn Kollegen Mertes so verstanden — eingewandt wird, Verjährung sei deshalb so wichtig, weil Gründe des Rechtsfriedens es erforderten, daß nach Ablauf von eigentlich 20 Jahren — nach heutigem Rechtszustand von 30 Jahren; faktisch, wie Sie ganz richtig sagen, auch nach mehr Jahren — die Strafverfolgung eben ein Ende haben müsse, so muß ich gestehen, daß mich dieser Einwand, zumindest wenn er so formuliert wird, am wenigsten überzeugt, nicht nur deshalb, weil ja die Praxis heute mit der Möglichkeit, die Verjährung zu unterbrechen, schon ganz anders aussieht, sondern einfach deshalb, weil ich den Rechtsfrieden für viel nachhaltiger gestört sehe, wenn ein Mörder lediglich wegen des Verjährungseintritts nicht mehr zur Verantwortung gezogen werden kann, und das, obwohl seine Tat offenbar ist und obwohl die Nachweisbarkeit seiner Täterschaft gar kein Problem darstellen würde.

    (Beifall bei der SPD)

    Auch der Einwand, die Verjährung sei ein hohes Gut unserer Rechtstradition und müsse auf jeden Fall beibehalten werden, scheint mir zumindest in dem Zusammenhang, über den wir heute reden, nicht so schwer zu wiegen. Dabei bestreite ich keineswegs, daß das Prinzip der Verjährung seinen Sinn hat. Ich will es auch nicht etwa abgeschafft wissen. Wenn man indes unsere vermeintliche Rechtstradition als Wert betrachtet und diesen der Verfolgbarkeit einer Tat gegenüberstellt, die das schwerste Verbrechen ist, das unsere Rechtsordnung kennt, nämlich die bewußte und gewollte Vernichtung menschlichen Lebens unter Mordumständen, dann muß sich diese Tradition schon gefallen lassen, hinterfragt zu werden. Was dabei herauskommt, steht meiner Ansicht nach völlig außer Zweifel: Der Wert menschlichen Lebens und sein Schutz durch unsere Rechtsordnung muß hier einfach Vorrang haben.
    Weiter ist uns in nahezu allen Diskussionen der Vergangenheit entgegengehalten worden, unser Vorstoß zur Aufhebung der Verjährung bei Mord verstoße unter den gegebenen Umständen gegen ein anderes Prinzip, das wir hochhalten wollten, nämlich das der Resozialisierung des Täters. Dieser Einwand ist, wie ich meine, in der Tat sehr erwägenswert. Ich habe ihn sehr ernst genommen, denn ich bin ein erklärter Anhänger des Resozialisierungsstrafrechts; ich teile nicht die Auffassung einiger Kollegen in diesem Hause, daß Sühne, Vergeltung



    Frau Dr. Däubler-Gmelin
    und Abschreckung im Vordergrund der Strafzwecke zu stehen hätten.
    Ich glaube jedoch nicht, daß in unserem Zusammenhang dieser Einwand unserem Antrag wirklich entgegengehalten werden könnte. Mir scheint, wir müßten hier einiges deutlicher voneinander unterscheiden. Nicht nur vom Typ des Täters — des Mörders oder gar des NS-Mörders — her, mit dem wir es zu tun haben, wirft das Problem der Resozialisierung und der Resozialisierbarkeit als eines Strafzwecks erhebliche Fragen auf — sowohl wegen der Begleitumstände der Tat als auch wegen der häufig nicht wiederholbaren Konstellationen, die eine Tat überhaupt ermöglichen; das alles haben wir schon häufiger erörtert —; entscheidend scheint mir zu sein, daß es bei unserem Antrag zur Aufhebung der Verjährung zunächst einmal nicht um die Frage der Resozialisierung eines Straftäters durch Strafe geht, sondern um die Frage, ob überhaupt eine Straftat noch mit strafprozessualen Mitteln aufgeklärt werden kann,

    (Zustimmung bei der SPD)

    ob das als Voraussetzung einer Strafe überhaupt noch zulässig sein soll. Ich sehe den richtigen Platz für den Resozialisierungsgedanken nicht vor dem Strafausspruch, sondern erst danach, z. B. bei der Verbüßung der verhängten Strafe.
    Schon 1965 und 1969, in den damaligen Diskussionen um die weitere Verfolgbarkeit von NS-Mördern, hat der Gedanke eine Rolle gespielt, ob nicht der lange Zeitablauf zwischen der Begehung der Tat und einer möglichen Strafverfolgung alles, was wir wollen und anstreben, an Grenzen geraten lassen müsse. Wir haben uns mit diesen Bedenken heute in der Tat auseinanderzusetzen. Ich glaube, daß die Gegner einer Aufhebung der Verjährung mit ihrer Auffassung dann recht hätten, wenn eine Strafverfolgung heute nur noch zu Lasten der Opfer von damals durchgeführt werden könnte. Auch solche Stimmen hört man heute, und sie wurden auch in der ersten Lesung laut.
    Wenn darauf hingewiesen wird, daß es häufig Zumutungen sind, denen sich die Opfer der Verbrechen von damals heute als Zeugen in NS-Prozessen ausgesetzt sehen, stimme ich dem zu. Da wird mit Recht betont, es müsse für diese Zeugen häufig eine Quälerei bedeuten, sich immer wieder an die grauenvollsten Zeiten ihres Lebens erinnern zu müssen und im Strafprozeß nach Einzelheiten, nach präzisen Details gefragt zu werden, wobei mit zunehmender Entfernung von der Tat die Erinnerung an strafprozessual wichtige, für den Zeugen selbst aber nebensächliche Wahrnehmungen zwangsläufig verblassen muß. Da wird ganz zu Recht darauf hingewiesen, daß es häufig Anwälte mutmaßlicher NS-Mörder sind, die aus falsch verstandener Solidarität mit ihren Mandanten — wenn nicht manchmal auch aus schlimmeren Beweggründen — Salz in diese Wunden streuen und den Zeugen vorführen, wie man aus den Opfern von damals Opfer von heute machen kann. Das ist häufig so; jeder, der an NS-Prozessen teilgenommen hat, weiß das, und diese Erfahrung ist bitter. Das ist heute so, und das wird auch dann so sein, wenn wir die Verjährung aufheben.
    Aber, meine Damen und Herren, haben wir nicht gerade in diesem Zusammenhang sehr viel stärker zu berücksichtigen, daß es gerade die Opfer von einst sind, die uns gestern wie heute und speziell auch in den vergangenen Monaten im Inland und im Ausland mit großem Ernst zurufen, wir dürften einen Schlußstrich eben nicht zulassen, die uns auffordern, die Verjährung aufzuheben, weil trotz aller Quälerei ein Ablauf der Verjährungsfrist für sie noch schmerzhafter sein müsse und weil sonst von vornherein auf jeden Versuch verzichtet werde, ihnen wenigstens durch Anklage und Verurteilung der Peiniger von einst ein wenig Gerechtigkeit widerfahren zu lassen? So zwiespältig unsere Empfindungen angesichts der Erfahrungen mit NS-Prozessen heute auch sein mögen — und sie sind es —, ich glaube, daß dieser Ruf der Opfer von einst nicht ungehört verhallen darf.

    (Beifall bei der SPD)

    Lassen Sie mich noch einen Punkt anführen. Schon 1965, auch 1969, auch in den vergangenen Monaten haben wir uns immer wieder gefragt: Überfordern wir nicht doch die Ermittlungsbehörden und die Gerichte, wenn wir die Verjährung für Mord aufheben? Wird nicht allein schon wegen des erwähnten Zeitablaufs die Chance auf Gerechtigkeit zwangsläufig geringer, wird. Recht nicht zwangsläufig immer mehr zum Spielball von Zufällen? Auch diese Bedenken haben wir gehört, und wir nehmen sie ernst. Einiges davon ist zumindest im Ansatz ganz zweifellos richtig. Es ist unbestreitbar, daß die Schwierigkeiten der Rechtsfindung, der Beweiserhebung immer größer werden, je mehr Zeit zwischen der Begehung der Tat und dem Zeitpunkt der Strafverfolgung vergeht. Das führt zu Unzuträglichkeiten, zu langen Prozessen, zu quälenden Verhandlungen, an deren Ende viele ehrenwerte Versuche, aber manchmal keine angemessenen Verurteilungen stehen. Auch das wissen wir. Das zeigen auch die Statistiken über Anklageerhebungen und Verurteilungen in NS-Verfahren der vergangenen Jahrzehnte. Der Leiter der Zentralen Stelle, Dr. Rückerl, hat uns berichtet, daß dies so sei, und wir haben keinerlei Anlaß, an seinen Feststellungen zu zweifeln.
    Wir gehen davon aus, daß die Zahlen der Anklageerhebungen weiter rückläufig sind und daß das auch bei den Zahlen der Verurteilungen in erheblich größerem Umfang der Fall ist. Auch ist uns klar, was das jenseits von Prozentzahlen, Erfolgsquoten und Relationen zwischen Ermittlungszahlen, Zahlen über Anklageerhebungen und Verurteilungen bedeutet. Es bedeutet die nüchterne Erkenntnis, daß längst nicht jeder Täter im Strafprozeß abgeurteilt werden kann, von dem zu Beginn der Ermittlungen angenommen werden mußte und konnte, daß er persönlich gemordet hat, daß er somit nach geltendem Recht noch der Strafverfolgung unterliegt. Das bedeutet weiter, daß das, was wir aus der Kenntnis der Geschichte des Dritten Reiches zu wissen meinen, häufig genug nicht ausreicht, um den strengen Regeln unseres strafprozessualen Verfahrens und seiner Nachweispflicht standzuhalten. Das gilt, wie gesagt, schon für die NS-Prozesse heu-



    Frau Dr. Däubler-Gmelin
    te. Wer würde es bestreiten wollen, daß die Gefahr besteht, daß dies eine Fortsetzung finden wird, wenn wir, unserem Antrag entsprechend, die Verjährung von Mord aufheben? Wir wissen, daß dies unbefriedigend ist. Wir wissen auch, Herr Mertes, daß dies häufig nicht verstanden wird; das stimmt. Ich gebe auch denen recht, die in diesem Zusammenhang auf die Freisprüche im Majdanek-Prozeß und auf die Proteste verweisen, die sie im In- und Ausland ausgelöst haben. Ich gebe auch denen recht, die auf die Strafaussprüche verweisen, die bisweilen in groteskem Mißverhältnis zu den vorgeworfenen Straftaten stehen. Auch wir meinen, daß das die bitteren Zeiten der NS-Prozesse sind, und zwar heute und bei der Aufhebung der Verjährungsfrist für Mord auch in Zukunft.
    Nur ist damit die Antwort auf die Frage, die wir heute erörtern müssen, noch nicht gegeben. Auch der Hinweis auf eine doppelte Moral reicht dazu nicht aus. Ich sehe die Folgerungen anders, die wir daraus ziehen müssen. Ich meine, wir alle müssen daraus mit Sicherheit die Verpflichtung ziehen — gerade weil wir wissen, welche enorme Last die Ermittlungsbehörden und Gerichte tragen, welche Last die Richter und Staatsanwälte auf sich nehmen, die in solchen Verfahren eingesetzt sind —, daß wir ihnen zur Seite treten, wenn sie ihre Pflicht getan haben und dennoch unbefriedigende Ergebnisse erzielen konnten.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Ich meine, daß wir daraus auch die Verpflichtung ziehen müssen, immer wieder auf den uns einsichtigen Zwiespalt zwischen geschichtlicher Wahrheit und strafprozessualer Nachweisbarkeit hinzuweisen,

    (Dr. Emmerlich [SPD] : Sehr richtig!)

    dem Unverständnis der jungen Generation, wenn wieder ein unbefriedigendes Urteil ergehen mußte, geduldig nachzuhelfen, damit daraus Verständnis wird. Dort wird häufig das Auseinanderklaffen, von dem ich hier spreche, noch schmerzlicher als von uns selbst empfunden. Das bedeutet sicher auch, daß wir die Unkenntnis im Ausland abbauen und dem dort, sei es gesteuert oder spontan, vorhandenen Argwohn begegnen müssen, der darauf hinausläuft, wir täten nicht genug, um NS-Mörder abzuurteilen.
    Eines glaube ich allerdings nicht. Ich glaube nicht, daß wir aus alledem die Berechtigung ableiten dürfen, die Verjährung nicht aufzuheben. Das hätte doch nur zur Folge, daß möglicherweise einige unbefriedigende neue Fälle nicht auftauchen würden, und diese werden ja, wie wir alle bestätigen und alle wissen, nicht allzu zahlreich sein. Die große Zahl der Verfahren, in denen wir solche Probleme haben, würde dadurch in keiner Weise verhindert. Dies wäre nur dann der Fall, wenn die Forderung vertreten und auch durchgesetzt werden soll, jetzt müsse Schluß sein — und das vollständig. Diese Forderung wird von uns nicht erhoben, sie wird — soweit ersichtlich — in diesem Hause nicht ver-
    treten. Ich bin über diesen Konsens froh. Denn ich bin ganz sicher, daß diese Forderung und ihre Verwirklichung das Rechtsbewußtsein unserer Gesellschaft und gerade der jungen Menschen viel nachhaltiger verwirren und viel nachhaltiger korrumpieren würde, als dies jede der Unzuträglichkeiten vermöchte, über die ich gerade gesprochen habe. Das, Herr Mertes, wäre in der Tat doppelte Moral, und diese wäre das Gefährlichste.
    Meine Damen und Herren, alle diese Gründe und Einwände, über die ich gerade gesprochen habe, bestärken uns in unserem Wunsch, das 18. Strafrechtsänderungsgesetz zur Durchsetzung zu bringen.
    Lassen Sie mich aber noch auf einen anderen Gesichtspunkt eingehen, der nicht die Frage betrifft, ob die Verjährung im Grundsatz aufgehoben werden soll, sondern den Weg, den wir Ihnen vorschlagen. Unser Antrag zielt darauf ab, die Verjährung für Mord insgesamt aufzuheben. Obwohl ich in den vergangenen Ausführungen — und das ganz bewußt — immer von Nazi-Morden gesprochen habe, enthält unser Vorschlag diese Differenzierung nicht. Das ist kein Versehen und kein Widerspruch, sondern die Folge sorgfältiger Überlegungen.
    Zunächst: Ich habe es immer akzeptiert und verstehe es auch heute sehr gut, wenn mir angesichts der grauenvollen Ereignisse in Deutschland zwischen 1933 und 1945 und der Verbrechen, die in deutschem Namen, hauptsächlich im Osten Europas — aber nicht nur dort —, begangen wurden, erklärt wird, daß es aus einem Vergleich der Lebenssachverhalte heraus eben zweierlei sei, ob man über einen noch so üblen verbrecherischen Einzelmord rede oder diese fabrikmäßigen, grauenvollen Vernichtungs- und Ausrottungsaktionen der staatlichen Terrormaschine der Nationalsozialisten in Betracht ziehe. Ich sehe das auch so. Nur, meine Damen und Herren, ich kann daraus keine differenzierten Konsequenzen für die Frage der Aufhebung der Verjährung ableiten, und zwar nicht nur deshalb, weil ich mich frage, ob bei der bewußten und gewollten Vernichtung von Leben unter Mordumständen differenziert werden darf — jedenfalls dann, wenn es um die Verfolgbarkeit einer solchen Tat geht, und darum geht es heute —, sondern auch deshalb — hier haben mich die Beratungen der letzten Wochen in meiner Beurteilung sicherer gemacht —, weil ich keine Anhaltspunkte für eine differenzierende Lösung sehe, die nicht noch mehr Probleme, mehr Schwierigkeiten und mehr Unzulänglichkeiten mit sich bringen müßte. Ich weiß, daß einige Kollegen in diesem Hause dies anders sehen. Ich respektiere das, auch wenn ich nicht in der Lage bin, dem zu folgen.
    Meine Damen und Herren, wenn ich Sie heute um Ihre Unterstützung unseres Antrags bitte, so nicht nur wegen der Gründe, die ich bisher erörtert habe — der großen moralischen und politischen Verantwortung, die ich damit verbunden sehe, des Schadens für unser aller Rechtsgefühl, den ich sehe, wenn die Entscheidung zuungunsten der Verjährung ausfallen sollte —, sondern auch aus einem anderen Grund, der mir besonders wichtig ist und zu dem ich jetzt noch einiges sagen will.



    Frau Dr. Däubler-Gmelin
    Herr Wissmann hat in der ersten Lesung am 29. März betont, daß es seiner Meinung nach in unserer Situation des Jahres 1979 weniger um die Aufhebung der Verjährung von Mord gehen könne, daß sich vielmehr die Frage stelle, wie wir es erreichen könnten, ohne, wie er es nannte — ich stimme ihm da nicht zu —, die Justiz als Alibi zu gebrauchen, daß die Öffentlichkeit und die jungen Menschen in unserem Lande mehr Kenntnisse, mehr Informationen über das erhalten, was sich in diesem unsäglichen Kapitel deutscher Geschichte zugetragen hat. Ich stimme ihm hier und auch dort zu, wo er über die Bedeutung von Kenntnissen und Verständnis redet. Ich bin der Meinung, daß wir es schaffen müssen, daß gerade die jungen Menschen mehr darüber erfahren, damit sie genau wissen, was damals geschehen ist, wie das geschehen konnte. Vor allem müssen sie in die Lage versetzt werden, daraus zu lernen. Wir alle müssen lernen, wie wir es anstellen, daß sich so etwas in unserem Einflußbereich — und das ist hier — nicht mehr wiederholt.
    Er hat es dann für richtig gehalten, auf die Schulen, die Presse und die anderen Medien zu verweisen. Nun gut, ich teile auch diese Auffassung, die damit verbunden ist: daß es wichtig ist; daß die Schulen Kenntnisse vermitteln, und daß das durch die Presseberichterstattung ebenfalls geschieht. Hier wird inzwischen einiges getan. Ich habe die Ausstrahlung von „Holocaust" im Fernsehen, vor allem aber die Diskussionen nach der Sendung und die unzähligen Materialmappen, die durch die Zentralen für politische Bildung verteilt worden sind, für einen wesentlichen Beitrag gehalten, von dem ich hoffe, daß er einen Anfang darstellt.
    Eines bleibt allerdings festzuhalten: Auf Schulen und Schulverwaltungen haben wir — sagen wir — keinen unmittelbaren Einfluß. Bei allen Anstrengungen, die von dem einen oder anderen Lehrer unternommen werden, sehen wir zudem, daß man sich dort, wo man auf Schulbuchrichtlinien und deren Umsetzung Einfluß hat, manchmal übermäßig schwer tut. Das zeigt das Beispiel der deutsch-polnischen Schulbuchrichtlinien, die ja ein größeres Kapitel unserer Geschichte aufhellen, beleuchten und ins Bewußtsein der nachwachsenden Generation rücken sollen. Dieses Beispiel ist nicht unbedingt ermutigend. Soviel ich weiß, werden diese Richtlinien noch nicht einmal überall in solchen Punkten umgesetzt, bei denen aktuelle politische Meinungsverschiedenheiten nicht bestehen.
    Auch unser Einfluß auf die Medien ist — lassen Sie es mich so ausdrücken — begrenzt, vergleichbar gering oder noch geringer. Hier können wir bestenfalls appellieren, und das sollten wir tun. Nur, ich glaube nicht, daß wir uns auf solche Hinweise beschränken können. Vor allen Dingen aber meine ich, daß das unsere eigene Verantwortung, unseren eigenen Beitrag keinesfalls ausschließt. Wir sind heute und hier gefordert. Wir können heute handeln, indem wir Maßnahmen beschließen, die jetzt zur Debatte stehen, Maßnahmen, die unsere sind, Maßnahmen, die den Weg zu dem Ziel eröffnen, das wir wollen. Wenn wir uns heute gegen die Aufhebung der Verjährung entscheiden, dann befürchte
    ich, daß wir dieses gemeinsame Ziel auch dauerhaft versperren können.
    Wir sind gefordert, meine Damen und Herren, über die Aufhebung der Verjährung zu entscheiden. Das kann einer unserer Beiträge sein, das ins Auge gefaßte Ziel zu erreichen. Ich halte diese Entscheidung für den derzeit wichtigsten von uns geforderten Beitrag. Dieser Beitrag wird ein Zeichen unserer Glaubwürdigkeit sein. Wir müssen uns der Verantwortung stellen.
    Ich bitte Sie um Ihre Zustimmung zu unserem Antrag.

    (Beifall bei der SPD)