Vielen Dank. Ich nehme auf Grund Ihrer Bemerkungen — nicht einer Frage — zur Kenntnis, daß der europäische Wille Ihres Kollegen Brandt eben nicht sehr stark entwickelt ist.
Meine Damen und Herren, die Antwort der Bundesregierung entspricht ganz offensichtlich dem derzeitigen Zustand der Europäischen Gemeinschaft insgesamt. Insbesondere gilt das für die Europäische Politische Zusammenarbeit. Die Antwort der Bundesregierung zeigt, daß die EPZ in allen Fällen oder in den meisten Fällen wirklich wichtiger weltpolitischer oder außenpolitischer Problemstellungen leider nicht mit einer Stimme spricht, sondern, Herr Kollege Genscher, schweigt oder sich in wenig aussagende Kommuniqués flüchtet, so z. B. in so wichtigen Fällen wie bei den Friedensbemühungen im Nahen Osten durch die Vereinigten Staaten, Ägypten und Israel, oder auch bei den uns doch ungemein berührenden revolutionären Ereignissen im Iran. Wo, Herr Minister Genscher, bleibt eigentlich die Stimme der neun Außenminister oder der neun Regierungschefs zur Frage der Menschenrechte im Iran angesichts der barbarischen Hinrichtungsmethoden
der Revolutionsgerichte des Khomeini-Regimes, wo inzwischen Tausende von Menschen ohne Gerichtsverfahren niedergemäht worden sind? Wo bleibt eigentlich ein Wort des Ministerrats zu dem Vorgehen des Herrn Khomeini, Menschen für vogelfrei zu erklären? Ich frage das ganz abgesehen davon, wie man zu deren politischer Vergangenheit steht.
Hier wäre doch der moralisch-politische Anspruch der Europäischen Gemeinschaft zu dokumentieren. Wir vermissen das wirklich außerordentlich und sind darüber besorgt und betrübt.
In Einzelfällen, da, wo es leicht war und leicht ist, auf einen Dritten einen Knüppel niedersausen zu lassen, sei es in bezug auf die Südafrikanische Republik oder auch auf Israel, war allerdings Brüssel mit Erklärungen schnell bei der Hand, da haben Sie dann sehr schnell mit Ihren Kommuniqués einiges ausgesagt und haben versucht, eine politische Position zu beziehen.
Was, Herr Minister Genscher, heißt es eigentlich, wenn in der Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage zum Nahen Osten folgendes steht: „Mit großer Aufmerksamkeit verfolgen wir die Friedensbemühungen im Nahen Osten." Was heißt das?
Bedeutet das nicht, daß Sie damit zugeben, daß es sich die Europäer, wie wir, die CDU/CSU, seit langer Zeit kritisch betont haben, im Nahen Osten in einer Zuschauerrolle bequem gemacht haben?
Ich bitte Sie noch einmal, Herr Minister Genscher, den Bundeskanzler aufzufordern, nun endlich durch einen schon lange angekündigten, aber immer noch nicht vollzogenen Besuch in Israel und gleichzeitig in Ägypten unter Beweis zu stellen, daß er diese Friedensbemühungen tatkräftig unterstützt und daß das, was er vor anderthalb Jahren öffentlich erklärt hat, daß es nämlich ohne die Sowjetunion im Nahen Osten gar nicht ginge, von ihm nicht mehr aufrechterhalten wird,
daß es durch einen solchen Besuch berichtigt wird. Ich halte es für zwingend notwendig, daß die Bundesregierung in dieser Frage gemeinsam mit ihren europäischen Partnern eine deutliche Position bezieht.
Wenn wir Deutschen gemeinsam mit unseren europäischen Partnern aus Furcht vor Erpressungen beim Ö1 oder in anderen politischen Bereichen nicht fähig sind, den politischen Willen und den Mut aufzubringen, denjenigen beizustehen, die den Weg des Friedens durch Verhandlungen beschritten haben, die beschlossen haben, aufeinander zuzugehen, Hindernisse und Jahrzehnte, ja Jahrhunderte von Haß- und Feindschaftsgefühlen zu überwinden, wenn wir als Europäer diesen nicht so, wie die Vereinigten Staaten von Amerika es tun, beistehen, wenn wir also Ägypten und Israel politisch, moralisch, wirtschaftlich und finanziell nicht beistehen und dabei gleichzeitig den anderen. arabischen Völkern die Hand bieten und ihnen sagen, sie sollten auf diesen Friedensweg einschwenken, verhandeln und nicht mehr auf Frauen und Kinder schießen, nicht mehr Terrorangriffe zulassen, wenn wir das nicht tun, Herr Minister Genscher, wir als Europäer gemeinsam, dann haben wir auch keinen Anspruch darauf, von der Welt ernst genommen zu werden, weder von der Sowjetunion noch z. B. vom Scheichtum Quatar.
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 153, Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Mai 1979 12557
Blumenfeld
Dann haben wir in der Tat als europäische Friedensmacht ausgespielt. Dann finde ich es besser, daß wir unsere Koffer in Brüssel oder in Straßburg packen und an den heimischen nationalen Herd zurückkehren. Das wäre billiger, und anderenfalls würde uns dort ein unrühmliches Schicksal erwarten. Ich glaube nicht, daß das unsere Zielvorstellung ist.
In diesem Geist und diesem Sinne haben wir, die CDU/CSU-Fraktion, einen Antrag mit zehn Punkten eingebracht, in dem wir die Europäischen Gemeinschaften und die deutsche Bundesregierung auffordern, initiativ zu werden. Es gibt eine Fülle von Möglichkeiten. Ich will sie gar nicht im einzelnen begründen. Das wird mein Kollege van Aerssen tun. Ich meine, daß hier politisch ein Beispiel gesetzt werden muß. Wir können doch nicht immer irgendwo im Sessel sitzen, zuschauen und sagen: „Die Vereinigten Staaten machen das schon." Das amerikanische Repräsentantenhaus hat jetzt gerade gewaltige Summen für die Wirtschafts- und Dislozierungshilfe sowohl für Israel als auch für Ägypten bereitgestellt. Und wir Europäer? Herr Minister Genscher, ich meine, daß Sie uns eine Antwort schuldig sind.
Sie sind uns auch eine Antwort im Hinblick auf das Versagen der EPZ in der Afrika-Politik, die von uns großgeschrieben wird, schuldig. Große Ankündigungen, und wenn es zum gemeinschaftlichen Handeln kommt, Unentschlossenheit und Verbeugungen vor den sich radikal aufführenden Frontstaaten, den Revolutionären und Terroristen! Warum, Herr Minister Genscher, wird der Revolutionär Nkomo empfangen, aber der schwarzafrikanische Führer Muzorewa, der jetzt über Verhandlungen eine Regierung gebildet hat, wird nicht empfangen?
Diese Frage muß sich auch der Bundeskanzler stellen lassen, der im vorigen Dezember Herrn Nkomo empfangen hat. Ich habe dann gefragt: „Wo bleibt Ihre sonst so beredte Ausgewogenheit? Wieso empfangen Sie Herrn Muzorewa und Herrn Sithole nicht, diejenigen, die den Weg der friedlichen Verhandlungen, der demokratischen Wahlen eingeschlagen haben, wohingegen Herr Nkomo sich offensichtlich den Weg zur Alleinherrschaft freischießen will?" Daraufhin habe ich leider Gottes vom Bundeskanzler keine Antwort bekommen.
Ich komme zum Schluß. Herr Außenminister, die Europäische Politische Zusammenarbeit bewegt sich — das möchte ich ganz grundsätzlich feststellen — in einem zunehmend unkontrollierten Freiraum der europäischen und nationalen Ministerialbürokratie sowie der Außenminister. Für sie ist das eine olympische Spielwiese. Ich kann das verstehen. Aber für uns, die Parlamentarier, die vom Volk gewählt worden sind, um die Arbeit der Regierungen zu prüfen und zu kontrollieren, ist das kein Spaß.
Im Auswärtigen Ausschuß des Bundestages werden die Abgeordneten unter Hinweis auf die Vertraulichkeit der Verhandlungen in der NeunerEbene in der EG vertröstet.
Im Europäischen Parlament sagen — nicht Sie, aber die meisten anderen — Ratspräsidenten gerade das Allernotwendigste und versagen sich einer wirklichen Verhandlung. Meine verehrten Kollegen, dieses Verfahren ist undemokratisch und für die Zukunft unannehmbar. Auch darum geht es am 10. Juni bei der Wahl.