Herr Kollege Narjes, ich bin gerade dabei, auf diesen Punkt zu sprechen zu kommen. Denn daß das die folgerichtige Abhandlung des Problems ist, darauf bin auch ich schon vor Ihrer Frage verfallen.
Der` Kollege Riesenhuber hat natürlich recht, wenn er die Frage stellt: „Wer kann investieren, wenn ... ?” Dann können Sie dieses Wenn mit zahllosen Fortsetzungen versehen: wenn Unsicherheit durch unklare Gesetze und Verordnungen geschaffen wird, wenn Gerichtsentscheidungen vorliegen, die keine Übersichtsmöglichkeiten mehr ergeben, wenn es eine öffentliche Diskussion gibt, die mögliche Entscheidungs- und Ausgangsgrundlagen in Frage stellt. Das können auch politische, das können auch Parteitagsdiskussionen sein. Nur, es muß natürlich der Weg offenbleiben — wer wollte das denn bezweifeln? —, daß in einer so wichtigen und nicht ganz unbedenklichen Frage wie dieser hier, aber auch auf anderen Gebieten, die sich zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Politik bewegen, eine öffentliche Diskussion im Lande • doch stattfinden kann und darf, und sie darf nicht sofort mit dem Hinweis unterbunden werden, sie könne sich verunsichernd auf das Verhalten von Investoren, Kreditgebern und anderen auswirken. Einen rechten Mittelweg dazwischen muß man finden. Hier ist sicherlich der .Ort, zu diskutieren, und hier muß sicherlich auch der Ort sein, wo eine über Gebühr strapazierte Rücksicht auf solche Überlegungen nicht am Platze sein darf.
— Es ist richtig, Herr Kollege Kohl, daß wir seit Jahren debattieren, aber ich bin völlig sicher, daß wir noch viele weitere Jahre debattieren werden.
Herr Kohl - Herr Kollege Hauff hat das heute morgen sehr deutlich gesagt —, wenn wir heute zu dem Ergebnis kommen, eine Enquete-Kommission einzusetzen - und alle Fraktionen sind darin einig, daß sie eingesetzt werden soll, mit verschiedenen Modifikationen —, dann liegt darin doch auch, so hoffe ich jedenfalls, der Wille und die Bereitschaft, das Ergebnis dieser Untersuchungen hier wieder zu diskutieren, ob nun in einem Jahr oder in zwei Jahren; es wird weiter diskutiert werden.
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Diese Diskussion kann und wird gewiß nicht zu Ende sein.
Dennoch, meine Damen und Herren, läßt sich das Konzept der Zweiten Fortschreibung selbstverständlich nur verwirklichen, wenn es vom Parlament mitgetragen wird. Denn die Kompetenzentscheidung und Möglichkeiten, auf die das Verfassungsgericht noch einmal hingewiesen hat, schalten doch eines nicht aus — und das gilt auch für die Entwicklung der Schnellen Brüter —, daß nämlich hier im Hause Jahr für Jahr die Entscheidungen getroffen werden, die entsprechenden Haushaltsmittel zu bewilligen. Schon aus solchen Anlässen wird diskutiert werden. Deswegen werden die Abgeordneten dieses Hauses auch künftig eine eigene Willensbildung bei der Weiterentwicklung fortgeschrittener Reaktorlinien vornehmen. Alles andere würde mich erstens wundern und zweitens auch nicht befriedigen, ganz sicherlich auch Sie nicht.
Deswegen halte ich es — und nun, Herr Kollege Narjes, komme ich zu Ihrer Frage — auch nach dem jüngsten Beschluß des Bundesverfassungsgerichts keineswegs für verfassungspolitisch bedenklich, wenn der Deutsche Bundestag seine politische Haltung zu diesen Fragen auf die Ergebnisse einer unabhängigen Enquete-Kommission stellen will; denn damit wird klar gemacht, daß das Parlament seine verfassungsrechtliche Aufgabe einer politischen Kontrolle der Bundesregierung auch tatsächlich wahrnehmen will. Das ändert nichts daran, daß die Bundesregierung als Verfassungsorgan ihre Entscheidungen zu treffen und zu verantworten hat, auch ihre Auffassung von der Notwendigkeit des Weiterbaues in Kalkar. Denn dort muß weitergebaut werden, wenn wir unsere Option für die Technologie aufrechterhalten wollen.
Lassen Sie mich; meine Damen und Herren, zur energiepolitischen Gesamtsituation seit der Vorlage der Zweiten Fortschreibung und der ersten energiepolitischen Debatte im April dieses Jahres einige Worte sagen. Die energiepolitische Gesamtsituation hat sich seit der Vorlage der Fortschreibung und seit der ersten energiepolitischen Debatte im April dieses Jahres nicht verändert. Die Entwicklung der letzten Monate im Iran hat uns erneut die latente, kurzfristige Labilität und Störanfälligkeit der Weltölmärkte vor Augen geführt. Auch wenn mengenmäßig kein besonderer Grund zur Beunruhigung besteht, allein die kräftigen Preisausschläge an den internationalen Marktplätzen machen plastisch, daß• selbst relativ kleine- Anstöße auf den Mineralölmärkten beträchtliche Wirkungen auslösen. Es ist leider nicht die Zeit, um hier einmal darzulegen, wie sich die Versorgungssituation am Rotterdamer Markt auf den Preis des Endverbrauchers an der deutschen Tankstelle in den letzten Wochen ausgewirkt hat. Andererseits nimmt der Weltenergieverbrauch langsamer zu, als bisher angenommen wurde. Auch gibt es größere neue Ölfunde.
In aller Welt wächst das Verständnis für die langfristigen Energieprobleme und die Einsicht, daß
es sich um globale Dimensionen handelt und daß man diese globalen Probleme letztlich nur durch globale Aktivitäten lösen kann. Ein wichtiger Schritt auf diesem Wege sind die Ergebnisse der Energiediskussion auf dem Bonner Weltwirtschaftsgipfel von diesem Sommer. Zu ihnen gehört die Betonung der gleichberechtigten Bedeutung von Kohle und Kernenergie als den bis auf weiteres einzigen gewichtigen Alternativen zum 01. Dazu gehört auch der Beschluß zur Koordinierung nationaler Programme, mit denen die Entwicklungsländer bei der Einführung regenerativer Energiequellen und neuer Energietechnologien unterstützt werden sollen.
Große Schwierigkeiten macht es hingegen in der Europäischen Gemeinschaft, über die bloße Koordinierung hinaus zu tragfähigen Ansätzen für eine wirklich gemeinschaftliche Energiepolitik zu kommen. Die Energieinteressen der Mitgliedstaaten sind so unterschiedlich, daß es in zentralen Problemen kaum je gelingt, eine gemeinsame tragfähige Basis für kommunitäre Entscheidungen zu finden.
Das zeigt sich jetzt unter deutscher Präsidentschaft besonders deutlich an der gemeinschaftlichen Kohlepolitik.
Die Förderkosten der Franzosen liegen ebenso weit über dem Weltmarktpreis wie die unseren. Gerade deshalb hat Frankreich ebenso wie Belgien seine Förderung in den vergangenen Jahren stark zurückgenommen und beabsichtigt dies auch noch für die Zukunft. Diese beiden Länder setzen eindeutig auf einen starken Ausbau der Kernenergie. Ihre Bereitschaft zu einer nennenswerten Beihilfe für die Aufrechterhaltung eines hohen Förderniveaus an deutscher und britischer Kohle ist deshalb sehr gering.
Die britischen Förderkosten sind vergleichsweise günstiger. Aber bisher wird britische Kohle noch nicht in nennenswertem Umfang exportiert. Deshalb zeigt sich Großbritannien, das dank eigenen Öls energiewirtschaftlich autark ist, nur an einer sehr hohen Subvention interessiert, die möglichst die volle Kostendifferenz einschließlich der Transportkosten deckt.
Italien, mit den von England und der Ruhr aus weitesten und teuersten Transportwegen, zeigt sich völlig uninteressiert und setzt ganz auf den Import billiger Kraftwerkskohle aus Drittländern.
Unbestreitbar ist lediglich ein Interesse unserer unmittelbaren Nachbarn an deutscher 'Kokskohle. Aber die. Gesamtheit der Mitgliedstaaten wehrt sich dagegen, die bestehende, sehr niedrige und allein uns Deutschen zugute kommende Kokskohlenbeihilfe nennenswert zu erhöhen.
Wir Deutschen hingegen sind in voller Übereinstimmung mit der Kommission der Überzeugung, daß der Sicherheitsaspekt der gemeinschaftlichen Kohleförderung eine, gemessen an der Höhe der nationalen Kohlelasten, durchaus begrenzte Aktion gemeinschaftlicher Solidarität vollauf rechtfertigt. Es ist schwer einzusehen, warum wir als traditionelle Lieferer von Kokskohle für die europäische Stahlindustrie die Lasten aus einem, wie wir hoffen,
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vorübergehenden Absinken der Weltmarktpreise allein tragen sollen.
Ich. werde deshalb als Vorsitzender des Energieministerrats am 21. Dezember alles daransetzen, um auszuloten, ob ein Kompromiß wenigstens über die Eckwerte einer Gemeinschaftsaktion zugunsten von Kokskohle, Kraftwerkskohle und des Baus von Kohlekraftwerken zu erzielen ist.
Ich glaube, diese kurze Schilderung macht Ihnen deutlich, wie gegenläufig die Interessen sind und wie gering die Aussichten sind, zu wirklich substantiellen Schritten oder gar Fortschritten zu kommen.
Dagegen erscheint unsere nationale energiepolitische Landschaft übersichtlich, trotz föderalistischer Kompetenzverteilung und trotz unserer teilweise sehr langwierigen Diskussionen um die eine oder andere Frage oder Entscheidung.
Die Bundesregierung hat in der Zweiten Fortschreibung vom Dezember 1977 eine klare energiepolitische Konzeption vorgelegt. Im abgelaufenen Jahr ist es ihr gelungen, nahezu alle wesentlichen angekündigten Maßnahmen entweder durchzuführen oder wesentlich voranzutreiben.
Wir haben den Mitgliedern des Wirtschaftsausschusses hierzu einen ausführlichen Bericht vorgelegt. Ich will nur auf die wichtigsten Punkte hinweisen.
Mit dem Energieeinsparungsprogramm hat die Bundesregierung dem Energiesparen bei ihren energiepolitischen Aktionen den Vorrang eingeräumt. Die Maßnahmen des Programms sind inzwischen weitgehend verwirklicht. Das gilt in erster Linie für das Programm zur Förderung heizenergiesparender Investitionen in bestehenden Gebäuden mit einem Finanzvolumen von 4,35 Milliarden DM. Dieses Programm ist auf sehr breite Zustimmung bei der Bevölkerung gestoßen. Die volle Ausschöpfung der Zuschußmittel in Höhe von 420 Millionen DM ist ein überzeugender Beweis.
In Stichworten lauten die wichtigsten der übrigen Maßnahmen: Inkrafttreten der drei Verordnungen zur Verbesserung des Wirkungsgrads der Heizungsanlagen; Kennzeichnung des Energieverbrauchs von Haushaltsgeräten durch die Industrie; Erhöhung der Steuer auf leichtes Heizöl und steuerliche Entlastung stationärer Dieselmotoren, die Heizzwecken dienen; Beginn der Förderung der Markteinführung energiesparender Technologien; erhebliche Verstärkung der Aufklärungsarbeit und Beginn der Beratung mittlerer und kleinerer Unternehmen über Möglichkeiten des Energiesparens.
Ich will den letzten Punkt etwas näher erläutern. Die bisherigen Aufklärungsaktivitäten sind gerade im Jahre 1978 verstärkt fortgesetzt worden, nachdem dafür die Mittel von bisher 1,5 auf 6 Millionen DM im Jähre 1978 aufgestockt worden sind. Für 1979 sind 10 Millionen DM im Haushaltsentwurf veranschlagt.
Ziel der breit angelegten Aufklärungsaktion ist es, möglichst jedem einzelnen verstärkt bewußt zu machen, wann, wie und in welchem Ausmaß er Energie verbraucht und wieviel Energie er sparen kann; denn die meiste Energie wird — Sie wissen das — im privaten Bereich, beim Haushalt, beim Autofahren, verbraucht. Das ist vielen Bürgern nicht bekannt. Hier liegt ein großes Einsparpotential. Gezielte Informationen sollen helfen, mit der Energie zu haushalten, d. h., sparsam mit ihr umzugehen. Wir wollen dem einzelnen klarmachen, wie er seinen Geldbeutel schonen, ohne auf gewohnte Annehmlichkeiten verzichten zu müssen, und gleichzeitig etwas für die Zukunftssicherung tun kann.
Ich will hier auf die Einzelheiten verzichten, meine Damen und Herren, aber ich will sagen, daß wir im Jahre 1979 die begonnenen Aktivitäten fortsetzen und vertiefen werden, weil wir die kurzfristig und auf den ersten Blick richtige Urteilsbildung unserer Bevölkerung verhindern müssen, die nämlich lautet: Es ist doch so viel Energie da, warum müssen wir überhaupt damit sparen? Daß das langfristig nicht so ist und daß wir langfristig ein Energiesparbewußtsein überhaupt erst einmal wecken müssen, scheint mir eine wesentliche und, wie ich hoffe, gemeinsam getragene Aufgabe zu sein.
Unser Energieeinsparprogramm hat national wie international — z. B. in der Internationalen. Energieagentur — Anerkennung gefunden. Wir stehen in der Spitzengruppe - vergleichbarer Industrieländer. Aber sosehr Energieeinsparung das Gebot der Stunde ist, rasche Erfolge sind von einem solchen Programm zur rationellen und sparsamen Energieverwendung nicht zu erwarten. Vor unrealistisch hohen Erwartungen, von denen man manchmal hört, möchte ich ausdrücklich warnen.
Natürlich bleibt einiges zu tun. Ich denke an das Stichwort Stromtarife; ich denke an das Stichwort: stromwirtschaftliche Zusammenarbeit, wo wir in dieser Woche weitere Fortschritte in der schwierigen Frage der preislichen Vergütung für industriellen Überschußstrom erzielt haben. Ich denke an die Durchleitungsproblematk, die auch im Rahmen der 4. Kartellgesetznovelle eine Rolle spielt.
Ein zweiter Schwerpunkt ist die möglichst weitgehende Nutzung der einheimischen Kohle, zu der sich die Bundesregierung in der Zweiten Fortschreibung eindeutig bekannt hat. In der Welt und in den internationalen Gremien setzt sich immer stärker die Erkenntnis durch, daß die Kohle neben der Kernenergie derjenige Energieträger ist, der auf Jahrzehnte hinaus das zu erwartende Wachstum des Energieverbrauchs bei demnächst stagnierender 01-förderung ermöglichen kann.
Die Internationale Energieagentur hat soeben eine Studie veröffentlicht, die die derzeit absehbaren Perspektiven aufzeigt. Danach könnte sich der jährliche Kohleverbrauch in der OECD von zur Zeit i Milliarden t bis zum Jahre 2000 auf jährlich 2 Milliarden t verdoppeln. Wir hoffen, daß die Industrieländer in der Internationalen Energieagentur im nächsten Jahr Grundsätze verabschieden, die überall den Weg für steigenden Kohleeinsatz ebnen werden.
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In diesem weltweiten Rahmen sind die steten Anstrengungen zugunsten unserer nationalen Steinkohlenförderung zu sehen. Im wichtigsten inländischen Absatzbereich, im .Kohleeinsatz in der Stromerzeugung, ist die Verstromung von jährlich 33 Millionen t über zehn Jahre sichergestellt. Wir sehen aber gerade jetzt wieder, wie teuer die finanzielle Absicherung dieses Zehn-Jahres-Vertrages ist.
Die Entscheidung über die Anhebung der Ausgleichsabgabe von durchschnittlich 4,5 % auf 6,2% haben wir uns nicht leichtgemacht; wir werden unter dem nächsten Punkt der Tagesordnung ausführlich darüber zu sprechen haben. Herr Riesenhuber, bei der Gelegenheit werden wir dann einmal feststellen, wie weit es denn mit der Einstimmigkeit in Ihrer Fraktion in einer entscheidenden Frage der Energiepolitik aussieht.
Neben der Ausgleichsabgabe haben wir in den letzten Monaten andere Hilfen für den Steinkohlenbergbau erheblich verstärkt. Ich nenne hier nur die Investitionshilfe von 582 Millionen DM jährlich und die Erhöhung der Kokskohlenförderbeihilfe. Die vorrangige Rolle der deutschen Steinkohle läßt sich an nichts deutlicher ablesen als an der Höhe der Subventionen, die wir ja letztlich dem Verbraucher und dem Steuerzahler und damit unserer gesamten Volkswirtschaft aufbürden. Wir stoßen hier — ich habe das wiederholt gesagt und sage es auch jetzt — an die Grenzen der Belastbarkeit von Haushalt und Gesamtwirtschaft.
Der Staat wird auch in Zukunft dem Steinkohlenbergbau unter die Arme greifen. Er geht dabei aber davon aus, daß der Bergbau seinerseits und auch die Tarifpartner im Bergbau alle Anstrengungen zur Leistungssteigerung und zur Kostenminderung machen, wobei ich ausdrücklich hinzufügen möchte — um nicht immer nur Appelle zu verkünden —, daß sich die Anstrengungen der letzten ein, zwei Jahre durchaus sehen lassen können.
Auch in den übrigen Bereichen haben wir die in der Zweiten Fortschreibung angekündigten Maßnahmen weitgehend in die Tat umgesetzt. Zur Verbesserung der umweltrechtlichen Rahmenbedingungen für die Errichtung von Kohlekraftwerken und anderen industriellen Großanlagen wurde die Novelle zum Bundesimmissionsschutzgesetz vorgelegt. Ich wäre froh, wenn sie bald verabschiedet werden könnte; denn auch das, Hert Riesenhuber, fällt unter das Stichwort: wer kann investieren, wenn ... ?
Zur besseren Sicherung unserer Mineralölversorgung tragen die nunmehr vollzogene Errichtung des Erdölbevorratungsverbandes und die Auffüllung der Bundesrohölreserve im nächsten Jahr bei. Zur Verstärkung und Beschleunigung der Energieforschung werden die Mittelansätze wesentlich erhöht.
Durch die vorrangige und nachdrückliche Förderung des Energiesparens und des' Einsatzes der Kohle, insbesondere in der Stromerzeugung, haben wir auch auf längere Sicht den Rahmen abgesteckt,
der für den Ausbau der Kernenergie verbleibt. Für die Ausfüllung dieses Rahmens müssen wir der Kernenergie dann allerdings auch den Weg offenhalten, da anderenfalls unserer Volkswirtschaft auf lange Sicht großer Nachteil drohen würde. Wenn wir einmal an das Jahr 2000 denken, so ist die Bundesrepublik Deutschland ebensowenig ohne Kernenergie denkbar wie die Welt draußen um uns herum.
Vergessen wir nicht, daß heute in der Welt bereits Kernkraftwerke mit über 100 000 MW in Betrieb und mit weit über 200 000 MW im Bau sind. Länder wie Belgien, Schweden und die Schweiz erzeugen schon heute jeweils rund 20 0/o ihres Stroms mit Kernenergie, also weit mehr als die rund 10 0/0 bei uns. Wir marschieren beim Ausbau der Kernenergie keinesfalls an der Spitze, sondern allenfalls im Mittelfeld der Industrieländer.
Aber richtig ist auch, daß bei uns wie in den meisten anderen Industrieländern der Ausbau der Kernenergie wesentlich langsamer vor sich geht, als noch vor etwa drei Jahren in Aussicht genommen. war. Ich sage: auch anderswo ist das so. Ein Teil dieser Verlangsamung geht auf das Konto der bedauerlicherweise verringerten allgemeinen Wachstumsaussichten, ein anderer Teil hat seinen Grund darin, daß wir alle im Laufe der langanhaltenden öffentlichen Diskussion problembewußter geworden sind. Dieses wachsende Problembewußtsein fand seinen Niederschlag in den Beschlüssen der die Koalition tragenden Parteien.
Die Bundesregierung hat diese Haltung der Parteien natürlich nicht ohne Kompromisse in ihre Kernenergiepolitik übernommen. Sie ist überzeugt, daß es ihr gelingen wird, durch ständigen Dialog mit allen Beteiligten eine fundierte Zustimmung des Bürgers zu ihrer Politik zu erhalten. Schritt für Schritt müssen wir die insbesondere im Zusammenhang mit dem Brennstoffkreislauf stehenden Probleme lösen. Dazu ist es als wichtiger Teilschritt auf dem Bonner Gipfel gelungen, von den USA und Kanada die Zusage für eine zuverlässige Versorgung mit Kernbrennstoffen zu erhalten.
In diesem Zusammenhang mißt die Bundesregierung der zur Zeit laufenden Konferenz über die internationale Bewertung des Brennstoffkreislaufs — INFCE -- besondere Bedeutung zu. Wir haben die Initiative von Präsident Carter von Anbeginn begrüßt, und wir arbeiten in INFCE aktiv mit. Dabei spielen neben unserem Interesse an der Sicherung des Brennstoffkreislaufs als unabdingbare Voraussetzung für die friedliche Nutzung der Kernenergie die von der Bundesregierung seit Jahren unterstützten Nichtverbreitungsanstrengungen die entscheidende Rolle.
Intern richtet die Bundesregierung ihre Hauptanstrengungen auf die zügige Verwirklichung ihres Entsorgungskonzepts. Nach dem Entsorgungsbericht der Bundesregierung, den alle Fraktionen des Hauses ausdrücklich begrüßt und unterstützt haben, ist das Entsorgungszentrum in Gorleben Kernstück dieses Konzepts. Mir ist von einem Kritiker der Kernenergiepolitik einmal der Vorwurf gemacht wor-
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den, wir betrieben eine forcierte Kernenergiepolitik. Dies ist nicht der Fall. Aber ich habe ihm geantwortet: Wir betreiben eine forcierte Entsorgungspolitik. Dies halte ich auch für dringend erforderlich und notwendig.
Deswegen befinden wir uns in intensiven Beratungen mit der Landesregierung von Niedersachsen. Sie . wissen, daß wir im September gemeinsam den ersten konkreten Schritt, nämlich den Beginn der Flachbohrungen Anfang 1979, festgelegt haben. Voraussetzung für die Einhaltung dieses Termins ist insbesondere nodi eine Einigung über die Finanzierungsforderungen von Niedersachsen.
Beim zweiten Schwerpunkt unserer Entsorgungsanstrengungen, dem Zwischenlager Ahaus, läuft das Genehmigungsverfahren planmäßig. Nachdem nunmehr auch die Stadt Ahaus der Aufnahme des Zwischenlagers grundsätzlich zugestimmt hat, nicht zuletzt auf Grund des Engagements der Landesregierung in Düsseldorf, bin ich zuversichtlich, daß der Terminplan für Ahaus eingehalten wird.
Auch beim Kernkraftwerksbau sind wir in der Zwischenzeit ein Stück vorangekommen. Auf Philippsburg II und Esenshamm habe ich bereits hingewiesen. Auch sonst geht die Fertigstellung von Kernkraftwerken — die drei bekannten gestoppten Vorhaben ausgenommen — gut voran.
Wir sind deswegen, meine Damen und Herren, auf dem Wege, uns die Option für die friedliche Nutzung der Kernenergie offenzuhalten. Hierzu gehört aber auch, daß wir uns über die Nutzung des seit längerem eingeführten Leichtwasserreaktors hinaus die Optionen für die in ihrer Entwicklung bereits weit fortgeschrittenen neuen Reaktortechnologien offenhalten. Das heißt im Augenblick ganz konkret, daß wir neben dem Hochtemperaturreaktor in Schmehausen auch den Prototyp Schneller Brüter in Kalkar weiterbauen.
Meine Damen und Herren, diese wenigen Bemerkungen, die, wie ich weiß, eine Aufzählung von Tatsachen sind und deswegen nicht sehr spannend sein können, zeigen, daß es ebenso zweckmäßig wie notwendig ist, bei jedem Einzelproblem den energiepolitischen Gesamtzusammenhang herzustellen. Das war der Sinn meines heutigen Vorbringens. Wenn das . in der nachfolgenden Diskussion geschieht, so müßte eigentlich deutlich werden, daß die energiepolitischen Gemeinsamkeiten zwischen Koalition und Opposition sehr viel größer als die Gegensätze.