Rede von
Werner
Zywietz
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Dann sage ich: doppelgesichtig. Ich glaube, das ist ein deutliches Wort. Aber das, was ich gemeint habe, drücke ich damit parlamentsgerecht aus.
Es ist jedenfalls widersprüchlich. Da muß man auch die innere Konsistenz haben und die Maxime
— Sie lesen doch sicherlich auch Kant; das ist doch so populär — des eigenen Handelns in dem einen Fall, was Sie für Gorleben in Anspruch nehmen, auch für die zweite Situation in NRW gelten lassen. Das muß wirklich zum Gebot der Fairneß und des Anstandes in der Politik gehören.
— Halten Sie das meiner Jugend zugute, Herr Kollege Wehner, daß mir noch die Erfahrung fehlt, um das alles hier so rasch einzuordnen.
Aber ich bin für den hilfreichen Einwand dankbar.
Wir lassen uns nicht davon abbringen, auch wenn Sie jetzt hier die Debatte auf den Kopf stellen wollen und in eine bestimmte Richtung zielen, fernab einer verantwortlichen Energiepolitik.
— Das wollen Sie nicht hören, weil Sie da wenig vorzuweisen haben.
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 125. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1978 9775
Zywietz
Ich möchte hier drei, vier Minuten darauf verwenden, zu verdeutlichen, daß unser energiepolitisches Konzept und auch das, was in der Zweiten Fortschreibung zum Ausdruck kommt, die -richtige Konzeption ist und die richtige Aktualisierung darstellt. In ein, zwei Fragen sind wir bereit, weiter nachzudenken und auch zur rechten Zeit zu handeln; aber das Konzept hat gestimmt. Haben Sie denn vergessen, was sich 1973 ereignet hat? Das erste Energieprogramm in der Geschichte dieser Republik ist von dieser Koalition konzipiert worden. Ich füge hinzu; Die Stichworte, die Akzente, die gesetzt worden sind, Technologie, rationelle Energieverwendung, sind für heute und für die Zukunft genau die zentralen Stichworte.
Ich bin persönlich bereit, einzugestehen, daß wir unter dem Eindruck der damaligen Krise von 1973 bis 1974 vermutlich in einem Reflex etwas zu stark die Politik „Weg vom 01" betrieben und das 01 vom Gesamtenergiebedarf abgebucht haben und an Stelle dessen Nuklearenergie eingebucht haben, ohne das hinsichtlich der Bedingungen und Verwirklichungen hinreichend durchzuspielen und zu überprüfen. Aber in den letzten drei Jahren haben wir das getan, nicht nur hier im Hause. Auch der Bürger stellt diese Fragen, und es ist deutlich geworden, daß es noch eine ganze Menge von Fragen in diesem Bereich gibt, die der Überprüfung unterzogen werden müssen. Warum äußern Sie sich so verächtlich über Restbedarfsphilosophie? Warum?
Wir wollen eine Politik machen — und haben sie auch bisher gemacht —, bei der keine Lichter ausgegangen sind, und jeder, der Energie durch unsere Politik brauchte, hat sie bisher zu vernünftigen Konditionen bekommen. Hören Sie doch auf mit diesen Monsterbildern!
— Ich hätte Ihnen auch einen etwas gescheiteren Zuruf zugebilligt. Das möchte ich gern zurückgeben.
Diese Monsterbilder haben nicht gezogen. Erst wurde immer mit den Schlagworten operiert: Die Lichter gehen aus, der Volkswirtschaft wird Schaden zugefügt. Jetzt werden Bilder an die Wand gemalt: Wenn es nicht sofort und unmittelbar so stramm und strikt mit dem Brüter vorangeht, wird riesiger Schaden entstehen. Sicher wollen wir die Option offenhalten; das ist von den Vorrednern gesagt worden. Das ist alles in Ordnung. Aber Sorgfalt wollen wir nicht unter den Wagen kommen lassen, indem wir hier nur zur hastigen Eile mahnen. Das wird der Sache nicht gerecht.
Wir wollen eine Nuklearentwicklung mit Bedingungen im Sicherheitsbereich, und wir wollen sie in einem fairen Dialog in der Aufklärung und Annahme auch von. Vorstellungen und Anregungen mit der Bevölkerung realisieren. Und was die Bedingungen und die Restmengenphilosophie anbelangt: Wir verringern die Risiken, die mit der Kernenergie verbunden sind, wenn wir wirklich nicht mehr davon realisieren, als wir für unsere wirtschaftliche Entwicklung brauchen. Das halte ich, so einfach es auch klingen mag, für richtig.- Deswegen hat in der Zweiten Fortschreibung, in der Entschließung zu diesem aktualisierten Bericht die rationelle Energieverwendung, die Entkoppelung des Energiebedarfs vom Wirtschaftswachstum den zentralen Stellenwert. Wir unterstreichen diese Passagen der Entschließung voll und ganz. Wir möchten sie noch härter, noch dynamischer interpretiert wissen; denn hier stehen wir erst am Anfang einer Entwicklung; in der noch manches in der weiteren Zukunft getan werden muß, damit wir aus einem übertriebenen Nukleardruck bei den Leichtwasserreaktoren herauskommen.
— Das sind überhaupt keine Ausflüchte, das ist die
Verquickung der Mengenkomponente im Nuklearbereich mit dem Sicherheitsverlangen, das wir haben.
Ein zweiter Bereich ist natürlich der Wunsch, die Betriebssicherheit zu erhöhen. Ich habe hier von Herrn von Hassel gehört, der auch einmal in diesem Haus zugegen ist und der sich zu Problemen des Wahlkreises en passant geäußert hat — denn Brokdorf liegt in seinem Wahlkreis —, daß die Betriebssicherheit ein elementares Anliegen ist. — Da schütteln Sie den Kopf.
Aber deswegen können wir nicht nonchalant darüber hinweggehen. Alles, was zur Betriebssicherheit, die zweifelsohne ein hohes Niveau hat, gesagt worden ist, kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß wir dieses Niveau noch erhöhen können und müssen; denn das, was in Brunsbüttel geschehen ist, daß alle. noch so technischen Regelmechanismen der Sicherheit manuell außer Kraft gesetzt werden und der Unsicherheitsfaktor Mensch hineingekommen ist, dürfen wir nicht einfach übergehen. Daraus müssen wir doch auch Konsequenzen ziehen!
Der dritte Punkt, den wir doch auch ernst nehmen müssen, ist die Entsorgung. Jawohl, Restbedarf, das, was nötig ist, zur rechten Zeit — unter der Bedingung der Entsorgung! Da habe ich ja schon auf Gorleben abgestellt. Dabei kann es- für die Parlamentarier — zumindest für uns von der liberalen Fraktion — nicht so sein, daß wir Bedingungen stellen und verlangen, daß die Entsorgung auch von der Seite der- Regierung her gesichert sein muß, daß
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dann aber Mitglieder dieses Hohen Hauses nicht die Möglichkeit bekommen, in die Verträge Einsicht zu nehmen und sich davon zu überzeugen, ob die Entsorgung wirklich gesichert ist. Das ist doch ein Unding, das ist doch hanebüchen!
Wo sind wir denn? Das muß doch jedem Parlamentarier zentral treffen. Wer als Parlamentarier für Bedingungen ist, muß auch die Chance haben, diese Bedingungen im konkreten Fall zu überprüfen.
Sonst kann man anderen Operateuren diese Verantwortung nicht übertragen. Das ist eine ganz einfache Schlußfolgerung.
— Da würde ich Ihnen mit dem Volksmund antworten: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Dieses Ziel der parlamentarischen Verantwortung — das Recht, die Bedingungen zu konzipieren und zu überprüfen — hat Vorrang, und wer das will, wird auch den Weg finden, das zu realisieren. Da hat alles andere zurückzustehen.
— Ich bin da mehr für die zivile Haltung.
Was das demokratische Verfahren anlangt, so wird doch an vielen Stellen in der Bevölkerung gesagt, „die da oben" — und damit sind Parteien, sind Parlamentarier, Mandatsträger gemeint — nehmen nicht mehr das auf, was wesentliche, was beachtliche Teile der Bevölkerung denken. Deswegen sind wir, glaube ich, alle miteinander gut beraten, hier etwas sensitiver zu sein. Auch wenn es nicht in unserem Lande ist, auch wenn es eine spezielle Fragestellung hat: Beispielsweise eine Umfrage wie die in Osterreich bin ich als Demokrat sehr ernst zu nehmen bereit, auch wenn wir modifizierte Schlußfolgerungen daraus zu ziehen haben.
Aber die Fragestellung ist in der Bevölkerung gegeben, und deswegen —.mit diesem Gedanken möchte ich die Schlußbemerkungen einleiten — sind wir von der FDP voll dafür,
daß solche zentralen Entscheidungen in diesem Bereich hier im Parlament — wie heute beginnend — diskutiert und auch getroffen werden.
Ich bin nicht der Meinung eines Vorredners, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts habe ja zum Ausdruck gebracht, das Genehmigungsverfahren sei soweit in Ordnung. Es ist gut, festzustellen, daß es formal in Ordnung ist. Aber das Verfassungsgericht hat, soweit ich sein Urteil in Passagen kenne, auch zum Ausdruck gebracht, daß der Entscheidungsfreiraum, hier tätig zu werden, für das Parlament gegeben ist. Es liegt jetzt an uns — an jedem, je nachdem, wo er politisch steht —, das zu nutzen oder nicht zu nutzen. Wir in der FDP sind der Meinung, wir haben das zu nutzen, um unserem parlamentarischen Auftrag bei diesen Zukunftsfragen gerecht zu werden.
— Wir sind ja nicht immer ganz so stürmisch beim Brüten wie Sie, Herr Kollege Lenzer, und darum ist es zunächst einmal folgerichtig, daß wir diese Enquete-Kommission einsetzen, daß wir im Parlament Herr des Verfahrens werden, aber — —
— Ach, Wiedervorlage 1984! Wir können alle halbe Jahre eine Energiedebatte darüber führen, und wir werden Stück für Stück — —
Wir werden in diesem Bereich und in dieser Fragestellung keiner Versäumnisse schuldig werden. Darauf können Sie sich verlassen.
— Es ist ja gut, daß die Stimmung vor der Mittagspause hier so ansteigt!
Wir sind für diese Enquete-Kommission, weil sie geeignet ist, dieser komplexen Problematik im Hinblick auf die anstehenden Entscheidungen besser gerecht zu werden, weil sie auch geeignet ist, uns für die Entscheidungen die Datenaufbereitung und die Entscheidungsmuster an die Hand zu geben, damit nicht viele Kollegen mehr nach Gefühl als aus Kenntnis von Fakten, aus Einsichten und Bewertungen entscheiden müssen, sondern die Fakten, die Entscheidungsmuster und die Alternativen mit ihren Pro- und Contra-Aspekten besser vor Augen haben und zum Zwecke der Entscheidung besser nachvollziehen können. Damit werden wir auch der Würde dieses Hauses und der Komplexität des gesamten Themenbereichs besser gerecht.
In diesem Sinne sehen wir diesen aktualisierten Bericht und die Fortschreibung, und in diesem Sinne werden wir auch der Entschließung zustimmen.
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 125. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1978 9777