Rede von
Reinhard
Ueberhorst
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin, hier leuchtet schon das rote Licht — ich weiß nicht, worauf ich das zurückführen soll —, und die Zwischenfragen reihen sich.
Ich komme zur nächsten Frage, die die Enquete-Kommission prüfen soll. Ich bitte Sie, sich diese Frage mit uns gemeinsam ernsthaft zu stellen, weil wir in dieser Enquete-Kommission zusammenarbeiten wollen. Die Frage lautet: Kann man den Brüter modifizieren? Dazu sagen wir als SPD-Fraktion: Die Vorschläge, die aus dem Lande Nordrhein-Westfalen gemacht worden sind, nehmen wir sehr ernst. Wir sind aber weder als Fraktion noch als Parlament in der Lage, solche Vorschläge aus dem Stand heraus endgültig zu bewerten, geschweige denn, sie aus dem Stand heraus umzusetzen. Wir, bitten die Bundesregierung, die Vorschläge aus dem Lande Nordrhein-Westfalen ernsthaft zu prüfen und uns die Prüfungsergebnisse mitzuteilen. Wir wollen uns auch selber vornehmen, die Vorschläge in der zu gründenden Enquete-Kommission unsererseits gründlich zu prüfen. Dabei werden wir Vor- und Nachteile erörtern. In diesen Zusammenhang gehört insbesondere die Frage: Was ist proliferationssicherer? Hier sehen wir durchaus die Problematik mit dem Uran 233, die wir hier beim Plutonium 239 im Zusammenhang mit dem Brüter haben. Wir wollen auch diese Fragen technischer Natur sehr intensiv prüfen
Nun zur nächsten Frage, Im Zusammenhang mit dem Brüter erklären wir klar: Es muß im Parlament geprüft werden, ob die Inbetriebnahme eines Schnellen Brüters in Kalkar verantwortbar ist. Dabei sagen wir ganz deutlich: das Parlament kann den Genehmigungsbehörden nicht die Arbeit abnehmen. Das Parlament kann auch nicht den Versuch unternehmen, in die wissenschaftliche Kontroverse seinerseits mit wissenschaftlichen Stellungnahmen einzugreifen. Aber das Parlament kann und muß die grundsätzlichen Probleme bei dieser Reaktortechnologie identifizieren und behandeln. Denn die grundsätzlichen Probleme sind letztendlich nicht im Sinne ihrer „Notwendigkeiten" berechenbar, sondern dabei läuft es auf Fragen zu, bei denen man sich zum Risiko äußern muß, die also politischer Natur sind. Hier sind wir gefordert.
Beim Brüter geht es um die Grundsatzfrage: ist diese Reaktortechnologie im Unterschied zu anderen Reaktortypen inhärent sicher, oder kann es bei bestimmten reaktorphysikalischen Abläufen in diesen Brütern zu, wie die Experten sagen, Rekritikalitätsunfällen kommen, bei denen ein Explosionspotential entsteht, für das dieser Brüter möglicherweise mit seinem Schutzsystem nicht hinreichend gesichert ist? Die Experten sagen uns dazu: Ein solcher Unfall ist nicht auszuschließen. Man kann weder beweisen noch demonstrieren, daß er unmöglich ist. Man sagt, er sei extrem unwahrscheinlich, ohne aber bis heute das Wahrscheinlichkeitsrisiko quantitativ angeben zu können.
Weiter sagen wir: wir unterstellen, daß solche Unfälle möglich sind, aber wir sichern uns gegen solche Unfälle. Wir betrachten sie, wie es heißt, als „Auslegungsstörfall". Das heißt, die Anlage muß so gebaut sein,. daß sie ihm standhält. Aber dann ist die Frage: ist das Containment bei dem SNR 300 in Kalkar stark genug, um der maximal möglichen nuklearen Explosion bei diesem Reaktortyp zu widerstehen? Hier gibt es wiederum wissenschaftliche Antworten. Ausgelegt ist der Reaktor auf ein .Explosionspotential von 370 Megawattsekunden. Es gibt in der Wissenschaft Experten, die Berechnungen angestellt haben, nach denen das Explosionspotential um ein Vielfaches höher liegt. Nun sage ich wieder: keiner von uns sollte jetzt den Versuch machen, das irgendwie gegenrechnen zu wollen. Aber was wir brauchen und was ja die Bundesregierung auch macht, ist eine umfangreiche Sicherheitsforschung und eine ganz klare experimentelle Verifizierung oder Falsifizierung dieser in der Wissenschaft kontroversen Berechnungen.
Wir begrüßen deshalb als SPD-Fraktion das Angebot von Minister Hauff, in diesem Sachbereich, wenn erforderlich — und wir halten es für erforderlich —, ein spezielles Gutachten in Auftrag zu geben, damit wir auch hier wieder die Diskussion versachlichen können und aus der emotionalen Diskussion herauskommen.
Ich hatte bereits gesagt und will das noch kurz andeuten: es ist weiter nötig, daß in der Enquete-Kommission die Auswirkungen der Kernenergienutzung auf das gesellschaftliche Leben dargestellt und bewertet werden. Denn dazu ist folgendes zu sagen. Wir haben weiß Gott keinen Mangel an technischen Zukunftsbildern, an Beschreibungen, wie es aussieht, wenn wir in der Bundesrepublik im Jahre 2025 über 100 Schnelle Brüter haben. Solche Szenarien, Kraftwerksszenarien gibt es. Aber woran
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 125. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Dezember 1978 9771
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wir einen Mangel haben und wo wir aufholen wollen, das ist: das gleiche zu tun in der Fortschreibung und in der Beschreibung der gesellschaftlichen Entwicklung, die mit solchen technologischen Entwicklungen verbunden ist; nur damit wird die Entwicklung diskutierbar. Hier ist ein Defizit, das aufgearbeitet werden muß.
Ich habe sozusagen in Abteilung a) die Untersuchungsaufträge dargelegt. Zum zweiten haben wir in unserer Beschlußvorlage klare Vorbehalte formuliert. Wir haben gesagt, die Enquete-Kommission muß sich spätestens zur Inbetriebnahme äußern. Das heißt, bis jetzt ist die Inbetriebnahme für uns offen. Nur wenn die Bedenken widerlegt werden können, wird die Mehrheit des Parlaments einer Inbetriebnahme zustimmen.
Dasselbe gilt für die Vermehrung spaltbaren Materials. Auch hier haben wir gesagt: es soll kein Brutprozeß stattfinden, es sei denn, das Parlament wird der Vermehrung von Plutonium zustimmen. Wiederum dasselbe gilt für einen möglichen weiteren Schnellbrutreaktor in weiter Ferne. Dies wird auch nicht ohne eine entsprechende parlamentarische Beschlußfassung stattfinden können. Hier haben wir die notwendige Entscheidungsfreiheit geschaffen. In diesem Sinne legen wir uns hier fest.
Meine Damen und Herren, bitte, erlauben Sie mir noch ein Wort zum Zusammenhang der Beschlußvorlage, einerseits Energiepolitik, andererseits Einsetzung der Enquete-Kommission. Ich möchte hier unterstreichen,. daß das Ganze als eine Einheit gesehen werden muß.
Wer nämlich sagt, ich verzichte auf diese Parlamentsvorbehalte — aus welchen Gründen auch immer — und mache eine frei schwebende Enquete-Kommission, die einmal untersuchen soll — und dann noch nicht einmal die Entscheidungsmöglichkeiten, sondern nur die Notwendigkeiten —, der macht deutlich, auf welche schwachen Füße er die Enquete-Kommission stellen will. Ich sage ganz deutlich, die Einsetzung der Enquete-Kommission ist nur so glaubwürdig, wie die Beschlußvorlage zur Energiepolitik in ihrem Arbeitsbereich glaubwürdig ist, d. h. wie die Beschlußlandschaft Raum für prägende Arbeit hier im Parlament läßt. Insofern ist Ihr Vorschlag, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, eben wenig hilfreich.
Ich muß mich zum Abschluß meiner Ausführungen jetzt noch ein bißchen mit Ihnen auseinandersetzen, mit den Gegenpositionen zu unserer Vorlage hier. Wir machen deutlich, es geht uns heute hier um die Notwendigkeit, um die Möglichkeit und um die Wirklichkeit der parlamentarischen Verantwortung, der parlamentarischen Entscheidungsbereitschaft und der parlamentarischen Entscheidungsfähigkeit in der Gestaltung der Großtechnologie, über die wir hier sprechen.
Da gibt es jetzt zwei Gegenpositionen, mit denen ich mich zum Abschluß so auseinandersetzen möchte, daß ich hoffen darf, daß wir uns verständigen können. Sie haben zu diesem Komplex gesagt — und in diese beiden Begriffe läßt sich Ihre Position zusammenfassen —: erstens anweisen, zweitens Notwendigkeiten zusammentragen. Da sage ich — das klingt etwas unfreundlich, aber es ist mir ein Bedürfnis, das zu sagen —: so ein Kommandoton und so eine Technokratengläubigkeit sind kein Ersatz für die Politik, die das Parlament hier machen muß.
Ihr „Beitrag" besteht zum größten Teil aus Nichtbeiträgen.
Nehmen Sie eigentlich gar nicht wahr, was in der Fachwelt untersucht wird? Ich verweise Sie auf die Argonne Laboratory-Studien oder andere Konferenzen. Nehmen Sie gar nicht wahr, daß weltweit eine große internationale Brennstoffkreislaufbewertungskonferenz eben deshalb organisiert wird, weil wir hier praktisch nach besseren Lösungen suchen, die profilerationssicherer sind?
Nehmen Sie gar nicht wahr, wie wir, wie dieses Haus Hunderte von Millionen in die Reaktorsicherheitsforschung steckt? Das geschieht doch nicht deshalb, weil die Fragen so sind, daß man sagen kann: „anweisen!"
Ich sage Ihnen, ich errege mich, und ich — —
— Herr Hubrig, ich sage Ihnen das deshalb so deutlich, weil ich im Anschluß an das, was Herr Spies von Büllesheim vorhin gefragt hat, hier darauf hinaus will, daß wir einmal erkennen, daß es gar nicht um die zweit- oder drittbeste Energiepolitik geht.
Ich rege mich hier nicht darüber auf, daß Sie die Kürzung der Mittel für die nichtnukleare Energieforschung beantragen, oder solche Dinge; das ist ernst genug.
Aber hier geht es um etwas anderes. Hier geht es doch darum, ob Sie mit uns bereit sind, in einem Grundkonsens der demokratischen Technologiepolitik zu sagen:
wir müssen diese Fragen eben nicht nur von technokratischen Notwendigkeiten her, sondern von politischen Handlungsmöglichkeiten her beurteilen, wir müssen die Handlungsmöglichkeiten so weit wie möglich ausweiten und ausnutzen. Es ist für uns überhaupt kein Grund zur Freude, daß Sie das nicht
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mit uns tun, im Gegenteil! So wie wir, wenn wir für mehr praktische Liberalität in bestimmten Fragen oder für mehr Sozialpolitik in anderen Fragen sind, Ihnen zurufen: wir brauchen den Grundkonsens der Demokraten zu Rechtsstaatlichkeit und Liberalität, und so wie wir Ihnen zurufen: wir brauchen den Grundkonsens der Demokraten zum Sozialstaat, so rufen wir Ihnen heute zu: wir brauchen den Grundkonsens im Willen zur politischen Gestaltung der technologischen Entwicklung.
Wenn Sie diesen Zuruf aufnehmen, dann stimmen Sie unserem Antrag zu! Wir heften uns das gar nicht als unsere Feder an den Hut. Es stört uns auch gar nicht, daß Sie ein Jahr lang beredt dagegen waren. Im Gegenteil, wir freuen uns, wenn wir das gemeinsam einsetzen können.
— Herr von Hassel, lassen Sie mich das bitte zu Ende bringen. Ich nehme an, daß Sie als Energiepolitiker gleich noch Gelegenheit haben, einen Redebeitrag zu leisten.