Herr Kollege Kohl, zunächst einmal bitte ich um Verständnis dafür, daß ich nicht zu einem Artikel Stellung nehme, den ich nicht im Wortlaut kenne.
Zweitens. Im Gegensatz zur Vorgehensweise im Adenauer-Haus bin ich bereit, Artikel unseres Pressedienstes zu korrigieren und zurückzunehmen, wenn sie über das hinausgehen, was der Anstand und die politische Sitte gebieten. Sie hätten viel Gelegenheit gehabt, gleiches selbst zu tun. Ich wäre sehr dankbar dafür gewesen.
„Lassen wir die Frage nach dem gemeinsamen Schicksal unseres Volkes nicht zum bloßen Waffenarsenal parteipolitischer Auseinandersetzungen werden" — ich wünschte, diese Aufforderung von Herrn Kohl vom 9. März dieses Jahres würde von ihm selbst und seinen Freunden besser befolgt werden. Ich jedenfalls will versuchen, mich daran zu halten.
Es ist ein langer und bitterer Weg gewesen, bis wir — und ich denke, das gilt für alle — erkennen mußten, daß die Zusammenfügung der gespaltenen Stadt Berlin für sich allein nicht mehr möglich sein würde. Es ist müßig, darüber zu streiten, ob, wann und wie das möglich gewesen wäre. Wir wissen, daß das, was wir die Lösung der Berlin-Frage nennen, nur noch denkbar ist, wenn auch die deutsche Spaltung überwunden werden kann.
Das gleiche gilt für die beiden deutschen Staaten. Es ist müßig, darüber zu reden, ob, wann und wie es möglich gewesen wäre, sie zusammenzuführen. Was versäumt wurde, ist nicht nachzuholen. Heute ist klar: Die deutsche Frage wird nur in einem europäischen Rahmen lösbar.
Dies ist ein Gedanke, der bei aller Unterschiedlichkeit der politischen Standorte von Sprechern aller Parteien seit vielen Jahren geäußert wurde. Dabei meine ich nicht nur die Diskussion am Anfang dieser Republik, als der auch von Ihnen heute erwähnte Jakob Kaiser noch laut über Brückenfunktionen Deutschlands nachdachte, oder jene selbstquälerischen Überlegungen in der Union, die ihr Ja zur europäischen Verteidigungsgemeinschaft damit vor sich selbst rechtfertigen, daß wir nur so einen interessanten Preis in die Hand bekämen; denn dann hätten wir wenigstens unseren Austritt anzubieten. Ich denke auch an den Kollegen Pfleiderer, der schon 1952 bekannte, daß Deutschland allein als Mitte zu klein und zu schwach wäre, und sich nur ganz Europa als politische Mitte in einem noch weiteren Rahmen der kollektiven Sicherheit vorstellen zu können glaubte. Unvergessen bleibt Adenauers Erklärung, die der Bundeskanzler heute früh zitiert hat. Der erste deutsche Bundeskanzler konnte sich das Ende der Bündnisse vorstellen --ich auch. Vielleicht hat Adenauer dabei an das gedacht, was man heute das Offenhalten der deutschen Frage nennt. Es gibt zahlreiche Äußerungen des Bundeskanzlers Kiesinger, aber auch anderer Christdemokraten über eine europäische Friedensordnung. Ich will nur eine zitieren. Ich zitiere aus seinem ersten Bericht zur Lage der Nation:
Doch sollte die eigene Zukunft und auch die Zukunft eines vereinigten westlichen Europas nicht im festen Gefüge eines nordatlantischen Imperiums gesucht werden. Ein starkes, geeinigtes, mit Amerika freundschaftlich verbundenes Europa könnte eine Brücke zwischen West und Ost schlagen.