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ID0810411400

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    Vokabeln: 11
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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 8/104 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 104. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 21. September 1978 Inhalt: Fortsetzung der ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1979 (Haushaltsgesetz 1979) — Drucksache 8/2150 — in Verbindung mit Beratung des Finanzplans des Bundes 1978 bis 1982 — Drucksache 8/2151 — in Verbindung mit Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes, des Gewerbesteuergesetzes, des Umsatzsteuergesetzes und anderer Gesetze (Steueränderungsgesetz 1979) — Drucksache 8/2100 — in Verbindung mit Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Herabsetzung der flexiblen Altersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung für Schwerbehinderte (Fünftes Rentenversicherungs-Änderungsgesetz) — Drucksache 8/2101 — in Verbindung mit Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes — Drucksache 8/2102 — Strauß CDU/CSU 8173 C Hoppe FDP 8190 D Schmidt, Bundeskanzler 8195 B Dr. Jenninger CDU/CSU (zur GO) . . 8214 A Porzner SPD (zur GO) 8214 B Spitzmüller FDP (zur GO) . . . . . . 8214 C Dr. Kohl CDU/CSU 8218 C Mischnick FDP 8232 A Dr. Ehmke SPD 8235 C Dr. Biedenkopf CDU/CSU . . . . . . 8242 B Dr. Gruhl fraktionslos 8248 D Dr. Vogel, Bundesminister BMJ 8250 D Dr. Wittmann (München) CDU/CSU . . 8254 B Dr. Graf Lambsdorff, Bundesminister BMWi 8255 B II Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1978 Bahr SPD 8259 C Dr. Schwarz-Schilling CDU/CSU . . . 8264 D Dr. Mertes (Gerolstein) CDU/CSU . . . 8267 B Friedrich (Würzburg) SPD 8271 D Dr. Marx CDU/CSU 8276 A Dr. Riedl (München) CDU/CSU 8277 B Löffler SPD 8282 D Gärtner FDP 8285 B Wohlrabe CDU/CSU 8288 C Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Gesetz zur Änderung der Antragsfrist für den Lohnsteuer-Jahresausgleich — Drucksache 8/2088 —Gaddum, Staatsminister des Landes Rheinland-Pfalz 8215 A Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Gesetz über die Statistik im Handel und Gastgewerbe (Handelsstatistikgesetz) — Drucksache 8/2089 — Gaddum, Staatsminister des Landes Rheinland-Pfalz 8215 D Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Gesetz zur Anderung des Investitionszulagengesetzes und anderer Gesetze — Drucksache 8/2090 — Büchler (Hof) SPD 8216 B Dr. Warnke CDU/CSU 8217 B Engelhard FDP 8218 A Nächste Sitzung 8291 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 8293* A Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1978 8173 104. Sitzung Bonn, den 21. September 1978 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordneter) entschuldigt bis einschließlich Dr. Lenz (Bergstraße) 22. 9. Luster * 22. 9. Möhring 29. 9. Müller (Mülheim) * 22. 9. Müller (Wadern) * 21. 9. Nordlohne 29. 9. Peter 22. 9. Russe 22. 9. Sauer (Salzgitter) 29. 9. Saxowski 29. 9. Schmidthuber 22. 9. Schmidt (München) ' 22. 9. Schmidt (Wattenscheid) 22. 9. Schreiber * 22. 9. Schulte (Unna) 22. 9. Dr. Schwencke (Nienburg) * 22. 9. Dr. Schwörer * 22. 9. Seefeld * 22. 9. Sieglerschmidt ** 22. 9. Dr. Starke (Franken) * 22. 9. Stücklen 22. 9. Frau Dr. Walz * 22. 9. Wawrzik * 22. 9: Wissmann 22. 9. Würtz * 22. 9. Ziegler 6. 10. Zink 22. 9. für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments ** für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Abgeordneter) entschuldigt bis einschließlich Adams * 22. 9. Dr. van Aerssen * 22. 9. Dr. Ahrens ** 22. 9. Dr. Aigner * 22. 9. Alber * 22. 9. Dr. Bangemann * 21. 9. Dr. Barzel 22. 9. Dr. Bayerl * 22. 9. Dr. Becher (Pullach) 22. 9. Blumenfeld 22. 9. Dr. Dregger 6. 10. Erhard (Bad Schwalbach) 21. 9. Dr. Eyrich 22. 9. Fellermaier * 22. 9. Dr. Fuchs * 22. 9. Haase (Fürth) 22. 9. Haberl 27. 9. Hansen 28. 9. Hoffie 21. 9. Hoffmann (Saarbrücken) * 22. 9. Ibrügger * 6. 10. Dr. Jahn (Braunschweig) * 22. 9. Dr. h. c. Kiesinger 22. 9. Kleinert 21. 9. Dr. Klepsch * 21. 9: Klinker * 21. 9. Dr.-Ing. Laermann 22. 9. Lange * 21. 9. Lemp * 22. 9.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Graf Otto Lambsdorff


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich hatte im Grunde nicht die Absicht, in der heutigen Debatte noch zu sprechen, weil die wirtschaftspolitischen Themen insoweit, als sie mit dem Haushalt und dem Maßnahmenpaket verbunden sind, ausgiebig behandelt worden sind und weil, wie ich höre, in der nächsten Woche die Absicht besteht, eine Runde Debatte über das Sondergutachten des Sachverständigenrats von diesem Sommer zu führen.
    Aber ich denke, daß die Ausführungen des Kollegen Biedenkopf doch eine Entgegnung erwarten und verdienen. Ich möchte deswegen in der gebotenen Kürze — angesichts der fortgeschrittenen Zeit — einige Worte dazu sagen.
    Herr Biedenkopf, es ist bekannt — es hat ja auch in einigen Zeitungen gestanden —, daß sich die ordnungspolitischen Vorstellungen von uns beiden in Teilbereichen durchaus decken, man kann sogar sagen: in weitgehenden Teilbereichen. Es ist aber, Herr Biedenkopf, verhältnismäßig einfach — ich sage nicht: zu einfach, denn wir werden ja die Debatten in der Zukunft fortsetzen müssen —, ein ordnungspolitisches Gesamtbild zu zeichnen. Sie können auch sagen: eine Idealschau, obwohl es Ideale auf diesem Gebiet nicht gibt und sie auch nicht erreichbar sind. Ich will deswegen auch nicht unterstellen, daß Sie den Versuch machen. Aber schwierig wird es dann, wenn es darum geht, hic et nunc in diesen wirtschaftspolitischen Gegebenheiten bei den binnenwirtschaftlichen und außenwirtschaftlichen Abhängigkeiten in Einzelfragen Sachentscheidungen zu treffen.
    Ich möchte zwei Beispiele nennen. Sie haben über den sozialen Wohnungsbau gesprochen und gesagt, das sei ein Punkt, um im Haushalt Einsparungen vorzunehmen. Nun wird Ihnen, glaube ich, niemand bestreiten, daß im sozialen Wohnungsbau einiges überprüfenswert und änderungsbedürftig ist. Nur, ersatzlos? Geht das wirklich auf billigere Art und Weise? Muß nicht in dem Bereich des sozialen Wohnungsbaues, den ja Ihre Parteifreunde einmal erfunden hatten und der sich durch •Preisentwicklung, Zinsentwicklung, Mietenentwicklung inzwischen selbst in Frage gestellt hat, ein gewisses Angebot vorhanden sein? Muß nicht auf diesem Gebiet irgendwo etwas geschehen? Mit dem Schlagwort „Von der Objektförderung zur Subjektförderung" klingt das ganz gut. Nur wenn man das ausrechnet — deswegen erwarten einige einen Antwortsatz auf diesen Ihren Vorschlag —, ergibt das, daß es bei gleichbleibenden Anspruchsvoraussetzungen im Haushalt unendlich viel teurer wird.
    Die zweite Bemerkung, die Sie gemacht haben — ich verstehe das ja nach der Debatte, die hier gelaufen ist — und bei der Sie sehr im Ungewissen und im Unklaren oder im Vagen geblieben sind, bezog sich auf die Rentenversicherung. Herr Biedenkopf, ich bin weitgehend mit dem einverstanden, was Sie über die zukünftigen Belastungen gesagt haben. Ich glaube, es wird auch allgemein im Hause nicht bestritten, daß das in der Tat die Problematik der Rentenversicherung ist. Angesichts der Debatte, die wir hier im Hause mit Ihrer Fraktion geführt haben, und bei der Einsicht in die Probleme, die Sie hier lei- der nur angedeutet und nicht bis zu Ende dargelegt haben, verstehe ich allerdings nicht ganz, warum wir damals nicht Vorschläge von Ihnen bekommen haben, die im rechnerischen Ergebnis geeignet waren, die Lücke zu schließen, und die nicht zum Teil darauf aufbauten, daß eine bessere wirtschaftliche Entwicklung mit einer besseren Beschäftigung die Probleme schon lösen werde.

    (Dr. Waigel [CDU/CSU] : Warum haben Sie es nicht vor 1976 getan?)




    Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff
    Es ist zwar völlig richtig, daß eine solche Entwicklung die Probleme lösen könnte; aber sie zur Bedingung und zur Erwartung beim Ausgangspunkt für Entscheidungen zu machen reicht doch wohl nicht.

    (Dr. Waigel [CDU/CSU] : Warum haben Sie es nicht vor 1976 getan?)

    — Wir haben, Herr Waigel, Ihnen einen Vorschlag vorgelegt, der in der vorgesehenen Zeitperiode rechnerisch aufgeht und damit zunächst einmal eine ehrliche, klare Antwort ist.

    (Dr. Waigel [CDU/CSU] : Nicht vor der Wahl!)

    — Ich spreche von den letzten Rentenanpassungsfestlegungen.

    (Dr. Waigel [CDU/CSU]: Sie hätten es vorher schon tun können!)

    Ich rede über die Debatte. Ich rede ja gar nicht über politische Polemik und über politischen Streit, sondern ich rede einzig und allein über die Frage, ob man prozeßpolitisch, d. h. in Einzelentscheidungen, um in besserem Deutsch zu sprechen, denn eigentlich alles mit dem ordnungspolitischen Gesamtrahmen halb angedeutet stehenlassen kann, Herr Biedenkopf, wie Sie es hier getan haben.
    Im übrigen bin ich mit Ihnen einig, daß Wachstum alleine keine dauerhafte und verläßliche Basis für die Lösung unserer Probleme in den Größenordnungen, auf die wir uns in der Vergangenheit verlassen haben, bieten kann. Wir können nicht sicher damit rechnen. Das heißt nicht, daß man auf Wachstum verzichten kann oder verzichten möchte. Das heißt sehr wohl, daß man das, was vernünftigerweise — ich sage: vernünftigerweise - für mehr Wachstum geschehen kann, auch tun muß. Aber es fragt sich selbstverständlich, ob wir unsere binnenwirtschaftlichen Verpflichtungen im Rahmen des sozialen Sicherungssystems, das wir uns selbst geschaffen haben, und unsere außenwirtschaftlichen Verpflichtungen, insbesondere unsere entwicklungspolitischen Verpflichtungen in Demokratien
    — hier komme ich zu dem Satz aus dem Gipfelkommuniqué, den Sie zitiert haben —, die auf Wiederwahl ihrer politischen, parlamentarischen Vertreter angelegt sind, dann' durchsetzen könnten, wenn wir nicht vom Zuwachs, sondern vom Vorhandenen her abgeben und abliefern müßten. Ich beantworte die Frage gar nicht. Ich sage nur: Hier liegt die politische Problematik. Ich meine aus meiner Sicht, daß diese politische Problematik gegenüber unserer Bevölkerung, mit der notwendigen Unterstützung unserer Bevölkerung, nur unter Einschluß und Einbeziehung des Faktors Zeit gelöst werden kann; eine bruchartige Entwicklung ist keineswegs möglich.
    Nun ist in puncto Wachstum — das brauche ich Ihnen nicht zu sagen, und Herr Gruhl ist nach Verlesen seines Manuskripts, das dann im Wahlkampf abgedruckt und verteilt werden kann, schon wieder entschwunden — der Nachfragesektor des Konsumenten z. Z. überhaupt kein Problem bei uns. Ich habe die neuesten Zahlen der Wirtschaftsentwicklung hier. Die Konsumnachfrage macht uns gar keine Sorgen, das wissen wir alle. Also davon zu reden, wir wollten den Leuten noch mehr Autos in die Garage drücken und wir wollten ihnen noch mehr zum Verkonsumieren im Privathaushalt andrehen, das ist gar nicht unser Problem. Unser Problem ist, wie jedermann weiß, die Nachfrage nach Investitionsgütern.
    Sie sprachen, Herr Biedenkopf, von Haushaltsund Finanzpolitik, insbesondere Umverteilungspolitik. Ich bin Ihnen dankbar dafür, daß Sie einmal gesagt haben: Umverteilungspolitik ist in gewissem Maße und in gewissem Umfang selbstverständlich notwendig. Das hat langsam so einen touch bekommen, als sei das nur der unberechtigte Eingriff des Staates in fremder Leute Taschen. Sie haben gesagt, diese Umverteilungspolitik sei aus dem ordnungspolitischen Zusammenhang gelöst worden, insbesondere aus dem Leistungszusammenhang, und damit sei sie ergebnislos oder im Ergebnis negativ geworden. Sie werden mir erlauben, mindestens die Bitte zu äußern, einmal darüber nachzudenken, ob das nicht eine sehr monokausale Betrachtung ist und 'ob nicht sehr viele andere Umstände — wenn ich diesen als Teilumstand mit konzediere — dazu beigetragen haben, in einer Zeit, in der wir alle, meine Damen und Herren, die wir hier miteinander beschlossen haben — seit 1969, seit 1972 —, geglaubt haben, es sei doch fast alles in dieser Welt machbar oder wir könnten uns eigentlich alles leisten und alles schaffen. Wir sind ja erst nachher sehr ernüchtert worden und haben sehr schmerzlich zur Kenntnis nehmen müssen, daß das — —

    (Zuruf vön der CDU/CSU: Wir auch!)

    — Sie auch! Reden wir gar nicht über einzelne Akte und Zustimmungen! Ich kann das alles nachfragen: die Rentenentschlüsse von 1972, aber auch auf vielen anderen Gebieten. Ich will gar nicht um Einzelheiten rechten! Die Grundstimmung bei uns im Lande und auch hier im Hause lautete: Es geht alles!
    Wenn Sie daran die Bemerkung knüpfen, daß die Bereitschaft zur Solidarität durch kollektive Einrichtungen gelitten habe, ruiniert worden sei — Sie haben formuliert: man habe sich freigekauft von mitmenschlicher Solidarität durch kollektive Einrichtungen —, dann beinhaltet das im Grunde genommen die Frage, wo denn die Grenzen staatlichen Fürsorgens, staatlicher Sorge, staatlichen Wirkens in diesem Bereich liegen.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

    Es beinhaltet auch die Frage, die hier offen diskutiert worden ist — vor Jahren schon habe ich das von dieser Stelle aus mehrfach getan —, wo die Erfüllung und Befolgung des Sozialstaatsgebots für den einzelnen zur Plage werden kann, wo sich sehr wohlgemeinte Guttat, insbesondere die Bündelung vieler einzelner Guttaten, zur Belastung auswachsen kann. Das ist ein Thema, das uns immer wieder beschäftigen wird, aber ein Thema, bei dem selbstverständlich wir alle in diesem Hause, alle Fraktionen — wenn Sie so wollen: aus Ihrer Sicht — mit gesündigt haben, mitgewirkt haben; ich will Ihnen das im einzelnen nicht aufzählen: Kündigungsschutzbestimmungen, arbeitsrechtliche Lösung der Lohnfortzah-



    Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff
    lung, ist die Frage ,;Mindestlohn/Arbeitslosigkeit" wirklich ein ernsthaftes Problem, gehört das in diesen Bereich hinein? Es gibt einen großen Kreis von Fragen, über den man dann vorurteilsfrei diskutieren muß und den man dann nicht in den Bereich von Demontage sozialer Einrichtungen einbeziehen darf.
    Sie sagten, Herr Biedenkopf, die Grenzen der Handlungsspielräume seien. durch Inflation und durch Verschuldung erweitert worden. Es hat in der Tat einen Inflationsansatz in der Bundesrepublik gegeben. Wir haben diese Inflation sehr nachhaltig bekämpft. Wir haben dabei — Sie haben das als Tatbestand erwähnt; ich habe das hier immer einen Tatbestand, der zur Dankbarkeit verpflichtet, genannt — die Unterstützung der Bevölkerung gehabt, die Inflation — Gott sei Dank, kann ich nur sagen — nicht will. Insofern ist Stabilitätspolitik in der Bundesrepublik Deutschland immer leichter als Stabilitätspolitik in fast allen anderen westlichen Demokratien der Welt, weil es dort den Erfahrungstatbestand und daher auch die Unterstützung in dieser Form nicht gibt.
    Aber wenn Sie die Verschuldung dann als zweiten Weg ansehen, trennen sich allerdings unsere Auffassungen. Erstens, Herr Biedenkopf, ich behaupte — ich glaube, das läßt sich nachweisen —, auch wenn weitere Inflationspolitik gemacht worden wäre: In einem Zeitalter weltweiter und damit auch binnenwirtschaftlicher konjunktureller Schwächen — Sie wissen, daß ich nicht zu denen gehöre, die sagen, hausgemacht sei überhaupt nichts; ich sage nur, über den Prozentsatz kann man streiten — können Sie die weitere Verschuldung der öffentlichen Hand, wenn Sie akzeptieren, daß die öffentliche Hand dann in vernünftigem Umfang mit für Nachfrage und für Wirtschaftswachstum sorgen soll, auch nicht durch Inflation überspielen, sondern dann haben Sie beides. Ich glaube nicht, daß das ein Gegensatz ist.
    Deswegen ist es auch sicherlich falsch, daß Herr Strauß heute morgen die Forderung aufgestellt hat, die Steigerungsrate der öffentlichen Haushalte müsse sich am realen Wachstum des Bruttosozialprodukts orientieren und dürfe sie nicht überschreiten. Dieses hätte kontraktive Wirkungen auf die Gesamtwirtschaft. Der Staat kann sich überhaupt nicht an der realen Zuwachsrate orientieren. Bitte, denken Sie an den Ausgabenblock Gehälter, denken Sie an den Ausgabenblock Transferleistungen, die Sie ja nicht einfach gegenüber nominalen Steigerungen einfrieren können, und denken Sie nur einmal an die Bauinvestitionen, bei denen sich der Staat beim besten Willen nicht an der Entwicklung des realen Bruttosozialprodukts festhalten kann. Sie könnten keine Häuser mehr bauen, Sie könnten keine Infrastruktur mehr herstellen, wir hätten weder Krankenhäuser noch alle anderen Einrichtungen, die wir alle miteinander für notwendig halten, herstellen können.

    (Dr. Waigel [CDU/CSU]: Aber Sie wollen doch in der mittelfristigen Finanzplanung sogar noch darunter bleiben!)

    Natürlich ist es ein Problem, meine Damen und Herren — das haben Sie mit Ihrer 'Zwischenfrage angeschnitten, und das hat auch der Kollege Biedenkopf gesagt —, wie wir den Schuldenberg ohne Inflation abbauen können. Ich gestehe Ihnen ohne weiteres zu: das ist auch für uns und nicht nur für Sie ein Problem. Warum, Herr Waigel, haben wir wohl tagelang mit Vertretern der Bundesbank zusammengesessen, miteinander diskutiert und uns gefragt: Was können wir eigentlich noch an weiterer Verschuldung auf uns nehmen, was ist noch vertretbar, nicht nur vom Kapitalmarkt her gesehen, sondern auch unter dem Gesichtspunkt der mittelfristigen Finanzplanung und der immer wieder abgegebenen und von ehrlicher Absicht getragenen Erklärung, daß wir konsolidieren wollen? Keiner wäre doch so unvernünftig, dies nicht zu wollen, wenn er es könnte. Die Frage, ob man das in einer Zeit kann, in der die Grundlage dafür, nämlich wachsende Steuereinnahmen in einer wachsenden und sich bewegenden Wirtschaft, nicht in ausreichendem Maße vorhanden ist — —

    (Dr. Waigel [CDU/CSU] : Weil zuviel gesündigt wurde!)

    — Lassen Sie einmal die Ursachen im Augenblick beiseite, lassen Sie die Vergangenheitsbewältigung beiseite, sondern versuchen Sie, die Frage zu beantworten, wie das denn in der Zukunft geschehen kann, wie wir die jetzt schon vorhandenen Schulden, selbst wenn wir den Haushalt 1979 nicht hinzunehmen, abbauen können.
    Ich meine, es bleiben uns im Grunde genommen nur die Möglichkeit und der Weg, dafür zu sorgen, daß wir über bessere Rahmenbedingungen mehr Wachstum und damit Mehreinnahmen der öffentlichen Hand erzielen. Natürlich sind daneben Einsparungen der öffentlichen Hand notwendig. Das sei überhaupt nicht bestritten, und die Haushaltsberatungen werden das auch zeigen. Es ist Aufgabe des Parlaments, das zu ändern. Manchmal hat man den Eindruck, die Welt habe sich in den letzten 100 oder 150 Jahren — es ist hier viel über Geschichte geredet worden — gedreht. Früher ist das Parlament eingerichtet worden, um die Ausgaben der Souveräne zu beschneiden. Heute hat man manchmal den Eindruck, das Parlament sei dazu da noch mehr Ausgaben zu beschließen.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Es wäre durchaus zufriedenstellend, wenn die Kollegen aus dem Haushaltsausschuß, die gegen diese Äußerung sofort protestieren, recht behielten und sich in einigen Bereichen durchsetzen könnten.
    Und hier, Herr Biedenkopf, kommt Ihre Kritik am Weltwirtschaftsgipfel. Sie sagen, die Wahrscheinlichkeit einer Genesung aus diesen Maßnahmen heraus sei gering. Nun, das ist eine Einschätzung, die man Ihnen nicht widerlegen kann. Aber Sie hätten sagen oder uns die Frage stellen müssen — am besten aber sich selber — und dann versuchen sollen, sie zu beantworten, was denn Umfänglicheres, Besseres, Durchgreifenderes auf dieser Konferenz hätte beschlossen werden sollen. Ist es ein richtiger Ansatz, angesichts der ungeheuer eng gewordenen weltwirtschaftlichen Verflechtung zwischen den größten Industrienationen internationale



    Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff
    Kooperation und Solidarität zu versuchen? Ich denke, wir können uns schnell darüber einigen, daß das im Prinzip sicherlich kein falscher Ansatz ist. Sind die Maßnahmen, die wir dort beschlossen haben — jetzt sage ich: noch auf dem Gipfel, ich meine nicht unsere —, deswegen in der Tendenz und im Ansatz vernünftig? Ich behaupte, sie sind es gewesen. Ich verstehe im übrigen nicht ganz, meine Damen und Herren, warum wir das Ergebnis dieses Weltwirtschaftsgipfels, der zum Ansehen der' Bundesrepublik, und zwar von uns allen — ich sage: der Bundesrepublik, ich sage ausdrücklich nicht: der Bundesregierung —, in der Welt erheblich beigetragen hat — ich habe das in einer Reihe von Ländern bestätigt erfahren —, selber herunterspielen. Ist das nötig? Mir scheint es nicht sinnvoll zu sein.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Wenn der Ansatz richtig war, ergab sich dann die Frage: Was tut denn die Bundesrepublik Deutschland? Da hat Herr Kohl vorhin gesagt, ich hätte mich ja schon von Ferne geäußert. Im übrigen, je näher ich zum Bundeskanzleramt käme, um so weniger hörte man von meiner Stimme.

    (Dr. Waigel [CDU/CSU] : Das stimmt!)

    Nun, der Herr Bundeskanzler ist nicht da. Ich will ihn auch nicht auffordern, mir Betragensnoten für meine Lautstärke im Bundeskanzleramt oder kurz davor zu erteilen. Nur eines, Herr Waigel, darf ich Ihnen noch einmal versichern: Sie werden von mir nicht hören, daß ich vor unterschiedlichen Gremien unterschiedliche Ansichten und Meinungen zum selben Gegenstand vertrete. Das tue ich nicht, das werde ich auch in Zukunft nicht tun. Und was die Lautstärke anlangt, so habe ich bisher immer nur Klagen darüber gehört, daß sie. zu groß sei und nicht zu gering.
    Was wir dann, da wir uns zu einer Maßnahme verpflichtet haben, die dem entsprach, was unsere Partner auf sich nahmen, und ohne die wir nicht weggekommen wären, getan haben, hat nach meiner Überzeugung für unsere nationale Politik und auch für deren Taktik zwei Ergebnisse gehabt. Es hat erstens zum Ergebnis gehabt, daß wir vor der Gipfelkonferenz keine Beschlüsse auf den Tisch gelegt haben, die uns dort nicht mehr als das Zugeständnis honoriert und abgenommen worden wären, das wir in dieses — ich darf es einmal so sagen — Geschäft eingebracht haben. Deswegen ist es nicht richtig, wenn Herr Häfele gestern gesagt hat: Ihr seid mit euren Vorschlägen viel zu spät gekommen, die Beratungszeiten sind viel zu kurz. Das Letztere ist zwar objektiv richtig, aber politisch hätte es nichts gebracht. Es wäre ein grober Fehler gewesen, das, was wir dem Parlament jetzt vorschlagen und unmittelbar nach dem Gipfel verabschiedet haben, etwa schon vorher zu präsentieren, um es gewissermaßen bei unseren Partnern als bereits gegessen behandeln zu lassen.

    (Dr. Waigel [CDU/CSU] : Aber Sie haben es doch in Amerika verkündet!)

    Das zweite, meine Damen und Herren: Wenn wir zu Maßnahmen angehalten sind und uns zu Maßnahmen in einer bestimmten Größenordnung verpflichtet haben, ist es doch wohl richtig und nützlich, das zu tun, was wir im weiten Rahmen ohnehin für sinnvoll und unserer gegenwärtigen Situation für angemessen und angepaßt gehalten hätten.
    Nun habe ich gesagt, daß ich keine große Diskussion über dieses Gipfeltreffen, über das Maßnahmenpaket führen- will, weil darüber bereits gesprochen worden ist. Aber, Herr Kollege Biedenkopf, dies war der Ausgangspunkt. Wenn Sie mich fragen, so ist Ihr Urteil, das hülfe der Konjunktur nichts — Sie haben auch gesagt, das sei eine Fortsetzung schon bisher nicht hilfreicher Therapien gewesen —, nicht akzeptabel. Es ist erstens deswegen nicht akzeptabel, weil sich jeder, der sagt, die früheren zwölf oder 13 Programme — da gibt es jetzt so arithmetisch Begabte, die nachzählen—hätten nichts geholfen, die Gegenfrage stellen lassen muß: Was wäre denn wohl gewesen, wenn wir nichts getan hätten?

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Zweitens wissen auch Sie von der Opposition sehr wohl, daß sich dieses Maßnahmenpaket in seiner Struktur und in seinem Inhalt entscheidend und wesentlich von früheren Programmen unterscheidet. Es ist eben nicht das übliche und normale Konjunkturanfeuerungsprogramm — ich darf sagen: Keynesscher Prägung —, wie wir früher eine ganze Reihe gemacht haben, und zwar im wesentlichen aus zwei Gründen. Einer dieser Gründe ist praktischer Natur: Was der Staat in dieser Weise ausgibt — das Zukunftsinvestitionsprogramm beweist es noch einmal —, geht in allererster Linie in die Bauindustrie. Was hätte uns das um alles in der Welt geholfen? Es hätte die Preise in der Bauindustrie, die ohnehin rasch nach oben gehen, zum Überkochen gebracht. Das hätte also keinen Sinn gehabt.
    Der zweite Grund dafür, daß dieses Paket sinnvoll und daß diese Maßnahmen zweckmäßig gewesen sind, liegt darin — Herr Biedenkopf, hier bitte ich den konjunkturellen und den Wachstumseffekt nicht zu übersehen —, daß z. B. auch die Beseitigung der „Eigernordwand" einen dynamisierenden, wachstumsfördernden, Leistung freisetzenden Effekt hat. Ich glaube nicht, daß man das bestreiten kann. Man sollte nicht übersehen, daß es weitere Auswirkungen geben kann. Ich hoffe, daß es solche weiteren Auswirkungen gibt. Ich habe übrigens niemanden aufgefordert; das ist mißverstanden worden und steht auf einem anderen Blatt.
    Nach meiner Meinung ist das, was wir getan haben und was wir Ihnen vorschlagen, bei dem wir wissen, daß es Gegenstand der Diskussion, der Auseinandersetzung und eventuell auch von Korrekturen wird, ordnungspolitisch in Ordnung und vertretbar, Herr Biedenkopf, wachstumspolitisch sinnvoll, und zwar auch mit der Beseitigung der Lohnsummensteuer.
    Hier möchte ich eine Bemerkung zu dem machen, was Herr Häfele gesagt hat und was ich in mancher Kritik höre. Es heißt da, wir hätten diesen Lohnsummensteuerabschaffungsbeschluß nur vorlegen dürfen, wenn vorher der Ausgleich geregelt gewesen wäre.



    Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff
    Dies ist der Weg, um die Lohnsummensteuer niemals abzuschaffen.

    (Beifall bei der FDP)

    Nach meiner festen Überzeugung und meiner politischen, aber auch praktischen Erfahrung in anderen Bereichen war hier ein Datum zu setzen, das nun verpflichtet, die Lösung dafür zu finden, die auch gefunden werden muß, was ich nie bestritten habe. Andersherum wäre es überhaupt nie etwas geworden.
    Die Beseitigung des Tarifsprungs und die nachfragewirksamen Leistungen beim Kindergeld — lassen Sie mich von dem ganzen demographischen, bevölkerungspolitischen, Überlegungen hier nicht reden — gehören ebenfalls dazu.
    Herr Biedenkopf, das ist in gewissem Sinne eine Kurskorrektur. Sie haben von Kurskorrektur gesprochen; aber so, wie Sie das hier angedeutet haben oder 'wie man das verstehen mußte, kann Kurskorrektur nicht aussehen, daß man rapide eine halbe Kehrtwende um 90 Grad macht. Eine Volkswirtschaft, ein solcher Apparat, bewegt sich, wie meine Mitarbeiter zu sagen pflegen, wenn wir das anschaulich machen wollen, wie ein Schlachtschiff, und da sind Kurskorrekturen nur sehr graduell möglich. Sie sind auch nur möglich, Herr Biedenkopf, wenn sich das Schlachtschiff in Fahrt befindet, d. h. wenn es im Prozeß geschieht. Weil diese Kurskorrekturen nur möglich sind, wenn das Schiff in Fahrt ist, braucht man auch dazu Wachstum und muß man sich, ohne Wachstumsfetischist zu sein, darum kümmern, daß wir die Rahmenbedingungen dafür schaffen.


Rede von Dr. Hermann Schmitt
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Biedenkopf?

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Graf Otto Lambsdorff


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Ja, gern.