Rede:
ID0810409700

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Metadaten
  • insert_drive_fileAus Protokoll: 8104

  • date_rangeDatum: 21. September 1978

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    Plenarprotokoll 8/104 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 104. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 21. September 1978 Inhalt: Fortsetzung der ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1979 (Haushaltsgesetz 1979) — Drucksache 8/2150 — in Verbindung mit Beratung des Finanzplans des Bundes 1978 bis 1982 — Drucksache 8/2151 — in Verbindung mit Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes, des Gewerbesteuergesetzes, des Umsatzsteuergesetzes und anderer Gesetze (Steueränderungsgesetz 1979) — Drucksache 8/2100 — in Verbindung mit Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Herabsetzung der flexiblen Altersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung für Schwerbehinderte (Fünftes Rentenversicherungs-Änderungsgesetz) — Drucksache 8/2101 — in Verbindung mit Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes — Drucksache 8/2102 — Strauß CDU/CSU 8173 C Hoppe FDP 8190 D Schmidt, Bundeskanzler 8195 B Dr. Jenninger CDU/CSU (zur GO) . . 8214 A Porzner SPD (zur GO) 8214 B Spitzmüller FDP (zur GO) . . . . . . 8214 C Dr. Kohl CDU/CSU 8218 C Mischnick FDP 8232 A Dr. Ehmke SPD 8235 C Dr. Biedenkopf CDU/CSU . . . . . . 8242 B Dr. Gruhl fraktionslos 8248 D Dr. Vogel, Bundesminister BMJ 8250 D Dr. Wittmann (München) CDU/CSU . . 8254 B Dr. Graf Lambsdorff, Bundesminister BMWi 8255 B II Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1978 Bahr SPD 8259 C Dr. Schwarz-Schilling CDU/CSU . . . 8264 D Dr. Mertes (Gerolstein) CDU/CSU . . . 8267 B Friedrich (Würzburg) SPD 8271 D Dr. Marx CDU/CSU 8276 A Dr. Riedl (München) CDU/CSU 8277 B Löffler SPD 8282 D Gärtner FDP 8285 B Wohlrabe CDU/CSU 8288 C Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Gesetz zur Änderung der Antragsfrist für den Lohnsteuer-Jahresausgleich — Drucksache 8/2088 —Gaddum, Staatsminister des Landes Rheinland-Pfalz 8215 A Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Gesetz über die Statistik im Handel und Gastgewerbe (Handelsstatistikgesetz) — Drucksache 8/2089 — Gaddum, Staatsminister des Landes Rheinland-Pfalz 8215 D Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Gesetz zur Anderung des Investitionszulagengesetzes und anderer Gesetze — Drucksache 8/2090 — Büchler (Hof) SPD 8216 B Dr. Warnke CDU/CSU 8217 B Engelhard FDP 8218 A Nächste Sitzung 8291 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 8293* A Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1978 8173 104. Sitzung Bonn, den 21. September 1978 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordneter) entschuldigt bis einschließlich Dr. Lenz (Bergstraße) 22. 9. Luster * 22. 9. Möhring 29. 9. Müller (Mülheim) * 22. 9. Müller (Wadern) * 21. 9. Nordlohne 29. 9. Peter 22. 9. Russe 22. 9. Sauer (Salzgitter) 29. 9. Saxowski 29. 9. Schmidthuber 22. 9. Schmidt (München) ' 22. 9. Schmidt (Wattenscheid) 22. 9. Schreiber * 22. 9. Schulte (Unna) 22. 9. Dr. Schwencke (Nienburg) * 22. 9. Dr. Schwörer * 22. 9. Seefeld * 22. 9. Sieglerschmidt ** 22. 9. Dr. Starke (Franken) * 22. 9. Stücklen 22. 9. Frau Dr. Walz * 22. 9. Wawrzik * 22. 9: Wissmann 22. 9. Würtz * 22. 9. Ziegler 6. 10. Zink 22. 9. für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments ** für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Abgeordneter) entschuldigt bis einschließlich Adams * 22. 9. Dr. van Aerssen * 22. 9. Dr. Ahrens ** 22. 9. Dr. Aigner * 22. 9. Alber * 22. 9. Dr. Bangemann * 21. 9. Dr. Barzel 22. 9. Dr. Bayerl * 22. 9. Dr. Becher (Pullach) 22. 9. Blumenfeld 22. 9. Dr. Dregger 6. 10. Erhard (Bad Schwalbach) 21. 9. Dr. Eyrich 22. 9. Fellermaier * 22. 9. Dr. Fuchs * 22. 9. Haase (Fürth) 22. 9. Haberl 27. 9. Hansen 28. 9. Hoffie 21. 9. Hoffmann (Saarbrücken) * 22. 9. Ibrügger * 6. 10. Dr. Jahn (Braunschweig) * 22. 9. Dr. h. c. Kiesinger 22. 9. Kleinert 21. 9. Dr. Klepsch * 21. 9: Klinker * 21. 9. Dr.-Ing. Laermann 22. 9. Lange * 21. 9. Lemp * 22. 9.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Horst Ehmke


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Kohl, ich werde Ihnen jetzt einmal etwas sagen, worüber wir beide schon persönlich gesprochen haben. Ich halte es für unmöglich, daß. Sie — Sie haben mir dann gesagt, Sie haben nicht geschrieben, sondern es war nur ein Brief oder eine Gratulation — und viele Ihrer Parteifreunde im Wahlkampf mit der miesen Parole „Freiheit oder Sozialismus" von Herrn Filbinger —
    ausgerechnet von Herrn Filbinger — Arm in Arm mit einem Mann wie Ziesel gehen.

    (Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Mit Ziesel würde ich an Ihrer Stelle ruhig sein!)

    — Wieso soll ich denn ruhig sein? Herr Jenninger, Sie müssen einmal aufhören, Herrn Ziesel und die Soldatenzeitung zu zitieren und mich immer zum HJ-Gebietsführer zu machen. Wir können das gern einmal ausdiskutieren. Ich finde das komisch von Ihrer Partei. Ich diskutiere das gern einmal aus.

    (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Wer hat denn gesagt, Sie seien Gebietsführer? Was soll diese Torheit?)

    Herr Ziesel ist ein Mann, der Liberale und Demokraten quer durch die Parteien beleidigt. Dieser Mann war einer der widerlichsten Antisemiten des Dritten Reiches. Sie aber — auch Sie persönlich — machen mit ihm zusammen Wahlkampf unter der Parole „Freiheit oder Sozialismus".

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Und dann regen Sie sich auf, wenn der Bundeskanzler das sagt, was eben zitiert wurde.
    Wir wären sehr froh, wenn die Kräfte in der CDU — ich habe hier eben ein paar Namen genannt — stärker wären, die sagen: Das können wir nicht zulassen; wir wollen hier zwar die Macht; wir sind der Meinung; die Regierung macht Fehler; wir fallen aber nicht in die Klischees der deutschen Rechten zurück. — Wir glauben doch nicht, daß wir dieses Land allein regieren können. Wir wollen doch nicht, daß sich eine vierte Partei abspaltet. Wir wissen: Wir brauchen die CDU, so wie Sie uns brauchen. Dies muß aber eine CDU sein, die den Geist von 1945 und nicht den Ungeist von 1878 widerspiegelt.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Kohl [CDU/CSU] : Das ist doch absurd! Der Ungeist von 1878 heute!)

    Herr Kohl, lassen Sie mich nur noch folgendes sagen: Sie haben über Ihre europäischen Kollegen gesprochen. Wir haben doch hier wieder das gleiche Phänomen: Nach innen fängt eine verhängnisvolle Diskussion im Sinne der Tradition der deutschen Rechten an, und nach außen kommen Sie in die Gefahr der Selbstisolierung. Ich war neulich in Rom und hatte die Freude, von Ministerpräsident Andreotti eingeladen zu werden. *In einem einstündigen Gespräch hat er mir vor allem dies gesagt: Sagen Sie das, wo Sie gehen und stehen: Wir italienischen Christdemokraten wollen im Europäischen Parlament so konstruktiv, wie es geht, mit den Sozialisten zusammenarbeiten. Das gilt für die belgischen, für die spanischen und für die holländischen Christdemokraten. Er wundert sich, warum das für Sie, Herr Kohl, nicht gilt. Er hat mir gesagt: Aus meiner Sicht, aus meiner italienischen Situation heraus bin ich der Meinung, daß das ganz wichtig ist auch für den Versuch, die Eurokommunisten weiter nach vorwärts zu schieben, die ja in einer sehr ambivalenten Situation sind. — So ist doch die Lage.

    (Dr. Kohl [CDU/CSU] : So ist sie nicht!)




    Dr. Ehmke
    Welche von den christdemokratischen Parteien würden Sie denn zu einem Europawahlkampf mit der Parole „Freiheit oder Sozialismus" gewinnen können? Keine, weil diese Parteien Christdemokraten geblieben sind.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Sie müssen doch nicht glauben, daß Europa darauf wartet, noch einmal mit den unvergorenen Überbleibseln der historischen deutschen Rechten gesegnet zu werden. Europa hat genug davon.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Jetzt geht es wieder los! Und dann wundern Sie sich, wenn wir reagieren!)

    Dies ist nicht nur eine Frage der Auseinandersetzung zwischen uns. Der Spalt, der zwischen Ihnen und den anderen Christdemokraten in Europa deutlich wird, bedeutet vielmehr ein ganz zentrales Problem für die Sicherheit in Europa.

    (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Absurder Unsinn!)

    Man soll nicht glauben, Herr Kohl, man könnte Europa bis oben mit Waffen vollstopfen, dann einen ideologischen Bürgerkrieg mit der Parole „Freiheit oder Sozialismus" beginnen und dann meinen, Europa werde dadurch dem Druck aus dem Osten besser standhalten. Waffen nützen nichts, wenn in Westeuropa nicht unter den tragenden demokratischen Kräften Einigkeit darüber besteht, unseren Lebensweg gegenüber dem — immer deutlicher unglaubwürdig werdenden — Weg des Sowjetkommunismus zu verteidigen. Wir dürfen doch die Stärke, die uns aus der geschichtlichen Entwicklung, aus der Entspannungspolitik und auch aus der Entwicklung des Eurokommunismus zuwächst, nicht verschenken, indem wir die Geisterschlachten des vorigen Jahrhunderts noch einmal schlagen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Herr Kohl, ich verstehe ja Ihre Schwierigkeiten. Gute Opposition erfordert sehr viel Sachverstand, und gute Opposition erfordert sehr viel Fleiß. Beides kann durch Sprüche, wie Sie sie hier gemacht haben, nicht ersetzt werden. Das ist nicht nur zum Schaden der CDU, sondern zum Schaden der Debatte des ganzen Hauses.

    (Anhaltender, lebhafter Beifall bei der SPD und der FDP)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Biedenkopf.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Kurt H. Biedenkopf


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist nicht ganz einfach, nach der Rede des Herrn Kollegen Ehmke zum Haushalt zurückzufinden;

    (Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD] : Sie meinten: Des Herrn Kollegen Kohl!)

    über den wir eigentlich sprechen wollen. Ich möchte zu dem, was Sie, Herr Kollege Ehmke, soeben gesagt haben, nur drei kurze Bemerkungen machen.
    Erstens. Ich hätte nicht die geringsten Bedenken und würde es für eine sinnvolle Sache halten, an
    einer Veranstaltung teilzunehmen und sie auch mit zu veranstalten, bei der Herbert Wehner zum 20. Juli spricht.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Zweitens. Was Sie zu den Sozialistengesetzen vorgetragen haben und was nach Ihren eigenen Ausführungen ein Beitrag zum Geschichtsverständnis sein sollte — über das heute, wie ich glaube, zu Recht gesprochen worden ist —, hat mich sehr an das erinnert, was Sie selbst in Ihren Abschlußbemerkungen gesagt haben, also Sie von Geisterschlachten des vorigen Jahrhunderts sprachen.

    (Beifall bei der CDU/CSU) Es ist doch ziemlich absurd, jetzt


    (Zuruf des Abg. Dr. Ehmke [SPD])

    — dazu komme ich gleich — die Sozialistengesetze in einem Bundestag zu bemühen, in dem wir gestern die Einbringung des Haushalts durch einen sozialdemokratischen Finanzminister und heute die Rede eines sozialdemokratischen Bundeskanzlers gehört haben.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU)

    Entweder haben Sie so wenig Zutrauen zu sich selbst, daß Sie Ihre Schwäche noch immer durch historische Belastungen und Traumata erklären müssen. Oder ich schlage Ihnen vor, wir belassen es bei den Geisterschlachten des vorigen Jahrhunderts.

    (Zuruf des Abg. Dr. Ehmke [SPD])

    Drittens. Sie haben eine Frage von Helmut Kohl nicht beantwortet,

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Meine auch nicht! — Zuruf des Abg. Dr. Ehmke [SPD])

    — ich möchte das nur registrieren —, die Frage nach einem ähnlichen Zitat wie dem des Herrn Bundeskanzlers.

    (Dr. Ehmke [SPD] : Ich teile die Meinung! — Zuruf von der CDU/CSU: Das ist noch schlimmer!)

    — Das habe ich nicht anders erwartet Aber das bedeutet ja nicht, daß Sie die Frage beantwortet haben.
    Sie haben ja Beschwer über diffamierende Äußerungen über Sozialdemokraten geführt. Ich erinnere mich an eine auf Glanzpapier gedruckte Wahlkampfillustrierte der Sozialdemokratischen Partei aus dem Bundestagswahlkampf 1976, in der durch eine Grafik bereits auf dem Titelblatt dem interessierten Leser mitgeteilt wurde, daß die Wahl einer CDU-Regierung zur alsbaldigen Verwirklichung des Polizeistaats in der Bundesrepublik Deutschland führt.

    (Dr. Marx [CDU/CSU] : Eines totalitären Staats!)

    Ich glaube, Herr Ehmke, daß Sie auch dies zustimmend zur Kenntnis nehmen. Aber das macht es nicht besser.
    Ich möchte, wenn Sie es gestatten, zu einigen, wie ich glaube, Grundproblemen des Haushalts zurück-



    Dr. Biedenkopf
    kommen, der uns gestern vorgelegt wurde und über den wir heute in erster Lesung beraten.
    Mit .der Übernahme der Regierung durch die SPD/FDP-Koalition 1969 hat der damalige Bundeskanzler Brandt nicht nur eine neue Zeit für die Demokratie verkündet, eine Zeit, in der Demokratie zum ersten Mal wirklich gewagt werde, in der man zum ersten Mal wirklich reformieren werde und in der zum ersten Mal wirklich soziale Gerechtigkeit herrsche. Dieser Regierungswechsel war, wie sich. heute rückblickend zeigt, auch ein Wechsel in der Haushalts- und Finanzpolitik. Es war eine Strukturzäsur; es war ein Neubeginn, aber ein Neubeginn mit erheblichen Gefahren.
    Diese Veränderung in der Finanz- und Haushaltspolitik ist gekennzeichnet durch drei Elemente.
    Erstens. Die staatlichen Zuständigkeiten, wohlabgewogen in einer demokratischen Verfassung im Sinne auch der Begrenzung und der Beschränkung staatlicher Macht, sind weitgehend aufgehoben. Die staatlichen Zuständigkeiten sind entgrenzt worden. Der Staat war hinfort für alles zuständig.
    Zweitens. Die Erwartungen und Ansprüche der Menschen, immer in ungeheurer Zahl in der Gesellschaft vorhanden, wurden. freigesetzt. Sie wurden gewissermaßen entfesselt durch das Versprechen, daß der Staat in fast unbegrenztem Umfang umverteilen könne, ohne die Ordnung zu gefährden.
    Drittens. Diese neuartige Form der Politik wurde aus dem Ordnungszusammenhang gelöst, in den sie gehört und der allein Maßstäbe liefert für das Mögliche. Der Zusammenhang zwischen Finanz-
    und Haushaltspolitik einerseits und der Leistungsfähigkeit des gesamten Volkes und seiner Wirtschaft andererseits und den Aufgaben des Staates schließlich wurde aufgelöst.
    Die Herausnahme der Umverteilungspolitik aus diesem Zusammenhang hat Probleme zur Folge gehabt, die wir bis heute nicht bewältigt haben. Der vorgelegte Haushalt ist erneut ein Ausdruck der Unfähigkeit der Regierung, diesen Zusammenhang wiederherzustellen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Die Umverteilungspolitik, die in jedem Sozialstaat notwendig ist, deren Notwendigkeit von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion nie bestritten worden ist, auf der große Reformwerke wie z. B. die Rentenreform von 1957 basieren, ist aus dem Zusammenhang mit der Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft gelöst worden. Diese Herauslösung aus dem Zusammenhang mit der Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft geschah unter dem Eindruck eines Wirtschaftsbooms 1969/70, der der damaligen Regierunng gewissermaßen alle Möglichkeiten zur Reform zu öffnen schien, sozusagen ohne Rücksicht auf die Kasten.
    Es erfolgte die Herauslösung aus einem gesunden Verhältnis von kollektiver und personaler Solidarität. Ich kann das hier nicht vertiefen, aber einer der Hauptgründe für das Gefühl der Kälte, der Anonymität, für das Desinteresse, das gerade viele
    junge Menschen gegenüber unserer Gesellschaft heute empfinden, liegt darin, daß die Bereitschaft der Bevölkerung zur Solidarität inzwischen völlig von den kollektiven Systemen der Solidarität absorbiert wird und für den Menschen nichts übrig bleibt.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Auch dies ist eine Gefahr. Es ist eine Gefahr, die darin zum Ausdruck kommt, daß diejenigen, die an solidarische Systeme in hohem Maße leisten müssen — von Gesetzes wegen oder aus anderen Gründen —, sich selbst gewissermaßen als freigekauft empfinden von der Verpflichtung, für den Nächsten da zu sein. In dem Maße, in dem das kollektive System der Solidarität expandiert, wird ein immer größerer Teil der Bereitschaft der Menschen zur personalen Solidarität verbraucht, zerstört; die Welt wird kalt, abweisend, anonym und unwirtlich.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Der entscheidende Punkt aber — darauf möchte ich heute mein Hauptaugenmerk richten — ist folgender. Die Herauslösung der Umverteilungspolitik aus dem Gesamtzusammenhang hat im Ergebnis nicht zu einer Verbesserung der Verwirklichung des Auftrags des Sozialstaats geführt, sondern zu einer Verschlechterung. Ich lege großen Wert darauf, gerade dies in der gegenwärtigen Haushaltsdebatte im einzelnen zu begründen.
    Schließlich ist kennzeichnend für die Politik seit 1970, daß sich der Staat nicht mehr auf das beschränkt, was er leisten kann und worauf er sich beschränken muß, wenn er die Aufgaben, die er hat, wirklich ordnungsgemäß erfüllen will. Wir haben den Bundeskanzler .als Zeugen für die Klagen über die Verbürokratisierung. Er fordert die Architekten zum zivilen Ungehorsam auf. Er sagt, sie sollten die Bauvorschriften nicht mehr beachten. Er klagt über die Gasrechnungen. Er sollte mit den Mietern von Wohnungen der Neuen Heimat reden, die von Computern ausgedruckte viele Seiten umfassende Statistiken und Abrechnungen bekommen, die man allenfalls verstehen kann, wenn man ein volkswirtschaftliches Examen abgelegt hat. Diese Unterlagen werden als Beweis für die Notwendigkeit von Mieterhöhungen angeführt. Der Staat hat eine Fülle von zusätzlichen Aufgaben übernommen, aber keine wird mehr richtig gelöst.
    Aber das wirklich entscheidende Problem in diesem Zusammenhang ist, daß die Regierung unter der Verantwortung von Herrn Kollegen Brandt eine Art Gerechtigkeitsgarantie ausgesprochen hat. Das heißt, sie hat erklärt, der Staat könne jetzt unter sozialdemokratischer Herrschaft die Gerechtigkeit endlich und abschließend verwirklichen. Nun wissen wir alle, daß soziale Gerechtigkeit ein Auftrag unserer Verfassung ist. Wir wissen aber auch, daß dieser Auftrag nie ganz erfüllbar ist. Es wird immer etwas offen bleiben. Theoretisch kann ich das gesamte Bruttosozialprodukt für die Erzielung sozialer Gerechtigkeit einsetzen — und sie ist trotzdem nicht verwirklicht. Also muß ich Grenzen ziehen. Die Maßstäbe für diese Grenzziehung fehlen. Sie sind mit der Herauslösung der Wirtschafts-, Finanz-



    Dr. Biedenkopf
    und Haushaltspolitik aus dem Zusammenhang des Staates, aus dem ordnungspolitischen Zusammenhang zerstört worden.
    Meine Damen und Herren, vorhin hat es hier über die Frage, ob die Soziale Marktwirtschaft ein. Teil unserer Verfassungsordnung ist, eine merkwürdige Diskussion gegeben. Herr Ehmke hat uns insbesondere auf den Verstaatlichungsartikel verwiesen. Die Freien Demokraten waren bei der Diskussion im Parlamentarischen Rat — wenn ich mich richtig erinnere — besonders stolz darauf, daß es ihnen gelungen war, in diesen Verstaatlichungsartikel das Gebot der angemessenen Entschädigung einzuführen. Das hat Herr Ehmke nämlich nicht mitzitiert.

    (Dr. Ehmke [SPD] : Natürlich habe ich es mitzitiert!)

    — Nein.

    (Dr. Ehmke [SPD] : Ich habe den Artikel vorgelesen!)

    — Ja, aber Sie haben nachher nicht mehr davon gesprochen. Sie haben nur noch von der Möglichkeit der Verstaatlichung gesprochen und damit die gemischtwirtschaftliche Ordnung begründet.
    Daß wir in der Sozialen Marktwirtschaft eine gemischtwirtschaftliche Ordnung haben, ist bisher nie bestritten worden.

    (Dr. Kohl [CDU/CSU]: Von keinem!)

    Daß der Staat in der Sozialen Marktwirtschaft Aufgaben hat, daß Monopolleistungen vom Staat angeboten werden müssen, das haben wir nie bestritten. Das war immer ein Teil der Sozialen Marktwirtschaft.

    (Dr. Kohl [CDU/CSU]: Siehe Bahn!)

    Deshalb ist das ein reines Schattenboxen.
    Worauf es ankommt, ist etwas völlig anderes. Worauf es ankommt, ist die Frage, ob z. B. die Tarifautonomie der Gewerkschaften in einer anderen politischen Wirtschaftsverfassung verwirklichbar wäre als in der der Marktwirtschaft. Die Antwort ist nein.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Es gibt in einer Planwirtschaft keine Tarifautonomie. Da gibt es zwar einen Freien Deutschen Gewerkschaftsbund, der der Transmissionsriemen von parteipolitischen Äußerungen in die Bevölkerung und die Arbeitnehmerschaft ist und der im übrigen ein Disziplinierungsinstrument zur Niederhaltung des Unwillens der Unterdrückten ist,

    (Zuruf des Abg. Haase [Kassel] [CDU/CSU])

    aber eine Tarifautonomie, so, wie sie gerade die Sozialdemokratische Partei erkämpft hat und wie sie die Gewerkschaften erkämpft haben, kann sich nur in der freien Wirtschaftsordnung entfalten, weil es nur dort für die Gewerkschaften den freien Partner gibt, mit dem sie reden können, den freien Unternehmer.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    In dem Augenblick, in dem dieser freie Unternehmer entfällt, sind die Gewerkschaften entweder Gesprächspartner des Staates, oder sie sind funktionslos. Wenn sie Gesprächspartner des Staates sind und wenn der Staat wirklich alle Mittel an sich zieht, die er an sich ziehen kann, dann sind sie auch einflußlos.

    (Dr. Ehmke [SPD] : Das ist idealtypische Spielerei!)

    — Das ist überhaupt keine idealtypische Spielerei, Herr Ehmke. Das paßt bloß nicht in Ihr Konzept. Das ist das Entscheidende.

    (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Wo gibt es in der Welt ein anderes Beispiel?)

    Es gibt Tarifautonomie nur in einer Ordnung der Freiheit; denn Tarifautonomie ist Freiheit.
    Die Entgrenzung, von der ich sprach, und die Freisetzung der Haushaltspolitik haben für die Koalition seit 1970 eine dramatische Folge gehabt. Diese dramatische Folge kommt auch im jüngsten Haushalt wieder zum Ausdruck. Sie läßt sich mit dem Satz umschreiben, daß seitdem Sozialdemokraten und Freie Demokraten die Verantwortung in der Bundesrepublik Deutschland übernommen haben, dieses Volk durch die Politik nicht mehr mit dem auskommt, was es erwirtschaftet. Das heißt, es ist der Regierung seit 1970 nicht mehr gelungen, in der Umverteilungspolitik im Rahmen dessen zu bleiben, was erwirtschaftet worden ist. Die Handlungsspielräume durch das Erwirtschaftete waren zu klein. Also mußte man sie erweitern.
    Es gibt zwei Möglichkeiten, die Handlungsspielräume zu erweitern. Die eine ist die Inflation, die andere ist die Verschuldung. Die Regierung ist zunächst den Weg der Inflation gegangen. Sie hat schließlich Inflationsraten, bis zu 8 % in Kauf genommen oder sogar toleriert. Was ist Inflation? Inflation ist die Enteignung der Bürger, die auf die Stabilität des Geldwertes vertrauen. Das heißt: Inflation ist rechtswidrige Enteignung.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir wissen aus der Beobachtung der Zeit bis zur Abnahme der Inflationsraten, daß diese Inflationsenteignung letztlich die schwachen Gruppen trifft, diejenigen, die sich nicht organisieren können, die keine Dynamisierung ihrer Leistungen durchsetzen können, also die Nichtorganisierten und die Schwachen in der Gesellschaft. An ihnen bleiben die Kosten für eine Politik hängen, die aus Mangel an Führung nicht in der Lage ist, mit dem auszukommen, was die Bevölkerung an Steuern zur Verfügung stellt.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Aber die Bürger — auch die schwachen und armen — können sich wehren. Sie haben eine Stimme. Sie können mit ihrer Stimme in der Abstimmung sagen: Wir wollen keine Inflation. Seit 1974 haben die Bürger in der Bundesrepublik Deutschland in Wahl nach Wahl gesagt: Wir wollen keine Inflation.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    1976 hat die SPD/FDP-Koalition in der Bundestagswahl fast die Mehrheit verloren, weil die Bürger



    Dr. Biedenkopf
    keine Inflation wollten. Daraufhin wurde der Regierung dieser Ausweg aus ihrer Führungsschwäche, nämlich der Ausweg der Inflation, zu gefährlich, und .sie wählte den anderen Ausweg, nämlich den der Verschuldung.
    Meine Damen und Herren, wenn Sie die Entwicklung der Inflationsraten und die Entwicklung der Verschuldungsraten in der Bundesrepublik Deutschland seit 1970 nebeneinander legen, werden Sie feststellen, daß die öffentliche Verschuldung in dem Maße ansteigt, in dem die Inflationsraten zurückgehen. An die Stelle der Inflation — sprich: der Enteignung der gegenwärtig lebenden stimmberechtigten Generationen — tritt die Verschuldung als Mittel der Enteignung der zukünftigen, noch nicht stimmberechtigten Generationen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Genau dies ist die Grundtendenz in der Haushaltspolitik, so wie sich der neue Haushalt darstellt. Das soziale Problem der Umverteilung wird dadurch gelöst, daß das Prinzip der Solidarität und der sozialen Gerechtigkeit im Verhältnis zu den nachwachsenden Generationen verletzt wird. Es gibt aber kein unsozialeres Verhalten in der Politik als das Abladen von Lasten der eigenen Unfähigkeit auf die, die keine Stimme haben und sich deshalb in der Demokratie nicht zur Wehr setzen können.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Dies ist im letzten Haushalt wieder ganz deutlich zum Ausdruck gekommen. Es ist gar keine Frage: die nachwachsenden Generationen haben keine Stimme, sie haben keine Organisation und sie haben — wie dieser Haushalt erneut deutlich macht — die Regierung als Anwalt verloren.
    Diese Verletzung des Solidaritätsprinzips — das wird auch Herrn Ehrenberg interessieren müssen — ist neben der ohnehin bestehenden Schwierigkeit im Rentensystem eine der Hauptgründe für die Gefährdung unserer Rentenversicherung. Die Rentenversicherung in der Bundesrepublik Deutschland baut auf der Annahme auf, daß die nachwachsenden Generationen bereit sein werden, die Verpflichtungen einzulösen, die zugunsten der Beitragszahler heute begründet werden. Wer heute Beiträge zahlt, löst eine Verpflichtung gegenüber den Älteren ein und bekommt dafür einen Anspruch gegen die nachwachsende Generation auf eine gleiche Leistung. Diese Verpflichtung der nachwachsenden Generation ist eine politische, keine nur rechtliche Verpflichtung. Die nachwachsende Generation kann sich dieser rechtlichen Verpflichtung durch Gesetzesänderung entziehen, wie uns gerade die durch die Sozialdemokraten geführte Bundesregierung in der jüngsten Rentengesetzgebung vor Augen geführt hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Das heißt, unsere Rentenversicherung beruht auf der Bereitschaft der nachwachsenden Generationen zur Solidarität.
    Die Rentenversicherung ist auf Sand gebaut, ihre Stabilität gegenüber der Bevölkerung zu behaupten und damit Stimmen zu kassieren wäre deshalb betrügerisch, wenn wir durch unser eigenes Handeln die Bereitschaft der nachwachsenden Generationen zur Solidarität in Frage stellen. Genau dies tut aber eine Politik, die die Lasten ihrer heutigen Unfähigkeit zu regieren durch Wechsel ausgleicht, die auf die nachwachsenden Generationen gezogen sind; denn diese nachwachsenden Generationen müssen dann nicht nur das bezahlen, was wir heute über unsere Verhältnisse hinaus verbrauchen, sondern außerdem noch auch die Verpflichtungen einlösen, die wir zu ihren Lasten begründet haben — dies bei einer abnehmenden Bevölkerungzahl —, so daß sie mit Fug und Recht sagen werden: Wir sind euch zur Solidarität nicht verpflichtet, denn ihr habt das Prinzip der sozialen Gerechtigkeit uns gegenüber auf das eklatanteste verletzt.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, eine Politik dieser Art ist eine Politik ohne Zukunft. Es ist jedenfalls eine Politik ohne Zukunft in einer freiheitlichen Demokratie. Trotzdem werden uns immer neue Wohltaten vorgetragen. Aber die Regierung, die sie vorträgt, der Bundeskanzler, der damit um Stimmen wirbt, kann keine einzige Wohltat mehr vortragen, die er noch bezahlen kann;

    (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

    denn alles, was jetzt schon an Wohltaten in Aussicht gestellt wird, läßt sich gar nicht mehr durch das bezahlen, was wir erwirtschaften.
    Es ist viel von der Stabilität unseres Landes die Rede gewesen. Unser Land ist zur Zeit stabil. Herr Schmidt hat deshalb Herrn Kollegen Strauß vorgehalten, es wäre redlich gewesen, wenn Herr Strauß darauf hingewiesen hätte, daß wir den höchsten Lebensstandard, die höchsten Reallöhne, eine hohe Stabilität etc. haben. Meine Damen und Herren, diese Stabilität ist eine Scheinstabilität. Wir bezahlen sie durch Substanzverbrauch.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir verbrauchen die Substanz. Wir verbrauchen die Kapitalsubstanz in unserem Lande — die Eigenkapitalbildung geht ,ständig zurück. Wir verbrauchen die Humansubstanz — die Bevölkerung geht ständig zurück; das sind ja auch persönliche Ermessensentscheidungen privater Haushalte. Und wir verbrauchen die Vertrauenssubstanz.
    Meine Damen und Herren, wenn die Welt so wäre, wie der Bundeskanzler sie darstellt, dann würden die Bürger in der Bundesrepublik Deutschland doch investieren. Wenn die Zukunft so rosig wäre, wie sie uns geschildert wird, dann würde man doch das Geld in diese Zukunft investieren, statt es auf der Sparkasse zu parken, bis man weiß, wofür man es ausgeben soll. Wenn die Zukunft so optimistisch wäre, dann hätten doch die Menschen bei uns mehr Kinder, als sie tatsächlich haben. Aber die SPD-Reformpolitik führt eben nicht zum Optimismus.
    Herr Kollege Brandt, Sie haben 1970 eine Reformpolitik ausgerufen und behauptet, sie ließe sich bezahlen. Wenn man auf der Basis von 1970 bis 1977 einschließlich rechnet, dann stellt sich heraus: Die Steigerung der Steuereinnahmen betrug jährlich



    Dr. Biedenkopf
    9,5 %, die Steigerung der Zinsausgaben betrug jährlich 17,2 %. Diese Entwicklung in die Zukunft fortgeschrieben, erreichen die Zinsausgaben die gesamten Steuereinnahmen im Jahre 2016. Das heißt, in 38 Jahren gerechnet von heute, müssen wir die gesamten Steuereinnahmen einsetzen, um die Zinsen zu bezahlen. Selbst Herr Brandt hat wohl nicht damit gerechnet, daß seine Politik in so kurzer Zeit zur Einlösung der marxistischen Utopie von der Selbstauflösung des Staates führen würde.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU -Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Wann wird die Bundeswehr aufgelöst? Ein Jahr vorher?)

    Tatsächlich ist eine solche politische Entwicklung nicht zu erwarten. Wir wissen, daß das nicht geht. Aber wir wissen nicht, wie man sie verändern will. Der entscheidende Grund für den Vertrauensmangel in diesem Land ist, daß die Regierung keine Auskunft darüber geben kann, wie sie dieses Dilemma auflösen will.
    Wir haben in diesem Haushalt wieder eine Nettoverschuldung, die höher ist als die des letzten Haushalts. Wir haben wieder gehört, daß die mittelfristige Konsolidation der Haushalte notwendig sei. Wir haben das schon seit vier Jahren gehört. Wir hören jedes Jahr, mittelfristig müsse der Haushalt konsolidiert werden. Keynes hat einmal gesagt: Langfristig sind wir alle tot.
    Was die Menschen im Land wissen wollen, ist: Wie läßt es sich denn vermeiden, diesen wachsenden Schuldenberg ohne neue Inflation oder ohne Währungsschnitt abzubauen? Sie können nicht erwarten, daß ein Bürger in eine zwanzig- oder dreißigjährige Zukunft investiert, wenn ihm diese Frage nicht beantwortet werden kann. Sie können nicht erwarten, daß er Zukunftsoptimismus hat, wenn auf diese Frage die Antwort ausbleibt.
    Nun wird der Haushalt mit dem Weltwirtschaftsgipfel gerechtfertigt. Dazu möchte ich mich noch kurz äußern. Es könnte ja sein, daß dieser Weltwirtschaftsgipfel eine solche Politik jedenfalls vorübergehend noch einmal rechtfertigen könnte. Herr Matthöfer hat uns vorgetragen, die Verschuldung sei notwendig, um die Konjunktur zu stützen und um die internationale Situation zu verbessern. Wie steht es mit diesen beiden Notwendigkeiten?
    Zunächst was die Stützung der Konjunktur anbetrifft: Dieses Programm in Einlösung des Bonner Weltwirtschaftsgipfels ist das 13. Programm der Bundesregierung zur Stützung der Konjunktur. Die zwölf vorausgegangenen haben einen Betrag von insgesamt 35 Millionen DM verbraucht. Ein wesentlicher Teil dieses Betrages ist durch Schulden finanziert worden. Zu einer Stimulierung, Wiederbelebung der Wirtschaft, der Investitionstätigkeit im privaten Sektor, des Abbaus der Arbeitslosigkeit haben diese Programme nicht geführt. Es läßt sich also zumindest die Frage aufwerfen, was denn dieses 13. Programm von den anderen so fundamental unterscheidet, daß wir damit rechnen können oder dürfen, jetzt plötzlich eine so intensive Belebung zu erfahren, daß nicht nur die Bundesrepublik, sondern
    ganz Europa davon genesen kann. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist sehr gering.