Rede:
ID0810407800

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Metadaten
  • insert_drive_fileAus Protokoll: 8104

  • date_rangeDatum: 21. September 1978

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    Plenarprotokoll 8/104 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 104. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 21. September 1978 Inhalt: Fortsetzung der ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1979 (Haushaltsgesetz 1979) — Drucksache 8/2150 — in Verbindung mit Beratung des Finanzplans des Bundes 1978 bis 1982 — Drucksache 8/2151 — in Verbindung mit Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes, des Gewerbesteuergesetzes, des Umsatzsteuergesetzes und anderer Gesetze (Steueränderungsgesetz 1979) — Drucksache 8/2100 — in Verbindung mit Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Herabsetzung der flexiblen Altersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung für Schwerbehinderte (Fünftes Rentenversicherungs-Änderungsgesetz) — Drucksache 8/2101 — in Verbindung mit Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes — Drucksache 8/2102 — Strauß CDU/CSU 8173 C Hoppe FDP 8190 D Schmidt, Bundeskanzler 8195 B Dr. Jenninger CDU/CSU (zur GO) . . 8214 A Porzner SPD (zur GO) 8214 B Spitzmüller FDP (zur GO) . . . . . . 8214 C Dr. Kohl CDU/CSU 8218 C Mischnick FDP 8232 A Dr. Ehmke SPD 8235 C Dr. Biedenkopf CDU/CSU . . . . . . 8242 B Dr. Gruhl fraktionslos 8248 D Dr. Vogel, Bundesminister BMJ 8250 D Dr. Wittmann (München) CDU/CSU . . 8254 B Dr. Graf Lambsdorff, Bundesminister BMWi 8255 B II Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1978 Bahr SPD 8259 C Dr. Schwarz-Schilling CDU/CSU . . . 8264 D Dr. Mertes (Gerolstein) CDU/CSU . . . 8267 B Friedrich (Würzburg) SPD 8271 D Dr. Marx CDU/CSU 8276 A Dr. Riedl (München) CDU/CSU 8277 B Löffler SPD 8282 D Gärtner FDP 8285 B Wohlrabe CDU/CSU 8288 C Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Gesetz zur Änderung der Antragsfrist für den Lohnsteuer-Jahresausgleich — Drucksache 8/2088 —Gaddum, Staatsminister des Landes Rheinland-Pfalz 8215 A Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Gesetz über die Statistik im Handel und Gastgewerbe (Handelsstatistikgesetz) — Drucksache 8/2089 — Gaddum, Staatsminister des Landes Rheinland-Pfalz 8215 D Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Gesetz zur Anderung des Investitionszulagengesetzes und anderer Gesetze — Drucksache 8/2090 — Büchler (Hof) SPD 8216 B Dr. Warnke CDU/CSU 8217 B Engelhard FDP 8218 A Nächste Sitzung 8291 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 8293* A Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1978 8173 104. Sitzung Bonn, den 21. September 1978 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordneter) entschuldigt bis einschließlich Dr. Lenz (Bergstraße) 22. 9. Luster * 22. 9. Möhring 29. 9. Müller (Mülheim) * 22. 9. Müller (Wadern) * 21. 9. Nordlohne 29. 9. Peter 22. 9. Russe 22. 9. Sauer (Salzgitter) 29. 9. Saxowski 29. 9. Schmidthuber 22. 9. Schmidt (München) ' 22. 9. Schmidt (Wattenscheid) 22. 9. Schreiber * 22. 9. Schulte (Unna) 22. 9. Dr. Schwencke (Nienburg) * 22. 9. Dr. Schwörer * 22. 9. Seefeld * 22. 9. Sieglerschmidt ** 22. 9. Dr. Starke (Franken) * 22. 9. Stücklen 22. 9. Frau Dr. Walz * 22. 9. Wawrzik * 22. 9: Wissmann 22. 9. Würtz * 22. 9. Ziegler 6. 10. Zink 22. 9. für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments ** für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Abgeordneter) entschuldigt bis einschließlich Adams * 22. 9. Dr. van Aerssen * 22. 9. Dr. Ahrens ** 22. 9. Dr. Aigner * 22. 9. Alber * 22. 9. Dr. Bangemann * 21. 9. Dr. Barzel 22. 9. Dr. Bayerl * 22. 9. Dr. Becher (Pullach) 22. 9. Blumenfeld 22. 9. Dr. Dregger 6. 10. Erhard (Bad Schwalbach) 21. 9. Dr. Eyrich 22. 9. Fellermaier * 22. 9. Dr. Fuchs * 22. 9. Haase (Fürth) 22. 9. Haberl 27. 9. Hansen 28. 9. Hoffie 21. 9. Hoffmann (Saarbrücken) * 22. 9. Ibrügger * 6. 10. Dr. Jahn (Braunschweig) * 22. 9. Dr. h. c. Kiesinger 22. 9. Kleinert 21. 9. Dr. Klepsch * 21. 9: Klinker * 21. 9. Dr.-Ing. Laermann 22. 9. Lange * 21. 9. Lemp * 22. 9.
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    Rede von Wolfgang Mischnick


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Sie werden nie erleben, daß ich über Bundesorgane in herabsetzender Weise spreche; ich denke gar nicht daran.

    (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Ich spreche nicht von Ihnen! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU: Sie nicht!)

    — Ich weiß, daß Sie nicht von mir reden, aber ich wollte das einmal feststellen. Nur wäre ich dann, Herr Kollege Kohl, auch hier dankbar, wenn man bei den Sachentscheidungen eben wirklich zwischen dem, was das Grundgesetz gewollt hat, und dem, was es nicht gewollt hat, unterschiede.
    Ich war z. B. gestern der Meinung, daß die Stellungnahme des Ministerpräsidenten Späth zur Auseinandersetzung über Steuergesetzgebung und Steuerverteilung ein Gebiet betraf, auf dem die Länder vollkommen zu Recht mitzureden haben. Aber dann, wenn es um die Kriegsopferversorgung geht und versucht wird, dort eine Sperre aufzubauen, ist das eben ein typisches Beispiel für einen Fall, in dem dieses Recht nach dem Grtindgesetz nicht vorhanden ist, wo man also damit Parteipolitik



    Mischnick
    machen will. Dies werden wir immer klar zu unterscheiden wissen.

    (Beifall bei der FDP und der SPD — Dr. Kohl [CDU/CSU] : Und wie war das bei Reinhold Maier und der EVG?)

    — Lieber Herr Kollege Kohl, daß Sie mir dieses Stichwort geben, ist ganz hervorragend. Wissen Sie, warum? Weil Reinhold Maier über den Bundesrat eine politische Meinung klar geäußert, aber nicht den Versuch gemacht hat, die EVG tatsächlich per Abstimmung zu Fall zu bringen.

    (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Er hat keine Abstimmung zugelassen!)

    Die Entscheidung in diesem Raum fiel in eine andere Richtung, weil man sehr schnell gemerkt hatte, daß die Europäische Verteidigungsgemeinschaft in ihrer Grundkonzeption schlechter war als das, was wir heute mit der NATO haben. Das ist der politische Grund gewesen, und damit ist das aufgenommen worden, was Reinhold Maier an politischen Bedenken damals gehabt hat. Es ist aber nicht mit einer rechtlichen Entscheidung oder einer gesetzlichen Entscheidung oder einer Abstimmungsentscheidung vorgegangen worden. Dies sollten Sie bedenken, wenn Sie diesen Fall hier aufbringen.
    Nun ist, meine Damen und Herren, in der Debatte auch mehrfach die Geschichte als eines Teilpunkts, insbesondere als eines Unterrichtspunkts aufgenommen. Es wurde gefordert, das Geschichtsverständnis in unserem Volke zu erhalten bzw. zu wecken. Ich teile diese Meinung. Es muß auch verlangt werden, Geschichte als einen Teil unserer Vergangenheitsbewältigung zu sehen.
    Hier möchte ich anknüpfen. Wenn ich sehe, wie — mit Recht — die Betonung auf dem Fach, auf dem Teilgebiet „Geschichte" liegt, frage ich mich doch: Wie halten es diejenigen, die dies so betonen, mit der Vergangenheitsbewältigung, wenn ständig das gegenseitige Aufrechnen bezüglich der Vergangenheit erfolgt? Muß dann nicht gerade bei den jungen Menschen der Eindruck entstehen, hier gehe es nicht hauptsächlich um eine objektive Unterrichtung, sondern in erster Linie entweder um ein Nachvollziehen eigener Versäumnisse oder aber, wenn etwas nicht geschehen ist, um ein falsches Nacharbeiten?
    Wenn man davon spricht — mit Recht —, daß man den 18- oder 19jährigen 1978 den politischen Irrtum zugestehen will und muß, und wenn man weiter sagt, man müsse ihn auch für 1935 zugestehen — ich bin völlig dieser Meinung —, wieso dann eigentlich nicht für 1926? Denjenigen, der mit 18 Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg — im Dritten Reich oder in der Weimarer Republik — etwas geschrieben und vertreten hat, anders zu behandeln als den, der das mit 18 Jahren 1978 gemacht hat, ist genauso eine Inkonsequenz. Wir haben ja die Zitate eines unserer jungen Freunde aus jungen Jahren eines anderen Kollegen hier erlebt. Da ist der Punkt, wo mit Recht die Frage junger Menschen kommt: Seid ihr denn konsequent, oder habt ihr nicht eine doppelte Moral; wenn es ins politische Konzept paßt, ist die Jugendsünde vergeben, wenn
    es nicht ins politische Konzept paßt, ist die Jugendsünde nicht vergeben!

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Das kann nicht zur Staatsbegeisterung, zum Staatsinteresse führen. Dies müssen wir ausräumen.
    Wenn wir immer wieder apellieren, zu einer gemeinsamen Handhabung des Radikalenerlasses zu kommen, dann doch nicht, wie es manchmal unterschwellig verbreitet wird, um nun Verfassungsfeinde in den Staatsdienst hineinzuholen. Vielmehr geht es darum, endlich zu erreichen, daß der von uns gemeinsam in den Jahren seit 1949 aufgebaute Staat gemeinsam verteidigt wird, aber auch, daß die Freiheitsrechte dieses gemeinsamen Staates nicht an bestimmten Punkten außer Kraft gesetzt, durch Schnüffelei ersetzt werden. Das ist der Punkt, um den es hier geht.
    Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, Sie müßten doch ein Interesse daran haben, hier mit uns gemeinsam zu klaren gesetzlichen Regelungen zu kommen. Das ist möglich. Ich habe den Eindruck, viele wollen da nicht gern heran, weil das so ein Knüppel-aus-dem-Sack ist, den man politisch immer wieder einmal verwenden kann, um die Zuverlässigkeit anderer in Frage zu stellen. Genau das aber ist schädlich für diesen freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat.
    Herr Kollege Kohl, Sie haben auch davon gesprochen, daß wir nun endlich mit der Entbürokratisierung ernst machen sollen. Sie haben angeboten, z. B. beim Baurecht, zu gemeinsamen Überlegungen zu kommen. Ich nehme dieses Angebot sehr ernst. Wir müssen prüfen, inwieweit Gesetze, die wir hier erlassen haben — meistens gemeinsam —, in ihren Auswirkungen bürgerfeindlich sind. Ich habe allerdings bei vielen Diskussionen draußen im Lande, an Informationsständen, in Versammlungen festgestellt, daß beim Nachbohren herauskommt, daß gar nicht die Gesetzesfassung das Problem ist, sondern daß die Probleme in dem liegen, was dann in den Ländern und Gemeinden durch Erlasse, Verordnungen, Rundschreiben und sonstige zusätzliche Dinge an Erschwernissen hinzugepackt worden ist, die wir als Gesetzgeber gar nicht wollten.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Das geht quer durch. Das ist nicht eine Frage dieser oder jener Landesregierung. Aber wenn das so ist, dann sollten wir doch gemeinsam über die von Ihnen angebotene Parteischiene nach oben auch nach unten darauf hinwirken, daß entsprechend verfahren wird.
    Sie haben gesagt, Herr Kollege Kohl, daß in der Behandlung des Spionagefalles doch schließlich die Bundesregierung oder der zuständige Bundesjustizminister dafür sorgen solle, daß dann die Dinge richtig laufen. Ich möchte hier einen Satz wiederholen, der im Jahre 1962 an dieser Stelle von meinem Freund Wolfgang Döring gesagt wurde. Er sagte damals wörtlich:
    Ich bin nicht bereit, unwidersprochen hinzunehmen, daß letztlich durch eine ganz bestimmte
    Stimmungsentwicklung, gleichgültig wer sie be-



    Mischnick
    wirkt, Leute verurteilt sind, bevor sie überhaupt jemals einen Gerichtssaal gesehen haben.

    (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Das ist allgemeine Meinung! Das habe ich doch gesagt, Herr Mischnick!)

    Genau das ist der Punkt. Wenn Sie mir zurufen „Wir sind einer Meinung", bin ich sehr froh darüber.

    (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Das habe ich doch gerade gesagt!)

    Dann wäre es aber auch gut gewesen, wenn hier sehr deutlich gemacht worden wäre, daß die Vorabverurteilungen, die in der Öffentlichkeit stattfanden, durch Artikel und Erklärungen, mit Bedauern zurückgenommen werden.

    (Beifall bei der FDP und der SPD — Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Meinen Sie Lookheed?)

    — Wenn Sie mir Lookheed zurufen, dann rufen Sie das auch wieder dem Falschen zu. Wir haben in dieser oder in anderen Fragen zu keinem Zeitpunkt irgend jemanden persönlich verdächtigt. Das ist ja eben das, was die Liberalen gegenüber anderen auszeichnet: daß sie in jeder Beziehung liberal sind und das durchhalten, auch dann, wenn eine andere Haltung in den politischen Kram passen könnte, z. B. jemanden in Spionageverdacht zu bringen. Auch dann vergessen wir die Liberalität nicht.
    Noch eine kurze Bemerkung zu dem, was Herr Kollege Strauß heute vormittag gesagt hat. Er sprach davon, daß die Bruttolohnbezogenheit der Renten eine Täuschung der Öffentlichkeit gewesen sei, und erklärte, daß der Rentenbetrug damit praktisch fortgesetzt werden solle. Ich kenne aus den Reihen der Union sehr viele — ich könnte auch die Namen aufführen; das will ich nicht tun —, die genausogut wie wir alle wissen, daß mit dem Auftrag des Verfassungsgerichtes, bis 1984 eine neue Lösung der Hinterbliebenenversorgung zu finden, sehr schwierige Probleme verbunden sind. Deshalb sollte jeder, der heute Erklärungen über die Entwicklung von übermorgen abgibt, das mit aller Vorsicht tun und auch nicht verlangen, daß schon heute, wo diese Diskussion nicht bendet ist, Patentrezepte abgegeben werden. Das ist ehrlicher gegenüber allen Rentnern.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Ich habe bewußt eine kurze Redezeit angemeldet: damit die Opposition nicht die Sorge hat, zu kurz zu kommen. Ich will deshalb mit diesem Beitrag zum Schluß kommen. Heute ist immer wieder gesagt worden — das zog sich durch viele Beiträge —, der Kollege Bahr habe von zwei Wahrheiten gesprochen. Mir fiel dabei ein: Bei Konrad Adenauer gab es die drei Wahrheiten. Jetzt spricht man beim Kollegen Bahr immer von den zwei Wahrheiten. Es wäre gut, wenn wir uns gemeinsam darauf verständigen könnten, unseren sachlichen Aussagen immer nur eine Wahrheit zugrunde zu legen und danach zu handeln.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Ehmke.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Horst Ehmke


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der preußische Finanzminister Popitz hat einmal gesagt, daß der Haushalt das Schicksalsbuch der Nation und die Diskussion über den Haushalt eine der wichtigsten Debatten in jedem demokratischen Parlament sei. Wenn ich an die beiden Reden der Oppositionsführer heute denke, von Herrn Strauß und Herrn Kohl — die im übrigen beide nicht mehr im Saal sind —, dann muß ich sagen: Von dieser Bedeutung der Haushaltsdebatte war in diesen Oppositionsreden wenig zu merken.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Das waren zwei Reden, die in der Substanz kleinklein waren. Herr Strauß kann das mit seiner brillanten Rhetorik noch einigermaßen verdecken; Herr Kohl schafft nicht einmal das.

    (Beifall bei der SPD)

    Darum möchte ich mich jetzt zunächst nur auf einzelne Klarstellungen von Dingen konzentrieren, die in der nebelhaften Art vorgetragen worden sind, wie wir sie von der Opposition kennen.
    Herr Kollege Strauß hat z. B. vorgetragen, gegen den Kollegen Rudi Schöfberger sei in Bayern eine einstweilige Verfügung ergangen. Das ist richtig. Leider hat Herr Strauß vergessen hinzuzufügen, daß diese einstweilige Verfügung vom Landgericht München I im Dezember 1977 aufgehoben worden ist und die CSU die gesamten Kosten des Verfahrens zu tragen hatte, die über 6 000 DM betrugen.

    (Hört! Hört! bei der SPD)

    Herr Kohl hat dann das Ammenmärchen wiederholt, von der SPD bzw. von der Friedrich-EbertStiftung seien Leute in Archive geschickt worden, um in Dissertationen nachzugraben. Dazu kann ich nur sagen: Diese Behauptung ist vom „Schwarzwälder Boten" unter Berufung auf CDU-Kreise aufgestellt worden. Sie ist von der SPD und von der Friedrich-Ebert-Stiftung dementiert worden. Ich bedaure, daß diese falsche Darstellung vom Oppositionsführer heute trotzdem noch einmal bewußt vorgebracht worden ist.
    Im übrigen darf ich daran erinnern: Um die Urteile von Herrn Filbinger hat sich bekanntlich seine eigene Staatskanzlei gekümmert. Sie hat auch das Urteil aus dem Jahre 1943 vorgelegt, das uns anderen ja gar nicht bekannt war und das dann — zu ihrer Ehre sei es gesagt — selbst in der baden-württembergischen CDU das Faß zum Überlaufen brachte.
    Herr Kohl hat dann beanstandet — auch Herr Jenninger hat das getan —, daß der Bundeskanzler gesagt habe, es sei an eine Sondersitzung gedacht gewesen.

    (Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Gefordert, Herr Ehmke!)

    — Ich darf zunächst einmal sagen, Herr Jenninger: Herr Kohl hat so getan, als ob der Bundeskanzler nur die Tatsache ihrer Fragestellung mit dem Wort „Volksgerichtshof" abqualifiziert habe. Sie wissen, daß das nicht so war. Er hat sich lediglich dagegen gewehrt, daß Sie ihm nach Ihrer Fragestellung nicht



    Dr. Ehmke
    einmal die Chance gegeben haben, die ersten drei Worte seiner Antwort zu sagen, weil Sie ihn da schon in schnödem Ton unterbrochen haben.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Schwarz-Schilling [CDU/CSU] : Was hat das mit „Volksgerichtshof" zu tun? — Dr. Jenninger [CDU/ CSU] : Haben Sie das Protokoll nachgelesen?)

    — Herr Jenninger, ich habe in der Kürze der Zeit nicht alles zusammenbekommen, will aber folgendes sagen: Zum Beispiel sagte der Minister für Soziales in Rheinland-Pfalz, der Ihrer Partei angehört, am 23. Juni im WDR:
    ... dann müssen sich zweifellos die Kabinette der unionsgeführten Länder überlegen, ob sie diesen Einspruch mit der Konsequenz einer Sondersitzung während der Sommerpause auch dann noch wirklich einlegen wollen.
    An diese Äußerung schließt sich eine endlose Presseberichterstattung an, daß die CDU das plane. Ich sehe also nicht ein, welchen Grund Sie haben, dem Bundeskanzler hier Vorwürfe zu machen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Ich zähle ein weiteres auf, weil es so typisch ist für die Art, wie in diesem Haus von der Union diskutiert wird. Tatsachen spielen keine' Rolle, Hauptsache, die „Gesinnung" ist richtig. So diskutieren hier Herr Strauß wie Herr Kohl.
    Da ist gesagt worden, es sei unerhört, daß wir behaupteten, Herr Filbinger habe gesagt, was im Dritten Reich Recht gewesen sei, könne heute nicht Unrecht sein. Das ist von Herrn Filbinger nicht nur nie dementiert worden, sondern er hat dies in einem Interview mit Paul Wilhelm Wenger im „Rheinischen Merkur" vom 1. September sogar wiederholt. Er hat dann allerdings seine Interpretation hinzugefügt, daß er sich damit gegen den Vorwurf der Rechtsbeugung im Fall Gölter wehren wollte. In Ordnung. Ich will jetzt nicht über die Interpretation streiten, aber Sie können sich doch hier nicht hinstellen und sagen, das sei von Filbinger nie gesagt worden. Was für eine Debatte soll es noch zwischen uns geben, wenn Tatsachen, die Sie kennen, hier in der Debatte als nicht existent bezeichnet werden, weil sie Ihnen nicht passen? Das hat ja keinen Zweck.

    (Beifall bei der SPD)

    Nun ist Herr Kohl, was Tatsachen betrifft, generell schwach. Das gilt auch für den vierten Punkt, auf den ich kommen will. Herr Kohl hat zum xten Male — und Herr Schwarz-Schilling und Herr Biedenkopf und alle tun das draußen im Lande sehr fleißig — erzählt, wie verheeren die Entwicklung der Lage der kleinen und mittleren Unternehmen unter der sozialliberalen Koalition sei.

    (Haase [Kassel] [CDU/CSU] : 30 000 Pleiten in vier Jahren!)

    Sie alle wissen in Wirklichkeit,

    (Dr. Schwarz-Schilling [CDU/CSU] : Leugnen Sie das etwa?)

    daß die Zahl der kleinen und mittleren Unternehmen nach der Größenstatistik des Instituts für Mittelstandsforschung, die Sie alle genauso kennen wie ich, in den Jahren von 1960 bis 1968, also als Sie regiert haben, um 182 000 abgenommen hat und von 1970 bis' 1976 um etwas über 70 000, daß aber diese Zahl von 1976 bis 1977 um 16 000 zugenommen hat. Dabei tritt eine eindeutige Verschiebung von Produktion und Handel zu Dienstleistungen ein. Das sind kleine und mittlere Unternehmen einschließlich Handwerk.

    (Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Und Bauern!)

    Gleichzeitig ist bei den Selbständigen eine erstaunliche Verjüngung eingetreten. Was meinen Sie eigentlich, was Sie dem Mittelstand für einen Gefallen tun, wenn Sie hier mit Ihren Reden dauernd den Eindruck erwecken, als ob er keine Chancen hätte. Sie reden den Mittelstand kaputt.

    (Beifall bei der SPD — Haase [Kassel] {CDU/CSU] : 30 000 Pleiten in vier Jahren!)

    — Herr Haase, ich will Ihnen etwas sagen: Das „Handelsblatt" ist bekanntlich kein sozialdemokratisches Presseorgan. Es hat am Anfang dieses Jahres einen Bericht über die Mittelstandspolitik der sozialliberalen Koalition geschrieben und ist zu dem Ergebnis gekommen, daß sie sich durchaus sehen lassen kann. Gehen Sie doch jetzt nicht hin und machen den Leuten draußen Angst! Sie machen denen doch Angst. Wie wirkt das denn auf die Existenz der Unternehmer und auf den Willen der Unternehmer, Risiko zu tragen?

    (Beifall bei der SPD Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Es geht hier um die Pleiten! — Dr. Schwarz-Schilling [CDU/CSU] : Ich habe nie gehört, daß die vor uns Angst haben!)

    Ein fünfter Punkt, auf den ich kurz eingehen will, sind die erstaunlichen Bemerkungen von Herrn Kohl über die „Wirtschaftsverfassung".

    (Zuruf von der CDU/CSU)

    — Lesen Sie doch einmal Statistiken. Nur mit CDU-Ideologie ist dem Mittelstand doch wirklich nicht geholfen. Das ist in Wirklichkeit sein Ruin,

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    daß er sich an Ihrer Ideologie ausrichtet, statt an Tatsachen. Sonst ginge es ihm noch besser, als es ihm schon geht.

    (Sehr gut! bei der SPD)

    Ich komme jetzt zum Punkt der Wirtschaftsverfassung. Da muß ich nun sagen, irgendeiner der Herren Juristen hätte doch dem Oppositionsführer klarmachen können, daß es ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts darüber gibt, daß das Grundgesetz keine Wirtschaftsverfassung garantiert. Sie können noch so viel von der „Sozialen Marktwirtschaft", was immer man darunter versteht, halten; die Behauptung, es sei gewissermaßen verfassungswidrig, wenn man das bestreitet, ist doch sicher schon komisch.

    (Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Behauptet doch gar keiner! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)




    Dr. Ehmke
    — Sehen Sie sich Art. 15 an!

    (Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Elemente )

    — Nicht „Elemente"! Es gibt sogar eine Rechtsprechung des Verfassungsgerichts dazu.

    (Dr. Schwarz-Schilling [CDU/CSU] : Für Sie ist das ein Schlagwort! — Dr. Zeitel [CDU/ CSU] : Das hat doch gar keiner behauptet! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    — Herr Schwarz-Schilling, ich will Ihnen einen schönen Artikel des Grundgesetzes vorlesen, nämlich Art. 15:

    (Dr. Zeitel [CDU/CSU] : Drehen Sie es doch nicht in die falsche Richtung!)

    Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden ..."
    Das ist mit Ihren Stimmen ins Grundgesetz gekommen.

    (Dr. Schwarz-Schilling [CDU/CSU] : Ja, natürlich!)

    — Was soll dann hier der Vorwurf, der Bundeskanzler unterschlage die Marktwirtschaft als einen Teil der verfassungsmäßigen Ordnung des Grundgesetzes? Es ist doch hirnrissig, was der Herr Kollege Kohl hier vorgeführt hat.

    (Beifall bei der SPD Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Der Herr Schmidt hat doch vom „Schlagwort" gesprochen!)

    Der Bundesverfassungsrichter Leibholz hat das einmal sehr einfach zusammengefaßt. Er hat gesagt:
    Die heutige Wirtschafts- und Sozialordnung ist zwar eine nach dem Grundgesetz mögliche Ordnung, keineswegs aber, wie behauptet worden ist,
    — ich füge hinzu: auch heute wieder von Herrn Kohl —
    die allein mögliche.
    Darum sollten wir diesen ideologischen Krieg sein lassen.